zur Druckansicht

Das Fußballwunder von Triebswetter (I)

Willi Schreiber als Trainer in seinem Element.

Die Fußballnationalmannschaft aus Triebswetter, die im Juni 1975 den Aufstieg in die B-Liga schaffte.

 

Es gibt Menschen, die folgen ihrer Berufung und tun einfach ihre Arbeit. Durch ihre scheinbar unspektakulären Leistungen und durch ihr Lebenswerk beeinflussen sie schneller und tiefgreifender den Status oder gar das Schicksal ihrer Landsleute – besonders in der Diaspora – als hochgelobte Personen. Diese Menschen handeln aus dem inneren Drang heraus, etwas zu leisten, etwas zu erreichen und Erfolge zu erzielen, von denen sie, ihre Freunde und ihre Landsleute träumen. Für die Banater Deutschen war das Fußballwunder von Triebswetter ein Segen: Die lange Jahre geschundene Ethnie hatte mit Trainer Willi Schreiber plötzlich einen Helden, dem auch die anderen Nationalitäten Anerkennung zollten. Als Reporter, der aus dem ganzen Banat berichtete, fühlte ich, dass den Deutschen besonders von den Fußballfans viel Sympathie entgegenschlug. „Voi nemtii ati dat iar un exemplu!“ (Ihr Deutsche habt mal wieder ein Beispiel geliefert), hieß es.

Der Anfang
Auf dem Baragan hat sich der am 17. Januar 1934 in Triebswetter geborene Willi Schreiber in den Fußball verliebt – und in seine spätere Frau Inge Römer. Geheiratet wurde dann nach der Heimkehr am 24. April 1957. „Allerdings ohne Trauzeugen und die Fußballschuhe einfach über die Schultern geworfen“, bekennt Willi. Die Ehe hält bis heute, die Beziehung zum runden Leder kühlte 1962 ab, er hängte die Fußballstiefel an den Nagel. Es setzte bei ihm eine Zeit der Klärung ein. Auch im Triebswetterer Fußball. Die beiden kurzatmigen Mannschaften Recolta und GAS (Kollektivwirtschaft und Staatsgut) fusionierten zu Unirea, die die Vereinsfarben Grün-Weiß in Ehren halten sollte. Mit „Unirea“ (Spielvereinigung, Einheit oder gar Eintracht?) konnte man auch die hirnrissige kommunistische Namensgebung umgehen, denn für Vereine aus dem ländlichen Raum waren doch abstruse Bezeichnungen vorgeschrieben.

In Willi Schreibers Leben bahnte sich 1968 ein neuer Abschnitt an. Der fußballvernarrte LPG-Chefbuchhalter Pavel Iatan setzte ihm einen Floh ins Ohr: „Willi, du solltest Trainer werden. Um den Rest kümmere ich mich schon!“ Und es hat gezündet: In kurzer Zeit wurde aus dem Hobby eine Leidenschaft. Und das Wunder nahm seinen Lauf. Im Landeswettbewerb „Pokal der Dorfjugend“ eilte Unirea von Sieg zu Sieg und schaffte in der Endphase den zweiten Platz hinter einem Team aus der Nähe von Bukarest. Das war das sprichwörtliche Sprungbrett. Wer einmal Blut geleckt hat, will mehr. Ein Schatten fiel dennoch auf das Fußballjahr 1968: Ein paar Tore fehlten zum Aufstieg in die Kreismeisterschaft Temesch. Vielleicht war das gut so, man wurde ehrgeiziger. Im nächsten Jahr ließ sich Unirea Triebswetter nicht mehr die Butter vom Brot nehmen. Die Endplatzierungen wurden immer besser und 1972 mit dem Aufstieg in die C-Liga gekrönt. In vier Jahren wurde also der Weg aus der untersten Dorfklasse in den Leistungsfußball geschafft.

Der große Tag: 2. Juli 1972
Das Unternehmen Aufstieg in die C-Liga ging alle an. Selbst alte Leute, die nie auf dem Fußballplatz waren, wollten bei der Qualifikation dabei sein. Das Publikum tobte nach dem Anpfiff und feuerte die Unirea-Kicker pausenlos an. Auf dem Spielfeld kämpften die Unirea-Männer verbissen um jeden Ball, um jede Chance. Es war der 2. Juli 1972. Draußen, vor dem Stadion, standen Traktoren mit riesigen Pflügen. Im Falle des Scheiterns sollte das Spielfeld umgeackert werden – so die Anweisung des Hauptsponsors und LPG-Präses Peter Fenesi. Und dann fielen die Tore. Mit dem Schlusspfiff des Schiedsrichters gab es kein Halten mehr, das kleine und schmucke Stadion wurde zum Tollhaus:
Umarmungen und Freudentänze nahmen kein Ende. Selbst die fremden Fans aus den umliegenden Dörfern feierten mit, und die sonst so neidisch-griesgrämigen Großsanktnikolauser rangen sich ein Lächeln und eine Gratulation für die Triebswetterer Mannschaft und den Trainer ab. Auch die Traktoristen strahlten.

Unirea Triebswetter hatte den 0:2-Rückstand aus dem Hinspiel in Orawitza wettgemacht und schlug Minerul an jenem herrlichen Sommersonntag mit 3:0, was den Aufstieg in die Dritte Liga bedeutete. Es war der erste C-Ligist vom Dorfe – und natürlich fielen auch genug Schmuckfedern für die politische Gemeindeleitung in Lovrin ab. Diesen 2. Juli 1972 wird Willi Schreiber nie vergessen – kann er auch gar nicht vergessen. „Fast eine halbe Stunde lang flog ich durch die Luft. Ich weiß gar nicht, woher die Spieler nach der aufreibenden Partie noch so viel Kraft hatten, mich hochleben zu lassen. Es war wohl der schönste Tag in meinem Leben“, bekennt er heute. Er wusste wirklich nicht, wie ihm geschah: Es war wie Geburtstag, Hochzeit, Kindergeburt oder Heimkehr vom Baragan zugleich. Ich war Augenzeuge dieses Triumphs. Und wie der Trainer unter Ovationen immer wieder in die Höhe flog, kam mir plötzlich der Gedanke: Da steckt noch mehr drin, die kommen noch weiter. Und so kam es auch.

Abstecher in die B-Liga
Kaum waren drei Jahre vergangen, da führte Willi Schreiber seine Truppe als B-Ligist auf das Spielfeld. Metalul Otelu Rosu war der eisenharte Brocken in der Qualifikation gewesen, musste aber die spielerische Qualität und Überlegenheit der Triebswetterer anerkennen. In den Großstädten staunten die Klubverantwortlichen nicht schlecht und suchten das Dorf auf der Landkarte. Hermannstadt und Hunedoara, Baia Mare und CFR Klausenburg, UMT und CFR aus Temeswar kamen in der Saison 1975/76 nach Triebswetter. Der Höhenflug in die Zweite Liga dauerte zwar nur ein Jahr, und der finanzielle Aderlass war beträchtlich. Nicht das spielerische Potenzial von Unirea war zu bescheiden, es spielten viele Faktoren mit, um den Abstieg zu besiegeln. Viele der großen B-Liga-Klubs wollten nicht mehr in die unberechenbare „Prärie“, manchen politischen Machthabern war dieses aus der Reihe tanzende Team aus einem schwäbisch geprägten Dorf ein Dorn im Auge; in der Sportverwaltung gab es genug Raffsüchtige, die mehr an Lämmer und Rekascher Kadarka interessiert waren, als sich für die Belange des kleinen Vereins einzusetzen. Gefördert von allen Seiten wurde nur das Mirakel von Scornicesti, das als FC Olt den Geburtsort des Diktators Nicolae Ceausescu be-rühmt und beliebt machen sollte.

Der Fußballgott hat es mit Willi Schreiber immer gut gemeint. Vielleicht weil er nie größenwahnsinnige Erklärungen abgab, den einen oder anderen Sieg keinem Feiertag oder gar der Partei widmete. Er blieb bescheiden und realistisch, behandelte seine Spieler wie Söhne. Geduldig brachte er ihnen Disziplin und Loyalität bei. Dennoch gab es auch Rückschläge; das eine oder andere junge Talent aus Bukarest – Verbandsfunktionär Dr. Tomescu half Unirea mit Rat und Tat – wurde beim Anblick der blauen Geldscheine schwach und verkaufte sich an die Konkurrenz. Andere schlugen in Triebswetter Wurzeln, heirateten auch dort und sind jetzt längst schon in Deutschland. „Von unseren Legionären war Adrian Manea das größte Talent. Das war ein Vollblutfußballer“, erklärt Willi Schreiber. Manea kam dann zu Politehnica Temeswar, doch ein brutales Foul und Knochenbrüche brachten das jähe Aus. „Auch vor Toma Grozavescu ziehe ich den Hut, ein Beispiel an Seriosität und Loyalität. Und noch einen muss ich erwähnen: Stoica Stefan. Fane war von Anfang an in der sogenannten Promotionsmeisterschaft bis in der B-Liga mit dabei“, erinnert sich der Trainer. Aber auch Ehefrau Inge und die beiden Kinder Karin und insbesondere Ottmar brannten für den Fußball – wie der Trainer im Hause. Berühmt und geheimnisumwittert blieb Inge Schreibers sogenannter 40-Zitronen-Tee mit zugesetztem Traubenzucker. Für jedes Spiel stand davon eine riesige Thermosflasche bereit. Und der Effekt war immer segensreich ...

Hartes Training
Ich bin befreundet mit dem Temeswarer Fußball-Lehrer Toma Grozavescu, der nach Jahren in der A- und B-Liga seine aktive Laufbahn in Triebswetter beendete und stets ein umsichtiger Abwehrchef im C-Liga-Team war. Bereits nach zwei Wochen in Triebswetter gestand er mir: „So komplex wie unter Willi Schreiber habe ich noch nicht trainiert. Unser Trainer hat mehr drauf als alle hochgelobten Trainer im Land. Hut ab, ich bin stolz, dass ich dabei bin!“ Worin lag das Geheimnis von Schreibers so erfolgreicher Arbeit? „Natürlich habe ich im Fußball nichts Neues erfunden“, meint Willi und deckt sein Rezept auf. „Ich habe das Training nach den Anweisungen und Tipps von Hennes Weisweiler, dem bundesdeutschen Fußball-Guru jener Zeit, aufgebaut und durchgeführt. Aufgepasst: Ich habe aber alles halbiert – und das war für manche Spieler noch zu viel“, sagt Willi Schreiber und ergänzt: „Weisweiler plädierte für das härteste mögliche Training. Schon beim Aufwärmen jagte er die Spieler zehnmal über 200 Meter.“ Auch mit dem damaligen Bundestrainer und Weltmeistermacher Helmut Schön stand Willi Schreiber im Briefwechsel und Austausch. Das alles schlug in der Vorbereitung der Kicker zu Buche. Ja, es waren viele „Dorffußballer“ bei Unirea; aber viele hatten eine große Seele, stählerne Lungen und Kämpferherzen – dank Willi Schreiber, der von den Besten der Besten das Trainerhandwerk gelernt hat. Leider verhinderten Unkenntnis und Arroganz, dass der Triebswetterer Coach mit einer Auszeichnung bedacht worden wäre – sei es auch nur eine billige Medaille gewesen. Die Menschen aus der Banater Heide wussten es ihm und Triebswetter zu danken: Mit dem Besuch im Stadion und mit ihrem Applaus für die Leistungen.

(Fortsetzung folgt)