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Gedenkfeier zur Deportation: 80 Jahre und kein Vergessen

Zum Ende der Veranstaltung versammelten sich zahlreiche Kinder und Enkel für ein Gruppenfoto auf der Bühne. Foto: Jürgen Griebel

Kinder, Enkel und Angehörige von ehemaligen Deportierten sowie an deren Schicksal Interessierte kamen zu der Gedenkfeier nach Ulm. Foto: Siegrun Jäger

Die Bundesvorsitzenden Peter-Dietmar Leber und Rainer Lehni führten durch die Veranstaltung. Foto: Jürgen Griebel

Ruth Maria Rossel umrahmte die Veranstaltung musikalisch. Foto: Jürgen Griebel

Nach der Gedenkfeier mit Kranzniederlegung am Donauschwabenufer trafen die zahlreich angereisten Teilnehmer im großen Saal des Ulmer Stadthauses zusammen, um die „Annäherung an das Ungesagte“ (so die Überschrift der Veranstaltung) zu wagen. Als Mittel, mit dem der Ereignisse diesmal gedacht werden sollte, haben die Veranstalter die Kunst und ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen gewählt und damit die Generationen der Kinder und Enkel der Deportierten in den Fokus gerückt.
Doch im ersten Teil der Veranstaltung wurde zunächst an die historischen Umstände erinnert, die im eisigen Januar 1945, vor genau 80 Jahren, zu der beispiellosen und bis heute ganze Generationen traumatisierenden Aktion geführt haben. Betroffen waren praktisch alle arbeitsfähigen Rumäniendeutschen – Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen, Sathmarschwaben und alle anderen, neben den Deutschen aus anderen Ländern Ost- und Südosteuropas.

Fakten zur Deportation
Die beiden Bundesvorsitzenden –  Peter-Dietmar Leber von den Banater Schwaben und Rainer Lehni von den Siebenbürger Sachsen – gingen in ihrem abwechselnd vorgetragenen Einführungstext auf historische Details der Ereignisse im Januar 1945 ein, die die Tragödie der südostdeutschen Gemeinschaften einläuteten. Rumänien hatte nach dem 23. August 1944 das Bündnis mit Nazideutschland aufgekündigt und war durch den Vormarsch der Sowjets auf die Seite der Alliierten getreten. Mit Stalins berüchtigter „Anordnung Nr. 7161“ wurde währenddessen die Deportation von Deutschen aus den „befreiten“ Ländern zur zwangsweisen Aufbauarbeit der zerstörten Industrie in der Sowjetunion beschlossen. Von der Mobilisation „für den Wiederaufbau der Kohlenindustrie im Donbass und der Hüttenindustrie im Süden“ betroffen waren alle Deutschen – Männer von 17 bis 45 Jahren und Frauen von 18 bis 30 Jahren. Die rumänische Regierung unter General Rădescu protestierte, jedoch ohne Erfolg. Ab dem 10. Januar 1945 begannen die Aushebungen in den Städten und Dörfern. Die sowjetischen Soldaten und rumänischen Polizeieinheiten trieben die auf den Listen vermerkten Personen zusammen und schafften sie zu den Sammelstellen für den Abtransport. Es wurde kein Unterschied gemacht, ob jemand Nazi oder Antifaschist gewesen war, noch wurden die Altersgrenzen verlässlich eingehalten – der jüngste Deportierte war 13, der älteste 55 Jahre alt. Insgesamt waren 112000 Personen aus Südosteuropa zum Wiederaufbau mobilisiert worden. Aus Rumänien waren es rund 70000, davon 30000 Siebenbürger Sachsen und 35000 Banater Schwaben. Für mehr als die Hälfte der Deportierten sollte dieser Leidensweg fünf ganze Jahre dauern, bis zum Herbst 1949. Über 10 Prozent überlebten dieses Martyrium nicht. Als Ironie der Geschichte hoben die Redner hervor, dass genau diese Deportationsgebiete seit 2014, dem Überfall Russlands auf die Ukraine, als Kriegsgebiete im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. „Es ist so, als ob die Menschheit nichts, aber auch gar nichts, aus der Geschichte gelernt hat.“

Die Deportation hatte nachhaltige Folgen für die Familien: manche wurden in die sowjetische Besatzungszone statt nach Rumänien entlassen, manche landeten in Westdeutschland. In Rumänien fanden die Deportierten veränderte Zustände – Enteignung und Entfremdung von ihren Kindern. Über ihre Erlebnisse durften sie nicht sprechen, denn die Deportation war ein großes Tabu der kommunistischen Regierung. Erst nach 1990 hat sich der rumänische Staat wiederholt für diese Verschleppungen entschuldigt und mit dem Dekret 118/1990 eine gesetzliche Grundlage der Entschädigung für das erlittene Unrecht geschaffen. Diese wurde 2013 auch auf die ausgewanderten ehemaligen Deportierten ausgeweitet. Seit 2020 können auch die Kinder und Stiefkinder der Deportierten die Entschädigungsleistung beantragen. „Rumänien hat sich seiner Vergangenheit gestellt und Verantwortung für diese Zeit übernommen. Dafür möchten wir hier dem rumänischen Staat danken, einen Dank, den wir auch speziell an die Mitwirkenden aus Rumänien und Deutschland richten, die sich für diese Entschädigungszahlungen eingesetzt haben“, so das Fazit der beiden Bundesvorsitzenden.

Gedenken an das Trauma
Auch unter den ausgewanderten Rumäniendeutschen und die Landsmannschaften war die Deportation lange Zeit kein offizielles Thema. Erst zum 50. Jubiläum 1995 fand in München auf Initiative aller südostdeutschen Landsmannschaften eine erste große Auseinandersetzung mit dem Thema statt. Mehr als 1000 ehemalige Deportierte kamen, oft mit ihren Familien, ihren Kindern. Die Historiker ordneten das Geschehen ein, die rumänische Regierung entschuldigte sich offiziell bei den Deportierten, es wurde eine große Ausstellung gezeigt, die Presse berichtete. Die Deportierten suchten nach Leidensgefährten. Es setzte eine intensive Beschäftigung mit diesem unbekannten Kapitel Nachkriegsgeschichte ein. Betroffene schrieben ihr Erinnerungen auf. Es entstanden dokumentarische Filmbeiträge, erste wissenschaftliche Veröffentlichen sorgten für Aufsehen, ehemalige Deportierte fuhren zu den Stätten des Leids, suchten, fast immer vergeblich, nach den Gräbern der Angehörigen, sammelten sich nach ehemaligen Lagerorten.

Heute gibt es nur noch vereinzelt Zeitzeugen der Erlebnisgeneration. Eine Umfrage im Stadthaussaal in Ulm ergab keine Meldung. Umsomehr liegt es  nun an den Kindern und Nachgeborenen der Deportierten, an das erlittene Unrecht zu erinnern, zumal das „Ungesagte“ sich auch in den nächsten Generationen der Familien ausgewirkt hat.

„Wir sind es unseren nachfolgenden Generationen schuldig, die Erinnerung daran wachzuhalten. Nicht nur weil die Deportation eines der markantesten Ereignisse in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben ist, aber auch, weil es die Folge eines unerbittlichen Krieges war, den gerade die Deportierten nicht mitzuverantworten hatten,“ so der Tenor der Gedenkveranstaltung.

„Wir verbinden dieses Gedenken mit dem Wunsch, dass dieses Leid unserer Eltern und Großeltern Mahnung für die Menschheit sein soll. Nie wieder Krieg, nie wieder Verschleppung, nie wieder Zwangsarbeit.“ Wie viele sich auch nach 80 Jahren  noch betroffen fühlen, zeigte sich am Ende der Veranstaltung, als die Kinder und Enkel der Deportierten zum Gruppenbild auf die Bühne gebeten wurden.

Das Ungesagte
Der 80. Jahrestag der Deportation von Deutschen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verlangt nach neuen Formen der Erinnerung. Eine Präsenz von unmittelbaren Zeitzeugen ist nur noch bedingt möglich, weil kaum noch jemand von ihnen lebt. Das Erinnern muss endgültig von einer neuen Generation übernommen werden, das heißt von jenen, denen vielleicht manches stockend und bruchstückhaft erzählt wurde, aber auch von jenen, die sich fragen, was ungesagt blieb.

Der Frage, ob die Kunst eine Sprache dafür findet, wurde im zweiten Teil der Veranstaltung in der Ulmer Stadthalle in einer Podiumsdiskussion nachgegangen. Unter der Moderation von Dr. Heinke Fabritius näherten sich die Kunsttherapeutin Erika Möwius, der Fotograf Marc Schroeder, die Schriftstellerin Iris Wolff und die Performerin Heike Schuster dem Ungesagten. Musikalisch trug Wilfried Michl aus Orzydorf (jetzt München) mit seiner Komposition zu dem Gedicht „Banat 49“ seines Landsmannes Rainer Kierer aus Homburg bei. In der nächsten Ausgabe der Banater Post berichten wir darüber ausführlich.

Unsere Ehrengäste
Martin Ansbacher, OB der Stadt Ulm
Helga Malischewski, Altstadträtin der Stadt Ulm
Erwin Josef Țigla, Vorsitzender des DFD im Banater Bergland für das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien
Dr. Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen
Miheia-Mălina Diculescu-Blebea, Generalkonsulin Rumäniens in München und Dr. Vlad Vasiliu, Generalkonsul Rumäniens in Stuttgart. Sie vertreten das neue Rumänien, welches welches in den demokratischen und freiheitlichen Strukturen Europas fest verankert ist und Verantwortung für die leidvolle Geschichte übernommen hat. Rumänien ist das einzige Land, welches die Verbrechen des Kommunismus und den Kommunismus als Staatsform offiziell als verbrecherisch verurteilt hat.

„Immer ist der Hunger da“
Die Banater Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hat die Deportation in ihrem Roman „Die Atemschaukel“ nicht nur in unser Gedächtnis gerufen, sondern auch in der gesamtdeutschen Literatur wie auch in der Weltliteratur bekannt gemacht. In ihrem Roman hat Müller Stoff aus ihren Gesprächen mit dem siebenbürgischen Lyriker Oskar Pastior, mit dem sie die Orte der Deportation besuchte, und anderen Deportierten verarbeitet. In diesem Roman heißt ein Kapitel „Vom Hungerengel“.Hieraus wurden in der Feier ein paar Zeilen zitiert, weil dieser Hungerengel das Hauptmotiv im Roman ist und die Handlung beeinflusst:
Immer ist der Hunger da.
Weil er da ist, kommt er, wann er will und wie er will.
Das kausale Prinzip ist das Machwerk des Hungerengels.
Wenn er kommt, dann kommt er stark.
Die Klarheit ist groß.
1 Schaufelhub = 1 Gramm Brot.
Ich bräuchte die Herzschaufel nicht. Aber mein Hunger ist auf sie angewiesen. Ich wünschte, die Herzschaufel wäre mein Werkzeug. Aber sie ist mein Herr. Das Werkzeug bin ich. Sie herrscht, und ich unterwerfe mich. Und doch ist sie meine liebste Schaufel. Ich hab mich gezwungen sie zu mögen. Ich bin unterwürfig, weil sie ein besserer Herr zu mir ist, wenn ich gefügig bin und sie nicht hasse. Ich hab ihr zu danken, denn wenn ich fürs Brot schaufle, bin ich abgelenkt vom Hunger. Weil der Hunger nicht vergeht, sorgt sie dafür, dass sich das Schaufeln vor den Hunger schiebt. Das Schaufeln ist an erster Stelle beim Schaufeln, sonst packt der Körper die Arbeit nicht.

Mahnung
Rose Schmidt aus Schweischer im siebenbürgischen Haferland, die 1995 den Sammelband „Das große Leid – Deportationsberichte“ veröffentlicht hat, hat ihrem Buch eine Mahnung vorangestellt:
Mensch wer Du auch immer seist,
richte Du nicht Deinen Bruder,
deinen Nächsten, deinen Freund.
Leg ab Gefühle der Verachtung,
Gefühle von Haß und von Neid.
Richte Du nicht den Fremden,
der dir Feind zu sein scheint.
Das Richten eines anderen
steht allein einem Höheren zu.
In Gottes gerechten Augen,
ist jeder ein Geschöpf wie Du.