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Die Geschichte der Großeltern erkundet

Jugendliche Teilnehmer aus dem Banat und aus Polen kamen miteinander ins Gespräch. Foto: Daniela Hofmann

Der Frauenverband im Bund der Vertriebenen organisierte vom 3. bis 5. März 2017 seine Frühjahrstagung im Heiligenhof, Bad Kissingen. Mit dem Thema „Unsere Großeltern erlebten Geschichte – was bedeutet ihre Geschichte für unser Leben?“ beschäftigten sich Schüler, Referenten, Zeitzeugen und interessierte Teilnehmer aus Deutschland, Polen und Rumänien. Ziel der Veranstaltung war es, Schüler, Zeitzeugen und Geschichtsbewusste miteinander ins Gespräch zu bringen. Im Gegensatz zu den bisherigen Tagungen hatte diesmal der Dialog der Generationen Vorrang vor vortragsgemäßer Wissensvermittlung. In der Vorstellungsrunde erzählten die Teilnehmer dreier Generationen Begebenheiten aus ihrem eigenen bzw. dem Leben ihrer Großeltern. Es waren lustige und traurige, manchmal druckreife Geschichten, die die Teilnehmer über zwei Stunden lang fesselten. Im Rahmen eines schulischen Projektes hatten Schüler aus dem Banat und aus Polen ihre Großeltern über ihre Erfahrungen in der Diktatur befragt und brachten die Ergebnisse in die Tagung mit ein. Im Gegenzug stellten sich Zeitzeugen in einem Gesprächskreis den Fragen zu den Umständen, die ihrer eigenen Entwicklung förderlich oder hinderlich waren. Der Psychologe Dr. Wolfgang Krüger verwies auf die vermittelnde Rolle der Großeltern zwischen Eltern und Kindern und ihre unterstützende Funktion bei der Grundlegung von Geborgenheit, Vertrauen und einer differenzierten Sicht auf Alltag, Welt und Geschichte bei Kindern und Jugendlichen. Zum Schluss widmeten sich generationen- und länderübergreifende Gesprächsgruppen den Fragen nach den Voraussetzungen für ein förder-
liches Miteinander von Großeltern und Enkeln. Das Ergebnis dieser spannenden Begegnungstagung wird hier aus der Sicht einer Lenauschülerin aus Temeswar kommentiert.

Es ist jedes Mal ein tolles Erlebnis, wenn die Großeltern anfangen, aus ihrem Leben zu erzählen: Wie es damals so war, wie ihr Alltag ablief, was bei ihnen in der Schule so anstand. Auf dieser Idee basiert auch das Projekt „Unsere Großeltern erlebten Geschichte“ des Frauenverbandes im Rahmen des Bundes der Vertriebenen aus Deutschland. Wir, die Schüler der Temeswarer Lenauschule, sowie eine Schülergruppe aus der polnischen Stadt Oborniki wurden zur Teilnahme an diesem Projekt und an der damit verbundenen Tagung eingeladen. Die Tagung fand in Bad Kissingen (Bayern) Anfang März 2017 statt. Wir hatten ein paar Wochen Vorlaufzeit, um unter Anleitung unserer Lehrerin Simona Lobonţ die Großeltern über ihren Alltag während des Kommunismus zu befragen und eine Präsentation zu erstellen.

Die Vorarbeit: Befragung der Großeltern

Erst einmal mussten wir uns alle kennenlernen: Cristian, Flavia und Iulia (Klasse 9 MI), Răzvan (Klasse 10 SW), Andrei (Klasse 9 N) und Silvia (Klasse 11 MI). Danach ging es ohne viel Hin und Her an die Arbeit. Jeder hat sich ein Familienmitglied ausgesucht, das den Kommunismus erlebt hat, und die Fragerei konnte beginnen. Wir haben viel Interessantes erfahren und eigentlich auch verstanden, wie einfach und leicht wir es heute haben. Was bei unseren Großeltern immer ein wichtiger Punkt war: das Fehlen der Freiheit. Sie wünschten sich Reisefreiheit, zensurfreie Literatur, Meinungsfreiheit – alles Dinge, die für uns selbstverständlich sind.

Die Tagung: Dialog der Generationen

Kaum war der erste Teil der Arbeit getan, machten wir uns auch schon auf den (langen) Weg nach Bad Kissingen. (Okay, die Arbeit war noch lange nicht fertig – selbst auf dem Weg haben wir manche Antworten unserer Großeltern übersetzt.) Am Abend war es dann zu spät, um noch etwas zu unternehmen, am nächsten Morgen sind wir jedoch gleich in die Stadt spazieren gegangen. Den Heimweg mussten wir dann ohne unsere Lehrerinnen schaffen und sind fast zu spät angekommen. Am Nachmittag nämlich sollten wir die Lenauschule vorstellen und zum ersten Mal die Schüler aus Polen treffen.

Danach hat die Präsidentin des Frauenverbandes, Dr. Maria Werthan, eine Erzählrunde mit dem Thema „Ich und meine Oma“ vorgeschlagen. Für mich war das einer der spannendsten Teile des Projektes.
Alle Anwesenden haben davon erzählt – manchmal mit einem lustigen, manchmal auch mit einem traurigen Unterton. Wir Schüler haben verstanden, dass auch die Erwachsenen Kinder waren und oft ähnliche Erinnerungen wie wir an ihre Großeltern hatten. Das war ein langer, aber wundervoller Abend.
Am nächsten Tag ging es mit den Vorträgen über unsere Großeltern los. Wir waren etwas aufgeregt, vor allen Versammelten zu sprechen, aber am Ende ist alles gut gelaufen. Sehr interessant waren die vielen Ähnlichkeiten zwischen den Erzählungen der rumänischen und polnischen Großeltern.
Später haben wir uns noch einen geschichtlichen Vortrag über die Politik der beiden deutschen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg angehört. In einer Stunde wurden uns die wichtigsten Aspekte der damaligen Politik erklärt und so ergab sich eine Abrundung des Projektes durch folgenden Vergleich: Wie war es in Rumänien, in Polen, in Deutschland?

Zum Schluss haben wir noch die psychologische Ansicht erklärt bekommen: Wir, unsere Großeltern und ihre Geschichte – wie hängt das alles zusammen? Wir haben verstanden, inwiefern die Geschichte der Großeltern uns beeinflusst und dann gab es eine Gesprächsrunde. Die Erwachsenen haben erfahren, was uns so interessiert und wir haben verstanden, worüber die Großeltern gerne sprechen möchten.

Der wohl lustigste Teil: Cześć, Polska! (Hallo, Polen!)

Den letzten Abend in Deutschland haben wir mit unseren neuen polnischen Freunden verbracht. Wir haben uns gegenseitig ein bisschen Rumänisch bzw. Polnisch beigebracht, Musik aus beiden Ländern gehört sowie polnische und rumänische Schokolade gegessen. Vor allem haben wir viel gelacht. Uns ist wieder einmal klar geworden, dass die Muttersprache und das Herkunftsland gar keine Rolle im Umgang mit anderen Menschen spielen. Bestenfalls kann man über „zu Hause“ erzählen, vergleichen und lachen.

Neben dem geschichtlichen Teil gab es für uns also auch den „Austausch“-Teil. Insgesamt waren der Ausflug und das Projekt Erfahrungen, bei denen wir alle sagen können: „Das würde ich gerne wieder erleben wollen!“ In der ersten Schulwoche nach dem Ausflug waren wir alle traurig. Wir vermissten Bad Kissingen, den lokalen Süßigkeitenladen und natürlich die Schüler aus Polen. To było zajebiste! – Es war richtig toll!