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Rumäniendeutsche und Nationalsozialismus

Obwohl die Rolle des Nationalsozialismus in der Geschichte der deutschsprachigen Minderheit Rumäniens insbesondere seit der Öffnung der rumänischen Archive verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt ist, harrt dieser schwierige historische Stoff einer vertieften Untersuchung aus wissenschaftlicher, kritisch-distanzierter Perspektive. Der wissenschaftliche Schwerpunktteil der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Spiegelungen“ versucht eine sowohl quellenbasierte als auch theoriegeleitete Annäherung an das Thema „Rumäniendeutsche und Nationalsozialismus“. Die Basis dafür lieferten die Vorträge des Internationalen Workshops „Geschichte des Nationalsozialismus in Siebenbürgen/Rumänien“, der im vergangenen Jahr von der Universität Koblenz-Landau, dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und dem Münchner Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) in Landau veranstaltet wurde. Dies erklärt auch die ausschließliche Fokussierung des Themenschwerpunkts auf die Situation in Siebenbürgen.

Die Auswahl von Beiträgen soll aufzeigen, „wie der Zugriff auf neu erschlossene Quellengattungen und Themenkreise sowie die Verfolgung neuer Fragestellungen frische Perspektiven auf das Forschungsfeld ‚Rumäniendeutsche und National-sozialismus‘ eröffnen kann“, heißt es in der Einleitung zum wissenschaftlichen Teil dieser Ausgabe. Neue Einblicke in das Verhältnis der evangelischen Rumäniendeutschen zum Nationalsozialismus gewähren die Beiträge von Timo Hagen, Ulrich A. Wien und Dirk Schuster. Dafür haben die Autoren die Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien aus der Zwischenkriegszeit, eine bislang kaum beachtete Quellengattung, herangezogen. Hannelore Baier berichtet in ihrem auf Dokumenten aus Bukarester Archiven fußenden Aufsatz über die Bemühungen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien 1940-1943, an der vom rumänischen Staat betriebenen Enteignung rumänischer Juden durch „Arisierung“ ihres Besitzes beteiligt zu werden. Ein weiterer Beitrag, den Corneliu Pintilescu beisteuerte, beschäftigt sich mit der nationalsozialistischen Propaganda in der siebenbürgisch-sächsischen landwirtschaftlichen Presse.

Ergänzend zu den wissenschaftlichen Beiträgen legen zwei Zeitzeugen ihre Sicht auf die Kriegsjahre dar: Professor Paul Philippi (Jahrgang 1923) schildert seine Dienstzeit in der Waffen-SS, während Professor Konrad Möckel (Jahrgang 1927) von seiner Schulzeit am Honterus-Gymnasium in Kronstadt berichtet und die Auswirkungen schildert, die die „Gleichschaltung“ der Evangelischen Landeskirche, als institutionelle Trägerin des Gymnasiums, auf den Schulalltag hatte. Abgeschlossen wird der erste Teil dieser Ausgabe mit einem „Werkstattbericht“ zur Erfassung und Notsicherung von Quellen zur rumäniendeutschen Literatur und Kultur, Rezensionen und Tagungsberichten.

Im Ressort „Literarische Texte“ dominiert diesmal das Lyrische. Neben bekannten Autoren wie Franz Hodjak, Horst Samson oder Kristiane Kondrat (das ist Aloisia Bohn) bietet die Zeitschrift ein Podium für ungarische Autoren und deren Übersetzer, weswegen die Lyrik- und Prosatexte in beiden Sprachen publiziert werden. Die eigens für den Literaturteil angefertigten Illustrationen stammen von der jungen Künstlerin Annemarie Otten, die mütterlicherseits Banater Wurzeln hat.

Das dritte Ressort der „Spiegelungen“, der Kulturteil, wird von einer lyrischen Hommage an den Bildhauer Ingo Glass eingeleitet. Eugen Gomringers Gedicht leitet zu einem Interview über, das die Kunsthistorikerin Borbála Cseh mit Glass anlässlich seines 75. Geburtstags führte. Anlassbedingt ist auch der folgende Beitrag: Georg Aescht würdigt den Literaturwissenschaftler, Kritiker und Übersetzer Peter Motzan zum Siebzigsten. Der mittlerweile verstorbene Autor und Dramaturg Franz Csiky steuerte Gedankensplitter zum 60-jährigen Jubiläum der deutschen Bühne in Hermannstadt bei, während Horst Samson an die Temeswarer Rockband „Phoenix“ – ein „musikalisch-literarisches Phänomen und der Gipfel der rumänischen Rock- und Synthesizermusik“ – und ihren legendären Aufstieg aus der Asche erinnert. Die neue Vorstandsvorsitzende des IKGS, Prof. Dr. Claudia Maria Riehl (Ludwig-Maximilians-Universität München), stellt das Internetprojekt „Schaufenster Enkelgeneration“ vor. Das vom Goethe-
Institut betreute Projekt porträtiert junge Angehörige der deutschsprachigen Minderheiten in Ländern Ost- und Südosteuropas, wobei deren sprachliches Selbstverständnis im Mittelpunkt steht.

Buchbesprechungen, eine Rundschau der Ereignisse und Veranstaltungen mit Bezug zur deutschen Kultur und Geschichte Südosteuropas im Zeitraum November 2015 – März 2016 sowie Nachrichten aus dem IKGS runden den Kulturteil der neuesten, 260 Seiten umfassenden Ausgabe der „Spiegelungen“ ab.   

Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas. Jg. 11 (65), Heft 1/2016: Rumäniendeutsche und Nationalsozialismus. München: IKGS, Regensburg: Verlag Friedrich Pustet. 260 Seiten. Preis des Einzelheftes: 17 Euro zzgl. Porto- und Versandkosten. Bestellung: Verlag Friedrich Pustet Regensburg, Tel. 0941 / 920220, E-Mail verlag@pustet.de