zur Druckansicht

Josef Brandeisz: Musiker, Chronist und Forscher zugleich (1)

Josef Brandeisz (1896-1978)

Josef Brandeisz (links) als Mitglied des Tomm-Quartetts um 1920

Skizze des Internierungslagers Târgu Jiu, angefertigt von Josef Brandeisz. Fotos: Archiv Franz Metz

Josef Brandeisz war einer der bedeutendsten und bekanntesten Kulturschaffenden des 20. Jahrhunderts in Temeswar und trotzdem ist sein Name heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Setzt man sich mit seinem Leben und seinem Wirken auseinander, so lässt sich in den 82 Jahren seines irdischen Daseins ein roter Faden ausmachen. Die Arbeit durchzieht als Konstante sein Leben von der Jugendzeit an bis ins hohe Alter. Brandeisz selbst formulierte das 1973 in einem Interview mit der Tageszeitung „Neuer Weg“ so: „Mein Rezept war immer die Arbeit. Ich habe mein ganzes Leben hindurch immer gearbeitet, meine Sache war das müßige Herumsitzen niemals“. Dabei war sein Schaffen von Ordnungssinn und Genauigkeit geprägt.

Josef Brandeisz, 1896 in Tschakowa geboren, war nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern auch ein hochgeschätzter Violinlehrer. Von seinen etwa 900 Schülern haben viele auf internationalen Bühnen Karriere gemacht. Selbst 1947, bei der Gründung der Philharmonie und der Rumänischen Oper in Temeswar, waren die meisten Instrumentalisten ehemalige Schüler von Professor Brandeisz.

Chronist seiner Zeit und eifriger Sammler

Das Bild dieser vielschichtigen Persönlichkeit wäre unvollständig, wollte man Brandeisz nur als Musiker und Pädagoge sehen. Er war nicht nur ein wichtiger Part des Temeswarer Musiklebens, sondern auch dessen bedeutendster Chronist. Ohne seine persönlichen Aufzeichnungen, Dokumentationen und Berichte ließe sich heute nur schwer die wechselvolle Musikgeschichte der Banater Metropole rekonstruieren. Seine Aufzeichnungen und seine akribisch zusammengetragenen Sammlungen von Programmheften und Zeitungsberichten ermöglichen uns den Einblick in eine längst vergangene Welt, die für einen Menschen des 21. Jahrhunderts nur schwer zu verstehen ist.

Zu dem Bild des Chronisten Josef Brandeisz gehört noch ein weiterer Aspekt: In einem dicken Heft begann er die wichtigsten Ereignisse der Banater Geschichte chronologisch einzutragen, angefangen von Bischof Gerhard bis in die Zeit des Kommunismus. Doch am meisten lag ihm die Monografie seines Geburtsortes am Herzen. In zwei umfangreichen Alben hat er Seite für Seite die wichtigsten Dokumente zur Geschichte der Gemeinde Tschakowa beschrieben, die er alten Chroniken, ungarischen Geschichtswerken und Zeitungen entnommen hatte. Dafür durchstöberte er regelmäßig die Temeswarer Archive und Bibliotheken.

Dabei darf man sein eigenes privates Hausarchiv mit einer einzigartigen Banatica-Sammlung nicht vergessen, das unter anderem einen großen Teil des Nachlasses des Temeswarer Journalisten und Lokalhistorikers Béla Schiff umfasste. Sein Buch „Unser Alt-Temesvar“ (1937) und unzählige Zeitungsartikel weisen ihn als einen der besten Kenner der Banater Geschichte aus. Kurz vor seinem Tod 1978 wurde Josef Brandeisz von einem Freund gefragt, was er mit seiner Bibliothek einmal vorhätte. Er werde diese entweder dem Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis oder dem Temeswarer Bistum übergeben, lautete seine Antwort. Doch dazu sollte es nicht kommen. Zum Glück konnte Dr. Stefan Hasenfratz einen Teil seines musikwissenschaftlichen Archivs retten und nach Deutschland bringen. Aber selbst diese Dokumente sind beeindruckend und für die Banater Musikgeschichte von unermesslichem Wert. Der Rest wurde nach seinem Tod in alle Winde verstreut oder kam zum Altpapier.

Kriegsgefangenschaft und Internierungslager

Sein Ordnungssinn und seine Genauigkeit waren besonders vom Architekturstudium in Budapest und Wien geprägt. Sein Vater wollte aus ihm einen Baumeister machen, doch Josef Brandeisz schlug einen anderen Weg ein: Er verschrieb sich der Musik. Während des Ersten Weltkriegs kam er in russische Gefangenschaft und landete in Sibirien. Im russischen Offiziersgefangenenlager unweit des Baikal-Sees beschäftigte er sich auch mit Musik, spielte Wagner und Beethoven und versuchte den Alltag seiner Kameraden mit Violinspiel zu erleichtern. Was er in seinen zahlreichen Postkarten, die er aus
Sibirien nach Tschakowa geschickt hatte, berichtete, hat seinerzeit der Journalist Luzian Geier in einer Artikelfolge in der „Neuen Banater Zeitung“ zusammengefasst.

Die Erfahrungen jener Zeit werden Brandeisz helfen, in den Jahren 1944/1945 auch die rumänischen
Internierungslager in Slobozia, Târgu Jiu und Turnu Măgurele zu überleben, in die er unschuldig eingewiesen worden war. Hier führte er ein Tagebuch, fertigte Skizzen von den Lagerbaracken ab und trug die Namen seiner Leidensgenossen ein. Und wieder spielte die Violine eine wichtige Rolle in seinem Überlebenskampf. Er organisierte Konzerte für die Lagerinsassen, harmonisierte Kirchenlieder für den von ihm gegründeten Lagerchor und bearbeitete Volkslieder für die Violine. Darüber hinaus schrieb er viele Postkarten und Dankesbriefe an seine Freunde und Schüler im Banat, die ihm Lebensmittelpakete geschickt hatten.

Einige dieser Postkarten und Briefe an seinen damaligen Schüler Ludwig Lang sind uns erhalten geblieben, ebenso ein langer Brief an die Temeswarer Klavierprofessorin Gabriele Dobrozemsky. Seine Berichte aus diesem „Lausoleum“ sind erschreckend – obwohl dank der Zensur nicht allzu negativ berichtet werden durfte. Unter dem 1. Dezember 1944 vermerkt Brandeisz in seinem Tagebuch: „In der Früh von Polizisten zum Arbeitsdienst aufgefordert. Abends ½ 9 von Polizisten verhaftet und in die Präfektur geführt. Ganze Nacht nicht geschlafen. Auf der Erde gelegen mit 70 anderen.“ Fast täglich nimmt er sich die Mühe und macht detaillierte Eintragungen in sein Notizbuch. Brandeisz berichtete der Pianistin und Pädagogin Gabriele Dobrozemsky über das Leben eines Musikers in einem rumänischen
Internierungslager folgendes: „Ich erlebe jetzt den 3. Akt meiner Tragödie. Der erste Akt war Slobozia, der zweite Târgul-Jiu, der dritte Turnu-Măgurele. Der dritte Akt ist entschieden der Schwerste. Das Lager T-Măgurele ist unbeschreiblich primitiv und unhygienisch. Das Klima ist heiß und ständig windig-staubig. Wir leben in einer ständigen Staubwolke. Die Baracken sind klein und voll Wanzen. Viele wohnen in Scheunen und liegen auf dem Erdboden. Ich schlafe schon Monate lang im Freien, zwischen den Baracken. Die W.C. sind unerhört primitiv und schmutzig. Die Verpflegung ist äußerst schwach. In der Früh bekommen wir Kaffee aus gebranntem Kukurutz, ohne Zucker. Zu Mittag und abends bekommen wir Kartoffel- oder Bohnensuppe ohne Fett oder Einbrenn, dazu täglich ein viertel Brot. (…) Es sind auch 20 Nonnen, 3 katholische Geistliche und viele evangelische Pfarrer hier. Ich wohne mit dem evangelischen Bischof von Siebenbürgen in einer Kabane. Er liegt geradeso am Fußboden wie ich. (…)“

Konzertmeister des Symphonieorchesters

Wenn wir nicht die Dokumentationen von Josef Brandeisz und Richard Oschanitzky hätten, würden wir kaum etwas über das Temeswarer Deutsche Symphonieorchester und über den Grund der Inhaftierungen 1944 wissen. Das Deutsche Symphonieorchester wurde 1939 nach den Vorstellungen des aus Hermannstadt stammenden Dirigenten und Komponisten Richard Oschanitzky gegründet, der deswegen nach Temeswar umgesiedelt ist. Dank der Erfolge, die seine Operette „Mädel aus dem Kokeltal“ in den Jahren 1937-1938 sowohl in Rumänien als auch in Deutschland verzeichnete, war Oschanitzky damals ein hoch geschätzter Musiker und Dirigent.

Dr. Rudolf Hollinger, der Leiter der Banater Kulturkammer in Temeswar, half ihm, sein Ziel zu erreichen. Josef Brandeisz wurde damals zum Konzertmeister dieses Deutschen Symphonieorchesters ernannt.
Bereits in den Jahrzehnten davor hatte es dieses Orchester unter anderen Namen gegeben: Temeswarer Philharmonischer Verein, Symphonieorchester der Gesellschaft der Musikfreunde, Orchester der Stadt Temeswar. Die Mitglieder dieser Orchester kamen aus allen ethnischen und konfessionellen Gruppierungen der Stadt. Die Dirigenten waren Gida Neubauer, Fritz Pauck und Radu Urlăţeanu. Nachdem dieser Selbstmord begangen hatte (seine rumänischen Landsleute beschimpften ihn, weil er den „Psalmus Hungaricus“ von Zoltán Kodály aufgeführt hatte), befand sich das Orchester in keinem guten Zustand. Durch die politischen Verhältnisse jener Zeit profitierte die Deutsche Volksgemeinschaft davon und förderte die Gründung eines deutschen Symphonieorchesters
unter der Obhut des nationalsozialistischen Kraft-durch-Freude-Werkes. Obzwar Josef Brandeisz nicht in politische Geschehnisse involviert und auch kein NSDAP-Mitglied war, wurde ihm nach 1944 diese Tätigkeit zum Verhängnis. Es dauerte fast ein ganzes Jahr, bis er, dank der Intervention deutscher, ungarischer und rumänischer Freunde, als Unschuldiger aus dem Internierungslager entlassen wurde.