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Banater Musik in authentischen Klängen

Zum Konzert in der Münchner Sankt-Pius-Kirche fand sich ein zahlreiches Publikum ein (rechts im Bild: die mitwirkenden jungen Musiker aus Temeswar und die Panflötistin Petruţa Küpper). Foto: Karin Bohnenschuh

Das Programm des Konzertes in der Sankt-Pius-Kirche am Abend des 18. April stand in direktem Bezug zu dem Vortrag „Bedeutende Musikpädagogen in der multiethnischen Metropole Temeswar“, den der Musikwissenschaftler Dr. Franz Metz am selben Tag im Rahmen der Temeswar-Tage im Generalkonsulat Rumäniens in München gehalten hatte. Die Orgel von St. Pius, von Franz Metz gespielt, rahmte das Repertoire dieses Konzertabends mit ihren majestätischen Klangsäulen ein. Guido von Pogatschniggs Rhapsodie, der letzte Satz seiner großen Orgelsonate aus dem Jahre 1936, zählt zu den wenigen umfangreicheren Orgelwerken Banater Komponisten und brilliert durch ihren unbegrenzten Reichtum an Melodien und musikalischen Motiven. Pogatschnigg (1867-1937) war viele Jahre Leiter der städtischen Musikschule in Temeswar und hinterließ zahlreiche Kompositionen, unter anderem auch einige kirchliche Werke, die bis 1990 in vielen Temeswarer Gotteshäusern regelmäßig aufgeführt wurden.

Die berühmte Toccata des Bukarester Komponisten Alfred Mendelsohn (1910-1966) erklang am Schluss des Konzertabends. Vielleicht hat sich mancher Zuhörer gefragt, was dieses Stück mit Temeswar zu tun habe. Sehr viel, denn Mendelsohn schrieb dieses Werk, nachdem er den damals noch jugendlichen Richard Waldemar Oschanitzky an der Wegenstein-Orgel der Temeswarer Domkirche improvisieren hörte. Dieser war damals bereits Student an der Bukarester Musikhochschule und komponierte mit 17 Jahren eine Missa Solemnis, deren Gloria kurze Zeit davor, von Franz Stürmer dirigiert, in der verwaisten Bischofskirche aufgeführt worden war. Mendelsohn war von Oschanitzkys Talent so angetan, dass er, zu Hause angekommen, in kürzester Zeit diese Toccata für Orgel zu Papier brachte. Es ist ein Meisterwerk europäischer Orgelmusik des 20. Jahrhunderts, obzwar es erst vor wenigen Jahren in München verlegt wurde.

Was zwischen diesen beiden Orgelwerken an Musik in St. Pius er-klungen ist, kann man als eine Banater Klangwolke bezeichnen. Das Siciliano und Presto aus einer Solosonate von Johann Sebastian Bach (1685-1750) wurde von der jungen Temeswarerin Ana Maria Cristina Popan virtuos gespielt. Die Dreizehnjährige ist Schülerin des Temeswarer Musiklyzeums und wird von Hans Fernbach unterrichtet. Sie gewann unter anderem in Mailand und kürzlich in London internationale Preise. Gleich danach erklang Franz Limmers (1808-1857) Kirchenmusikwerk Justus ut palma florebit, eine Arie für Sopran, Violine und Orgel. Hans Fernbach, ein Schüler von Josef Brandeisz, langjähriger Konzertmeister der Temeswarer Philharmonie und einige Zeit auch deren Direktor, spielte den nicht einfachen Violinpart und Alpinia Albeşteanu, Sopranistin am Staatstheater am Gärtnerplatz in München, sang diese vielleicht bekannteste Komposition des ehemaligen Temeswarer Domkapellmeisters, der um 1825, also noch zur Zeit Schuberts und Beethovens, als neuer Stern am Firmament des Musikhimmels gefeiert wurde. Und trotzdem blieb Limmer nicht in Wien: Um 1835 kam er als Theaterkapellmeister nach Temeswar, und wenige Jahre später wurde er zum Domkapellmeister ernannt.

Die beiden folgenden Streichquartette des Lugoscher Conrad Paul Wusching (1827-1900) und des Hatzfelders Emmerich Bartzer (1895-1961) haben bewiesen, dass sich auch aus kleineren Schöpfungen Kunstwerke machen lassen. Das Temeswarer Streichquartett Con anima wurde seinem Namen gerecht und erntete für seine Darbietung langen Applaus seitens des zahlreichen Publikums. Auch dieses Streichquartett wird von Hans Fernbach geschult, und mit diesen beiden Werken ist es bereits mehrmals erfolgreich in Rumänien aufgetreten.

Die Panflöte mit ihren knapp 30 Bambusröhren erklang danach in Begleitung der 3000 Orgelpfeifen von St. Pius. Obzwar es wie ein Kampf zwischen David und Goliath anmutet, trat das Gegenteil ein: Die beiden „Blasinstrumente“ ergänzten sich perfekt und Petruţa Küpper bewies zum wiederholten Male, dass sie vielleicht die bedeutendste Schülerin der rumänischen Panflötenlegende Gheorghe Zamfir ist. Das Gleichnis des heiligen Papstes Johannes Paul II., wonach Europas Christentum mit beiden Lungenflügeln atmen müsse, mit jenem der Ostkirche und jenem des Abendlandes, scheint hier auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Die zahlreichen rumänischen Zuhörer von den rumänisch-orthodoxen Gemeinden Münchens – und nicht nur sie – zollten der talentierten Panflötenspielerin reichlich Applaus.

Dass in der Zeit der Ceauşescu-Diktatur auch die geistliche Musik der Rumänen in Ketten lag, beweist die Vertonung des Gebets von Mihai Eminescu durch den Temeswarer Komponisten und Pädagogen Eugen Cuteanu (1900-1968). Erst vor wenigen Jahren wurde dieses Werk zum ersten Mal durch den Bariton Wilfried Michl in der Temeswarer Notre-Dame-Kirche gesungen. Der Solist Adrian Sandu vom Münchner Gärtnerplatztheater interpretierte dieses rumänische Mariengebet Eminescus mit größter Empfindsamkeit.

Das Ave Maria von Wilhelm Schwach (1850-1921), komponiert für Sopran, Tenor, Violine und Orgel, gehört zu den besten Kirchenmusikwerken, die das Banat hervorgebracht hat. Schwach wirkte einige Jahre als Instrumentalist am Theater an der Wien, spielte zahlreiche Operettenpremieren unter Johann Strauss, kam später an die Temeswarer Oper und ließ sich letztendlich in Lugosch nieder. Bei diesem schlichten marianischen Gebet ergänzen sich zum Schluss gegenseitig Sopran, Tenor und Violine – Alpinia Albeşteanu, Adrian Sandu und Karl W. Agatsy – wie in einem dramatischen Opernterzett, um zum Schluss im leisesten Unisono, rhythmisch nur noch von den Triolen der Bassstimme markiert und im säuselnden Streicherklang der Orgel auszuklingen.

Die an diesem Abend vorgetragenen Kompositionen von Limmer, Pogatschnigg, Cuteanu, Mendelsohn, Schwach und Wusching wurden erst vor wenigen Jahren entdeckt und veröffentlicht. Was bis dahin teilweise nur durch die Beiträge von Desiderius Braun und Josef Brandeisz bekannt war, konnte seitdem auch in Tönen belegt werden: So klingt authentische Banater Musik, aufgeführt von deutschen und rumänischen Interpreten dieses Kulturraums.