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Produktiver Forscher und streitbarer Geist

Denke ich an den Grazer Professor Anton Scherer, dann erinnere ich mich an meine Studentenzeit und an ein nach Rumänien geschmuggeltes Buch, das damals dort für manchen Offiziellen den suspekten Titel trug „Die nicht sterben wollten“. Herausgeber dieses frühen und wegbereitenden donauschwäbischen Dichterbuches war Dr. Anton Scherer. Das Buch hat den Eisernen Vorhang überlebt und heute noch einen Ehrenplatz in meiner Bibliothek. Das Beispiel kann als Beleg stehen für die Einschätzung, die Dr. Dr. Franz Thierfelder, damals Generalsekretär der Deutschen Akademie in München, kurz nach dem Erscheinen der Anthologie 1959 gab: Scherer habe mit diesem frühen donauschwäbischen Nachkriegswerk der Gemeinschaft der Südostdeutschen einen „Dienst erwiesen, der noch weit in die Zukunft wirken wird“.

Anton Scherer wurde als ältestes von acht Geschwistern am 19. Juli 1922 in Oberndorf in der Südbatschka geboren, wuchs aber im benachbarten Dorf Bukin auf. Nach Abschluss des Gymnasiums und der deutschen Lehrerbildungsanstalt in Werbass folgten einige Stationen (Neusatz, Budapest, Wien), bis er in Berlin das Abitur ablegte. Scherer studierte sodann Germanistik, Slawistik, Geschichte, Geographie, Volkskunde und Philosophie in Wien, Innsbruck und Graz, wo er zum Magister (1947) und Doktor der Philosophie promovierte (1955). Seine Dissertation schrieb er im Massenquartier eines Grazer Baracken-lagers, hält Ferdinand Leindl in einer der frühen Würdigungen Scherers zu dessen 50. Geburtstag fest.

Auf das bewegte Leben von Professor Scherer in einer schwierigen Zeit soll hier nicht weiter eingegangen werden, auch nicht auf seine ausgeprägte Eigenwilligkeit und Unnachgiebigkeit oder sein offenes Wirken gegen die rivalisierenden donauschwäbischen Gruppen, was ihm viele Feindschaften eingebracht hat, sondern auf die bleibenden Verdienste als Historiker, Literaturhistoriker, Bibliograph und Begründer eines donauschwäbischen Archivs. Eine reiche, vielseitige und beachtenswerte öffentliche, Presse- und Veröffentlichungsarbeit sind als seine Leistungen festzuschreiben und für die Nachwelt gesichert.

Alle diese bleibenden grundlegenden Arbeiten entstanden parallel zu seiner Lehrtätigkeit an Grazer Gymnasien und als Lehrbeauftragter an der Universität Graz über viele Jahre. Mit am Anfang der nahezu 40 Titel umfassenden Publikationsreihe steht die erwähnte Anthologie aus dem Jahre 1959 (Pannonia-Verlag Freilassing; eine zweite Auflage ist 1985 erschienen). Diese Dokumentation zur Literatur der Donauschwaben (mit Textbelegen) von Lenau bis zur Gegenwart ist bereits so angelegt wie alle späteren großen Publikationen: mit Blick auf die Nachbarn und im großen südosteuropäischen Kontext. Seine 1960 im Selbstverlag herausgebrachte „Einführung in die Geschichte der donauschwäbischen Literatur“ erhielt höchste Anerkennung von zahlreichen Fachleuten.

Unentbehrlich sind heute und mit Sicherheit künftighin Scherers bibliographische Werke, auf die auch im Zeitalter des Internets zugegriffen werden muss, weil Quellen ausgewertet wurden, die schwer erreichbar sind. Es war für den Autor eine aufreibende, zeitaufwendige und kostspielige Arbeit, als deren Ergebnis auch ein einzigartiges, reiches und wertvolles donauschwäbisches Archiv mit Bibliothek entstanden ist. Im Spätherbst des Vorjahres kam der gesamte Nachlass dankenswerterweise ins Haus der Donauschwaben in Sindelfingen. Der Leiterin des Hauses, Henriette Mojem, ist dafür zu danken wie auch Scherers Ehefrau Siglinde und seinem Sohn Wolfram.

Im Alleingang brachte Dr. Scherer nach jahrzehntelanger Sammeltätigkeit in österreichischen, deutschen und südosteuropäischen Bibliotheken seine „Donauschwäbische Bibliographie“ heraus. Der schwierigste Band für die Zeitspanne 1935-1955 ist 1966 in München im Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks erschienen, umfasst 407 Seiten und listet 6770 Titel auf. Die Belege stammen aus dem deutschen Sprachraum, mehreren Ländern Südosteuropas, aus Frankreich und vier Übersee-Staaten. Es folgte 1974 ein zweiter Band für die Zeitspanne 1955-1965, für die der Forscher dem Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks 8446 Titel vorlegte. Den dritten, 785 Druckseiten umfassenden Band für die Zeit 1965-1975 brachte Scherer von 1995 bis 2001 in neun Teilveröffentlichungen im Eigenverlag heraus (allein das Kapitel „Die Donauschwaben in Deutschland“ blieb unveröffentlicht). Diese umfangreichen und vielseitigen bibliographischen Handbücher – mit rund 30000 Titeln – brachten Scherer uneingeschränkte Anerkennung im deutschen Sprachraum, aber auch in Südosteuropa ein; sie sind ein unentbehrlicher Behelf und bieten allen Interessentengruppen grundlegende Hilfe zur Erforschung der Geschichte und Kulturleistungen der Donauschwaben.

Es folgten weitere Veröffentlichungen bis ins hohe Alter, von denen als Besonderheit und herausragend, über das Donauschwäbische weit hinausgreifend, das Buch „Südost-europa-Dissertationen 1918-1960“ hervorgehoben werden muss (Graz / Wien / Köln 1968). Scherer machte damit über 2200 Doktorarbeiten von Forschern aus aller Herren Länder zum breiten Thema Südosteuropa zugänglich. Wichtig ist ebenso sein zusammen mit Isabella Regényi verfasstes „Donauschwäbisches Ortsnamenbuch“ (1980; zweite, verbesserte Auflage 1987), ein bis heute unerlässliches Arbeitsbuch wegen der Mehrsprachigkeit in der historischen Region und den Staatenwechseln, eine bleibende Handreichung.

Für seine Forschungs-, Publikations- und verdienstvolle Lehrtätigkeit wurden Dr. Scherer viele Ehrungen und Auszeichnungen zuteil, so bereits 1958 und 1966 der Theodor-Körner-Förderpreis sowie der Kulturpreis der Donauschwaben (Ulm 1958), dann 1966 das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich, 1970 die Ehrengabe des Dehio-Preises für Kultur und Geistesgeschichte, 1972 und 1992 der Dr.-Andreas-Lutz-Preis, 1978 der Donauschwäbische Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg. Auf dem Portal der Stadt Graz steht Professor Scherer mit Text und Bild als „Bürger der Landeshauptstadt Graz“ seit 5. Dezember 1996. Die Stadt verlieh ihm auch das Ehrenzeichen in Silber, das Land Steiermark zeichnete ihn mit dem Großen Ehrenzeichen und dem Josef-Krainer-Heimatpreis aus. Die Karl-Franzens-Universität  Graz ehrte ihn mit der Pro-Meritis-Medaille in Silber.

Nach einem erfüllten und arbeitsreichen Leben ist Professor Anton Scherer, der verdienstvolle Forscher und streitbare Geist, am 14. Januar 2015 in Graz verstorben.

Anm.: Dieser Nachruf stützt weitgehend auf einem Beitrag, den der Autor zum 90. Geburtstag von Professor Scherer in dem Band für 2012 der Reihe „Ostdeutsche Gedenktage“ (Bonn: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, 2013) veröffentlicht hat.