Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V.

„Bewahren − Erforschen − Vermitteln“

Dr. Florian Kührer-Wielach (links) und Bundesvorsitzender Peter-Dietmar Leber trafen sich zu einem Informationsaustausch in der Bundesgeschäftsstelle unserer Landsmannschaft in München. Foto: Walter Tonţa

Der Historiker Dr. Florian Kührer-Wielach leitet seit 1. Oktober 2015 das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der bisherige kommissarische Direktor, Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, trat in den Ruhestand. „Wir freuen uns, dass mit Dr. Florian Kührer-Wielach ein junger, hochqualifizierter und auch international hervorragend vernetzter Wissenschaftler die Leitung des IKGS übernimmt, um die erfolgreiche Ausrichtung der Arbeit des Instituts an aktuellen Fragestellungen weiter voranzubringen“, erklärte Dr. Nicole Zeddies, Kuratoriumsvorsitzende des IKGS und Leiterin des Referats „Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).

Dr. Florian Kührer-Wielach besuchte am 21. September die Bundesgeschäftsstelle unserer Landsmannschaft. Im Gespräch mit dem Bundesvorsitzenden Peter-Dietmar Leber und dem Redakteur der „Banater Post“, Walter Tonţa, erläuterte der designierte Direktor des IKGS seine Vorstellungen über die künftige Ausrichtung der Arbeit des Instituts und informierte über dessen Forschungsschwerpunkte und die in Zukunft anstehenden größeren Projekte. Im gegenseitigen Austausch wurden auch Möglichkeiten einer engeren Kooperation zwischen dem IKGS und der Landsmannschaft der Banater Schwaben erörtert. Um die Funktionsträger unserer Landsmannschaft mit den Aufgaben und Tätigkeitsfeldern des Instituts vertraut zu machen, wird sich das IKGS bei der nächstjährigen Verbandstagung in Frankenthal vorstellen.

Anlässlich seines Besuchs gewährte Dr. Florian Kührer-Wielach unserer Zeitung folgendes Interview.

Herr Dr. Kührer-Wielach, das aus dem Südostdeutschen Kulturwerk hervorgegangene Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas kann auf eine über sechzigjährige Geschichte zurückblicken. Wie ist das IKGS in der Wissenschaftslandschaft verortet?

Das IKGS wurde im November 2001 als Forschungseinrichtung gegründet. Es ging aus dem 1951 entstandenen Südostdeutschen Kulturwerk als selbständiger eingetragener Verein hervor. Seit 2004 hat es den Status einer wissenschaftlichen Einrichtung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das Institut wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf der Grundlage des Paragraphen 96 Bundesvertriebenengesetz institutionell gefördert.

Das IKGS erforscht die deutsche Geschichte und Kultur im südöstlichen Europa in ihren unterschiedlichen historischen und regionalen Kontexten und leistet damit einen bedeutenden Beitrag zur Verankerung dieses Forschungsgebiets im universitären und außeruniversitären Bereich. Wir werden selbstverständlich auch weiterhin den Schwerpunkt auf der deutschen Geschichte und Kultur Südosteuropas behalten und diese – was heute selbstverständlich ist – im Kontext der Region in ihrer ganzen Vielfalt präsentieren. Die deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas hat einerseits eine schwierige Vergangenheit, andererseits bedeutet sie aber eine Brücke in Europa. Man findet durch sie in Mitteleuropa viel einfacher gemeinsame Identifikationspunkte. So kann man Menschen die ganze Vielfalt und Faszination der Region näherbringen.

Das Erforschen der deutschen Kultur und Geschichte Südosteuropas ist zwar ein zentrales Aufgabenfeld des IKGS, aber nicht das einzige. Die Bewahrung des kulturellen Erbes ist eine ebenso wichtige Aufgabe und auch dem Vermitteln von Forschungsergebnissen und von Wissen über den Donau-Karpatenraum wird große Bedeutung beigemessen. Wie gestalten sich diese Tätigkeitsbereiche konkret aus?

Das Motto des IKGS „Bewahren – Erforschen – Vermitteln“ widerspiegelt die vielfältigen Tätigkeitsbereiche der Einrichtung. Neben der Forschungs- und der Vermittlungsarbeit widmet sich das IKGS der Sicherung und Dokumentation historischer Quellen. Im IKGS-Archiv befinden sich Vor- und Nachlässe bedeutender deutschsprachiger Schriftsteller aus dem südöstlichen Europa, darunter der Vorlass des aus dem Banat stammenden Schriftstellers Richard Wagner, worüber wir sehr dankbar sind. Dieser wird, wie der Nachlass des siebenbürgisch-sächsischen Schriftstellers Paul Schuster, zurzeit dank der Förderung durch die BKM auf-gearbeitet und erschlossen. Die Erschließung der sich im Archiv des IKGS befindlichen Vor- und Nachlässe ist eine wichtige Aufgabe, denn nur so können diese der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. Gerade in diesem Bereich werden digitale Möglichkeiten der Sicherung und Präsentation des Kulturerbes eine größere Rolle spielen.

Das Erforschen – darauf bin ich bereits kurz eingegangen – ist eindeutig unser hauptsächliches Betätigungsfeld. Die eigene wissenschaft-liche Forschungstätigkeit der Mitarbeiter, die Durchführung von Fachtagungen, die Herausgabe von Publikationen sowie die Begleitung wissenschaftlicher Arbeiten von Doktoranden, Masteranden und Studenten gehören zu den Kernaufgaben unseres Instituts. Regional betrachtet, haben wir einen großen Raum abzudecken, der sich von Galizien bis auf die Balkanhalbinsel erstreckt. Das ist bei vier wissenschaftlichen Mitarbeitern nicht einfach, aber mit vielen Partnern und viel Netzwerkarbeit kann man, glaube ich, das noch ausbauen, um die sehr große Vielfalt deutscher Kultur und Geschichte Südosteuropas darzustellen.

Das dritte Betätigungsfeld ist das Vermitteln. Unsere Aufgabe ist es nicht nur, hohe Wissenschaft zu
betreiben und große Kongresse zu organisieren. Wir können nicht nur über Menschen arbeiten, wir müssen schon miteinander reden, und deshalb ist gerade das Vermitteln ein ganz wichtiger Punkt, den wir sehr ernst nehmen. Vermitteln, wie schön und vielfältig Südosteuropa und der Donau-Karpatenraum sind und dafür auch den Nachwuchs zu begeistern. Wir haben viele Formate, die auch ein breiteres Publikum ansprechen sollen, zum Beispiel Autorenlesungen, öffentliche Vorträge, Workshops usw. Zudem unterstützt das IKGS das Nachwuchsseminar bei der Jahrestagung der Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa oder das Graduiertenkolloquium zur Geschichte des Donau-Karpatenraumes.

Unter Ihrem Vorgänger Konrad Gündisch, der nach seiner regulären Pensionierung als stellvertretender
Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg im Oktober 2013 für zwei Jahre die kommissarische Leitung des IKGS übernommen hatte, begann die Neuausrichtung des Instituts. Was wurde diesbezüglich erreicht?

Unter der Leitung von Konrad Gündisch hat das IKGS begonnen, wissenschaftlich-programmatisch, publizistisch und kommunikativ neue Akzente zu setzen. Meilensteine seiner Amtszeit waren unter anderem der Relaunch der vom IKGS herausgegebenen Zeitschrift „Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas“ und die Platzierung der wissenschaftlichen Buchreihe des IKGS sowie der Institutszeitschrift „Spiegelungen“ im Programm des Verlags Friedrich Pustet, Regensburg.

Die in der „Szene“ bereits seit Jahrzehnten etablierte Zeitschrift „Spiegelungen“ (vorher „Südostdeutsche Vierteljahresblätter“) erscheint seit 2014 halbjährlich in einem neuen Layout und mit leicht veränderten redaktionellen Akzenten. Eine umfangreichere Halbjahresschrift ermöglicht uns, breiter angelegte wissenschaftliche Aufsätze und längere literarische Beiträge zu veröffentlichen und diese so zu bündeln, dass die einzelnen Hefte jeweils einem Schwerpunktthema gewidmet sind. Das Feedback auf die bisher erschienenen drei Themenhefte (das erste war der Dobrudscha und den Dobrudschadeutschen gewidmet, die beiden nächsten dem „Multikulturellen Banat“) ist durchaus positiv. Uns ist wichtig, dass die Texte in den drei Ressorts aufeinander Bezug nehmen, nämlich das Wissenschaftliche, das Literarische und – ab Heft 2/2015 in erweiterter Form – ein Kulturteil, der sich auf essayistische und feuilletonistische Art der Kultur und Geschichte Südosteuropas nähern soll.

Ab 2015 erscheint die IKGS-Buchreihe im Regensburger Pustet-Verlag. Durch die Partnerschaft mit diesem renommierten Verlag werden die Publikationen des Instituts ein breiteres Publikum erreichen und eine größere Resonanz in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit erzielen.

Was steht bzw. wird künftig im Mittelpunkt der Forschung liegen? Welche Projekte werden in Zukunft mit Priorität behandelt?

In der Forschung werden wir, soweit dies einem kleinen Team möglich ist, weiterhin versuchen, den gesamten Donau-Karpatenraum zu bearbeiten. Wichtig ist, unsere Forschung in größere Zusammenhänge einzubetten.

Unter anderem wird das Thema „Alltagsgeschichte“ in den Mittelpunkt rücken. Wir möchten eine Plattform aufbauen zur Alltagsgeschichte der deutschen Gruppen in Südosteuropa im 20. Jahrhundert. Es geht hierbei um verschiedene Quellentypen, nicht nur um Texte, sondern auch um Videofilme, Fotos, Alltagsobjekte usw. Und es gilt, die Menschen, die uns diese Ego-Dokumente zur Verfügung stellen, darüber reden und schreiben zu lassen, um zu erfahren, welche Geschichte sich dahinter verbirgt. Erst dann wird das betreffende Dokument oder Objekt für die Forschung interessant. In einem ersten Schritt sollen die alltagsgeschichtlichen Dokumente digital erfasst und dann auch der Forschung zur Verfügung gestellt werden.

Der Auftrag des IKGS ist es, gesellschaftliche Entwicklungen wissenschaftlich zu erfassen und zu begleiten. Der Themenkomplex „Migration, Flucht und Vertreibung“ ist – leider – aktueller als je zuvor und wird uns auch am IKGS beschäftigen. Dabei sollen nicht nur Flucht und Vertreibung in den Fokus rücken, sondern auch die Migrationsprozesse und -bewegungen in den letzten 70 Jahren in all ihren Facetten untersucht werden.

In welchen Bereichen sehen Sie Möglichkeiten einer engeren Kooperation zwischen dem IKGS und der Landsmannschaft der Banater Schwaben?

Neben Forschungseinrichtungen in Deutschland und ganz Europa sehe ich vor allem Vertreter der Zivilgesellschaft – Vereine, Verbände und NGOs – als unsere Partner. Unsere Stärke ist es, an der Schnittstelle von Wissenschaft und Zivilgesellschaft arbeiten zu können. Ich sehe bei den landsmannschaftlichen Verbänden großen Willen, sich zu erneuern.  Gleichzeitig sehe ich uns aber hinsichtlich einer gemeinsamen Aufarbeitung von Geschichte und der Präsentation der Region und ihrer Kultur als Partner dieser Einrichtungen, wenn diese das wollen. Ich habe da überhaupt keine Berührungsängste, im Gegenteil, ich finde es wichtig, dass wir miteinander kooperieren.

Das Projekt zum Thema „Alltagsgeschichte“ ist zum Beispiel eines, das auch für Ihre Landsmannschaft sehr interessant ist, weil es um die Sicherung des kulturellen Erbes geht. Ein solches Projekt kann nicht ohne Mobilisierung realisiert werden. Und dies ist nur über den Verband, über die „Banater Post“ möglich. Auch das große Thema „Migration“ lässt sich anhand der Geschichte der Banater Schwaben – Einwanderung im 18. Jahrhundert, Flucht im Herbst 1944, Auswanderung aus dem kommunistischen Rumänien – wunderbar thematisieren.

Nächstes Jahr wollen wir mit den „Spiegelungen“ online gehen und dabei auch solche Beiträge berücksichtigen, die wir in der Zeitschrift nicht abdrucken können, in den Diskurs aber miteinfließen sollen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir da auch mal kulturelle Beiträge übernehmen, die in der „Banater Post“ erschienen sind, oder größere Beiträge veröffentlichen, die in Ihrer Verbandszeitung nicht unterzubringen sind. Dafür können wir hoffentlich bald eine Plattform bieten. Eine solche mit der „Banater Post“ angestrebte Zusammenarbeit sehe ich auch als Ergänzung.

Ein Anliegen ist mir auch, die nächste Generation geschichtlich und kulturell zu schulen. Es nützt uns nichts, wenn die nächste Generation keine Ahnung hat von der Geschichte und Ihnen noch weniger. Da kann ich mir vorstellen, mittelfristig ein Format zu entwickeln, das man gemeinsam gestaltet. Die Mobilisierung müsste über die Landsmannschaft erfolgen. Das wäre für beide Seiten ein Gewinn.

Eine letzte Frage, Herr Dr. Kührer-Wielach. Mit welchen Neuerscheinungen des IKGS ist in der nächsten Zeit zu rechnen?

In diesem Herbst wird der zweite Band der von Dr. Stefan Sienerth realisierten und in den „Südostdeutschen Vierteljahresblättern“ bzw. „Spiegelungen“ publizierten Interviewreihe mit deutschen Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern aus Südosteuropa erscheinen. Dann gibt es den von Markus Winkler herausgegebenen Band zur internationalen Tagung 2013 in Czernowitz, in deren Mittelpunkt die Habsburger Prägung des Bildungswesens in der Bukowina zwischen 1848 und 1940 stand. Das im November erscheinende Heft 2/2015 der „Spiegelungen“ wird als Schwerpunktthema „Literaturen in Wendezeiten“ behandeln, also von den 1970er bis heute, um die Kontinuitäten und Brüche über die Wende hinaus aufzuzeigen.

Wir werden nächstes Jahr bei Pustet eine Regionenreihe starten, die nicht nur auf die deutschen Gruppen, sondern auf die ganze Region abstellt und natürlich die Deutschen gut einbettet. Als erster Band dieser Reihe wird eine Übersetzung von Irina Marins Buch „Contested Frontiers in the Balkan“ erscheinen. Das 2012 in London veröffentlichte Buch ist eigentlich eine kurze, kompakte und gut lesbare Geschichte des Banats.

Herr Dr. Kührer-Wielach, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg an der Spitze des IKGS.