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Beachtliche Ausstellung und einzigartiges Buch "Unter Anderen"

Den Umschlag des grafisch exzellenten Ausstellungskatalogs ziert ein Bild vom Kirchweihfest in der Banater Kleinstadt Detta im Jahr 2015.

Andreea Kremm (Temeswar), hier am Steuerknüppel ihrer Cessna 172, baute ein erfolgreiches Unternehmen auf, das über 600 Angestellte in sechs Ländern beschäftigt. Die Firmengruppe bietet unter anderem Geschäfts- und Vergnügungsflüge sowie Ballonfahrten an. Kremm machte eine Flugausbildung und betätigt sich auch als Pilotin. Foto: Dragoljub Zamurović / DZM

In seiner Dauerausstellung zeigt das Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm die Geschichte der Donauschwaben seit der Auswanderung im 18. Jahrhundert und ihr Leben als deutsche Minderheit im multiethnischen Umfeld Südosteuropas. Der Blick ist demnach auf die Vergangenheit gerichtet. Doch die Geschichte der Donauschwaben ist nicht ausschließlich ein Kapitel der Vergangenheit, sondern wird in der Gegenwart fortgeschrieben – auch in den ursprünglichen Siedlungsgebieten in Rumänien, Ungarn, Serbien und Kroatien. Zwar ist die Zahl der heute dort lebenden deutschen Minderheiten verschwindend gering – 132000 in Ungarn, davon 38000 Muttersprachler, rund 15000 im Banat, 4000 in Serbien und 3000 in Kroatien –, jedoch bemühen sich die verbliebenen Donauschwaben um die Aufrechterhaltung der Gemeinschaft und die Pflege ihrer kulturellen Traditionen. Die aktuelle Sonderausstellung des Donauschwäbischen Zentralmuseums und die dazugehörige Publikation lenken die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart. Die Leitfragen lauten: Wie sieht der Alltag der Donauschwaben in Südosteuropa heute aus? Wie leben sie „Unter Anderen“ (so der treffend ausgewählte Titel der Ausstellung)? Wie definieren sie sich in einer multiethnischen Umgebung selbst und im Verhältnis zu den Anderen?

Die Ausstellung trägt den Untertitel „Donauschwaben im südöstlichen Europa heute“ und zeigt „Fotografische Momentaufnahmen von Dragoljub Zamurović“. Der serbische Fotograf, der zu den europäischen Spitzenfotografen zählt und für namhafte internationale Magazine tätig ist, begab sich 2015 und 2016 mit seiner Kamera auf Spurensuche nach Rumänien, Ungarn, Kroatien und Serbien, um einige der dort verbliebenen Donauschwaben zu porträtieren. Auf seinen Reisen begegnete er ganz unterschiedlichen Menschen, die er in ihrem typischen Lebensumfeld ins Bild setzte. So entstand eine eindrückliche Bilddokumentation, die zusammen mit den Interviews, die das Donauschwäbische Zentralmuseum mit den sechzig porträtierten Donauschwaben führte, Einblicke in ihren Alltag „unter Anderen“ geben.

Doch wie kam es zu diesem Projekt? „Als ich vor einigen Jahren an meinem Buch über die serbische Region Vojvodina arbeitete, besuchte ich den Ort Knićanin“, berichtet Zamurović. „Zum ersten Mal in meinem Leben erfuhr ich von den Donauschwaben. Das hat mich derart berührt, dass die Idee zu einer Fotostory über die deutsche Minderheit entstand.“ In Knićanin, das im serbischen Banat liegt und früher Rudolfsgnad hieß, lebten vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 3000 Deutsche. Von 1945 bis 1948 war hier eines der größten Internierungs- und Todeslager für die deutsche Zivilbevölkerung im ehemaligen Jugoslawien. Über 11000 Menschen sind dort umgekommen, darunter viele Kinder. Davon erfuhr Zamurović erst im Zuge seiner Recherchen, zumal dieses schwierige Kapitel in der Geschichte Jugoslawiens jahrzehntelang verschwiegen wurde. Er recherchierte, traf Zeitzeugen und beschloss, für die serbische Ausgabe des „National Geographic“ eine Fotoreportage über die Donauschwaben in seinem Land zu machen. Im Austausch mit dem Donauschwäbischen Zentralmuseum weitete sich dann die Idee auf alle vier Länder in Südosteuropa aus, in denen Donauschwaben leben. In einem Interview mit der „Banater Zeitung“ erklärte Zamurović: „Für mich ist es wichtig, zu zeigen, wie die Donauschwaben heute leben. Es gibt Ausstellungen über ihre Häuser, Kirchen und Friedhöfe, und auch darüber, wie sie früher gelebt haben. Aber ich habe bisher nichts über ihr heutiges Dasein gesehen.“

Auf seinen Fotoreisen durch Rumänien, Ungarn, Kroatien und Serbien erkundete Dragoljub Zamurović die Lebensverhältnisse der dort lebenden Donauschwaben und dokumentierte deren Alltag. In der Ausstellung wie auch in dem parallel dazu entstandenen Buch präsentiert er 60 Porträts, je 15 pro Siedlungsgebiet. Zu den porträtierten Deutschen zählen Leute aus allen sozialen Schichten und unterschiedlichen Berufen, Menschen fast aller Altersklassen, bekannte Persönlichkeiten und einfache Leute, Personen, die sich für die Belange der deutschen Gemeinschaft einsetzen, und solche, die ein ganz normales Leben führen. Die magazinhaften, farbstarken und hell ausgeleuchteten Fotografien bilden einen sozialen Querschnitt ab, wobei die Auswahl der porträtierten Personen keinesfalls objektiv oder repräsentativ ist. Die Porträts und die Geschichten, die sie erzählen, können und sollen als subjektive Zeugnisse gelesen werden, sie erheben nicht den Anspruch, die Verhältnisse in den jeweiligen Ländern angemessen oder gar objektiv wiederzugeben. Und sie lassen nur bedingt Rückschlüsse auf die gesamte Minderheit zu.

Zamurović stellt die Menschen in ihrem alltäglichen Umfeld, meistens bei der Arbeit dar. Nicht selten sind es mehr oder weniger gestellte Situationen, die die Porträtierten in einer für sie als typisch geltenden Umgebung zeigen. Dem Fotografen wie auch den am Ausstellungs- und Buchprojekt beteiligten Mitarbeitern des Donauschwäbischen Zentralmuseums ging es darum, nicht nur ältere, vermeintlich „typische“ Donauschwaben zu porträtieren, sondern gerade auch junge, im Berufsleben stehende Personen. Darunter finden sich etliche, die unternehmerisch aktiv sind und dabei die Chancen zu nutzen wissen, die ihnen ihre Herkunft, ihr kultureller Hintergrund und ihre Mehrsprachigkeit bietet – und dies durchaus mit Erfolg, wie den knappen Begleittexten zu entnehmen ist. Wenn sich bei seinen Fotoreisen ein Klischee bestätigt habe, dann das von den fleißigen Schwaben, sagt Zamurović. Disziplin und hohe Arbeitsmoral seien bei den Menschen, die er kennenlernte, besonders auffällig.

Die Ausstellung wird von einem sowohl grafisch als auch inhaltlich exzellent gestalteten Bild- und Informationsband in deutscher und englischer Sprache begleitet. Auf dem Titelbild des Buches ist ein Foto von der Kirchweih in Detta 2015 (die erste nach fast drei Jahrzehnten) zu sehen, von Dragoljub Zamurović vom Kirchturm aus fotografiert. Der Band wird mit einem Geleitwort des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB, und einer Einleitung des Direktors des Donauschwäbischen Zentralmuseums, Christian Glass, eröffnet. Ergänzend zu den Personenporträts geben Texte, die von den Vertretern der Minderheitenorganisationen verfasst wurden, für jedes Land einen Überblick über die aktuelle Situation der deutschen Minderheit. Jedes ganzseitige Porträt wird von einem knappen Text begleitet, der eine Art subjektives Zeugnis darstellt: Wie und was denkt der Mensch im Bild über sich und seine Mitmenschen, wie verortet er sich und die deutsche Gemeinschaft unter den Anderen, wie definiert er seine Identität, welche Chancen rechnet er für sich und seine Landsleute in Zukunft aus.

In der dem rumänischen Banat gewidmeten Abteilung der Ausstellung und des Begleitbandes werden folgende Personen porträtiert: Emese Ildikó Barta (Billed), „eine Ungarin mit betont deutschen Sympathien“, die das „Putzen“ von Kirchweihhüten beherrscht und Mitglied der deutschen Volkstanzgruppe ist; Andreea Kremm (Temeswar), erfolgreiche Unternehmerin mit über 600 Angestellten in sechs Ländern; Dieter Bortscher (Perjamosch), in der fünften Generation Müller und in der ersten Generation Bäcker in seiner Heimatgemeinde; Ignaz Bernhard Fischer (Temeswar), Vorsitzender des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten, der sich als ehemaliger Priester um die seelsorgerische Betreuung der Bewohner des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses kümmert; Cristian Paul Chioncel (Reschitza), Hochschullehrer und Vizerektor der Universität „Eftimie Murgu“ sowie stellvertretender Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen; Helmut Weinschrott (Temeswar), Direktor der Adam-Müller-Guttenbrunn-Stiftung und Leiter des Altenheims im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus; Peter Trimper (Charlottenburg), der letzte Deutsche im Ort; Johann Fernbach (Temeswar), Dozent an der Musikhochschule und Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat; Edwin-Alexander Zaban (Lippa), Kleinunternehmer; Werner Kremm, Journalist, Redaktionsleiter der „Banater Zeitung“; Domkapitular Andreas Reinholz, Pfarrer der Wallfahrtskirche Maria Radna; Adam Csonti (Billed), Schneidermeister, Vorsitzender des Ortsforums und Leiter der Sozialstation; Oana Crsta (Königsgnad), Kleinunternehmerin und freiwillige Sozialarbeiterin; Ovidiu Ganţ (Temeswar), Abgeordneter der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament; Erwin Josef Țigla (Reschitza), Bibliothekar, Leiter des Erwachsenenbildungsvereins „Deutsche Vortragsreihe Reschitza“ und Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen; Stefan W. Hell (Göttingen), Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, Nobelpreisträger für Chemie 2014. Der Vollständigkeit halber muss ein weiterer Banater Deutscher erwähnt werden, der im Ungarn-Teil porträtiert wird: Es handelt sich um den seit einigen Jahren in Budapest lebenden Metallbildhauer Ingo Glass.

„Unter Anderen“ – ein bemerkenswertes Buch und eine sehenswerte Ausstellung über die Donauschwaben im südöstlichen Europa heute. Museumsdirektor Christian Glass ist beizupflichten wenn er schreibt: „Man kann darüber streiten, ob die Geschichte der Donauschwaben durch Vertreibung, Auswanderung oder Assimilation in diesen Ländern als weitgehend abgeschlossen bezeichnet werden kann, und ob die dort Verbliebenen nur als zahlenmäßig zu vernachlässigende Minderheit zu betrachten sind. Unser Ansatz war aber genau entgegengesetzt, indem wir die Aufmerksamkeit auf das Individuum richteten. Inwieweit daraus allgemeinere Schlüsse auf die Situation der Minderheit zu ziehen sind, mag der Leser und Betrachter der Porträts selber entscheiden. Die Perspektive der Kamera und die Bildkomposition des Fotografen ergeben zusammen mit den textlichen Kurzporträts und den Aussagen der Porträtierten auf jeden Fall eine sehr persönliche Bilanz über ihre Verortung ‚unter Anderen‘.“

Die Ausstellung „Unter Anderen“ läuft bis 17. April 2017, danach geht sie auf Tournee in Südosteuropa. Das zugehörige Buch (184 Seiten, mit ca. 100 Farbfotografien und 5 Karten, Format 20 x 30 cm, ISBN 978-3-86281-099-4) ist für 19,80 Euro im Buchhandel sowie im Museum erhältlich.