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Zum Buch »Im Wald der Metropolen«

Der Österreicher Karl-Markus Gauß ist ein guter Kenner Europas. Gekonnt verbindet er Reiseeindrücke mit historischen und kulturgeschichtlichen Fakten. Gauß brilliert vor allem, wenn er sich in die osteuropäische Provinz begibt und „von denen Europa nichts weiß“ erzählt, von vergessenen Nationalpoeten und frühen Europäern. Sicher, es findet sich auch Belangloses in dem Buch; meist legt Gauß aber Fährten frei und zeigt uns in dreizehn Stationen ein wenig bekanntes Gesicht Europas. Ein Kapitel ist mit 37 Seiten Rumänien gewidmet, auf vier Persönlichkeiten geht Gauß näher ein.

Tudor Arghezi, der Schriftsteller mit dem Talent, zur falschen Zeit das Richtige zu tun, stand zu den Mächtigen und den Verhältnissen fast immer in Opposition. Im Ersten Weltkrieg landete er wegen seiner pazifistischen „deutschfreundlichen“ Texte im Gefängnis, im Zweiten Weltkrieg wurde er wegen „deutschfeindlicher“ Pamphlete ins Lager Târgu Jiu gesteckt. Danach, als die Gesellschaft stalinisiert wurde, war Arghezi jahrelang verfemt. Der größte rumänische Dichter der Moderne entdeckte Schönheit und Würde eher in den niederen Dingen des Alltags, den unauffälligen Erscheinungen des Lebens. Erst in seinen letzten Lebensjahren wurde er gebührend geehrt und auf den Sockel eines Nationaldichters gehoben.

1850 malte Konstantin Daniel Rosenthal ein Gemälde, das er „Das revolutionäre Rumänien“ nannte. Die Ikone der rumänischen Revolution von 1848 zeigt eine Engländerin von edler Gestalt und langem dunklen Haar: Maria Rosetti. Der größte rumänische Patriot war also ein ungarischer Jude, der in einem habsburgischen Kerker zu Tode gefoltert wurde. Ja, die Einigungsbewegung der Rumänen war auch das Werk von Kosmopoliten, die die rumänische Erhebung gegen die morschen Despotien als europäische Angelegenheit verstanden. Eine Würdigung erhält auch der jüdische Schriftsteller Alfred Margul-Sperber aus der Bukowina, der „gebildetste und leidenschaftlichste Fürsprecher, den die deutsche Literatur in Rumänien jemals hatte“. Mit seiner außerordentlichen Sprachbegabung schuf Margul-Sperber eine vielschichtige und gegensätzliche Lyrik, die oft ins Meisterhafte wuchs. Während der Jahre der Verfolgung entging er nur knapp der Deportation nach Transnistrien. Nach 1944 als freier Schriftsteller und literarischer Übersetzer tätig, avancierte er zur zentralen Figur der rumäniendeutschen Literatur. Scheinbar systemkonform blieb der Humanist den neuen Machthabern stets suspekt, denn er verweigerte die Zusammenarbeit mit der Securitate und setzte sich für gefährdete Schriftsteller ein.

Beeindruckend ist die Wiederentdeckung des aufständischen Bauernführers Dózsa György (rum. Gheorghe Doja). Papst Leo X. rief 1513 zu einem neuen Kreuzzug gegen die Türken und versprach den Bauern nicht weniger als die Freiheit und die Aufhebung der Leibeigenschaft, wenn sie sich dem Christenheer anschlössen. Der um 1470 in Siebenbürgen geborene Reiterhauptmann Doja organisierte und bewaffnete hunderttausend Bauern, die lieber Krieger Gottes sein wollten als zu Hause für ihre Feudalherren zu schuften. Kaum auf dem Weg, erfuhren sie, dass ihre Grundherren, denen die billige Arbeitskraft abhanden gekommen war, jetzt ihre zurückgelassenen Frauen und Kinder auf die Felder jagten. Es kam zum Aufstand, der Europa erschütterte. Doja, bisher als eiserne Faust der Christenheit bekannt, setzte sich an die Spitze der Aufständischen. Er will nicht nur das an den Bauern begangene Unrecht rächen, sein Ziel ist der Umsturz der herrschenden Ordnung. Dem Adel versprach er: „Wir werden euch an den Giebeln der Haustore aufhängen, euch spießen lassen, wir werden eure Güter verheeren und vergeuden, eure Weiber und Kinder umbringen.“

Mit militärischem Geschick und grausamer Entschlossenheit vertrieb oder massakrierte Dojas Bauernheer die Aristokraten aus weiten Teilen Ungarns, Siebenbürgens und der Walachei. Bei Tschanad und Nadlak siegreich, scheiterte jedoch die Einnahme Temeswars, wohin sich die Aristokraten geflüchtet hatten. Die Aufständischen wurden von einem riesigen Söldnerheer vernichtend geschlagen, abertausende Bauern getötet. Doja wurde gefangengenommen und am 20. Juli 1514 hingerichtet. Sie schmückten sein Haupt mit einer glühenden Krone und drückten ihm ein glutheißes Zepter in die Hand. Dann setzten sie ihn auf einen rotglühend erhitzten Eisenstuhl und huldigten ihm als „Bauernkönig“, bis er verkohlt war. Dojas Körper wurde gevierteilt und in mehreren Städten Ungarns zur Schau gestellt. Der Überlieferung nach soll sich der Ort, an dem diese grausamen Szenen stattgefunden haben, dort befinden, wo in der Elisabethstadt heute die Statue der Heiligen Maria steht. Auch wenn die Aristokratie den Bauernaufstand siegreich überstand, war Ungarn durch Dojas Bauernaufstand geschwächt und wird 1526 eine vernichtende Niederlage gegen die Türken bei Mohács hinnehmen müssen, der fast zwei Jahrhunderte türkische Herrschaft folgen werden.

Nicht minder interessant sind die meisten anderen Kapitel des Buches von Karl-Markus Gauß, deren Schauplätze zwischen der Loire und dem Bosporus liegen. Dem Titel zum Trotz kommt Gauß ohne Paris, London oder Berlin aus. Die Metropolen seines „persönlichen und imaginären Europa“ liegen anderswo: neben Belgrad, Brüssel, Bukarest, Oppeln, Brünn auch im Niemandsland an der slowenisch-kroatischen Grenze oder auf einem italienischen Militärfriedhof. In einem faszinierenden Ineinander von Orten und Zeiten führt uns Karl-Markus Gauß durch eine dem Durchschnittseuropäer kaum bekannte Welt.

Karl-Markus Gauß: Im Wald der Metropolen. Wien: Zsolnay 2010. 303 Seiten, Preis 19,90 Euro. Zu beziehen über den Buchhandel.