Von Kreuzstätten nach Amerika, wieder zurück und zuletzt nach Deutschland
Ich bin nun 84 Jahre alt. Mein Leben wurde geprägt von der Persönlichkeit meines Großvaters, über dessen Lebensgeschichte ich hier berichten möchte. Mein Großvater Franz Adam wurde am 17. April 1898 in Kreuzstätten, einem Dorf im Banat, damals Österreich-Ungarn und heute Rumänien, geboren. Unsere Ahnen, auch die Adam-Familie, kamen um 1770 ins Banat. Sie stammten aus dem Elsass, aus Baden, der Pfalz, dem Schwarzwald und vielen anderen Teilen Deutschlands. In Wien regierte von 1740 bis 1780 die „Kaiserin“ Maria Theresia. Unsere Ahnen kamen auf der Donau mit den sogenannten „Ulmer Schachteln“ von Ulm bis Wien. Hier wurden sie in der Hofkammer registriert und ins Banat geschickt. Die Neuankömmlinge hatten eine sehr schwierige Zeit. Es war ein sumpfiges Gebiet, es gab Elend und Krankheiten. Aus Lehm bauten sie ihre ersten kleinen Häuser. „Zuerst kam der Tod, dann die Not und zuletzt das Brot.“ Die Schwaben („Schwowe“), waren ein sehr fleißiges Volk. Als das Land trockengelegt wurde, sah man, dass hier ein guter Boden aus schwarzer Erde ist. Durch die Schwaben wurde das Banat zur Kornkammer für die Habsburger und den Wiener Hof. Das Banat war am Anfang der Wiener Reichsregierung unterstellt. Man versprach, dass dies immer so bleiben wird. Leider kam es mit der Zeit ganz anders. Beim österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 kam das Schwabenland zu Ungarn. Alles wurde ungarisch, eine fremde Sprache für die meisten Schwaben. In den Schulen mussten alle ungarisch lernen, lesen, schreiben und sprechen. In den Ämtern sprach man nur ungarisch. Auf einmal hieß Franz Ferenc, Magdalena hieß Magdolna, Elisabeth hieß Erzsébet usw.
Der Kaiser und der Weltkrieg
Mein Großvater war das älteste Kind einer kinderreichen Familie mit sieben Kindern. Sein jüngster Bruder Ludwig Adam war 19 Jahre jünger. Damals gab es sechs Jahre Schulpflicht mit Unterricht in ungarischer Sprache. Die meisten Familien waren Bauern. Mit zehn Jahren bekam mein Großvater eine Klarinette. Mit 14 Jahren kam er zur Musikkapelle zum Zirkus Krathyl in Bukarest. Hier gefiel es ihm sehr gut. Mit 16 Jahren wurde er 1914 zum Militär einberufen. 1916 wurde er stationiert. Den Namen Adam kannte auch Kaiser Franz Josef, denn eine Familie Adam war damals eine bekannte adelige Familie. Da der Kaiser glaubte, dass mein Großvater dieser Familie entstammt, ließ er meinen Großvater zu sich rufen. Es hieß: „Soldat Franz Adam, zum Kaiser!“ So kam es, dass mein Großvater Kaiser Franz Josef in den kaiserlichen Parks persönlich kennenlernte. Er erzählte darüber später mit großem Stolz.
Im Ersten Weltkrieg stand mein Großvater 1916 oben am Stützpunkt Österreich-Italien-Schweiz. Hier spielten Gegner wie Freunde Karten. Bei „Alarm“ standen sie sich als Feinde gegenüber. Sie schossen aber nie aufeinander. Ich kann mir das von meinem Großvater auch gar nicht vorstellen. Ich kannte ihn als den gemütlichsten, besten Menschen der Welt.
Nach dem Krieg kam 1920 der größte Teil des Banats an Rumänien. Mein Großvater spielte mit seiner geliebten Klarinette noch einige Jahre in der Dorfkapelle. 1922 heiratete er Magdalena Blatt, das jüngste Kind von 13 Geschwistern. In der Hochzeitsnacht im Gasthaus Bartl-Wirt schneite es so viel, dass man nicht mehr aus den Fenstern sah. Die Hochzeitsgäste mussten sich einen Weg schaufeln, um nach Hause gehen zu können. Das waren noch Winter!
1924 kam meine Mutter Katharina Adam zur Welt. Am 17. April, genau wie mein Großvater. Beide feierten den Geburtstag immer zusammen. Er war ein stolzer, guter Vater.
Die Suche nach einem besseren Leben
1922 begann die Auswanderung der Banater Schwaben nach Amerika und Kanada, um ein besseres Leben zu finden. Auch mein Großvater fuhr 1924, meine Mutter war ein paar Wochen alt, mit dem Schiff von Hamburg nach Kanada und kam in Halifax an. In unserem Familienbesitz befindet sich noch die Einreisebestätigung. Da er in Kanada nicht viel verdiente, ging er nach New York, in die Vereinigten Staaten. Hier arbeitete er viel und verdiente gut, immer mit seinen Gedanken bei Frau und Kind.
In New York sah mein Großvater „Al Capone“, damals der größte Mafiaboss (geboren 1899 in New York) mit seiner Mafiabande zu Pferde aufmarschieren. Die Polizei erkannte Al Capone, durfte ihn aber nicht festnehmen, weil angeblich ein „heiliger Tag“ war. Die staunenden Zuschauer und die Polizei waren machtlos.
In New York lernte mein Großvater auch Johnny Weissmüller, den größten Schwimmer aller Zeiten, persönlich kennen. Der war auch ein Schwabenkind, 1904 in Freidorf geboren. Als gut gebauter junger Mann wurde er der erste Tarzan-Darsteller und durch den Film in der ganzen Welt bekannt.
Die Enttäuschung bei der Rückkehr
Einen Teil seiner Dollar schickte mein Großvater über eine Arader Bank zu seiner Frau ins Banat. Den größten Teil legte er bei einer großen amerikanischen Bank an, die das Geld mit Zinsen an die Bank in Arad schicken sollte. Das versprach die Bank meinem Großvater jedenfalls hoch und heilig. Als mein Großvater nach fünf Jahren nach Hause kam, war aber bei der Arader Bank kein Geld angekommen. Was war passiert? 1929/1930 war der große Crash der Banken in Amerika.
Nach einem Jahr Prozess mit der Bank bekam mein Großvater gerade noch die Hälfte seiner ersparten Dollar. Dennoch konnten meine Großeltern sich damit ein Haus bauen und dazu noch 15 Joch Feld, einen Weingarten mit Obstbäumen, eine Kuh und ein Pferd kaufen. Meine Großeltern führten ein gutes Leben. Man nannte die Heimkehrer aus Amerika „die reichen Amerikaner“, denn die Daheimgebliebenen lebten in vergleichsweise bescheidenen Verhältnissen, einige sogar in Armut.
Die fünf Jahre bei den Großeltern
Im Januar 1945 wurden die Banater Schwaben zwischen 18 und 45 Jahren zur Zwangsarbeit in die Kohlengruben der Sowjetunion verschleppt, so auch meine Mama Katharina Becker, geborene Adam.
Ich war gerade vier Jahre alt. In diesen fünf Jahren ersetzten meine Großeltern mir die Eltern. Ich wuchs bei meinen Großeltern sehr behutsam auf, wurde mit viel Liebe erzogen. Wir waren fünf Jahre lang eine Generation ohne Eltern. Die meisten dieser Generation blieben Einzelkinder, so auch ich. Vorher waren unsere Väter im Krieg. Viele kamen nicht in ihre Heimat zurück. Auch mein Vater Ludwig Becker fiel am 5. Februar 1945 in Frankreich, kurz bevor im Mai 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Zum Glück hatte ich meine Großeltern. Mein Großvater, der die Musik sehr liebte, kaufte mir ein Akkordeon. Damals war ich neun Jahre alt.
Der Umzug nach Neuarad und Aussiedlung
Meine Großeltern verkauften ihr Haus in Kreuzstätten und kauften eines in Neuarad, Siegmundhausen, mit einem großen Weingarten und vielen Obstbäumen. Hier lebten wir alle zusammen. Hier wuchs auch meine Tochter Brigitte auf. Meine Großeltern waren die besten Urgroßeltern. Mit 70 Jahren erlitt mein Großvater einen Schlaganfall. Er erholte sich nur langsam. Meine Oma Magdalena Adam starb 1975. Sie ist auf dem Neuarader Friedhof begraben.
1976 kam ich mit meiner Tochter nach Österreich, nach Steyr, zu meinem Mann. 1979 wanderte meine Mama mit meinem Großvater von Neuarad nach Deutschland aus. Sie lebten in Traunreut in Bayern. Beide bekamen Rente, kauften sich ein Eigenheim und hatten ein gutes Leben. Mein vielgeliebter Großvater wurde 92 Jahre alt. Am 20. Dezember 1990 hörte sein gutes Herz auf zu schlagen, ich war mit meiner Mama dabei. In Traunreut fand mein Großvater seine letzte Ruhestätte.