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Banater Dorfalltag lebendig erzählt

Johann Lippet las in München aus seinem neuen Roman, vorgestellt wurde dieser von Katharina Kilzer. Foto: Karin Bohnenschuh

Johann Lippets neuer Roman „Amei und Mari oder Nacherzähltes Leben“ - Der aus dem Banat stammende Autor Johann Lippet las am 17. Juli im Münchner Haus des Deutschen Ostens aus seinem vor kurzem erschienenen Heimatroman „Amei und Mari oder Nacherzähltes Leben“. Die Lesung war Teil der in München vom Landesverband Bayern der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Zusammenarbeit mit dem Kreisverband München veranstalteten 18. Kultur- und Heimattage der Banater Schwaben in Bayern. Die Germanistin Katharina Kilzer, Mitarbeiterin der FAZ, stellte den Schriftsteller und seinen neuen Roman vor. Nachfolgend veröffentlichen wir eine gekürzte Fassung der Einführung in die Lesung.

Heimaterkundung in der Literatur ist ein altes Thema. Ist die Heimat jedoch auf ein ländliches Milieu reduziert und mit Heimatgefühlen bestückt, erhielt dieses Thema oft eine negative Konnotation. Das hat sich jedoch in den letzten Jahren geändert. Nicht nur deutsche Gegenwartsautoren publizieren erfolgreiche Romane über ihre Heimat, nein, auch das neue deutsche Kino produziert mittlerweile erfolgreiche Heimatfilme. Heimat ist ein Gefühl. Heimat, schreiben Richard Wagner und Thea Dorn in ihrem Buch „Die deutsche Seele", sei eines der schönsten Wörter der deutschen Sprache. Heimat sei „Ort und Zeit in einem, sie ist angehaltene Vergänglichkeit. Mit einem Mal ist die Landschaft wieder vertraut, und die Muttersprache wendet sich Wort für Wort zur Mundart, zum Dialekt.“

Ist es die Frage, woher man kommt und was daraus folgt, die einen Schriftsteller beim Schreiben über Heimat umtreibt?  Dazu meint Johann Lippet: „Der Beschreibung des Begriffs Heimat, der von Richard Wagner stammt, kann ich mich nur anschließen. Den Begriff gibt es ja nur im Deutschen, sprachgeschichtlich leitet er sich von Heim ab, womit ursprünglich Dorf gemeint war. Im Lateinischen heißt es ja: Ubi bene ibi patria (Wo es mir gut geht, ist mein Vaterland). Anstatt ‚wo es mir gut geht‘ müsste es wohl eher heißen: ‚wo ich mich wohlfühle‘. Mit diesem Gefühl verbinden die meisten Menschen Heimat und sie verbinden es mit den Abschnitten ihres Lebens, in denen sie sich glücklich fühlten, blenden schlimme Zeiten aus. Von Heimat reden Leute erst, wenn sie ihnen verlustig gegangen ist. Unter anderem war es das, was mich umgetrieben hat, davon zu schreiben.“    

„Heimat erfahren und bewahren“ war das Motto des Treffens der Banater Schwaben im letzten Jahr in Ulm. Auch mit der heutigen Lesung aus Johann Lippets Roman „Amei und Mari oder Nacherzähltes Leben“ möchten wir dieses Thema wieder aufgreifen. Wir alle tragen Vergangenheit und, mehr oder weniger bewusst, Zukunft in uns. Die fast drei Jahrhunderte umfassende Vergangenheit der Banater Schwaben, die mit der Auswanderung der Menschen aus dem deutschsprachigen Raum ins Banat ihren Anfang nahm, findet ihre Fortsetzung in der Gegenwart, in der Rückkehr in das Ursprungsland, das Ur-Heimatland. Die von diesem Mysterium der Aus- und Rücksiedlung geprägte Zeit ist literarisch in zahlreichen Werken beschrieben.

Mit Johann Lippet, der 1951 in Wels in Österreich geboren wurde und 1956 mit seiner Familie ins Banater Dorf Wiseschdia zurückkehrte, bringt der kundige Leser vor allem die „Aktionsgruppe Banat“ in Verbindung, zu deren Gründungsmitgliedern er gehörte. Für den damals jungen Banater Autor war diese literarische Vereinigung von außerordentlicher Bedeutung. Als Schüler der deutschsprachigen Abteilung des Lyzeums in Großsanktnikolaus traf er dort auf William Totok, Werner Kremm, Anton Sterbling und Richard Wagner, die späteren Mitbegründer der „Aktionsgruppe Banat“. Erste literarische Versuche erschienen in der „Neuen Banater Zeitung“, deren Chefredakteur Nikolaus Berwanger einer der Förderer und Unterstützer der Gruppe werden sollte.

Lippet ging „immer seinen eigenen Weg“, er sei „konsequent, intellektuell redlich und sehr offen und ehrlich seinen Freunden gegenüber“ gewesen, schrieb sein Freund Anton Sterbling. Dieser eigene (literarische) Weg fand seinen Niederschlag in mittlerweile zwanzig Prosa- und Gedichtbänden, zu deren bekanntesten seine Erzählungen und Romane „Der Totengräber“, „Die Tür zur  hinteren Küche“, „Das Feld räumen“, „Dorfchronik“ oder „Bruchstücke aus erster und zweiter Hand“ gehören. Dass er seine eigene Securitate-Akte in dem Band „Das Leben einer Akte. Chronologie einer Bespitzelung“ dokumentiert hat, erstaunt nicht, hat doch Lippet auch diesbezüglich stets für Offenheit plädiert.

Nun zu Johann Lippets neuestem, im Pop Verlag Ludwigsburg erschienenen Roman „Amei und Mari oder Nacherzähltes Leben“. Der Autor selbst bezeichnet ihn als „Heimatroman“. Warum Heimatroman? Lippet antwortete mir auf diese Frage: „Ich bezeichne den Roman provokativ als Heimatroman, weil der Begriff eine negative Konnotation hat und ich den Beweis führen wollte, dass dies nicht so sein muss. Für mich müssen Geschichten geographisch und zeitlich verortet sein, erzählen sie von Zeitgeschehen, das die darin agierenden Personen geprägt hat. Im Banat kenne ich mich aus, erlaube ich mir zu behaupten, deshalb spielen meine Geschichten dort.“

Die Idee zum Roman entstand beim zufälligen Treffen mit einer Frau aus seinem Heimatdorf, die ihm ihre Lebensgeschichte anvertraute. In dem Buch wird aus unterschiedlicher Sicht eine Familiengeschichte aus dem Banater Dorf W. (W. steht wohl für Wiseschdia) erzählt. In den „Präliminarien“ erzählt Lippet die Entstehungsgeschichte des Buches: „Dank Erikas Offenheit hatte ich Details zur Familiengeschichte erfahren, von denen ein Autor nur träumen konnte.“ Das „Faszinierende an dieser Geschichte“ lag in erster Linie in Erikas Erzählweise: es sind „die unvorhersehbaren Zeitsprünge, der damit verbundene Themenwechsel“, die Lippet begeisterten. Dass der Autor diese Lebensgeschichte mit zeitgeschichtlichen Themen und fiktionalen Elementen verwebt, lässt den Roman lebendig und trotz aller Tragik der Geschehnisse heiter daherkommen. Der Roman ist ein im dörflichen Mikrokosmos angesiedelter Jahrhundertroman: Er umfasst Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, dargestellt am Beispiel einer Dorfgeschichte aus dem Banat.

In den Kapiteln, die Erikas Geschichte wiedergeben, wird im Konjunktiv erzählt. Dazu sagt Lippet: „Ich habe ihn eingesetzt, weil das Konzept des Romans mir gar keine andere Wahl ließ. Ich jedenfalls habe die wunderbare Erfahrung gemacht, wie dicht es sich im Konjunktiv erzählen lässt. Der Roman ist reine Fiktion, insofern Fiktion das überhaupt sein kann, die Verwendung des Konjunktivs macht diese Fiktion zur Metafiktion, wenn man so will.“

Der Roman beginnt mit der Geschichte des Franz Kornibe aus W., dessen Eltern 1902 nach Amerika ziehen, um Geld für den Zukauf von Feld zu verdienen. Sie kamen nicht wieder, sodass der kleine Franz bei den Großeltern aufwächst. Er heiratet die Vroni, die jedoch nach sechs Jahren Ehe bei der Geburt der Tochter Maria Theresie (Mari) stirbt. Daraufhin ehelicht er die kinderlose Witwe Amei aus dem Nachbardorf T. Diese löst ihren kleinen Haushalt auf, übergibt ihr Häuschen an einen Verwandten und zieht um nach W., wo sie die Tochter von Franz Kornibe, die Mari, liebevoll umsorgt. Das Verhältnis der beiden Frauen steht im Mittelpunkt des Romans, worauf auch der Titel „Amei und Mari“ schließen lässt.

Der Autor erzählt die Lebensgeschichte von Franz und Amei, berichtet vom Dorfleben und der Feldarbeit, von Sitten und Gebräuchen, von der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Russlanddeportation sowie den damit verbundenen Schicksalen und Verlusten der Dorfbewohner. Dabei greift er immer wieder zeitgeschichtliche Themen auf. Franz stirbt an einem Herzinfarkt nach Einzug der Kommunisten ins Dorf. Amei und Mari bleiben allein zurück. Die Probleme des Alltags, das Dorfleben, die Gemeinschaft stehen nun im Mittelpunkt. Mari heiratet 1949 Franz, den Sohn von Ameis Verwandten. 1950 wird die Tochter Erika geboren. Der Autor schildert die Auswirkungen der kommunistischen Herrschaft auf das Leben im Dorf, die Deportation in die Bărăgan-Steppe, die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Versorgungsschwierigkeiten der Nachkriegszeit usw. Beeindruckend detailliert beschreibt er die Dorfgeschehnisse, die zum Teil für alle Banater Dörfer stehen: Traditionen, Dorffeste, Hochzeiten, Kirchweihfeste, Tanzveranstaltungen usw.

Lippet ist ein Chronist der Banater Dorfgeschichte. Die Sprache ist gesprenkelt mit Mundartausdrücken (Gfrett, Bagage, Hotter, Rupfer, Trutschel) oder Entlehnungen aus dem Rumänischen (Equipe-Chef, Brigadier). Besonders beeindruckend fand ich die Schilderungen längst vergessener Arbeitsabläufe und die Beschreibung kaum noch bekannter Gerätschaften: das Maisentkernen, die Vermorel-Rebenspritzen, der Rupfer, ein „Gerät mit hakenförmigem Metallteil an einem Holzstiel, das man in den Schober stieß und so Heu oder Stroh herauszog“, das Kämmen der Hanffasern mit Hilfe einer Hechel, das Kolbenlieschen, das Brotbacken usw. Auch der Anbau von Tomaten und Paprika wird im detailliert beschrieben: „Die Tomatenpflanzen wurden, waren sie fingerlang, in größeren Abständen in neu angelegte Mistbeete umgepflanzt, pikiert, auch hier galt es, sie vor Kälte zu schützen, erst Anfang Mai, da war es schon warm genug, kamen sie ins Freiland. Jede Pflanze bekam einen etwa anderthalb Meter langen Stock, an den sie gebunden wurde, dazu verwendete man in Streifen gerissene Maislieschen. Zwischen jeder zweiten Pflanzenreihe wurde mit der Hacke eine Rigole gezogen, durch die das Wasser für die Bewässerung geleitet wurde. (…) In der Rigole errichte man mit der Hacke aus der schlammigen Erde Dämme, um in den Abschnitten Wasser zu stauen, die Dämme wurden bei der nächsten Bewässerung aufgehackt. Die Bewässerung von Paprika erfolgte nach derselben Methode.“

Wir haben es hier also nicht nur mit einer Zeitchronik über das Banat des vorigen Jahrhunderts in Romanform zu tun, sondern auch mit einem Leitfaden für Tomaten- und Paprikaanbau, Brotbacken und vieles andere mehr, was im Banat zum Alltag und zur Tradition gehörte. „Für mich ist das Dorf W., ich bin zu der Bezeichnung aus dem ‚Totengräber‘ zurückgekehrt, eine Matrix. Aus dem realen Ort wurde mit der Zeit ein fiktionaler. Das dem Buch vorangestellte Zitat von Christa Wolf: ,Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man allmählich zu schweigen aufhören‘ birgt einen Widerspruch in sich, das hat mich daran gereizt. Tatsache ist, dass Menschen erst im Alter von Dingen erzählen, über die sie vorher nie geredet hätten, und sie vertrauen sich erstaunlicherweise in erster Linie Enkeln an. Literatur hat im Grunde genommen ein zentrales Thema: Vergänglichkeit. Das ist auch Thema dieses Romans“, so Lippet.

Gegenwart begreifen kann nur der, der nicht vor ihr flieht und die Vergangenheit kennt. Deswegen würde ich nicht allein die Vergänglichkeit als zentrales Thema von Lippets Roman nennen, sondern auch die Vergangenheit und den Versuch, diese in Geschichten festzuhalten. „Bleibendes ist oft am besten und authentischsten“ durch Literatur zu vermitteln, sagte Horst Samson.

Johann Lippet: Amei und Mari oder Nacherzähltes Leben. Ein Heimatroman. Ludwigsburg: Pop Verlag, 2015. 270 Seiten. ISBN 978-3-86356-121-5. Preis: 15,99 Euro. Zu beziehen über den Buchhandel oder direkt über den Verlag (www.pop-verlag.com).