„Du aber sollst in Ungarn schreiben, lehren, predigen und bekehren, solange die Zeit diese Arbeit verlangt.“ Diese eindringlichen, in der Legenda maior des hl. Gerhard überlieferten Worte sollen Bischof Maurus von Fünfkirchen/Pécs und Abt Anastasius von Fünfkirchen-Wardein/Pécsvárad an den in Venedig geborenen Benediktinermönch Gerhard, den es auf dem Weg ins Heilige Land nach Ungarn verschlagen hatte, gerichtet haben. Gerhard blieb und wurde 1030 erster Bischof des Bistums Maroschburg (Marosvár, Urbs Morisena; später Tschanad/Csanád). Nicht von ungefähr trägt die zum 80. Geburtstag von Altbischof Martin Roos im Jahr 2022 erschienene Festgabe in Anlehnung an die Legende des hl. Gerhard die Überschrift „Scribe, doce, praedica!“ (Schreibe, lehre, predige!). Herausgegeben wurde der 822-seitige Band von zwei Priestern des Bistums Temeswar: Universitätsprofessor Dr. Dávid Diósi, Dekan der Fakultät für Römisch-Katholische Theologie der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg und Vizerektor des Römisch-Katholischen Theologischen Instituts in Karlsburg, und László Bakó, ehemaliger Sekretär von Bischof Roos, nachmalig Pfarrer von Iratoșu (Kreis Arad) und Lehrbeauftragter am selben Karlsburger Institut. Der Huldigungsband enthält neben Grußworten von Bischöfen und Domherren der Schwesterdiözesen Temeswar, Szeged-Csanád und Großbetschkerek/Zrenjanin sowie der Diözese Großwardein 51 wissenschaftliche Studien zur Geschichte der Diözese Csanád und der Weltkirche, zur biblischen, systematischen und praktischen Theologie wie auch über den hl. Gerhard und den Namenspatron des Altbischofs, den hl. Martin, darüber hinaus zwei Beiträge über Martin Roos als Kirchenhistoriker und ein Werkverzeichnis des Jubilars.
Als Antwort auf und gleichzeitig als Dank für die ihm gewidmete Festschrift brachte Martin Roos anlässlich des 25-jährigen Jubiläums seiner Bischofsweihe im August 2024 das dreibändige Werk „Moresenae Æcclesiae cor meum. Der Kirche an der Marosch mein Herz!“ heraus. Zugeeignet ist es „meinen Priestern und Mitarbeitern, meinen Freunden und Weggefährten aus den vergangenen fünfundzwanzig Jahren in Dankbarkeit und Treue“. Roos legt mit dieser Trilogie eine Auswahl von Texten vor, die während seines Episkopats (1999-2018) und in der Zeit danach entstanden sind. Dabei ist der Bezug zur Festschrift augenscheinlich: Nicht nur, dass die Gliederung der Trias „Scribe – Doce – Praedica“ folgt, auch der Buchumschlag ist mit jenem des Huldigungsbandes identisch. Auf der Vorderseite ist in die Umrisse der alten Diözese Csanád die erste Seite der „Deliberatio“ des hl. Gerhard eingebettet, links oben ist das Brustkreuz von Bischof Roos abgebildet. Die Rückseite ziert der kostbare Hirtenstab des Bischofs Falkenstein mit dem Bildnis des hl. Gerhard in der Krümme – ein Prunkstück aus der Schatzkammer des Doms zu Temeswar.
Bekenntnis
Als ob es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, bringt der Titel der Trilogie ein klares Bekenntnis des emeritierten Bischofs zum Ausdruck: Sein Herz gehöre der „Kirche an der Marosch“. „Moresenae Æcclesiae“ ist die älteste, in der Überschrift von Gerhards „Deliberatio“ schriftlich belegte Bezeichnung des später Csanád genannten Bistums. Wer Bischof Roos näher kennt, wird bezeugen können, dass dies kein Lippenbekenntnis ist, sondern Ausdruck seiner unerschöpflichen Liebe zu Gott, zu seiner Heimatdiözese, zu ihren Völkern und Sprachen und zum eigenen Volksstamm. Diese innere Einstellung bestimmte sein Denken und Handeln – auch während seiner Studienjahre und seines priesterlichen Wirkens in Deutschland. „Ich habe mich in Deutschland zwar wohl gefühlt, aber meine Heimat war und blieb das Banat, meine geistige Heimatdiözese das Bistum Temeswar“, gestand er einmal in einem Interview. Während die deutschen Gläubigen massenweise ins Mutterland auswanderten und auch zahlreiche Geistliche das Banat verließen, ging Pfarrer Martin Roos den umgekehrten Weg. Er kehrte 1990 ins Banat zurück und stellte sich in den Dienst des neuernannten Bischofs Sebastian Kräuter. Als Kanzleidirektor und später als Provikar meisterte er mit großem Tatendrang und Einsatz die vielen Herausforderungen, vor denen die Temeswarer Diözese nach vier Jahrzehnten verwaistem Bischofssuhl stand: Wiederaufbau und Neuordnung des ausgebluteten Bistums, Schaffung tragfähiger kirchlicher Strukturen und Entwicklung einer neuen pastoralen Strategie, Erhebung der Wallfahrtskirche Maria Radna in den Rang einer Basilica minor, Rückerstattung kirchlicher Vermögenswerte, Sanierung und Neueinrichtung des Bischöflichen Palais, Sicherung von Kulturgütern und Kunstwerten in den verwaisten Pfarreien, Reorganisation und Ausbau des Diözesanarchivs und der Diözesanbibliothek, Einrichtung eines Diözesanmuseums und vieles andere mehr.
Aus dem 1999 übernommenen Bischofsamt erwuchsen dem Oberhirten der Diözese Temeswar neue Verpflichtungen, die er mit Eifer und Hingabe wahrnahm. Er ergriff Maßnahmen, um auf dem Weg der pastoralen und missionarischen Neuausrichtung der Kirche voranzuschreiten, ließ seinen Priestern eine vorbildliche geistliche Führung und Anleitung angedeihen, trachtete danach, den Gläubigen ein guter Hirte zu sein, junge Menschen für die Botschaft Jesu Christi zu begeistern und sie in das kirchliche Leben einzubinden, die Beziehungen zu den Schwesterdiözesen zu pflegen und auszubauen, den Kontakt zu den anderen christlichen Kirchen zu festigen und – als seine hervorstechende Leidenschaft – die Geschichte des alten Bistums Tschanad zu erforschen und durch Buchveröffentlichungen und Ausstellungen bekannt zu machen. Auf seine Anregung wurden zwei Großprojekte verwirklicht beziehungsweise in die Wege geleitet: die Sanierung und Renovierung der Wallfahrtskirche und des ehemaligen Klosterkomplexes zu Maria Radna sowie der St.-Georgs-Kathedrale zu Temeswar.
Bischof Roos’ Wirken als Kirchenmann und Historiker hat in den verstrichenen 25 Jahren eine Vielzahl von Texten und Ausführungen in schriftlicher Form hervorgebracht. Eine Auswahl daraus – rund 240 Texte unterschiedlichster Art, von denen viele erstmals veröffentlicht werden beziehungsweise bisher nur als bischöfliche Rundschreiben oder als gesprochene Predigten vorlagen – wird nun einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und zugänglich gemacht. Die 1318 Seiten umfassende Trilogie ist reichhaltig und stimmig illustriert.
Scribe / Doce
Der erste Band ist den Themenfeldern „Scribe/Schreibe“ und „Doce/Lehre“ gewidmet. Ersteres vereint „Größere Arbeiten und kürzere Artikel, Einführungen und Aufsätze“. Hier tritt der passionierte, akribisch recherchierende und verständlich formulierende Kirchenhistoriker in Erscheinung, der mit seinen wissenschaftlich fundierten Werken einen unschätzbaren Beitrag zur Aufarbeitung der fast tausendjährigen Geschichte des alten Bistums Tschanad und ihrer Nachfolgediözesen geleistet hat und nach wie vor leistet. Neben den Einleitungen zu den von Martin Roos verfassten Büchern (Erbe und Auftrag. Momente aus der Vergangenheit der Diözese Csanád und ihrer Nachfolgebistümer. Band I: Die alte Diözese Csanád, sechs Teilbände, 2009-2022; Gerhard von Csanád, 2017; Providentia Augustorum - Unter der Obhut des Kaisers, 2018; Die Kathedrale zum heiligen Georg zu Temeswar, drei Bände, 2021-2022) enthält dieses erste Kapitel ein Interview sowie drei bisher unveröffentlichte Beiträge, die in Zusammenhang mit der Herausgabe von Gerhards „Deliberatio“ in Faksimiledruck – 2018 auf Initiative von Martin Roos – entstanden sind. Darüber hinaus werden hier die Texte der beiden im Regensburger Verlag Schnell & Steiner erschienenen Broschüren über Maria Radna (Bearbeitung: Walter Kindl, 2015) und Morisena/Csanád/Tschanad (2019) sowie die Arbeit „Die Deutschen im Banat“ publiziert, die Roos für den Katalog der Ausstellung über das historische und kulturelle Erbe der Deutschen in Rumänien beigesteuert hat. Die Ausstellung fand 2019 im Museum für Geschichte Rumäniens in Bukarest statt.
Das zweite Kapitel „Doce/Lehre“ vereint unter dem Stichwort „Spiritualia“ Beiträge über ökumenische Erfahrungen in der Diözese Tschanad-Temeswar, über den Salvatorianer-Pater Paulus Weinschrott, Prälat Josef Nischbach (anlässlich seiner Beisetzung in der Krypta der Kathedrale zu Temeswar im Jahr 2000) und den im Bistum Tschanad geborenen Großwardeiner Geheimbischof Konstantin-Ignaz Bogdánffy (anlässlich seiner Seligsprechung 2010) wie auch zwei Interviews zum 50-jährigen Priesterjubiläum von Bischof Roos.
Administrativa
Die unter dem Stichwort „Administrativa“ veröffentlichten Texte, fast alle in den Rundbriefen erschienen, beziehen sich auf Verwaltungsangelegenheiten. Hier ist beispielsweise der erste Rundbrief des neuen Bischofs an seine Priester zu lesen, in dem er die Schwerpunkte der künftigen Arbeit definiert und seine Erwartungen an die Geistlichen kundtut. Infolge der Neugliederung des Gebiets der Diözese und der Schaffung dreier Erzdekanate sowie der Installierung des neuen Domkapitels erließ der Bischof eine Instruktion für Archidiakone und Dechanten wie auch neue Statuten des Domkapitels. Ihrer Bedeutung wegen werden Passagen daraus veröffentlicht. In vollem Wortlaut hingegen erscheinen die im Jahr 2002 beschlossenen neuen Statuten für die römisch-katholischen Friedhöfe in der Diözese Temeswar. Des Weiteren wird exemplarisch auf die kanonischen Visitationen in den Pfarreien und Gemeinden eingegangen, die der Bischof zwischen 2002 und 2010 absolviert hat.
Historica
Das nächste Unterkapitel mit der Überschrift „Historica“ umfasst neben einem Vortrag zum Thema eines Eigenkalenders des Bistums (Proprium dioecesanum) Texte, die sich auf Ausstellungen beziehen, an deren Konzeption Bischof Roos maßgeblich mitgewirkt hat: die 2015 in Maria Radna eröffnete Dauerausstellung zur Geschichte des Wallfahrtsortes, die Ausstellung zum 280. Jahrestag der Grundsteinlegung zur Sankt-Georgs-Kathedrale, die 2016 im Dom gezeigt wurde, sowie die große Ausstellung aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums der Befreiung der Stadt Temeswar von der osmanischen Herrschaft. Letztere, auf Initiative von Bischof Roos und in Kooperation zwischen mehreren Institutionen zustande gekommen, war 2016 in der Theresienbastei und im Diözesanmuseum zu sehen.
Praedica
Der zweite Band, mit knapp 600 Seiten der umfangreichste der Trilogie, bietet im dritten Kapitel „Praedica/Predige“ eine große Auswahl an Predigten, Botschaften und Ansprachen des Bischofs zu verschiedenen Anlässen: Hochfeste des Kirchenjahres (Weihnachten, Erscheinung des Herrn, Gründonnerstag, Ostern, Pfingsten), Wallfahrten zur Kathedrale in Temeswar, nach Maria Radna und nach Tschanad, Amtseinführungen von Erzdechanten und Dechanten, Bischofskonsekrationen sowie Diakonen- und Priesterweihen, Konsekrationen von Altären und Kirchen, Jubiläen von Pfarrkirchen, verschiedene andere kirchliche und außerkirchliche Anlässe. Nachdem die Verkündigung in der Temeswarer Diözese stets in drei Sprachen erfolgt – Deutsch, Ungarisch, Rumänisch –, werden die meisten Predigten und Ansprachen in diesen Sprachen veröffentlicht.
Die hier versammelten Texte zeugen von der intellektuellen Tiefe des Kirchenmannes Martin Roos. Sein Nachfolger im Hirtenamt, Bischof Josef Csaba Pál, brachte es in seinem Grußwort zu der Festschrift „Scribe, doce, praedica!“ auf den Punkt: Bischof Roos fasse sich „meist kurz und bündig“, doch seine Worte seien „von tiefer Weisheit“. Er erweist sich – ähnlich wie der hl. Gerhard, sein großes Vorbild – als ein Meister in der Verkündigung des Wortes Gottes und versteht es vorzüglich, dem Kirchenvolk biblische Texte nahezubringen, ihren Sinn verständlich darzustellen und ihre Bedeutung für die Gegenwart und das persönliche Leben herauszuheben. Nicht selten sind seine Predigten mit historischen Hintergrundinformationen angereichert. Roos gelingt es wie nur wenigen, aktuelle gesellschaftliche Prozesse in historischen Zusammenhängen zu sehen und zu deuten. In seinen Predigten und Botschaften offenbart er sich als überzeugter und überzeugender Verkündiger der Frohen Botschaft, als jemand, der die Gläubigen ermutigt, ihr Leben immer neu an der Liebe Gottes auszurichten, der der Gesellschaft Halt und Orientierung zu geben vermag und ihr aus dem Glauben heraus ein moralisches Rückgrat verleiht.
Varia
Der dritte Band der Trilogie enthält neben 15 unter dem Stichwort „Varia“ (Verschiedenes) zusammengefassten Texten den Anmerkungsapparat, einen Bildnachweis sowie ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, das rund 180 Seiten einnimmt. Bei den Texten handelt es sich um in der Jahresschlussandacht zu Silvesterabend vorgelegte Berichte über die Aktivitäten des Bistums im zu Ende gehenden Jahr (eine im Jahr 2001 vom damaligen Generalvikar László Böcskei eingeführte Praxis) und Würdigungen von Bischof Martin Roos: die Verleihung des Titels eines Ehrendoktors durch die Katholische Theologische Fakultät Fulda (2011), die Auszeichnung mit der Prinz-Eugen-Nadel durch die Landsmannschaft der Banater Schwaben (2021), der Huldigungsband zu seinem 80. Geburtstag (2022) sowie die Verleihung der Ehrennadel in Gold des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat (2023).
Die von Altbischof Martin Roos vorgelegte Textsammlung bietet tiefe Einblicke in das Denken und Handeln eines Mannes, der sich als Priester und Oberhirte der Temeswarer Diözese wie auch als Kirchenhistoriker unvergängliche Verdienste erworben hat. Sein Wirken steht beispielhaft für die Worte des Apostels Paulus vom segensreichen Säen und Ernten (2. Korinther 9:6), die als Titel über diesem Beitrag stehen. Möge der gütige und barmherzige Gott seinem treuen Diener, Bischof emeritus Martin Roos, Gesundheit und Arbeitskraft schenken, auf dass er uns noch lange schreibend, lehrend und predigend erhalten bleibe.
Martin Roos: Moresenae Æcclesiae cor meum / Der Kirche an der Marosch mein Herz! Eine Auslese aus Anlass der verstrichenen 25 Jahre (m)eines bischöflichen Dienstes. 3 Bände. Temeswar (Druck: Pytheas könyvmanufaktúra Budapest) 2024. 1318 Seiten