zur Druckansicht

Auf dem Weg ins Nirgendwo

Der Basisblock der Stele; Detailaufnahme aus dem Atelier des Künstlers. Foto: Hedi Kirchner

Die vierteilige Gedenkanlage auf dem Salzburger Kommunalfriedhof, ein Werk des Künstlers Walter Andreas Kirchner, wurde am 1. Dezember 2016 eingeweiht. Die Tafel rechts trägt die Widmungsinschrift: „Im Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen, in Todeslagern umgekommenen, bei Flucht und Vertreibung verstorbenen Donauschwaben und an die in Salzburger Erde ruhenden Vorfahren. Donauschwäbisches Kulturzentrum, Verein Salzburger Donauschwaben“. Foto: Walther Konschitzky

Bei der Denkmaleinweihung (von links): Prof. Dr. Anton Schwob, Johann März, Walter Andreas Kirchner, Weihbischof Prof. Dr. Andreas Laun. Foto: Walther Konschitzky

In einer beeindruckenden Gedenkfeier des Vereins der Salzburger Donauschwaben und des Donauschwäbischen Kulturzentrums Salzburg wurde am 1. Dezember 2016 im Kommunalfriedhof der Stadt ein Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkriegs, der Flucht im Herbst 1944, der Todeslager des Tito-Regimes, der Deportationen nach Russland und in den Bărăgan geweiht. Die mehrteilige Anlage aus Carrara-Marmor wurde vom Banater Bildhauer Walter Andreas Kirchner gestaltet. Sie befindet sich im Südwestteil des Friedhofs, wo in den Gräberfeldern 60 und 61 mehrere Gedenkstätten deutscher Volksgruppen aus dem Osten und Südosten Europas, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Raum Salzburg eine neue Heimat gefunden haben, errichtet wurden.

Beim Festakt anlässlich der Denkmalweihe begrüßte Prof. Dr. Anton Schwob seitens der Veranstalter eine große Zahl ehemaliger Flüchtlinge und ihrer Nachkommen sowie zahlreiche Gäste und Ehrengäste. Prof. Dr. Schwob, Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer, Weihbischof Prof. Dr. Andreas Laun, die Salzburger Gemeinderätin Dr. Karin Dollinger und Johann März, Vorstandsmitglied des Vereins der Salzburger Donauschwaben, erinnerten in ihren Ansprachen an die grauenvollen Jahre der Flucht, der Internierung in Arbeits- und Todeslager und der Deportationen und an die Zehntausende Toten aus den Reihen der Zivilbevölkerung, die diesen Gewalt- und Terrormaßnahmen in den donauschwäbischen Siedlungsgebieten im ehemaligen Jugoslawien, in Rumänien und in Ungarn zum Opfer fielen. Für all das stehe dieses Denk- und Mahnmal aus edelstem Marmor, das die Gemeinschaft der Salzburger Donauschwaben gestiftet und errichtet hat. Mit Worten der Anerkennung sprachen sie aber auch vom Überlebenswillen dieser Gruppe, von ihrem Beitrag zur Aufbauarbeit im Raum Salzburg nach dem Zweiten Weltkrieg, von ihrer Integration und von ihrem Dank an die Stadt und das Land, wo sie in schwerster Zeit Zuflucht und Aufnahme gefunden haben. Darauf gründe zu Recht das hohe Ansehen und die Wertschätzung, deren sich die Donauschwaben in Salzburg erfreuen, führte Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer an. Die feierliche Einweihung des Denkmals wurde von der Bläsergruppe Anif musikalisch umrahmt.

Bilder einer Zeit des Grauens

Die Zeit der Flucht, der Drangsalierung, der Zwangsarbeit, des Hungers und der Vernichtung Zehntausender umriss Johann März in einer bewegenden Ansprache, in der er die Erinnerung an selbst Erlebtes als seine „persönliche Art der Annäherung an das Werk von Walter Andreas Kirchner“ bezeichnete. Auszüge aus seiner Rede sprechen von der Akzeptanz und Identifikation der Donauschwaben mit diesem Denkmal im Salzburger Kommunalfriedhof.

„Am 9. November 1946, also vor siebzig Jahren, hat eine Gruppe von sechs Personen nach elftägiger Flucht das steirische Fürstenfeld und damit die damalige englische Besatzungszone in Österreich erreicht. Leiter der Gruppe war ein donauschwäbischer Tagelöhner, den ich hier Michl nenne. Mit dabei waren seine Frau Anna, die Tochter Rosalia mit dem zwölf Jahre alten Stiefsohn – liebevoll Mischi gerufen – und ihren beiden eigenen Kindern, einem fünfjährigen Buben und einem zweieinhalbjährigen Mädchen. Michl schreibt später über die Ankunft in Fürstenfeld: War eine schwere und schlimme Zeit, aber jetzt sind wir in der englischen Zone und in Freiheit. Die Hauptsach is, wir haben die Hölle hinter uns.

Diese Hölle hatte ihren Anfang im Oktober 1944 genommen, als Michl die wohl schwerste Entscheidung seines Lebens treffen musste: bleiben oder weggehen aus seiner Heimat. Gehen hätte für ihn bedeutet alles aufzugeben, alles zurückzulassen, das Geschaffene und Vertraute einzutauschen gegen Ungewisses und Fremdes… Michl blieb. Mit ihm blieben seine Angehörigen und weitere 4500 Zivilpersonen seiner Gemeinde in der Batschka. Sein ganzes späteres Leben aber sollte er sich mit dem Gedanken quälen, die Heimat nicht rechtzeitig verlassen zu haben, obwohl ihn seine Frau, seine Tochter und die Nachbarn dazu gedrängt hatten. Er schreibt: Die, die dem deutschen Oberkommando gfolgt und gflüchtet sind, haben auch viel mit-gmacht, aber sie haben sich frei bewegen können. Wir aber, die nicht gflüchtet sind, haben Tag und Nacht gebangt um unser Leben.

Der zwei Jahre andauernde Leidensweg begann mit Plünderungen durch russische Soldaten und jugoslawische Partisanenhorden und fand seinen grauenhaften Höhepunkt in der Einrichtung von Internierungsstätten, verharmlosend als Lager mit Sonderstatus bezeichnet. Schon vorher, also noch vor der Einweisung in eines dieser Lager, waren den Donauschwaben ihre bürgerlichen Rechte, ihr Eigentum und ihre Würde genommen worden. Nicht wenige hatten bereits ihr Leben gelassen; manche hatten es sich aus Schmach und Verzweiflung selbst genommen.

Walter Andreas Kirchner ist es gelungen, diesen Leidensweg darzustellen, ihn aus weißem Marmor heraus zu meißeln. Er konfrontiert den Betrachter mit den Entwurzelten, denen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in das Gesicht geschrieben ist. Mit Frauen, die sich schützend vor ihre Kinder stellen. Mit Menschenströmen in Bewegung, vielleicht auf dem Weg in eines der jugoslawischen Todeslager, in die Kohlengruben im Donbas, in die Bărăgansteppe oder auf dem Weg ins Nirgendwo...

Er konfrontiert den Betrachter mit einem Sterbenden, bedeckt bereits mit dem Totenhemd, den Mund zu einem Schrei geöffnet, den niemand hören kann. Einem Sterbenden, der seinen Arm mit geöffneter Hand bettelnd hochstreckt in der Hoffnung, dass diese Hand ergriffen und tröstend festgehalten wird… So ist Michls Vater gestorben. Ausgezehrt von Hunger, buchstäblich ausgesaugt von Ungeziefer, und ohne kirchlichen Beistand. Von Michl und seiner Schwägerin Theresia in ein Tuch gewickelt, von einem Totenkarren am Hofeingang abgeholt, hinein geworfen in ein Massengrab. Den Vater auf dessen letztem Weg zu begleiten war dem Sohn nicht erlaubt. Es war der 8. Oktober 1945.

Walter Andreas Kirchner hat die Gestalten geschaffen, ich habe diesen Gestalten Namen gegeben, verknüpft mit Erinnerungen und Gedanken an diese Namen, und so versuchte ich mich dem Werk des Künstlers anzunähern.

Eine Frau ist zu sehen, ein Kleinkind auf ihrem Rücken tragend, und da wurde ich an Rosalia erinnert. An Rosalia, die ihre kleine, kranke Tochter bei der Vertreibung ins Lager Gakowa und später auf der Flucht aus Gakowa Kilometer um Kilometer schleppen musste. An Rosalia, die sich in der Morgendämmerung aus dem Lager schlich, um vergessene Feldfrüchte aufzuklauben oder mit bloßen Händen danach zu graben.

Ein kleines Mädchen, bitterlich weinend, erinnert mich gleichzeitig an Evi, Mischis Cousine, und an Mischi selbst. An Mischi, der trotz seines Bubenalters bei seinen Bettelgängen ungeheuren Mut bewies, sich von nichts und niemandem einschüchtern ließ. Für Evi wiederum war es ein von Mischi erbettelter großer grüner Apfel, der für sie zum Symbol für Gakowa werden sollte – und für ihre Angst, dort verhungern zu müssen. Über sechzig Jahre schleppte sie diesen großen grünen Apfel gedanklich mit sich herum, bis sie – immer wieder unterbrochen von Schluchzen und Weinen – endlich darüber reden konnte.

Beim Anblick der Kinder werde ich an den kleinen Buben und das noch kleinere, jüngere Mädchen erinnert. Beide an Typhus erkrankt, auf feuchtem, bereits angefaulten Stroh liegend. Ihre Körper grindig, zum Teil schon mit eitrigen Pusteln bedeckt…

Es gibt aber auch Erinnerungen, die mit Dankbarkeit an die Hilfsbereitschaft unterschiedlichster Menschen verbunden sind. So etwa an jene – guten – Serben, Ungarn, Bunjewatzen und Schokatzen, die uns damals geholfen haben. Auch an die Csángó-Ungarin aus der Karpato-Ukraine, die in Gara den Flüchtlingen spontan Unterschlupf gewährte. Und vielleicht erinnerte im Südburgenland die zitternde, armselige Gestalt den jungen russischen Soldaten an seine eigene Mutter, weil er plötzlich mit einer Schale heißem Tee vor Anna stand, sie aufforderte vom Tee zu trinken. Und noch einmal an Menschen im Südburgenland, die Anna, Rosalia und dem kleinen Mädchen ihren Schlafraum zur Verfügung stellten, während die Mannsleit (darunter auch der fünfjährige Bub) glücklich waren, im Stall nächtigen zu dürfen.

Über solche Erinnerungsbilder habe ich den Zugang zu Kirchners Bildsprache in Marmor gefunden, viele meiner Landsleute werden ihn über einen anderen Weg suchen – und ich hoffe, auch finden. Von den damaligen Ereignissen nicht Betroffene dagegen werden von der Ungewöhnlichkeit dieser, unserer Gedenkstätte angezogen werden. Sie werden näher treten, die Gestalten betrachten, die Inschrift auf dem Gedenkstein lesen – und dann verstehen.“

Erinnerungsbilder zu Symbolen verdichtet

Walter Andreas Kirchner hat die Bildsprache des Denkmals in Absprache mit den Auftraggebern gewählt. Vor der Plastik erläuterte er der großen Teilnehmergemeinde und den Ehrengästen die Symbolik seiner Darstellung des dramatischen Geschehens im Herbst 1944 und in den Jahren unmittelbar nach Kriegsende. Bei der Gestaltung schöpfte er auch aus der persönlichen Erinnerung an die Flucht seiner Familie aus Perjamosch nach Österreich und an die Heimkehr ins Banat.

„In mir stiegen meine Kindheitserinnerungen als prägnant bewahrte Bilder auf, die es mir ermöglichten, das Geschehene und das selbst Erlebte gestaltend umzusetzen; verschüttet Geglaubtes konkretisierte sich über fünf Kleinmodelle ins Wahrhaftige, das sich schließlich zu dieser Endform fügte… Im Vordergrund steht das Opfer, eine symbolhafte Figur, die Hilfe von oben erfleht, sich gleichzeitig aber ans Leben klammert. Es ist keine Figur in landesüblicher Tracht, sondern eine anonyme Gestalt, die für alle Gräueltaten der Menschheitsgeschichte zu allen Zeiten steht. Es sollte ein DENK-MAL, ein AN-DENKEN an alle Opfer sein.

Die Stele beginnt mit der Darstellung eines knienden, weinenden Kindes, das durch die Trennung von seiner Familie erschüttert ist. Die verzweifelte Mutter, die Abschied nimmt von ihren beiden Kindern, ist ein Abbild der Erfahrungen aus meinem Bekanntenkreis. Über dieser Gruppe sammelt sich ein immer größer werdender Flüchtlingsstrom, der sich in zwei Richtungen aufteilt: eine führt in den rettenden Westen, die andere in die Deportation nach Russland. Beispielhaft für die Trennung der Volksgruppe steht die Frau mit zum Himmel gestreckten flehenden Händen, die dieses unmenschliche Geschehen versinnbildlicht…

Um die Aussage der Gesamtkomposition zu vertiefen, ruht diese Stele auf einem plastisch gestalteten kubischen Block. Darauf ist eine Mutter dargestellt, die sich schützend vor ihre Kinder stellt – eine Anlehnung an das Motiv der Mantelmadonna. Das Kleinkind flüchtet sich in den Schoß der Mutter, der größere Junge verfolgt erschrocken das Geschehen, zwei Kinder verbergen sich in ihren schützenden Armen, während sich die zwei Mädchen auf der anderen Seitenfläche ängstlich aneinander klammern und hinter dem Jungen Zuflucht suchen. Kompositorisch leitet dies zu den Figuren der Stele über. Die getrennt stehende Flamme weist in ihrer Mehrdeutigkeit zum einen auf Zerstörung hin, ist aber gleichzeitig auch als ein Symbol des Lebens und des ewigen Lichts zu deuten.

Die Darstellung des dramatischen Geschehens ist eine bildhafte Anklage gegen Gewalt und Vertreibung; sie wird durch die Widmung auf der Schrifttafel nebenan verdeutlicht. Die Erinnerung daran durch dieses Denkmal sollte ein sichtbarer, würdiger Ausdruck der Gedenkkultur der Donauschwaben in unserer Zeit sein.“