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Die Ansiedlung im kollektiven Gedächtnis

Otto Heinek, Vorsitzender der Landesselbstverwaltung der Deutschen in Ungarn, bei der Einweihung des Ansiedlungsdenkmals in Form einer Ulmer Schachtel in Vállaj im ungarischen Sathmar-Gebiet im Jahr 2012. Foto: Neue Zeitung

Der Fleiß und die hohe Arbeitsmoral waren ausschlaggebend für die erfolgreiche Ansiedlung der deutschen Kolonisten, die im 18. Jahrhundert dem Ruf der Habsburgermonarchie folgten und sich im historischen Ungarn niederließen. Es handelt sich hierbei um gängige Begriffe, mit denen sich Donauschwaben bis in die Gegenwart definieren. Dr. Márta Fata griff dieses Thema in ihrem Vortrag „Die Ansiedlung im 18. Jahrhundert und deren Rolle für die Identitätsbildung der Donauschwaben“ auf und erläuterte den Stellenwert der Siedlungsmigration im kollektiven Gedächtnis der Donauschwaben im Wandel der Zeit. Die Tübinger Historikerin, Leiterin des Forschungsbereichs Neuere Geschichte am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, referierte am 29. Januar im Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München vor einem interessierten Publikum, wie sich in der anschließenden Diskussion herausstellte. Organisiert wurde die Veranstaltung vom HDO in Zusammenarbeit mit der Donauschwäbischen Kulturstiftung und dem Bayerisch-Ungarischen Forum.

Den Fokus ihrer Betrachtung legte die Referentin auf das Narrativ der Ansiedlung und das Inszenieren der Erinnerung in Form von Jubiläumsfestivitäten verschiedener Orte und der Errichtung von Ansiedlungsdenkmälern. Einführend hielt Dr. Fata fest, dass sich die Gruppe der Donauschwaben durch ihre Ansiedlung im historischen Ungarn im 18. Jahrhundert definierte und die damit verbundene Erfolgsgeschichte als signifikanter identitätsstiftender Faktor bei der Gemeinschaftsbildung diente.

Ein erstes Zeugnis eines kollektiven Handelns der deutschen Siedler stelle die Bogaroscher Schwabenpetition vom 2. Oktober 1849 dar, so die Referentin. Diese richtete sich an die österreichische Regierung als Reaktion auf deren Pläne, die Woiwodschaft Serbien und das Temescher Banat als autonomes Gebiet zu errichten. Unterzeichnet wurde sie von Ortsvorstehern und Gemeindegeschworenen aus 27 Banater Gemeinden. In dieser Petition beriefen sich die Schwaben auf die historischen Leistungen der Einwanderervorfahren, um ihre Position zu bekräftigen und die Gleichberechtigung mit der serbischen Bevölkerung einzufordern. Der österreichisch-ungarische Ausgleich 1867 stärkte den ungarischen Sprachnationalismus und die im Land lebenden ethnischen Gruppen standen vor der Alternative sich entweder zu assimilieren oder für die Bildung einer eigenen Identität  einzutreten. Die daraus resultierenden Bewegungen stützten sich auf die prägenden Elemente des Selbstbilds der Donauschwaben: Bauernfleiß und Arbeitsamkeit und nahmen somit Bezug auf die prägenden Eigenschaften ihrer Vorfahren.

Gründet das bis zum Ersten Weltkrieg bestehende Selbstbild der Schwaben auf Abstammung, Herkunft, Blutsverwandtschaft und die historische Mission der schwäbischen Gemeinschaften mit dem Ziel der kulturellen Ethnifizierung, leitete das Ende des Krieges einen Umbruch ein. Die staatliche Neuordnung in Ostmittel- und Südosteuropa führte zu einer Veränderung der Einstellung der Schwaben zur eigenen ethnischen Zugehörigkeit. Dominierte bis dato der Identitätstypus des Deutschungarn mit seinem staatspatriotischen Bewusstsein, gewann nun der deutsch-völkische Typus an Bedeutung, erläuterte die Referentin.

Vor allem die 1930er Jahre seien prägend für die Entwicklung der Identitätskonzepte der deutschen Minderheiten in den südosteuropäischen Ländern gewesen. Denn vor allem in Ungarn und Jugoslawien, aber zum Teil auch in Rumänien, führte die Nationalitätenpolitik, die geprägt war von Diskriminierung und Unterdrückung, zu einer politischen Radikalisierung der deutschen Minderheit, unterstützt durch das Dritte Reich. Die deutschen Minderheitenpolitiker eigneten sich dessen Leitideen, wie die „Blut-und Boden“- oder die „Lebensraum-Ideologie“ an und prägten dadurch das Geschichts- und Selbstbild der Schwaben, betonte Dr. Fata. Vertreibung, Deportation und Enteignung als Folgen des Zweiten Weltkrieges bedrohten die Existenz der Donauschwaben und stellten deren Eigenbild in Frage.

Da Erinnerung und Identität einer permanenten Veränderung unterworfen sind, bedarf es Methoden und Techniken, die dazu dienen, eine kollektive Erinnerung einer Gruppe zu stärken. Anhand von Einwanderungs- und Ansiedlungsdenkmälern erläuterte Dr. Fata eine dieser Methoden. Gedachte man bereits im 19. Jahrhundert der eingewanderten Vorfahren, entwickelte sich die Tradition der weltlichen Denkmäler erst in der Zwischenkriegszeit. Anlässlich von Ansiedlungsfesten wurden seit den 1930er Jahren eine Reihe von Ansiedlungsdenkmälern in verschiedenen Orten der Batschka errichtet. Häufige Symbole sind die Ulmer Schachtel oder das Motiv der Familie, wie Dr. Fata anhand von zahlreichen Fotografien verdeutlichte. Ansiedlungsfeste seien auch im Banat und der Schwäbischen Türkei belegt, das Errichten von Erinnerungsdenkmälern an die Ansiedlung war dort jedoch nicht üblich.

Auch im heutigen Ungarn entstanden seit 2004 eine Vielzahl von Ansiedlungsdenkmälern, was die tragende Rolle der Ansiedlung in der kollektiven Erinnerung und deren Wandel verdeutliche: Waren die
Ansiedlungsdenkmäler in der Zwischenkriegszeit Ausdruck des Willens zur politischen Selbstbehauptung, so dienen die heutigen Denkmäler in Ungarn der Bestätigung der ethnischen Gemeinschaft in einer sich wandelnden Gesellschaft. Denkmäler, als symbolische Repräsen-
tation des Selbstverständnisses einer Gruppe, seien in der Lage, kollektive Identität zu stiften, Vergangenes im Gedächtnis zu bewahren, die Gegenwart darüber zu belehren und auf die Zukunft einzuwirken, resümierte die Tübinger Historikerin.