Vor 35 Jahren ist in Berlin die Mauer gefallen, die die Stadt und Deutschland teilte. Ebenfalls vor 35 Jahren ist in Rumänien die kommunistische Ceausescu-Diktatur gestürzt worden. Diesen beiden Ereignissen, die Europa radikal veränderten, war eine mehrteilige, Veranstaltungsreihe in Berlin gewidmet, die mehr als 20000 Besucher anzog. „Jenseits der Mauer. Widerstand. Widerhall“ war das Thema der Reihe, die am 31. August 2024 begann und am 28. September 2024 zu Ende ging. Organisiert und moderiert wurde sie von dem Journalisten und langjährigen Leiter der Rumänischen Redaktion der Deutschen Welle, Robert Schwartz. Ihm ist es gelungen, zahlreiche Partner mit ins Boot zu nehmen. Zu ihnen gehören die Deutsch-Rumänische Gesellschaft Berlin, deren Präsident er seit einem Jahr ist, das Rumänische Kulturinstitut Berlin, die Botschaft von Rumänien in Berlin, die Berliner Evangelische Kirchengemeinde Versöhnung, die Stiftung Berliner Mauer, das Rumänisch-Deutsche Forum für bilaterale Kooperation (Bukarest), das Deutsch-Rumänische Forum (Berlin), die Stiftung Bürgerakademie (Academia Civica) Bukarest sowie Dietrich International Logistics und Smart City Brasov. Als Medienpartner konnte er die Deutsche Welle und das rumänische Fernsehen TVR gewinnen. Ohne all diese Partner wäre dieses große Projekt nicht möglich gewesen. Veranstaltungsorte waren die Rumänische Botschaft und die Kapelle der Versöhnung, die beide im Zentrum Berlins lieg
Ausstellung: Gesichter der Revolution
Eröffnet wurde die Reihe mit einer Ausstellung des rumänischen Künstlers Cornel Brad. Er zeigte Fotos von 35 Menschen, die in der rumänischen Revolution eine wichtige Rolle spielten. Er zeigte aber nicht nur ihre Porträts, sondern er erzählte auch ihre Geschichte, die von Mut und Hoffnung zeugt. Unter ihnen waren der ungarische reformierte Pastor von Temeswar László Tökés sowie die rumänischen Dissidenten Doina Cornea und Radu Filipescu. László Tökés‘ Widerstand gegen die kommunistische Diktatur im Dezember 1989 löste die Massenproteste aus, die schließlich zum Sturz des kommunistischen Regimes führten. Radu Filipescu hatte als Student in Bukarest Flugblätter gegen die Diktatur verfasst und verteilt. Er wurde von der Securitate gefasst und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Doina Cornea schickte ihre Protestbriefe gegen die Diktatur an Radio Freies Europa, weswegen sie ihren Posten als Hochschuldozentin in Klausenburg verlor und von der Securitate mit dem Tod bedroht wurde. Die Ausstellung „Menschen. Macht. Rumänien. Revolution“ in der Kapelle der Versöhnung war einen Monat lang zu sehen und lockte täglich mindestens 700 Besucher an, über die gesamte Dauer also über 20000.
Großer Applaus für Ana Blandiana
In einer Podiumsdiskussion am 2. September 2024 in der Rumänischen Botschaft berichtete Markus Meckel, evangelischer Theologe und letzter Außenminister der DDR, wie erstaunt er war, als er als Schüler seinen Vater, einen evangelischen Pfarrer, auf einer Reise nach Siebenbürgen begleitete und dort Menschen traf, die Deutsch und Ungarisch sprachen. Darüber habe er bis dahin in der DDR überhaupt nichts gehört. Weil er sich bereits ab 1970 in der DDR-Opposition engagierte, konnte er Theologie nur an vom Staat unabhängigen kirchlichen Hochschulen studieren. Im Wendejahr 1989 gehörte er zu den Gründern der Sozialdemokratischen Partei der DDR. In den Zwei-plus-Vier-Gesprächen mit den Alliierten Siegermächten im Jahre 1990 vertrat er zusammen mit Hans-Dietrich Genscher die beiden deutschen Staaten. Diese Gespräche ebneten den Weg zur deutschen Wiedervereinigung.
Rolle von Radio Freies Europa
Emil Hurezeanu, rumänischer Botschafter in Wien, ehemaliger Leiter der rumänischen Redaktion der Deutschen Welle und ehemaliger Leiter, Redakteur und Moderator des rumänischen Programms von Radio Freies Europa, bezeichnete die Ereignisse vom Dezember 1989 in Rumänien als „revolutionären Staatsstreich“. Das Volk habe sich gegen die Diktatur erhoben. Die Massenproteste hätten Ion Iliescu und seine Vertrauten aus der Rumänischen Kommunistischen Partei genutzt, um die Macht im Land zu ergreifen. Hurezeanu erinnerte an die wichtige Rolle, die der aus dem Banat stammende Publizist William Totok in der Revolution spielte. Er habe damals Radio Freies Europa von Anfang an über die Ereignisse in Temeswar informiert. Über Radio Freies Europa habe die Bevölkerung in ganz Rumänien davon erfahren.
Der ehemalige rumänische Präsident Emil Constantinescu beklagte in der Podiumsdiskussion, dass heute in politischen Debatten die Wahrheit zu oft auf der Strecke bleibe.
Großen Applaus erhielt die Autorin und Bürgerrechtlerin Ana Blandiana für ihr Interview, das als Video eingespielt wurde. Wörtlich sagte sie: „Die Schmach, die ich empfand, als alle anderen um uns herum aus dem Kreis des Wahnsinns und der Unterdrückung ausbrachen und wir weiterhin in ihm gefangen blieben, war enorm… Und das Gefühl der Erniedrigung dauerte an… All das, was in den anderen Ländern geschah, brachte mich zum Weinen – einerseits vor Bewunderung, andererseits vor Bedauern, dass bei uns nichts passierte.“ Robert Schwartz führte das Interview mit Ana Blandiana in Bukarest.
„Nach meiner Kenntnis sofort, unverzüglich“
Zur Einstimmung und während der Podiumsdiskussion spielte Robert Schwartz historische Ton- und Bildaufnahmen aus Privatarchiven, aus dem Archiv der Gedenkstätte Sighet und der Stiftung Berliner Mauer ein, darunter so berühmte Sätze wie Walter Ulbrichts „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ oder Erich Honeckers „Die Mauer wird noch in 50 oder 100 Jahren stehen“ oder „Wer unsere Grenze nicht respektiert, der bekommt die Kugel zu spüren“ von DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann oder Günter Schabowskis „Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich“. Ebenso spielte er Originaltöne der Sender ein, die in Rumänien in der kommunistischen Zeit eine sehr große Hörerschaft hatten, allen voran Radio Freies Europa, die BBC, die Stimme Amerikas und die Deutsche Welle.
Den musikalischen Teil bestritt der rumänische Jazz-Saxophonist Nicolas Simion. Am Klavier begleitet wurde er von dem griechischen Musiker Antonis Anissegos. Nicolas / Nicolae Simion lebt seit 1988 im Westen. Damals nutzte er einen Auftritt in Warschau, um sich nach Wien abzusetzen.
Am 12. September 2024 las die aus der Pfalz stammende Schriftstellerin Herma Kennel in der Kapelle der Versöhnung im Beisein des Protagonisten aus ihrem Tatsachenroman „Es gibt Dinge, die muss man einfach tun. Der Widerstand des jungen Radu Filipescu“. Von seinem Kampf gegen die kommunistische Diktatur und seinem Schicksal hatte sie erfahren, als sie zwischen 1979 und 1983 zusammen mit ihrem Mann in Rumänien lebte. Ihr Mann arbeitete damals an der Deutschen Botschaft in Bukarest.
Ein informativer Film zum Abschluss
Zu Ende ging die Veranstaltungsreihe am 28. September 2024 in der Kapelle der Versöhnung mit einer weiteren komplementären Ausstellung zur gezeigten Porträt-Reihe sowie mit einem Film. In der Ausstellung zeigte die rumänische Konzeptkünstlerin Oana Rill eine Klang-Keramik-Installation mit Fußabdrücken von Menschen, die die Verschleppung in den Baragan überlebten. Über QR-Codes auf den Absätzen der Fußabdrücke kann man die Geschichten der Deportierten hören. Sie selbst erzählen sie. Die Exponate sind Teil eines größeren Konzepts, das im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Temeswar 2023 entstanden ist.
Der Abschlussfilm, den Robert Schwartz zusammen mit der rumänischen Regisseurin Anca Berlogea-Boariu drehte und produzierte, schildert, wie es in Berlin zur Errichtung der Mauer und zu ihrem Fall kam und welchen Weg Rumänien im Dezember 1989 ging – von den Massenprotesten gegen das Regime bis zum Sturz Ceausescus, aber auch wie „Bergarbeiter“ im Auftrag der neuen, alten Machthaber im Juni 1990 die anti-kommunistischen Proteste in Bukarest auf dem Universitätsplatz blutig niederschlugen. Der Film, der jetzt in einer Länge von 25 Minuten gezeigt wurde, soll auf 45 Minuten verlängert und dann im rumänischen Fernsehen TVR gesendet werden. Auch im Internet soll er bereitgestellt werden.