Das Kulturzentrum Haus der Donauschwaben in Haar hat anlässlich des 80. Jahrestags der Vertreibung der Donauschwaben die vielseitige Informations- und Veranstaltungsreihe „80 Jahre Flucht, Vertreibung, Neubeginn“ konzipiert. Damit soll an die historischen Ereignisse erinnert und über diese und ihre Folgen bis in die Gegenwart informiert werden. Schirmherrin des Gedenkjahres ist Dr. Petra Loibl, MdL, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene.
Der Oktober 1944 markierte mit dem Vorrücken der Roten Armee im Osten Europas den Beginn der gewaltsamen Vertreibung der Donauschwaben aus ihren Siedlungsgebieten im heutigen Serbien. Wer im sogenannten blutigen Herbst den Massenerschießungen, Misshandlungen, der Inhaftierung in Vernichtungs- und Arbeitslager und den Deportationen in die Sowjetunion entkommen konnte, floh in die ganze Welt. Viele der heimatvertriebenen Donauschwaben kamen nach teils monate- oder jahrelanger Flucht nach Bayern.
Die Ereignisse um diese deutsche Minderheit liegen inzwischen 80 Jahre zurück und sind doch hochaktuell. Kriege wie gerade jene in der Ukraine oder im Sudan lösen Flucht und Vertreibung aus, Menschen verlieren ihre Heimat und müssen in der Fremde eine neue finden. Es ist ein wiederkehrendes Schicksal, das Menschen bis in die Gegenwart widerfährt. Die Erfahrungen von Krieg, Flucht und Vertreibung wirken oft als transgenerative Traumata bis in die nachfolgenden Generationen fort.
Feierlicher Gottesdienst
Der zentrale Gedenktag am 12. Oktober begann mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Kirche St. Konrad in Haar. Um 10 Uhr zogen die Geistlichen, der römisch-katholische Ortspfarrer von Haar P. Gabriel Budău, OFMConv., und die evangelische Ortspfarrerin Annedore Becker zusammen mit dem Dekan des Dekanatsbezirks München Nord-Ost Björn Wagner und dem Dekan i.R. Karl-Heinz Wendel aus Karlshuld, begleitet von den Fahnenabordnungen des Kreisverbandes der Donauschwaben München mit Mitgliedern der Trachtengruppe Freising, der Fahnenabordnung der HOG Hodschag aus Moosburg, einem Trachtenpaar mit der Fahne der Kreisgruppe der Siebenbürger Sachsen und dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben Harald Schlapansky mit Partnerin, unter Glockengeläut und Orgelklängen feierlich in die Kirche ein.
Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst vom Donauschwabenchor Landshut unter der Leitung von Reinhard Scherer, der Solistin Klink-Herzinger aus Königsmoos und an der Orgel von Stefan Habisch.Nach dem feierlichen Einzug sang der Chor das allseits bekannte „Wohin soll ich mich wenden“. Diese Frage griff der Hausherr und Ortspfarrer P. Gabriel Budău in seiner Begrüßung auf. Die Frage nach dem „Wohin“ ist für die Menschen besonders bedrängend, die auf der Flucht sind, oder deren Leben bedroht ist von Hunger und Kälte. Sie suchen Menschen, die sie aufnehmen, und einen Ort, wo sie geborgen und geschützt sind. Die einzige Gewissheit, die Menschen in solchen Situationen haben können, ist, dass Gott ihnen immer zur Seite steht. Diese Gewissheit hat auch die Donauschwaben auf ihrer Flucht und ihrem Neuanfang getragen. Nach dem Eingangslied „Du hast uns Herr gerufen“ betete die Ortspfarrerin Annedore Becker im Wechsel mit den versammelten Teilnehmern der Gedenkfeier den Psalm 23 (Der Herr ist mein Hirte). „Lobsinget Gott dem Herrn“ erklang zum Gloria, gefolgt von der Lesung aus dem Buch der Prediger (3, 1 – 11), in der es darum geht, dass alles seine Zeit hat. Daran knüpfte Dekan i.R. Karl-Heinz Wendel in seiner Predigt, in der er auf die Geschichte und das Schicksal der Donauschwaben aus Serbien einging. Nach einem weiteren Liedvortrag hielt Pfarrerin Becker die Lesung aus Matthäus 6, 25 – 34. Auf die Worte dieser Lesung zum Thema „Sorget nicht…“ ging anschließend Dekan Björn Wagner ein, indem er an seine Großmutter erinnerte, die auch eine Heimatvertriebene war. Nach einem Moment der Stille und dem Glaubensbekenntnis sang Anita Klink-Herzinger „Lege deine Sorgen nieder“, ein Lied, das auffordert, alle Sorgen bei Gott abzulegen.
Die eindringlichen Fürbitten wurden von den Vertretern der Donauschwaben vorgetragen, u.a. von Eva Hübner und Paul Beiwinkler (Vorsitzende und stellv. Vorsitzender der Landsmannschaft) sowie Jürgen Harich (Bundesvorsitzender der Donauschwaben), die Gott darum baten, nie wieder Verbrechen und Leiden zuzulassen, wie ihre Gemeinschaft sie ertragen mussten, und um Frieden auf der Welt beteten. Darauf folgte das Vaterunser mit dem Friedenwunsch.
Als Schlusslied hatte der Chor die Vertonung des Bonhoeffer-Gedichtes „Von guten Mächten…“ ausgesucht. Nach dem Segen, den die Ortspfarrerin gemeinsam mit dem Ortspfarrer erteilten, zogen die Zelebranten, gefolgt von den Fahnenabordnungen und Trachtenträgern, unter Orgelklängen aus.
Gedenkveranstaltung
Um 11.30 Uhr folgte im Kleinen Theater in Haar ein Empfang mit feierlicher Gedenkveranstaltung, zu dem Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verbänden und die interessierte Öffentlichkeit eingeladen waren. Die Veranstaltung wurde mit dem Lied „Lang, lang ist’s her“ des Donauschwäbischen Chores aus Landshut eröffnet, der auch diesen Festakt musikalisch umrahmte. Die Vorsitzende des Landesverbandes der Donauschwaben Eva Hübner begrüßte zusammen mit der stellvertretenden Vorsitzenden des Kulturzentrums Haus der Donauschwaben Bayern Bianca Groß die Gäste und die Ehrengäste. Bianca Groß moderierte die Feier, unterstützt von der Geschäftsführerin des Kulturzentrums, Gabriele Schilcher.
Als eine der letzten Zeitzeuginnen der Erlebnisgeneration trug die rüstige 91-jährige Elisabeth Arnold, Vorsitzende des Heimatausschusses Tscherwenka, ein Gedicht vor. In einem Kurzfilm berichteten Zeitzeugen von den Tagen und Wochen der Flucht und Vertreibung und der Ankunft in Bayern und der Chor sang anschließend ein Lied in donauschwäbischer Mundart „Die wahre Lieb“.
Die Schirmherrin des Gedenkjahres Dr. Petra Loibl, MdL, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, wies in ihrem Grußwort darauf hin, dass die gewaltsame Vertreibung und das Schicksal der Donauschwaben heute in weiten Teilen der Bevölkerung vergessen ist. Vor diesem Hintergrund lobte sie die Arbeit des Kulturzentrums, deren Förderung auch ein persönliches Anliegen von Ministerpräsident Dr. Markus Söder sei. Die donauschwäbische Kultur sei längst ein Teil der bayerischen Identität und eine große Bereicherung für Bayern.
Es folgten weitere Grußworte vom Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags Markus Rinderspacher und vom Konsul Serbiens Kosta Simonović. Der stellvertretende Bezirkstagspräsident Rainer Schneider sagte, dass Heimat ein Gefühl sei und keinen örtlichen Bezug habe. Er und der Bürgermeister der Gemeinde Haar Dr. Andreas Bukowski erwähnten in ihren Grußworten, dass auch sie aus Familien mit Wurzeln in den deutschen Ostgebieten stammen. Über die Städtepartnerschaft Beška – Karlshuld berichteten der Beauftragte für die Städtepartnerschaft Duško Lupurović und der Bürgermeister der Gemeinde Karlshuld Michael Lederer. Den Grußworten des Präsidenten des Weltdachverbandes der Donauschwaben und Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Donauschwaben Jürgen Harich folgte ein weiteres Lied des Chors. Die Gedenkrede hielt Dekan i.R. Karl-Heinz Wendel, der Vorsitzende des Kulturzentrums Haus der Donauschwaben in Bayern, der – wie schon beim Gottesdienst – auf die leidvolle, aber auch segensreiche Geschichte der Donauschwaben einging. Ein Gedicht über das Leben der Vertriebenen fern der Heimat, geschrieben von Maria Heidt (geboren 1928 in Mözs an der Donau, in Ungarn) wurde vorgetragen. Ein weiterer Zeitzeugen-Kurzfilm zum Ausklang der Veranstaltung sorgte einerseits für Ergriffenheit angesichts der beschriebenen schrecklichen Erlebnisse, anderseits aber auch für das ein oder andere Schmunzeln über die persönlichen Schilderungen des Ankommens im „gelobten Land“ – in Bayern. Zum Schluss des Festaktes sang der Chor gemeinsam mit dem Publikum die Bayerische- und die Europa-Hymne.
Ausstellungseröffnung
Zum dritten Teil der Veranstaltung wurde zu Kaffee und Kuchen ins Kulturzentrum geladen und zur feierlichen Eröffnung der begehbaren Kunstinstallation „Im Fluss der Zeit“ des russlanddeutschen Künstlers Jurij Diez. Der Künstler begrüßte zusammen mit der Geschäftsführerin des Hauses Gabriele Schilcher und Waldemar Eisenbraun vom Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland die zahlreichen Gäste und lud zu einer Führung durch die Installation ein.
Damit endete ein ereignisreicher Tag und eine Gedenkveranstaltung voller unterschiedlicher Emotionen und Eindrücke: Es wurde erinnert, gemahnt, getrauert – aber auch gemeinsam gesungen und gelacht.
Die Kunstinstallation ist noch bis zum 13. Dezember 2024 im Haus der Donauschwaben in Haar zu besichtigen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 – 16 Uhr. Eintritt frei.