Die letzten drei Jahre bescherten unserer Gemeinschaft bedeutende Jubiläen: 300 Jahre seit der Ansiedlung unserer Ahnen, 200 Jahre seit der Weihe der katholischen Kirche und nun 300 Jahre deutschsprachiges Schulwesen in Neuarad. Die Einladung des „Adam Müller Guttenbrunn“- Lyzeums und des Demokratischen Forums der Deutschen in Arad (DFDA) zur Jubiläumsfeier unserer deutschen Schultradition in Neuarad haben meine Frau und ich (als ehemaliger Absolvent und Vorsitzender der HOG Neuarad) gerne angenommen.
Rückblick in die jüngere Geschichte
Ich habe meine Kindheit und Jugend in Neuarad verbracht und war 12 Jahre lang Schüler dieser deutschen Schule, die ich 1975 mit dem Abitur beendete. Die Schule hatte im Laufe der Zeit viele Namen. Im meinem letzten Schuljahr (1975) stand auf der Armnummer, die ich an meiner Schuluniform trug, neben meiner Matrikelnummer der Name „Liceul de Cultură Genarală Nr. 5“. Der Unterricht fand verteilt auf fünf Gebäude statt: Die Klassen 1 - 4 waren in der Popa-Ṣapcă und Karl-Marx-Straße untergebracht, während die Klassen 8 - 12 ihre Klassenräume in den Gebäuden mit den Nummern 77, 93 und 88 in der Karl-Marx-Straße hatten.
Unmittelbar nach dem Zeiten Weltkrieg konnte der Unterricht in deutscher Sprache nur noch privat durch Nonnen erteilt werden. Das rumänische Schulgesetz vom 3. August 1948 erlaubte auch wieder Staatsschulen für die nationalen Minderheiten. Am 1. September 1950 wurde die ,,Deutsche Pädagogische Lehranstalt“ in Neuarad eröffnet, um Lehrkräfte für die deutschen Schulen auszubilden. Sie wurde aber bereits 1955 in ein deutsches Lyzeum umgewandelt, das seine Eigenständigkeit bis 1960 bewahren konnte. Von 1960 bis 1972 war es als deutsche Abteilung dem neugegründeten rumänischen Lyzeum in Neuarad angegliedert.
Da das Einzugsgebiet der Oberstufe sich zeitweilig über 20 Ortschaften rund um Arad erstreckte und die Anreisebedingungen oft sehr schlecht waren, unterhielt die Schule ein Internat, das zumeist von den deutschen Schülern in Anspruch genommen wurde.
Im Jahre 1969 begann man mit dem Bau eines neuen Lyzeums in Sigmundhausen, einem Vorort von Arad, das im Schuljahr 1972/73 seinen Betrieb aufnahm. Auf Drängen des Kreisrates mit dessen Vorsitzendem Franz Marx wurde im Frühjahr 1972 durch das Sekretariat des Kreisparteikomitees Arad beschlossen, ab dem Schuljahr 1972/73 im alten Lyzeumsgebäude wieder ein deutsches Lyzeum in Neuarad zu gründen. Der Kreisrat schlug Franz Straub als Direktor und Franz Pretz als stellvertretenden Direktor dafür vor.
Wiederbelebung des Kulturlebens
Da in den letzten Jahren an den alten Schulgebäuden keine Reparaturen mehr vorgenommen worden waren, befanden sich diese in einem erbärmlichen Zustand. Die Dächer und viele Fenster und Türen waren undicht, Fußböden löchrig, Außenfassaden abgebröckelt und schäbig, fast kein Kachelofen funktionierte. Da von Seiten der Behörden die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt wurden und viele Neuarader Eltern leitende Stellungen in Arader Bauunternehmen hatten, ist es sehr bald gelungen, die nötigen Arbeiten in die Wege zu leiten, um die Gebäude zu renovieren. An Nachmittagen und an Wochenenden leisteten bis zu dreißig Eltern und einzelne Lehrkräfte - diesmal im wahrsten Sinne des Wortes – freiwillige Arbeit für die Renovierung der Schule. In relativ kurzer Zeit konnten fast alle Dächer umgedeckt, die Außenfassaden aller Schulgebäude ausgebessert und getüncht, viele Klassenräume mit Parkett ausgelegt, die Kachelöfen überholt, alle Klassenräume getüncht sowie ein dringend benötigter Turnsaal errichtet werden. Im Keller unter dem Verwaltungsgebäude wurde ein Freizeitklub eingerichtet, um den uns die Schüler anderer Schulen beneideten.
Der Schulleitung gelang es, in fast allen Fächern neben den schon vorhandenen weitere gut qualifizierte Lehrer für die Schule zu gewinnen, so dass der Unterricht zur allgemeinen Zufriedenheit ablaufen konnte. Es war aber auch ein besonderes Anliegen der Schule, das Kulturleben in Neuarad zu beleben. Durch eine schuleigene Kulturgruppe wurde die Schule wieder zum Zentrum der Entfaltung deutscher Kultur im Kreis Arad. Neben dem vorhandenen gemischten Orchester wurde ein Quintett und ein zahlenmäßig starkes Blasorchester gegründet, die sich besonderer Beliebtheit erfreuten und im weiten Umkreis von Arad bekannt wurden.
Eines der wichtigsten kulturellen Ereignisse im Winter 1972/73 für unsere Schule war die Wiederaufnahme des traditionellen Schwabenballs, der in jenem Jahr besonders groß gefeiert wurde. Mit der Neuarader Kirchweihjugend und in Tracht gekleideten Eltern aus Neuarad und anderen Banater Ortschaften marschierten 96 Trachtenpaare auf und sorgten für einen gelungenen Abend.
Politische Unwägbarkeiten
Die Arbeit der Schule erfreute sich der allgemeinen Anerkennung von Seiten der Eltern und der deutschen Bevölkerung, sie wurde aber vor allem von Seiten der politischen Machthaber oft mit Skepsis und Neid in einer bedrohlichen Haltung beobachtet. Besonders angekreidet hat man dem Schulleiter die Ausstattung der Schule mit Unterrichtsmaterialien und Geräten aus der Bundesrepublik, etwa einem Epidiaskop, einem Tonbandgerät, fünf Tageslichtschreibern, einem Stroboskop, zwei Plattenspielern, 120 mit deutscher Literatur besprochenen Tonbändern, sehr vielen Büchern und sogar einem kleinen Planetarium.
1973 ist der Studiendirektor von einem Besuch in der Bundesrepublik nicht mehr zurückgekehrt. Nun wurde ein in Arad wegen seiner nationalistischen Gesinnung und Skrupellosigkeit bekannter und verrufener Lehrer als Studiendirektor ans Gymnasium delegiert, der Auftrag hatte, unsere Tätigkeit zu kontrollieren und möglichst zu bremsen, woraus er auch kein Hehl machte. Das ging so weit, dass er in einzelnen Klassen Schüler beauftragte, ihm über gewisse Lehrer und Tätigkeiten zu berichten. Ab dem Schuljahr 1973/74 wurde der politische Druck auf das Lyzeum durch die Vorhaltungen und Schikanen des Schulinspektorats und der Partei immer größer.
Dadurch war die Tätigkeit von Direktor Straub sehr eingeschränkt, und es wurde ihm klar, dass sein Bleiben am Gymnasium nicht mehr von langer Dauer sein konnte. Mit Beginn des Schuljahres 1974/75 wurden die Zerwürfnisse mit dem Schulinspektorat wegen der Machenschaften bei der Einstellung einer neuen Lehrkraft immer stärker, was am 16. November 1974 zu seiner Demission und gleichzeitiger Entfernung von der Schule führte. Von den politischen Zerwürfnissen zwischen dem Schulinspektorat und der Schulleitung haben wir als Schüler nicht viel mitbekommen. Unsere schulische Ausbildung (ich spreche von den Jahren 1963 bis 1975) hat darunter nicht gelitten.
Die Gründung des Lyzeums fiel damals in die Euphorie des allgemeinen Aufbruchs für die deutsche Bevölkerung, die dann leider nur von kurzer Dauer war. Doch dieses kurze Zeitfenster wurde fruchtbringend ausgenutzt. Das Motto war: „Das erledigen wir noch, auch wenn es vielleicht unsere letzte Tätigkeit ist.“ Die Zeit war kurz, oft anstrengend, hat aber insgesamt sehr viel Freude bereitet - Freude, die vor allem durch das Echo bei Eltern und Schüler aufkam. Es war im Rückblick eine schöne Zeit.
„Viele Absolventen des Neuarader Gymnasiums haben ihr Leben bewundernswert gemeistert. Viele unserer Schüler haben nach der Reifeprüfung die Hochschule besucht und mit bestem Erfolg beendet. Sowohl vor meiner Zeit als auch aus meiner Zeit sind uns von Absolvententreffen her viele in Erinnerung, die hier in der Bundesrepublik als Ärzte, Ingenieure, Techniker, Lehrer oder auch in künstlerischen Bereichen tätig sind und hervorragende Stellen einnehmen. Wir mussten uns mit unserer Schule in Rumänien nicht schämen!“, so die Einschätzung von Direktor Franz Straub.
Die Informationen zum Werdegang der deutschen Schule zwischen den Jahren 1945 bis 1975 stammen aus den Aufzeichnungen von Franz Straub, unser sehr geschätzter Direktor, die auf der Homepage der HOG Neuarad (www.hog-neuarad.de) abrufbar sind. Eine ausführliche Chronik der Schule mit deutscher Unterrichtsprache in Neu-Arad kann man im „Heimatbuch der Marktgemeinde Neuarad“ von Dr. Anton Peter Petri nachlesen.
Neustrukturierung nach der Wende
Nach dem Fall des kommunistischen Regimes fanden auch im Schulwesen grundlegende Änderungen statt. Wegen der massiven Auswanderung der deutschen Bevölkerung aus Rumänien schien das deutsche Schulwesen zusammenzubrechen. Das geschah dann glücklicherweise nicht, weil die lokale Bevölkerung großes Interesse an der deutschen Sprache und Kultur bekundete. So wurde die Schule in ein Lyzeum mit deutscher Unterrichtssprache. Seit 1999 trägt sie den Namen „Adam Müller Guttenbrunn“, den sie schon früher in Arad trug.
Bereits 2005 wurden drei der vier Schulgebäuden der katholischen Kirche rückerstattet. Für die nun anfallende Miete kam die Stadtverwaltung auf. Seit Jahren suchten die Schulleitung und das Demokratische Forum der Deutschen aus Arad nach Alternativen. Eines der vier ursprünglichen Gebäude hat das Lyzeum „Adam Müller-Guttenbrunn“ bereits im Sommer 2010 nach Rückerstattung an die Kirche aufgegeben, zwei weitere im Frühjahr 2011. Von den alten Schulgebäuden blieb nur das Gebäude an der Hauptstraße Neuarads, Calea Timișoarei 67 (vormals Bulevardul Karl Marx) erhalten, wo die Klassen 1 - 4 untergebracht sind. Im Sommer 2010 wurden das deutschsprachige „Adam-Müller-Guttenbrunn“-Lyzeum und die Allgemeinschule Nr. 20 aus demselben Stadtviertel zu einer Schule zusammengeführt, die den Namen des deutschen Lyzeums trägt. Es handelte sich hierbei um eine moralische Wiedergutmachung, denn die Allgemeinschule Nr. 20 hatte man in den 1970er Jahren vom deutschen Lyzeum abgetrennt und ausschließlich den rumänischen Klassen zur Verfügung gestellt.
Einen wichtigen Einfluss auf die religiöse Orientierung und Geschichtsbildung der Neuarader Jugend hatte übrigens unser Pfarrer Dr. Anton Schulter, der uns ab der neunten Klasse erstmals die Geschichte der Banater Schwaben seit ihrer Ansiedlung erklärte. In keinem unserer schulischen Geschichtsbücher wurde je ein Satz darüber geschrieben.
Die Jubiläumsfeier der Neuarader Schule
Die Frage: „Wie feiern Sie 300 Jahre Deutschunterricht in Arad?“ beantwortete der derzeitige Schuldirektor Adrian Apătean: „Zunächst einmal ist es nicht nur unsere Feier, sondern es ist eine Feier der gesamten Gemeinschaft. Auch das Deutsche Forum mit dem Jugendverband Banat-JA, die Kommunen, die Schulpartner und die Universitäten von Arad sind hier beteiligt, weil wir wollen, dass es ein Moment ist, um Bildung und Gemeinschaft zu feiern. Lassen Sie uns Momente haben, in denen wir unsere Vorfahren ehren, unseren Zeitgenossen gratulieren und unseren Partnern dafür danken, dass sie an unserer Seite sind.“
Bei der Enthüllung der Gedenktafel am Schulgebäude in der Calea Timiṣorii Nr. 67 hob der Vizekonsul der Bundesrepublik Deutschland in Temeswar Siegfried Geilhausen in seiner Rede hervor: „Das AMG-Lyzeum hat Generationen von Schülern geprägt und ihnen nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Werte wie Toleranz, Zusammenhalt und Offenheit gegenüber anderen Kulturen.“ Der Ehrenvorsitzende des DFDA und ehemalige Schulleiter Michael Szellner ging in seiner Rede auf die historischen Anfänge der Schule im Jahr 1723 ein.
Die Feierlichkeiten wurden anschließend im Festsaal des DFDA fortgesetzt, in dem Politiker wie Ovidiu Ganț, Lehrer und ehemaliger Schüler des Lyzeums, das Wort ergriffen. Seitens der HOG Neu-Arad richtete Josef Künstler Grußworte an die Organisatoren und Gäste.
Die Vorsitzende des DFDA Bettina Nicoară-Szellner ging in ihrer Rede auf die Bedeutung der Schule ein und zitierte den ehemaligen Schuldirektor Franz Straub: „Die Schulzeit ist einer der wichtigsten Abschnitte im Leben eines Menschen. In der Schule wird die Grundlage seiner späteren Kenntnisse und Fähigkeiten gelegt und zur gleichen Zeit werden wichtige Tugenden herausgebildet und praktiziert, die das Zusammenleben in der Gesellschaft sichern. In der Schule werden wichtige Grundlagen der Persönlichkeit entwickelt. Mit der Schule verfolgt der Staat auch das Ziel, später für ihn notwendige und nützliche Bürger heranzuziehen. Es ist die Zeit, in welcher die Formbarkeit und Entwicklung des Menschen mit vielen Emotionen verbunden ist, in der sich auch die komplexesten Gefühle entfalten. All diese Faktoren bewirken, dass die Schulzeit mit all ihren Erlebnissen und Emotionen sich in uns einprägt und diese, je mehr wir uns zeitlich davon entfernen, zu Erinnerungen werden.“ Selbst die „dunklen Flecken schlechter Erinnerungen“ lassen nach Straubs Überzeugung „das Silber der Freuden schillern“.
Anschließend stellte Bettina Nicoară-Szellner das Buch „Deutsches Schulwesen in Arad“ vor, eine Chronik der deutschen Schule, die zum Anlass des Jubiläums auf Initiative des DFDA erschienen ist. Als bleibende Erinnerung an das 300-jährige Jubiläum des deutschsprachigen Schulwesens in Neuarad wurde den geladenen Gästen je eine Urkunde und ein Holzstandbild mit dem Logo des „Adam Müller Guttenbrunn“-Lyzeums und den Jahreszahlen 1725-2025 ausgehändigt.
Es war mir eine Ehre und erfüllte mich mit großem Stolz, als ältester anwesender Absolvent dieser Schule Teil der 300 Jahre alten Schultradition gewesen zu sein.