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Aufregung um eine Volkszählung

Im Oktober 2011 fand in Rumänien eine Volkszählung statt. Im Zuge der Demokratisierung Rumäniens wurde die Bevölkerung vorab durch die Medien genau über die Ziele und die Vorgangsweise der Zählung informiert. Gezählt wurde die auf dem Gebiet des Landes lebende sesshafte Bevölkerung, die Wohneinheiten und die Beschäftigungsverhältnisse. Als sesshaft gelten auch jene rumänischen Staatsbürger, die noch kein ganzes Jahr im Ausland leben. Rumänien führt seine Zählungen in traditioneller Art durch: Es gibt Fragebögen – insgesamt waren es diesmal acht –, die von behördlich geschulten Zählern ausgefüllt werden. Im Unterschied zu vorherigen Erhebungen wurde die Bevölkerung darauf hingewiesen, dass einige der Fragen verbindlich, andere hingegen unverbindlich zu beantworten seien. Verbindlich waren die Fragen betreffend den Wohnsitz, die Beschäftigung und den Arbeitsplatz, unverbindlich die Angaben zur Volkszugehörigkeit (Nationalität), Muttersprache und Religion. Die Verweigerung der Angaben zu den verpflichtenden Fragen konnten mit Bußgeldern in Höhe von 1500 bis 4500 Lei geahndet werden. Wie in fast allen europäischen Ländern nimmt auch in Rumänien die Bevölkerung seit zwei Jahrzehnten stetig ab. Im Unterschied zu anderen Ländern, wo Geburtenrückgang die Ursache für den Bevölkerungsschwund ist, spielt in Rumänien die Auswanderung die größte Rolle. Nicht erst seit dem Beitritt des Landes zur EU wandern die Rumänen auf der Suche nach besseren Arbeitsplätzen und Verdienstmöglichkeiten massenhaft ins Ausland ab, viele mit der Absicht, nach einiger Zeit zurückzukehren, viele andere aber auch mit dem Bestreben, endgültig dort zu bleiben und die fremde Staatsbürgerschaft zu erwerben. Allein in Spanien und in Italien leben je rund eine Million Rumänen. Darum ist es nicht verwunderlich, dass die Bevölkerungszahl stark abgenommen hat. Zwar sind die Ergebnisse der
Zählung noch nicht offiziell und kleinere Korrekturen möglich, doch der Trend ist eindeutig: Im Jahr 2002 zählte man 21 680 000, im Oktober 2011 nur noch 19 600 000 Einwohner.

Da im Land seit jeher viele verschieden Volksgruppen leben, wird immer auch nach der Volkszugehörigkeit und der Muttersprache gefragt. Jede Volksgruppe wartet schon mit Spannung auf das Endergebnis. Die deutsche Minderheit nimmt wegen Überalterung – als Folge der Massenauswanderung – von Mal zu Mal rapide ab und beläuft sich auf rund 40 000 (vor zehn Jahren 60 000). Die größte nationale Minderheit stellen die Ungarn, die hauptsächlich in Siebenbürgern und dem Banat leben. Ihr Rückgang von einst 1,62 Millionen (7,1 Prozent) im Jahr 1992 auf 1,43 Millionen (6,6 Prozent) im Jahr 2002 auf nunmehr knapp 1,2 Millionen sorgte bei den politischen Vertretern dieser Minderheit für Bestürzung. Sie befürchten bei weiterem Rückgang um ihren Einzug ins Parlament, zumal ihre Wählerschaft sich auf drei Parteien verteilt, die untereinander zerstritten sind.

Im Zusammenhang mit dieser Erhebung gab es mehrere Beschwerden. Einige von ihnen sorgten für Aufsehen in den Medien, sogar in der überregionalen auflagenstärksten Tageszeitung Roma-nia libera (Freies Rumänien). Die Behörden sind bestrebt, alle Beanstandungen zu überprüfen und falls notwendig zu korrigieren. Eine griechisch-katholische Dame aus Transsilvanien klagte ihrem Pfarrer, der Zähler habe sie gegen ihren Protest als orthodox eingetragen und das folgendermaßen begründet: „Sind Sie Ukrainerin oder Slowakin oder Griechin?“ „Nein, ich bin Nationalrumänin!“ „Dann wissen Sie doch auch, dass die griechisch-katholische Religion seit dem Zweiten Weltkrieg für Nationalrumänen verboten ist, weil ein wahrer Rumäne nur der orthodoxen Kirche angehören kann.“ Den Einwand der Frau, dass seit der Revolution auch die griechisch-katholische Religion wieder erlaubt und allen anderen gleichgestellt sei, missachtete der nationalistisch gesinnte „wahre Rumäne“, wofür er nachher gerügt wurde. In der Tat gehören von den gläubigen Rumänen 90 Prozent der rumänisch-orthodoxen Kirche an, die Griechisch-Katholischen bilden mit 200000 nur ein Prozent der Bevölkerung. Es gibt sie nur in Siebenbürgen und im Banat. Erstaunlich, dass von den Rumänen nur 7 Prozent sich als Atheisten bezeichnen, den Rest nehmen religiöse Sekten ein.

Die meisten Ungenauigkeiten gibt es im Fall der Roma. Die meisten von ihnen bekennen sich offiziell nicht zu ihrer Ethnie, weil sie Benachteiligungen befürchten. Deshalb war es ungewöhnlich, als mehrere Roma aus dem Kreis Klausenburg (Cluj), angeführt von ihrem Sprecher, sich bei Rundfunk und Presse beschwerten, man habe sie in den Fragebögen nicht als „Zigeuner“ eingetragen, sondern teils als Rumänen, teils als Ungarn. Tatsache ist, dass die meisten Roma in der Öffentlichkeit, je nach Region, entweder Ungarisch (in Siebenbürgen und Banat) oder Rumänisch (in Süd- und Ostrumänien) als Muttersprache sprechen. Ihren eigenen Romadialekt kennen nicht alle, und eine einheitliche Schriftsprache gibt es nicht, was den Zusammenhalt der Roma im ganzen Land erschwert. Der Roma-Sprecher betonte: „Wir sind stolz auf unsere Abstammung und verleugnen sie nicht!“ Er rief alle Zigeuner auf, sich offen zu ihrem Volk zu bekennen. „Täten wir das, kämen wir auf eine Gesamtzahl von rund zwei Millionen“, sagte er, „und das wäre dem rumänischen Staat unliebsam, weil wir dann mehr Minderheitenrechte nicht nur vom Staat, sondern auch von der EU einfordern könnten.“ Bei der letzten Volkszählung wurden rund 600 000 Roma gezählt.

Im offiziellen behördlichen Sprachgebrauch heißen die Roma seit der Demokratisierung des Landes „Rromi“. Wegen zahlreicher krimineller Handlungen in Italien, Spanien, Frankreich, England und anderen Staaten, die nachweislich von rumänischen Roma begangen wurden, stellten mehrere Abgeordnete im Parlament den Antrag, erneut die Bezeichnung „Zigeuner“ zu verwenden, weil der rumänische Staat und die Mehrzahl der ethnischen Rumänen nicht mit den Tätern und deren Roma-Herkunft identifiziert werden möchten. Der Antrag scheiterte im Sommer 2011 nur wegen der international zu befürchtenden Proteste. Inoffiziell jedoch werden die Roma von den Bürgern und Medien unbehelligt wieder Zigeuner genannt. Man darf gespannt sein, welche Überraschungen die Veröffentlichung der genauen Ergebnisse der Volkszählung mit sich bringen.