Der in diesem Jahr zum Präsidenten Rumäniens gewählte frühere Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan hat für seinen ersten Stadtbesuch in Rumänien Temeswar ausgewählt – die Stadt, in der „das europäische Herz des Landes schlägt“, wie der Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz betonte. Immerhin ist es lange her, seitdem zuletzt ein rumänischer Präsident nach Temeswar kam.
Die Stadt Temeswar war Ende September Gastgeberin der internationalen Veranstaltung „Cities Summit Timișoara 2025“, einem Treffen zum Thema europäische Städte, Integration und EU-Erweiterung. Dominic Fritz hatte Bürgermeister sowie Staats- und Regierungschefs aus der Europäischen Union und den Beitrittsländern eingeladen, um Ideen auszutauschen und gemeinsame Lösungsansätze zu erarbeiten. Ziel war es, die Rolle europäischer Städte hinsichtlich der europäischen Integration zu diskutieren. Es wurden die Situation in der Ukraine und der Erfolg der Wahlen in Moldawien sowie die Bedeutung des Westbalkans thematisiert, wobei laut Bürgermeister Fritz „Stabilität, Dialog, Unterstützung und Zusammenarbeit“ für die gemeinsame Zukunft von Bedeutung seien. Aus 15 europäischen Ländern kamen die Vertreter in die Hauptstadt des Banats. Bei der Eröffnung im Barockpalais – dem Kunstmuseum am Domplatz – betonte Fritz, dass Temeswar nicht nur Gastgeber dieser internationalen Veranstaltung zur Zukunft Europa sei, er unterstrich, dass die Erweiterung der Europäischen Union nicht allein auf Verträge in Brüssel beschränkt sei, sondern auch in den Städten Europas stattfinde. Immer wieder hat er – auch als Vorsitzender der USR-Partei – eine wichtige Rolle der Städte bei Lösungen der ökonomischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes gefordert. Temeswar, bekannt für seinen Beitrag zum demokratischen Wandel in Rumänien 1989, wolle erneut eine aktive Rolle bei der Entwicklung Europas übernehmen. Bei der Eröffnung sprachen der Bürgermeister von Sofia Vassil Terziev sowie André Sobczak, Generalsekretär Europäischer Städte. Hauptredner waren der Präsident Rumäniens Nicușor Dan und Dragoş Pîslaru, Minister für Investitionen und Europäische Projekte. Die Zivilgesellschaft Temeswars, die 1989 eine bedeutende Rolle beim Umsturz des Diktators spielte, hat dabei eine wichtige Funktion. Die von ihr erstellte „Proklamation“ sei die erste demokratische Verfassung, hieß es.
Der Präsident besuchte die Zentrale der „Gesellschaft Temeswar“ (Societatea Timişoara) und führte einen informellen Dialog mit deren Mitgliedern. Dominic Fritz ist der erste Bürgermeister Rumäniens, der sich dem Bündnis „Pakt der freien Städte“ anschließt, das 2019 von den Bürgermeistern der Hauptstädte Warschau, Prag, Bratislava und Budapest gegründet wurde. Dem Pakt gehören u.a. Rom, Amsterdam, Berlin und Los Angeles an. Sie wollen ein Netzwerk von Städten zum Wiederaufbau und zur Stärkung der Demokratie knüpfen.
Präsident Dan hatte ein volles Programm in der Stadt: Nach der Niederlegung eines Kranzes am Heldendenkmal auf dem Korso ging er zur Eröffnung. Danach besuchte er mit Vertretern der christlichen Konfessionen in Temeswar den katholischen Dom gegenüber, wo er von Generalvikar Johann Dirschl und Bischof Josef Csaba Pál empfangen wurde und in Begleitung des Archivars Dr. Claudiu Călin einen Rundgang durch die „Millennium“- Ausstellung absolvierte. Ein Eintrag ins Goldene Buch der Diözese schloss den Besuch ab.
Beim Besuch zweier Temeswarer Technologieunternehmen staunte Dan über die innovative Technik der Temeswarer Ingenieure und Fachkräfte. Ein geschlossenes Panel brachte danach die Bürgermeister und Wirtschaftsleute mit dem Präsidenten an einem Tisch zusammen. Auch für Kunst und Kultur nahm er sich Zeit und besuchte das Museum Miklósy (ehemaliges CFR-Depot) mit der Ausstellung des international bekannten Künstler Dan Perjovschi. Aber vor allem durfte ein Besuch der Kathedrale nicht fehlen.
Der wohl interessanteste Teil fand am Nachmittag im Kinosaal Timiș am Korso statt, wo sich jeder zur Teilnahme online anmelden konnte, um der Veranstaltung beizuwohnen. Pünktlich um 16 Uhr betrat der Präsident in Begleitung des Bürgermeisters den Saal. Fritz eröffnete die Sitzung. Präsident Dan begrüßte die Gäste und äußerte sich zur Rolle der Städte im europäischen Prozess in Bezug auf die Ausweitung der EU. In Temeswar betonte er die Bedeutung der lokalen Wirtschaft und innovativer Unternehmen. Er stellte fest, dass es sowohl im staatlichen als auch im privaten Sektor Verbesserungsbedarf gibt. An einen dreimonatigen Aufenthalt als Student im Jahr 1987 in dieser Stadt erinnere er sich gerne, als er Filme wie „Șatra“ oder „Carmen“ in diesem Kinosaal gesehen habe. Besondere Aspekte des lokalen Handels, beispielsweise den Kauf von „Vegeta“ auf der Straße, erwähnte er humorvoll. Nach der Begrüßung wurde dem Publikum die Möglichkeit geboten, über einen QR-Code Fragen einzureichen. Im weiteren Verlauf erschienen mehr als 70 Fragen auf dem Bildschirm, aus denen Fritz einige auswählte, um den Präsidenten zur Beantwortung aufzufordern. Leider wurden hauptsächlich Fragen zur Wahl in Moldowa und dem Krieg in der Ukraine ausgewählt und weniger zum Problem der „Cities“, wie die Veranstaltung versprochen hatte. Zwar war die erste Debatte übertitelt: „Europa am Scheideweg: Sicherheit, Wohlstand und unsere gemeinsame Zukunft“, aber die Fragen ließen vermuten, dass sich das Publikum eher für Probleme der Politik und der Situation Rumäniens, das ja zurzeit eine tiefe Krise durchlebt, interessiert. Außer einer Frage von drei Schülerinnen kam kaum etwas dazu zur Beantwortung. Ein einziges Mal lachte der Saal auf, als ein Teilnehmer Nicuşor Dan die Frage stellte, ob er nun mit dem künftigen Präsidenten Rumäniens am Tisch sitze! Fritz hatte diese Frage wohl übersehen. Außer dem Amüsement, gab es keine Antwort darauf.
Aus Frankfurt und Karlsruhe waren die Vizebürgermeister Mikael Horstman und Albert Käuflein eingeladen, aber nicht in der öffentlichen Debatte vertreten. Bürgermeister der angrenzenden Staaten, von Zagreb, Budapest, Sofia und Lemberg, nahmen teil.
Im nächsten Panel „Warum die EU-Erweiterung für die Sicherheit Europas notwendig ist“ debattierten auf Englisch Anita Hipper, EU-Sprecherin für Auslandsfragen und John Kampfner, englischer Journalist, wohnhaft in Berlin, der Botschafter der Ukraine in Rumänien Ihor Prokopchuk, Oana Popescu-Zamfir vom Zentrum GlobalFocus und Lyudmyla Tautiyeva, Ukraine. Auch hier war der Diskussionsschwerpunkt die Ukraine.
Der letzte Teil der öffentlichen Konferenz behandelte das Thema: „Geteilter Wohlstand oder gemeinsame Probleme. Die wirtschaftliche Realität der EU-Erweiterung“. Besonders aus der Reihe tanzte die ungarische Vertreterin Katalin Cseh, Mitglied der ungarischen Nationalversammlung aus der Momentum-Bewegung und ehemalige Europaabgeordnete.
Trotz einer lebhaften Debatte standen immer wieder zwei Schwerpunkte im Mittelpunkt: die Ukraine, der Krieg und Probleme beim Wiederaufbau, die wirtschaftliche und politische Situation der EU-Kandidaten wie Albanien, Moldowa oder Montenegro. Hier vertrat lediglich Katalin Cseh eine differenzierte Meinung, die betonte, dass sie die Zustimmung ihres Landes zur Erweiterung im Moment nicht sehe, da bereits die jetzigen 27 Mitgliedstaaten sich schwer einigen können, da die ökonomischen, sozialen und politischen Interessen weit auseinandergehen in der EU. Die EU sei kein „Nikolaus“, der was zu verteilen hat. Viele Bürger der EU haben kein Vertrauen mehr in „das System“, sagte Frau Cseh. Zwar befürworte sie ein Ende des Krieges in der Ukraine, sehe aber keine Möglichkeit, dem Land in naher Zukunft die Aufnahme in die EU zu öffnen. Das gleiche Problem sieht man bei Serbien, das bestimmte Codes für einen EU-Beitritt nicht erfülle. Es sei daher wichtig, dass man den Bürgern Europas ehrlich sagt, was sie zu erwarten haben. John Kampfner erwiderte zustimmend, dass man versuchen sollte, nicht eine EU der „kleinen Schritte“ zu gehen, sondern die Prozesse ehrlich abwickeln und keine „falschen Versprechungen“ zu machen, denn „a country of the right side of history today is not a country of the right side of history tomorrow“! (Ein Land auf der richtigen Seite der Geschichte heute ist nicht unbedingt ein Land auf der richtigen Seite der Geschichte morgen.) Den Diskussionen war zu entnehmen, dass eine EU-Erweiterung ziemlich kritisch gesehen wird, obwohl der Präsident am Anfang seiner Rede die Meinung äußerte, dass er sicher sei, dass Moldowa in drei Jahren EU-Mitglied werde.
Obwohl die Themen breitgefächert und interessant waren, kam die Rolle der Städte zu kurz. Hoffentlich wird dies beim nächsten Gipfeltreffen der Städtevertreter intensiver diskutiert. Das urbane Problem der Städte Westeuropas ist immer noch sehr verschieden von dem der Städte Osteuropas und des Westbalkans, jedoch nähern sie sich langsam an.










