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Multiperspektivischer Blick auf das Banat

„Spiegelungen“ widmen zwei Themenhefte dem „Multikulturellen Banat“ - Im Zuge der Schärfung des wissenschaftlichen und publizistischen Profils des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München erfuhr auch die Institutszeitschrift „Spiegelungen“ im vergangenen Jahr eine Erneuerung: Sie erscheint nicht nur mit neuer Aufmachung, sondern wandelte sich auch von einer Viertel- zu einer Halbjahresschrift, die jeweils einem Schwerpunktthema gewidmet ist. Zudem erscheinen die „Spiegelungen“ – wie auch die Buchreihe des IKGS – ab diesem Jahr nicht mehr im institutseigenen Verlag, sondern bei Friedrich Pustet, Regensburg.

War das erste Themenheft der Dobrudscha und den Dobrudschadeutschen gewidmet, fiel die Schwerpunktsetzung in den beiden folgenden Heften (2/2014 und 1/2015) auf das „Multikulturelle Banat“. Chronologisch beleuchten die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland, Frankreich, Ungarn und Luxemburg eingeworbenen geschichtlichen Beiträge die Zeit von der habsburgischen Landerschließung und den Ansiedlungen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Inhaltlich werden geographie-, kultur-, migrations- und zeithistorische Fragen behandelt. Neben sieben geschichtswissenschaftlichen Studien, die im Folgenden in chronologischer Reihenfolge kurz vorgestellt werden, enthalten die beiden Hefte vier Essays, die ebenfalls das Banat und bekannte Banater Persönlichkeiten thematisieren.  

„Landerschließung und Raumwissen im frühen habsburgischen Banat“ lautet das Thema einer umfassenden Studie, die der Historiker Josef Wolf (Tübingen) beisteuerte. Da zu den Wirkungszusammenhängen zwischen der politischen Konzeption der Einrichtung der kaiserlichen Provinz Banat, den Praktiken der Landesadministration und Verwaltung und der veränderten Wahrnehmung des politischen, wirtschaftlichen und demographischen Raumes bisher kaum Untersuchungen vorliegen, schließt dieser Aufsatz eine historiografische Lücke. Er hat das Ziel, die Praktiken und Diskurse der Raumwahrnehmung und Raumordnung im frühen 18. Jahrhundert wie auch deren Verschränkung klarer hervortreten zu lassen und vor dem Hintergrund der regionalen Entwicklung verwaltungsgeschichtliche, kartographische und kunstgeschichtliche Befunde enger zusammenzuführen. Dabei wird erläutert, wie für die Region relevantes Wissen konstituiert wird, was die Wahrnehmungs- und Steuerungskategorien bei der Erfassung des Raumes und welche die konkreten Medien und Methoden der Konstruktion des Raumwissens waren. Der Beitrag ist mit 16 Abbildungen illustriert.

Die Auswanderung aus Lothringen nach Ungarn im 18. Jahrhundert beleuchtet der ungarische Historiker Gábor Czoch (Budapest). Es handelt sich dabei um einen 2008 auf Ungarisch erschienen Aufsatz, der für die „Spiegelungen“ von Christina Kunze ins Deutsche übersetzt wurde. Czoch behandelt im ersten Teil seines Beitrags allgemeine Aspekte der Auswanderung von Lothringern nach Ungarn, wie Gründe, Ausmaß, Verlauf und Gegenmaßnahmen des Herzogtums bzw. – nachdem dieses 1766 seine Unabhängigkeit verloren hatte – der französischen Krone. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Autor im zweiten Teil der Einwanderung französischsprachiger Lothringer ins Banat.

Die Auffassung, wonach der Beginn von Ansiedlungen deutscher Protestanten im Königreich Ungarn zeitlich mit dem Erlass des Toleranzediktes gleichzusetzen ist und erst unter Joseph II. Protestanten in nennenswerter Zahl ins Banat gekommen sind, ist heute nicht mehr haltbar. Anhand von Briefen und Selbstzeugnissen skizziert Marionela Wolf (Stuttgart) in ihrem Beitrag „Evangelische Einwanderer ins Banat (18. Jahrhundert)“ die Lebenswelt früher evangelisch-lutherischer Migranten ins Banat und stellt die regionalen Merkmale ihrer Einwanderung heraus. Mittels mehrerer Fallbeispiele wird nach der Wahrnehmung des Zielgebiets sowie nach der konfessionellen Selbstfindung und Fremderfahrung der Einwanderer im Verlauf des Migrationsprozesses gefragt. Dabei werden Inhalte und Stellenwert von Briefen und anderen Selbstzeugnissen (Testamenten, Verhörprotokollen) im Kontext der amtlichen Aktenüberlieferung untersucht.

Die auf das 18. Jahrhundert bezogenen Studien, worauf hier kurz eingegangen wurde, sind in Heft 1/2015 erschienen, die chronologisch daran anknüpfenden Beiträge bilden den Schwerpunkt in Heft 2/2014.

Wie sich Siebenbürgen und das Banat aus der Sicht westeuropäischer Reisender im 19. und frühen 20. Jahrhundert darstellen, ist Gegenstand einer Abhandlung von Anne Friederike Delouis (Orléans/Frankreich). Die Historikerin forscht seit einem Aufenthalt an der Universität Klausenburg im Jahr 2013 über die Wahrnehmung Siebenbürgens und des Banats im europäischen Ausland. Für die vorliegende Studie hat sie 37 in englischer, deutscher und französischer Sprache erschienene Reiseberichte ausgewertet. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Blick von außen auf siebenbürgische und Banater Lebenswirklichkeiten, wobei generelle Muster der Wahrnehmung von Landschaft und Bevölkerung, der Alltag des Reisens und konkrete Reiseerfahrungen sowie die sich wandelnde Auseinandersetzung mit den vor Ort angetroffenen gesellschaftlichen Verhältnissen einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.

Um die nationale Aneignung und internationale Vermarktung der Insel Ada-Kaleh geht es in der Studie des aus Luxemburg stammenden Historikers Philippe Henri Blasen, Doktorand an der Universität Klausenburg. Im Mittelpunkt steht Mustafa Bego, der zum einen als türkischer Nargileh-Raucher Ende des 19. Jahrhunderts weltweite Bekanntheit erlangte, zumal sein Konterfei auf unzähligen Ansichtskarten über Ada-Kaleh, Alt-Orschowa und die Donauengen (die ersten wurden von dem Alt-Orschowaer Fotografen Geza Hutterer geschaffen) als Bildmotiv benutzt wurde. Zum anderen avancierte er um die gleiche Zeit publizistisch zum ungarischen Nationalhelden, da er im August 1849 den geschlagenen ungarischen Revolutionär und Ex-Reichsverweser Ludwig Kossuth mit seinem Boot über die Donau gesetzt hatte. Blasen legt dar, wie es zur ephemeren Mediatisierung Begos im Zuge des 1894 beginnenden staatlichen Kossuth-Kults kam.

Dem Einfluss des Nationalsozialismus bei den Donauschwaben im rumänischen und serbischen Banat, einem bislang wenig erforschten  Thema, widmet sich der Beitrag von Mariana Hausleitner (Berlin). Die Historikerin veröffentlichte im vergangenen Jahr eine umfangreiche Monografie über die Donauschwaben in beiden Teilen des Banats zwischen 1868 und 1948. In der vorliegenden Studie skizziert sie die Entwicklungen in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts und fragt dabei nach den Gründen für die kontinuierliche Zunahme des Einflusses des Nationalsozialismus auf die Donauschwaben bis hin zu deren Radikalisierung, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Entwicklung im rumänischen und serbischen Banat, nach den Folgen der Radikalisierung der Deutschen für die Beziehungen zu den andersnationalen Nachbarn und nach den Auswirkungen des 1944 im Banat entfesselten „Endkampfes“ auf die dortige deutsche Bevölkerung.

In dem Beitrag „Die Banater Deutschen im frühen 21. Jahrhundert – Zwischen Mythos und Wirklichkeit“ präsentiert Gwénola Sebaux (Angers/ Frankreich) die Ergebnisse ihrer inzwischen in Paris erschienenen Studie über den Status und die Rolle der deutschen Minderheit im pluriethnischen und multikulturellen Banat an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Der Germanistin und Kulturwissenschaftlerin geht es um die Frage der deutschen Identität im heutigen Banat und die Darstellung der komplexen Beziehungen zwischen Mythos und Wirklichkeit. Aufgrund ihrer Untersuchungen musste die Autorin ihre Ausgangsthese, wonach man es bei der im Banat verbliebenen, winzigen Minderheit mit einer „versteinerten“, künstlichen deutschen Identität zu tun habe, revidieren. Sebaux skizziert zunächst die Mythos-Problematik im Banater Raum, um dann auf realitätsbezogene, konkret und empirisch beobachtete Identitätsbezüge und besondere Formen des Kulturtransfers näher einzugehen.

In seinem Essay „Mythos Banat?“ (Heft 2/2014) hinterfragt der Soziologe Anton Sterbling, inwiefern von einem Mythos Banat gesprochen werden kann und erörtert, welche Facetten dieses Mythos zu erkennen sind und welche Bedeutung diesem Mythos im Kontext eines Europas der Regionen zukommen könnte. Der Autor stellt zunächst die Funktionen und Bedeutungen von Mythen in kollektiven Erinnerungs- und Vergewisserungsprozessen sowie die Besonderheiten historischer Mythen heraus, um dann den Mythos Banat in seinen einzelnen Facetten – die nationalistisch grundierten Mythen der dort lebenden Ethnien, der Mythos von der durchgängigen „Multikulturalität“ der Region sowie jener vom Banat als „Wohlstandsregion“ – zu dekonstruieren. Einen kurzen Blick wirft der Wissenschaftler und Hochschullehrer auch auf die Ursprungs-, Heimat- und Gemeinschaftsmythen der Banater Schwaben.

Was sollte aus Adam Müller-Guttenbrunns Wirken uns Zeitgenossen unbedingt noch in Erinnerung gerufen werden? Diese Frage erörtert  Hans Dama (Wien) in einem ebenfalls in Heft 2/2014 veröffentlichten Essay, der zwar Adam Müller-Guttenbrunns literarisches Schaffen, insbesondere seine großen Romane, in den Vordergrund rückt, jedoch auch auf seine Tätigkeit als Theaterdirektor, Publizist, Kulturpolitiker, „Volkserzieher“ und Parlamentarier eingeht und darüber hinaus zu den gegen Müller-Guttenbrunn erhobenen Antisemitismus-Vorwürfen Stellung bezieht.

Konrad Klein erinnert in einem Nachruf (Heft 1/2015) an Edmund Höfer, „eine rumäniendeutsche Fotografenlegende aus dem Banat“. Aus einer anderen Perspektive wird Höfer im gleichen Heft auch von Franz Heinz in seinem Essay „Verschallt. Banater Resonanzkasten mit levantinischem Akkord“ porträtiert. Es handelt sich um die zweite Folge (die erste war in Heft 2/2012 erschienen) von kurzen Erinnerungsstücken über Menschen, die den Weg des Schriftstellers und Publizisten Franz Heinz gekreuzt haben. Protagonisten der nun publizierten sieben Texte sind – neben Edmund Höfer – Stefan Heinz, Emmerich Stoffel, Hans Diplich, Peter Barth, Roland Kirsch und Franz Storch.

In der Rubrik „Literarische Texte“ sind im ersten Heft Prosastücke von Elisabeth Axmann und Werner Söllner (ein Fragment aus dem in Arbeit befindlichen Roman „Die gläserne Bibliothek“) sowie Gedichte von Monika Kafka zu lesen. Literatur aus und über Siebenbürgen von Jürgen Israel und Elmar Schenkel, die Dorfschreiber von Katzendorf waren – ein Preis, dessen Bedeutung die Literaturwissenschaftlerin Michaela Nowotnick einleitend präsentiert –, sowie von Iris Wolff bereichert Heft 1/2015, das mit Fotografien des Banater Publizisten Walther Konschitzky illustriert wird.

Die Rubriken „Rezensionen“ und „Forum“ beleuchten das wissenschaftliche und publizistische Geschehen in und über Südosteuropa und beschließen, wie üblich, die beiden nun viel dickeren Hefte (250 und 276 Seiten) der Zeitschrift.

Die in den beiden Themenheften veröffentlichten wissenschaftlichen und essayistischen Beiträge werfen ein Schlaglicht auf das Banat, eine multiethnische und multikulturelle Region an der Schnittstelle zwischen Ostmittel- und Südosteuropa, in der die im 18. Jahrhundert angesiedelten Deutschen die historische und kulturelle Entwicklung mitgeprägt haben. Sie beleuchten die Region aus unterschiedlichen Perspektiven und richten den Fokus auf bisher kaum erschlossene Themen. Somit sind die beiden Themenhefte ein großer Gewinn für die Banat-Forschung und eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich für Banater Geschichte und Kultur interessieren.
  
Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas. IKGS München und Verlag Friedrich Pustet Regensburg. Heft 2/2014: Multikulturelles Banat (I). Preis des Einzelheftes: 12,30 Euro, zzgl. Porto- und Versandkosten. Heft 1/2015: Multikulturelles Banat (II). Preis des Einzelheftes: 17 Euro, zzgl. Porto- und Versandkosten. Jahresbezug ab 2015: 28 Euro, zzgl. Porto- und Versandkosten (derzeit 2,50 Euro pro Jahr). Bestellung, Vertrieb und Abonnentenverwaltung: Verlag Friedrich Pustet, Gutenbergstraße 8, 93051 Regensburg, Telefon 0941 / 92022-0, Fax 0941 / 92022-330,
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