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„Was die können, können wir auch!“ - Zwei Sacklaser auf Radtour ins Banat

Drei aus dem Jahrgang 1957: Ewald Neu (Mitte) empfängt die Fahrradfahrer in ihrem Heimatort Sackelhausen: Hans Keller (li.) und Erwin Kreis (re.). Foto: Ewald Neu

Mit dem Rad durch vertraute Landschaften unterwegs ins Banat Foto: Erwin Kreis und Hans Keller

Nach Überquerung der Grenze geht die Fahrt durch Grabatz Richtung Sackelhausen vorbei an alten Häusern, die Erinnerungen wecken. Foto: Erwin Kreis und Hans Keller

Das war der Gedanke von Hans Keller, gebürtiger Sackelhauser. Inspiriert hatte ihn das Wagnis von Elke und Horst Wagner, die im glühend heißen Augustsommer des Jahres 2023 mit nichts als Muskelkraft und Entschlossenheit die lange Strecke von ihrem Zuhause in Metzingen bis nach Sackelhausen bewältigt hatten. Ein Unternehmen voller Strapazen in der sengenden  Sonne. Sie hielten durch, getrieben von der Sehnsucht nach der alten Heimat und unerschütterlicher Willenskraft. Für das Paar war es war eine „etwas andere Hochzeitsreise“ zum 25-jährigen Hochzeitstag.
Von diesem Vorbild motiviert, hatte Hans Keller gemeinsam mit seinem Freund Erwin Kreis den Entschluss gefasst, sich auf den Sattel zu schwingen und mit dem Fahrrad den weiten Weg von Passau bis ins Banat anzutreten – hinein in die Erinnerungen der Vergangenheit, hin zum Heimatdorf Sackelhausen.
Hans und Erwin starteten mit ihren Fahrrädern ab Passau. Christine Neu führte im Rahmen ihres Projekts „Zeitzeugenberichte“ nach der Tour ein Gespräch mit den beiden, das von Brunhilde Forro auf Video aufgezeichnet wurde und von dem hier ein Ausschnitt veröffentlicht wird. (Das ganze Interview kann auf dem YouTube-Kanal von Brunhilde Forro: www.youtube.com/@BrunhildeForro nachgehört werden.)

Erwin, du bist 1957 in Sackelhausen geboren, warst du schon als Kind ein begeisterter Radfahrer?
Erwin: Teilweise schon. Mit Mitte vierzig habe ich in Deutschland das Radfahren aber wieder für mich entdeckt. Im Laufe der Jahre haben sich meine Prioritäten verändert, und heute steht für mich besonders die Natur im Vordergrund. Das Radfahren hat mir wesentlich geholfen, schwierige Zeiten zu meistern. Auch besuche ich regelmäßig ein Fitnessstudio, um meine Ausdauer zu verbessern.

Wie viele Kilometer hast du/habt ihr schon auf dem Fahrrad zurückgelegt?
Erwin: Das kann ich so nicht beantworten, denn ich fahre mit verschiedenen Fahrrädern, je nach Strecke und Zweck. Mein E-Bike wiegt inklusive Batterie etwa 25 kg und unterstützt mich besonders beim Bewältigen von Höhenmetern. In der hügeligen Region rund um Markgröningen bin ich  regelmäßig mit einer Radler-Gruppe unterwegs. Gemeinsam legen wir Strecken von etwa 60 bis 70 km zurück und kehren zum Abschluss in eine Gaststätte ein. Zusätzlich nehme ich gelegentlich an geführten Radtouren in verschiedene europäische Ländern wie Italien, Frankreich und Österreich teil. Neben dem E-Bike nutze ich auch ein „Travel-Bike“, ein Geländerennrad. Es wiegt etwa 8 kg und ist besonders für Schotterwege geeignet. Damit unternehme ich häufig Solo-Touren in der näheren Umgebung. Nun haben Hans und ich beschlossen, eine Fahrradtour nach Rumänien zu wagen.
Hans: Wir sind im gleichen Jahr geboren und verbrachten unsere Kindheitsjahre zusammen, bis sich unsere Wege in der Berufsschule in Temeswar trennten. 1980, im Alter von 23 Jahren, verließ ich Rumänien. Lange Zeit war ich nicht da, doch mit den Jahren wächst das Verlangen, an den Ort zurückzukehren, wo die Wurzeln sind, wo das vertraute Zuhause war. Erst mit dieser Fahrradtour bin ich wieder dorthin gereist und musste sehen: Das Haus war nicht mehr da. Es war ein schmerzlicher Anblick, der mir tief zu Herzen ging. Heute lebe ich in Monheim am Rhein, wo nur wenige Banater eine neue Heimat gefunden haben. Das Fahrradfahren entdeckte ich erst im Ruhestand. Meist fahre ich allein, manchmal begleitet mich auch der eine oder andere Freund.

Wie kam der Entschluss zu der Fahrradtour?
Erwin: Ich denke es war beim Sackelhauser  Kirchweihfest, da kam die Idee auf, nach Sacklas mit dem Fahrrad zu fahren.  Was zunächst ein harmloser Spaß war, nahm schnell Fahrt auf. Der wahre Motor waren eigentlich Elke und Horst – obwohl wir einige Jahre älter sind, sagten wir uns: „Das können wir auch!“ Als Rentner haben wir nun die kostbare Freiheit, das Leben in seiner ganzen Fülle zu erleben. Doch trotz der Vorfreude schwang immer eine leise Sorge mit: Die Gesundheit könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen.

Wo habt ihr die Reise begonnen?
Erwin: Wir fuhren mit dem Zug von Stuttgart nach Passau und am 10. Juni 2024 um 12 Uhr mittags sind wir mit unserer Fahrradtour gestartet. Unser Ziel war es, täglich etwa 100 Kilometer zu fahren. Durch Österreich brauchten wir fünf Tage. Durch die Überschwemmungen der Donau, die auch die Radwege entlang des Flusses betrafen, mussten wir leider viele Umwege in Kauf nehmen, was uns erheblich Zeit kostete.

Was habt ihr unterwegs erlebt?
Erwin: In Ungarn wurde es bedeutend wärmer, immer wieder hielten wir im Schatten einer Akazie an, um auszuruhen. Unsere Gastgeber waren überall herzlich. In Rumänien übernahm ich das Sprechen, da ich geübter in der rumänischen Sprache bin. Bei unserem Vermieter stellte sich heraus, dass er früher bei der Securitate gewesen war, was bei uns ein gewisses Unbehagen auslöste.
In allen Ländern, die wir durchquerten, hatten wir stets die Möglichkeit, unsere Fahrräder abzustellen und abzuschließen – nur in Rumänien war das nicht der Fall. Der Gastgeber versicherte uns, dass nichts passieren würde, aber wir vertrauten ihm nicht ganz, da wir nur noch wenige Kilometer von unserem Ziel entfernt waren und nichts riskieren wollten. Am nächsten Morgen, als der Vermieter nach den Fahrrädern fragte, antworteten wir, dass wir sie im Zimmer abgestellt hätten. „Das war nicht vereinbart“, sagte er mit einem missmutigen Blick. Ich drehte mich um und sagte: „Hans, wir haben heute unsere erste Reklamation!“ und so nahmen wir diese kleine Episode mit Humor, als Teil einer Reise, die uns noch viele Geschichten bescheren würde.

Ihr habt euch voller Euphorie und voller Energie auf den Weg gemacht. Gab es auch Tage, wo ihr am Verzweifeln wart?
Hans: Natürlich gab es solche Tage. Wir sind nicht an unseren Kräften, sondern am Weg verzweifelt. Die ersten Tage waren super. Doch nach Wien, Richtung  Budapest, wurden die Wege immer schlechter. Wenn man viel Fahrrad fährt, merkt man auch, dass das an den Kräften zehrt – egal,  ob man jung ist oder älter.

Habt ihr auch Pannen gehabt?
Hans: Durch das Hochwasser war der Fahrradweg mit Schlamm bedeckt, wir stürzten beide auf der rutschigen Strecke. In Ungarn waren die Radwege in vielen Bereichen nicht ausreichend gewartet – so viel Staub wie dort habe ich mein Lebtag nicht gesehen. Eine der ersten größeren Herausforderungen bestand schon in der Überquerung einer  Brücke bei Linz.

Wie waren die Fahrradwege?
Hans: In Österreich und bis Budapest waren die Radwege durchweg gut ausgebaut und sauber gehalten. Allgemein verschlechterte sich in Ungarn die Infrastruktur zunehmend, mit häufigen Umleitungen und der zusätzlichen Schwierigkeit der Sprachbarriere. In Rumänien gab es kaum funktionale Radwege – einige befinden sich noch im Ausbau, wobei oft Brücken über Wassergraben fehlen. Unser Ziel war es, möglichst vom Verkehr abzukommen, was jedoch nicht immer möglich war. Auf der Strecke von Sacklas nach Temeswar ist die Fahrt mit dem Rad eine erhebliche Herausforderung. Einzig beim Grenzübergang in Tschanad gibt es einen Fahrradweg, dann kaum noch welche. Radfahrer müssen meist auf der Straße fahren. Hie und da wurden Fahrradwege angelegt, sind teilweise jedoch noch nicht fertig.

Hattet ihr während der Fahrt Gelegenheit zum Reden?
Erwin: Wir haben während der Fahrt immer miteinander kommuniziert, auch wenn wir nebeneinander gefahren sind. Außerdem hatten wir eine Musikbox dabei und spielten laut Blasmusik ab.

Was hat euch auf eurer Reise besonders gut gefallen?
Hans: Die Fahrt entlang der Donau war landschaftlich sehr reizvoll. Die Schönheit der Umgebung lässt sich auf Fotos nur unvollständig festhalten. Obstgärten säumten den Weg und wir genossen viele reife Aprikosen. Auch und sonst haben wir viel Obst gegessen. Unterwegs begegneten wir anderen Radfahrern, kamen mit ihnen ins Gespräch und tauschten uns aus.
Erwin: Die Freundlichkeit der anderen Radfahrer trug dazu bei, dass wir uns während der gesamten Fahrt gut zurechtfanden. Dank der englischen Sprachkenntnisse von Hans konnten wir problemlos mit Menschen aus verschiedenen Regionen kommunizieren und erhielten stets die nötigen Informationen. Die Reise verlief dadurch reibungslos, und wir konnten die landschaftlichen Eindrücke genießen.

Wie habt ihr die Übernachtungen gebucht?
Hans: Die ersten zwei bis drei Übernachtungen hatten wir im Voraus über Booking.com reserviert. Ab dem vierten Tag buchten wir unsere Unterkünfte jeweils für den nächsten Tag, je nachdem, wo wir gerade waren. In allen Unterkünften konnten wir problemlos mit Euro bezahlen.

Wie war es für euch, jeden Tag der alten Heimat ein Stück näher zu kommen?
Erwin: Je näher wir unserem Ziel kamen, desto früher starteten wir morgens, um die vorgenommene Strecke entspannt zu bewältigen. Während dieser Zeit fanden die Europameisterschaften statt. Wir planten unsere Tagesetappen so, dass wir keine Spiele verpassen. Besonders wichtig war es uns, rechtzeitig an die Kirche in Sacklas zu kommen, das war unser Plan.

Das hat gut geklappt: Erwin Kreis und Hans Keller sind am Freitag, den 21. Juni 2024, beim Mittagsläuten an der Katholischen Kirche Sankt Michael in Sackelhausen angekommen.

Was für Gefühle haben euch auf eurer Reise begleitet?
Erwin: Auf unserem Weg hielten wir immer wieder an Kirchen an und kehrten ein. Das Stift Melk war dabei ein ganz besonderer Ort. Trotz des schweren Gepäcks, das wir mit uns führten, hatten wir immer das Gefühl, von Glück begleitet zu werden. Diese Momente, in denen wir innehalten konnten, verliehen der Reise eine besondere Bedeutung. Als wir nach Rumänien einreisten, mussten wir oft auf der Straße fahren, das rief ein mulmiges Gefühl bei mir hervor. In Beregsau machten wir länger Halt, unterhielten uns mit Leuten und nahmen dann die letzten sechs Kilometer nach Sackelhausen in Angriff. Auf dieser Straße wurde es wegen des Verkehrs zunehmend gefährlich, was die letzte Etappe der Reise zur großen Herausforderung machte.

Was haben die Leute in Sackelhausen über eure Fahrradtour gesagt?
Erwin: Zu Beginn glaubten mir die Menschen nicht, dass wir mit dem Fahrrad angereist sind. Erst als ich ihnen die Fotos zeigte, waren sie überzeugt. Im Dorf sprach sich schnell herum, dass wir mit dem Fahrrad nach Sacklas gekommen waren, und es kamen mehrere Personen auf uns zu, um mit uns darüber zu reden und uns zu beglückwünschen. Wir nahmen dann auch an der rumänischen „Ruga“, der Kirchweih, in Sackelhausen, teil.

Was hat dieses Erlebnis bei euch ausgelöst?
Erwin:  Diese Route wird mir immer in Erinnerung bleiben. Doch trotz meiner regelmäßigen Fahrradtouren denke ich nicht, dass ich diese Strecke nochmal fahren werde. Ich plane allerdings, die Strecke von Passau nach Wien erneut zu fahren. Der Donau-Radweg bietet eine hervorragende Möglichkeit, die Natur und Landschaft entlang des Flusses zu erleben. Für die Rückreise möchte ich dann das Schiff nutzen, um die Landschaft aus einer anderen Perspektive zu genießen.
Hans: Vielleicht werde ich die Strecke noch einmal fahren, aber sicher nicht allein, und dann vielleicht ab Wien, sodass es nur noch 600 Kilometer bis zum Ziel wären. Was auch immer passiert, die Erinnerung an diese Route bleibt. Vielleicht gibt es eines Tages Gelegenheit, sie erneut zu erleben.

Ihr könnt jetzt aus Erfahrung sprechen: Was würdet ihr für so eine Reise weiterempfehlen?
Erwin: Die Reise ist definitiv machbar, und die Unterstützung durch das E-Bike macht alles viel angenehmer, besonders auf längeren Strecken oder in hügeligem Gelände. Es war eine wunderschöne Erfahrung, die uns nicht nur landschaftlich, sondern auch durch kleine, unerwartete Begegnungen bereicherte. In Ungarn zum Beispiel haben wir eine Schlange gesehen. Morgens, während wir unterwegs waren, hörten wir das Krähen der Hähne  und Gackern der Hühner  – eine sehr ländliche Landschaft.
Ein wichtiger Tipp, den wir auf der Reise gelernt haben: Nicht zu viel Gepäck mitnehmen! Zu viel Ballast auf längeren Strecken kann  schnell unangenehm werden. Weniger ist mehr, und mit leichtem Gepäck ist die Reise viel angenehmer.

Wie steht ihr in eurem jetzigen Lebensabschnitt zu Sacklas?
Hans: Sacklas ist nicht mehr das, was wir einst kannten. Die Zeit bleibt nicht stehen, und Veränderungen sind unvermeidlich. Konstant bleiben jedoch die Kirche und der Friedhof. Selbst hier kommen neue Gräber hinzu, die das Erscheinungsbild verändern. Ein besonders schöner Moment war der Empfang bei Ewald in Sacklas, Hausnummer 35. Als unser Jahrgangskollege sorgte er für eine heimatliche Willkommens-Atmosphäre, in der wir uns sofort wohlfühlten.
Erwin: Ich werde nächstes Jahr auch wieder in die alte Heimat fahren, nicht mit dem Fahrrad, sondern zu den Heimattagen der Deutschen im Banat. Für uns beide war das Heimatgefühl ein wesentlicher Antrieb für dieses Vorhaben. Wir hatten einen starken Willen und die innere Leidenschaft, die uns dazu bewegt haben.
Mir Sacklaser sen stolz uf eich!