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„Neben einer Distel wurde ich geboren“

Auf dem Symposium der Deutschen Gesellschaft in Berlin mit dem Thema „Die Deportation in der rumäniendeutschen Literatur“ lasen die Banater Autoren Horst Samson (links) und Johann Lippet aus ihren Werken. Fotos: Luise Frank

Die Deportation in der rumäniendeutschen Literatur war das Thema eines Symposiums, zu dem die Deutsche Gesellschaft im Dezember nach Berlin eingeladen hatte (wir berichteten). 2015 jährte sich die Deportation Zehntausender Rumäniendeutscher zum 70. Mal. Aus diesem Anlass hatte die Deutsche Gesellschaft nach mehreren Veranstaltungen zur Zeitgeschichte nun die Verarbeitung dieser Ereignisse in der Literatur in den Mittelpunkt gestellt. Nach mehreren Expertenvorträgen, von denen im ersten Beitrag die Rede war, hatten am zweiten Tag des Symposiums die Schriftsteller selbst das Wort. Horst Samson und Johann Lippet lasen aus ihren Werken. Beide sind Banater Autoren, obwohl sie beide nicht im Banat geboren sind: Horst Samson wurde 1954 während der Bărăgan-Deportation seiner
Eltern geboren. Johann Lippet kam 1951 in Österreich zur Welt, wohin es seine Eltern infolge der Russland-Deportation verschlagen hatte. Beide Familien kehrten später in ihre Banater Heimat zurück. Die Autorenwaren bereits in Rumänien schriftstellerisch tätig und wie Herta Müller im Visier der Securitate. 1987 übersiedelten beide nach Deutschland.

Horst Samson trug mehrere Gedichte vor, darunter eines, das ganz neu in dem Gedenkbuch „Lager-
lyrik“ (siehe Beitrag auf Seite 8) veröffentlicht wurde. Er hat es seiner Tante gewidmet, die zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert worden war, und beschreibt darin, wie die Erinnerung an diese „kohlenschwarzen Jahre“ die Deportierten auch nach ihrer Rückkehr verfolgt – „als läge ich noch immer in Schacht 4“.

Die Bărăgan-Deportation kam ebenfalls zur Sprache: In einem Mix aus Lyrik und Prosa thematisierte Samson das Erlebnis aus der Perspektive eines Familienvaters: den erzwungenen Aufbruch, die Angst, womöglich wieder nach Russland verschleppt zu werden. Samsons Leitmotiv waren die allgegenwärtigen Disteln, die sich im Herbstwind zu großen stacheligen Gebilden vereinten und durch die Steppe geweht wurden. Daher auch der Titel seines Vortrags: „Neben einer Distel wurde ich geboren“. Die Verschleppten können anfangs gar nicht glauben, dass sie in dieser lebensfeindlichen Steppe überwintern sollen. Schließlich bauen sie in Gruppen Häuser aus Lehmziegeln und sammeln im Herbst große Mengen von Disteln als Heizmaterial für den eisigen Winter. Aber da ist auch ein Hoffnungsschimmer: die Großmutter, die durch Bestechung erreicht, dass sie zu Besuch kommen darf, und ihrem Enkel ein knallrotes Dreirad mitbringt, auf das alle neidisch sind.

Die Russland-Deportation ist in mehreren Werken Johann Lippets ein Thema. Der Autor, der heute in der Nähe von Heidelberg lebt, las sein 1980 im Bukarester Kriterion-Verlag erschienenes Gedicht „biographie. ein muster“ (nachzulesen ebenfalls in „Lagerlyrik“). Es beschreibt die Erlebnisse seiner Mutter: das Verstecken, dann doch die Deportation, die lange Fahrt im eiskalten Waggon, die schwere Arbeit in der Eisengießerei, schließlich die Malariaerkrankung, die sie knapp überlebt, und der Transport der unbrauchbar gewordenen Arbeitskraft in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands.

Auch in Lippets Romanen, die vom alltäglichen Leben in den Banater Dörfern erzählen, ist die Deportation ein wiederkehrendes Motiv. So wartet im Roman „Die Tür zur hinteren Küche“ eine verzweifelte Mutter selbst nach elf Jahren noch auf ein Lebenszeichen ihrer verschleppten Tochter. In seinem neuen Roman „Amei und Mari oder Nacherzähltes Leben“ schildert Johann Lippet, wie ein Mädchen zum Schutz vor der Deportation in einem großen Haufen Maisblätter versteckt wird, dann aber doch daraus hervorkommt und schließlich mit den vielen anderen in den Waggons Richtung Russland rollt.

Mit einer Diskussionsrunde, die von Robert C. Schwartz, Redaktionsleiter des Programmbereichs Südosteuropa der Deutschen Welle, moderiert wurde, klang das Symposium aus. Das Interesse am Thema Deportation, das zeigte sich an diesen beiden Tagen deutlich, ist nach wie vor lebendig, ebenso wie der Wunsch, die Erinnerung als Mahnung für die Zukunft zu bewahren.