In diesem Jahr jährt sich am 4. September der Geburtstag des österreichischen Komponisten, Organisten und Hochschullehrers Anton Bruckner zum 200. Mal. Er gehört zu den bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts und sein Name ist mit der Entwicklung der Symphonie und der Kirchenmusik nicht nur eng verbunden, sondern war für viele nachfolgende Generationen bis ins 20. Jahrhundert wegweisend. Als er im Jahr 1896 als vielbeachteter Lehrer und Hochschulprofessor in Wien starb, hatten seine Erkenntnisse bereits in vielen Teilen der Welt durch seine zahlreichen Schüler große Achtung und Anerkennung erlangt. Seine Schüler, die aus den entlegensten Provinzen der österreich-ungarischen Doppelmonarchie stammten, legten dann im 20. Jahrhundert die Grundsteine der Nationalschulen in den neu entstandenen Staaten.
Der Konkurrent Bruckners aus dem Banat
Als um 1983 in Banater Kirchen Handschriften des Komponisten Georg Müller (1803-1863) entdeckt wurden, war dessen Name in der Musikforschung noch gänzlich unbekannt. Sein Leben begann 1803 in Ravelsbach (Österreich) und endete 1863 in Linz. Doch dazwischen wirkte er als Musiker am Dom zu Großwardein (Oradea), wo auch Johann Michael Haydn und Carl Ditters (von Dittersdorf) einige Jahrzehnte davor tätig waren, und wo er sich in einem Gesuch an den damaligen Bischof mit „Ehrenmitglied des Musik-Conservatoriums in Wien“ unterschrieb.
In der Zeitspanne 1833-1840 wirkte Georg Müller als Organist in an der römisch-katholischen Pfarrkirche in Orawitz (Oraviţa), worüber Bischof Joseph Lonovics in seinen Visitationsprotokollen berichtet hat, und 1840-1850 an der St. Annakirche in Weisskirchen (Bela Crkva, Serbisches Banat), wo er seinem Kirchenchor einige Werke hinterließ. Schließlich endete sein kurzes Leben 1863 als Musiklehrer in Linz.
Hier war er nicht nur ein Zeitgenosse Anton Bruckners, sondern konkurrierte 1856 mit diesem – der um 21 Jahren jünger war – um die Dom-Organistenstelle. In den letzten Jahren wurden die Protokolle und Bewerbungsunterlagen sämtlicher Konkurrenten entdeckt. In den Unterlagen Georg Müllers werden u.a. dessen bisherigen Tätigkeiten als „gewöhnlicher Organist“ in Großwardein, Orawitz und Weißkirchen genannt. Laut diesen Berichten kannte Georg Müller seinen jugendlichen Konkurrenten Anton Bruckner und schätzte auch dessen meisterhaftes Orgelspiel. Er war sich dessen bewusst, dass er keinesfalls mit ihm wetteifern kann, und hat sich auch deshalb „unbemerkt freiwillig“, also noch vor dem abschließenden Wettspiel an der Orgel, entfernt. Es ist anzunehmen, dass Müller in jener Zeit in einer anderen Linzer Kirche nebenbei als Organist gewirkt hat.
Bruckners Lehrer als Kapellmeister
Ab Herbst 1861 nahm Anton Bruckner bei Otto Kitzler (1834-1915) regelmäßigen Unterricht in Formenlehre und Orchestration. Bruckner brauchte einen praxiserfahrenen Lehrer, der ihn in diesen Fächern unterrichten konnte. Als Cellist und Theaterkapellmeister – u.a. auch in Temeswar und Hermannstadt – hatte Otto Kitzer bereits langjährige Erfahrung mitgebracht und konnte seinen ewig lernbegierigen Schüler in den instrumentalen Formtypen unterweisen.
Obzwar er zehn Jahre jünger war als Anton Bruckner, ließ sich dieser gerne von Otto Kitzler in den genannten Fächern unterweisen. In seinen Memoiren berichtet Kitzler über seinen Aufenthalt in Temeswar und Hermannstadt: „Im September 1863 verließ ich Linz und nahm ein Engagement in Temeswar an. Das Theater hatte einen guten Ruf. Künstler wie Sonnenthal, die Gallmayer, hatten dort ihre Laufbahn begonnen. Die Stadt hatte dazumal eine überwiegend deutsche, intelligente Bevölkerung. Die Spielzeit war ganzjährig, weil man im Sommer in Hermannstadt Vorstellungen gab. Die Reise dahin erforderte freilich damals eine ununterbrochene 36stündige Postfahrt unter teilweiser Begleitung von einem Piket beschützender Gendarmen.
Hermannstadt war eine reizende Sommerstation; meine Stellung jedoch eine sehr anstrengende; denn ich musste eine wenngleich sehr gute Militärkapelle durch eine Unzahl von Proben insoweit drillen, dass sie im Stande war, Opern, wie Hugenotten, Faust, Dinorah etc. zu begleiten. Noch einen zweiten Winter verbrachte ich in Temeswar und trachtete dann, ein Engagement in Brünn, der Vaterstadt meiner Frau, zu erhalten, welches ich im Jahre 1865 antrat. Mein Nachfolger in Temeswar, sowie 3½ Jahre später in Brünn, wurde der nachmalige Hofkapellmeister J. R. Fuchs (...)“
Otto Kitzler nahm einen regen Anteil am Temeswarer Musikleben jener Zeit. Es gab damals den Temeswarer Männergesangverein, der auch verschiedene ausländische Künstler zu Konzerten ins Banat eingeladen hat. Im Dezember des Jahres 1863 fand im großen Redoutensaal ein Konzert statt mit folgenden Mitwirkenden: Moritz Pfeiffer (Domkapellmeister), Wilhelm Franz Speer (Domorganist), Michael Jaborszky (Violine), Angyalfy (Jüdischer Kantor) und Otto Kitzler (Theaterkapellmeister). Zu den Opern, die unter seiner Leitung in Temeswar aufgeführt wurden, gehörten u.a. Lucia di Lammermoor, Freischütz, Stradella, Lucretia Borgia, Martha, Othello, Ernani, Vanda, Traviata, Dinorah, Faust. Zu seiner Zeit bestand die Temeswarer Theatergesellschaft aus einem Chor, bestehend aus acht Damen und acht Herren, wie auch aus einem kompletten Orchester.
Mit der Gründung des Temeswarer Philharmonischen Vereins am Abend des 21. Oktober 1871 in der Bierhalle des August Pummer entstand ein weiterer Bezug zu Wien: Als Vorbild galt der Wiener Männergesangverein, mit dem man in der Folge viele Jahrzehnte in Verbindung blieb. Dies führte zu gegenseitigen Einladungen, wie es beim Vierten Deutschen Sängerbundesfest 1890 in Wien der Fall war.
Müller-Guttenbrunns Bruckner-Bild
Der Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn (1852-1923) widmete in seinem 1912 erschienene Roman „Es war einmal ein Bischof“ auch einige Zeilen dem damaligen Linzer Domorganisten Anton Bruckner. Der Autor selbst verbrachte in seiner Jugend einige Jahre in dieser Bischofstadt und wusste dadurch viele Einzelheiten über die Geschehnisse der Jahre 1868-1869, als Bischof Franz Josef Rudigier wegen seinen strengen kirchlichen Ansichten Schwierigkeiten mit der staatlichen Gesetzgebung bekam. In dieser Zeit war Anton Bruckner Domorganist in Linz. Bischof Rudigier war sein Gönner. War der Bischof müde vom Kampf und verärgert von der Erfolglosigkeit seines Streites für die Sache der Kirche, ließ er Meister Bruckner kommen, der ihm zur Seelenstärkung auf der Orgel improvisieren musste.
Adam Müller-Guttenbrunn lässt die Hauptgestalt seines Romans Viktor von Böheim einige Male über dessen Zeitgenossen Anton Bruckner berichten. Dr. Hans Weresch schreibt zu diesem Kapitel wie folgt: „Die Charaktere der beiden Gestalten, von Bischof Rudigier und Meister Bruckner, ergänzen sich in ihrem bäuerlichen Zuschnitt gegenseitig. Dort der unbeugsam-strenge Kirchenfürst, der die Macht, die er hat, sich nicht nehmen lassen will, hier der weltabgewandte Musiker, der den Sphärenharmonien lauscht. Der eine wirft auf den anderen ein Licht, das uns beide menschlich näher rückt, und wer für die Streitbarkeit des in kirchlichen Dingen unduldsamen Priesters nichts übrig hat, wird ihm dennoch seine Sympathie nicht vorenthalten können, wenn er von dem hemdärmeligen der Domkirche zutrottenden Meister Bruckner erfahren muss, der Bischof brauche wiedermal eine musikalische Kur um sich zu erholen.“
Wie keinem Zweiten gelingt es dem Autor, die Tätigkeit von Anton Bruckner in das Kleinstadtmilieu der Stadt Linz einzubauen und der Leser erfährt dadurch auch einige Einzelheiten über den Komponisten und Orgelspieler. Bruckner wird an einigen Stellen dieses Romans gewürdigt. Schon dadurch, dass Adam Müller-Guttenbrunn selbst Zeitgenosse des Meisters war, kann diesen Schilderungen eine fast biographische Bedeutung zugesprochen werden. Doch lassen wir Adam Müller-Guttenbrunn persönlich über Bruckners Spiel an der Linzer Domorgel berichten: „Ich ging vorbei, bog nach dem Hauptplatz hin, wo der Korso noch in voller Entfaltung war, aber es zog mich wie mit magischer Gewalt zurück zur Domkirche. Mit dem Rücken an die Tür gelehnt, stand ich da im Schatten, niemand sah mich in der einsamen Gasse. Und in der dunklen Kirche hinter mir erbrauste die Orgel... O unbeschreiblicher Zauber! Dieses ferne, himmlische Spiel, das nur gedämpft zu mir drang – was war es? Bruckner schien zu phantasieren, schien nur seinem Herzen zu folgen... Düster, grollend, kämpfend bahnte ein Motiv sich den Weg... Wie planmäßig, wie kunstvoll baute der Träumer Satz auf Satz, wie wechselte er die Register, wie herrlich stieg er auf zu Himmelshöhen... Zur Erlösung, zur Befreiung aus aller Erdennot führte der Gedanke, den er da kühn gestaltete. Er streute Blumen auf diesen Weg und überschüttete ihn mit Licht.
Drei Herren trabten vorbei. Einer blieb stehen und horchte. „Hm. Der närrische Bruckner übt,“ sagte er und folgte den anderen. Ich stand noch lange. Ein Stück folgte dem anderen, alte, erhabene Musik, wie von Geisterhand entfesselt in der dunklen Kirche. Und ich begriff, welche Seelenstärkung der einsame bischöfliche Greis aus solchen Stunden schöpfen mochte.“
Bruckners Schüler aus dem Banat
Karl Huber (1828-1885) war ein bedeutender Violinlehrer und erster Violinprofessor an der von Franz Liszt gegründeten Ungarischen Musikakademie in Budapest. Sein Sohn mit dem gleichen Namen (Károly Huber) erhielt als Schüler Anton Bruckners (1870-1871 und 1871-1872 am Wiener Konservatorium), also mit 22 Jahren, Unterricht. In den Akten des Konservatoriums steht geschrieben: „Schüler aus Arad in Ungarn“. Bereits der Großvater dieses Bruckner-Schülers wirkte als Kantorlehrer in Warjasch. Karl Huber sen. war Absolvent des 1833 gegründeten Arader Musikkonservatoriums und kam mit 14 Jahren als Musikstudent nach Wien. Vermutlich hat dieser Aufenthalt in der österreichischen Hauptstadt dazu beigetragen, dass auch sein Sohn später hier studieren sollte.
1876 gab Karl Huber sen. mit seinen Söhnen Eugen (Jenö) und Karl ein gemeinsames Konzert in Temeswar, bei welcher Gelegenheit auch ein Doppelkonzert für zwei Violinen von Karl Huber vorgetragen wurde. Aus diesem Anlass trugen sich alle vier Musiker der Familie ins Fremdenbuch des Temeswarer Philharmonischen Vereins ein. Damals unterschrieb sich der spätere Professor Jenö Hubay noch als „Eugen Huber“, damals ein Schüler Joseph Joachims in Berlin.
Eine markante Gestalt sowie einer der populärsten Musiklehrer und Pianisten der Stadt Temeswar war Carl Gaßner (1850-1908). Er stammte aus Wien, hatte dort auch das Konservatorium absolviert. Im Jahre 1869 war er Schüler von Anton Bruckner am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Anfang der achtziger Jahre kam er nach Zombor und fand Anstellung als Musiklehrer bei der Familie Ronay. Von hier übersiedelte er nach Temeswar, wurde bald bekannt, und sein Name erhielt in Musikerkreisen einen guten Klang. Gaßner war ein tüchtiger, feinfühliger Pianist, mit tiefem musikalischem Empfinden und weichem, diskretem Anschlag. Mit dem Philharmonischen Verein, dessen Chormeister er war, führte er 1895 Schumanns Oratorium Das Paradies und die Peri mit großem Erfolg auf. Als Musikpädagoge war er sehr geschätzt, unterrichtete in den ersten Häusern der Stadt, in den Klosterschulen aller Stadtteile und in der Höheren Staatlichen Töchterschule. Zwei Unterrichtsjahre hindurch wirkte er auch als Klavierlehrer an der 1907 eröffneten städtischen Musikschule. Carl Gaßner war Ehrenmitglied des Orawitzaer Musik- und Gesangvereins (gegründet 1863). Er starb am 25. Mai 1908 im Alter von 58 Jahren.
Als Wilhelm Franz Speer (1823-1898) im Jahre 1871 die Temeswarer Domkapellmeisterstelle übernahm, wurde sein Nachfolger als Domorganist Franz Seraphin Vilhar (geb. am 5. Januar 1852 in Senozece/Kroatien, gest. am 4. März 1928 in Zagreb/ Agram). Dieser war Schüler des Prager Konservatoriums und studierte bei Blazek und Skuhersky. Gemeinsam mit Josef Wenzel Hajek leitete er in Temeswar die Musikanstalt Wilhar und Hajek und gab hier auch öffentliche Konzerte, z. B. im Jahre 1878. Hajek war ein Privatschüler Anton Bruckners in Wien gewesen.
Anton Bruckner notierte im August 1891 in seinen Terminkalender den Namen der Sängerin Sultana Ciuc aus Werschetz (Ungarn). Die rumänische Sängerin Sultana Ciuc (Cziuk) (geb. 1871 in Werschetz, Banat, heute Serbien, gest. 1935 in Belgrad) war eine dramatische Sopransängerin, wirkte in Hamburg, Mainz, Graz und London, hatte auch Konzerte im Banat, so in Werschetz, Temeswar und Weißkirchen.
Domkapellmeister Braun und Bruckner
In Jahre 1937 erschien in Temeswar in ungarischer Sprache der erste Band des Buches von Desiderius Braun: Bánsági Rapszodia (Banater Rhapsodie), ein sehr wichtiger Beitrag zur Banater Musikgeschichte. Braun war damals als Temeswarer Domkapellmeister tätig und nebenbei als Musikkritiker und Journalist. Der zweite Band dieser Arbeit wurde begonnen, doch 1939 erkrankte er schwer und ein Jahr später ereilte ihn der Tod. Bereits Ende 1939 verschlechterte sich der Gesundheitszustand Brauns, die Turmtreppen des Doms konnte er nur auf zwei Freunde gestützt hinaufsteigen, um ein letztes Mal seinen Chor zu dirigieren. Es erklang Anton Bruckners Locus iste, eines der bedeutendsten Werke der Kirchenmusik. Ein letzter Versuch der Ärzte, eine Bluttransfusion vorzunehmen – das Blut spendete einer seiner Schüler – misslang. Am eiskalten Samstag des 17. Februar 1940 wurde Braun bei heftigem Schneetreiben im Elisabethstädter Friedhof zu Grabe getragen.
Bruckners „Enkelschüler“ Zeno Vancea
Zu Anton Bruckners „Enkel-Schülern“ kann auch der rumänische Komponist und Musikwissenschaftler Zeno Vancea (1900-1990) gezählt werden. Dieser war u.a. Absolvent des Wiener Konservatoriums und erhielt 1974 den Gottfried-von-Herder-Preis der Universität Wien. Vancea – gebürtig in Bokschan – erhielt in Lugosch Musikunterricht bei Dr. Josef Willer, mit dem er auch noch in den schweren Nachkriegsjahren in deutscher und ungarischer Sprache korrespondierte. Er bemühte sich seit seinen frühen Jahren um die Verbreitung von Bruckners Musik. Zeno Vancea verfasste am 26. Mai 1943 die Kritik zum Konzert des Deutschen Symphonieorchesters Temeswar nach dem Außerordentlichen Festkonzert mit Anton Bruckners Vierten Symphonie, der Romantischen. Dirigent des Orchesters war Richard Oschanitzky. Vancea schrieb zur Aufführung von Bruckners Vierter Symphonie: „Das Unternehmen, einen der neun Symphoniekolosse Anton Bruckners, des bedeutendsten Symphonikers nach Beethoven, nebst der Meistersinger-Ouvertüre Richard Wagners (an sich schon eine große Leistung) mit einem nicht ganz homogenen Orchesterapparat und dazu noch ohne die Möglichkeit einer Generalprobe im Konzertsaal, einem Publikum vorzuführen, das nicht immer die zureichende musikalische Erfahrung besitzt, um Werk und Aufführung nach Gebühr zu würdigen, war sicherlich gewagt. (…) Ein besonderes Lob gebührt Prof. Richard Oschanitzky für seinen architektonischen Sinn, mit dem er das Werk formal gestaltete. Die komplizierte Form Brucknerscher Symphonien kann leicht zerbröckeln. Steigerungen können zu überlastet und kurzatmig ausfallen, Kontraste in der Themen-Gegenüberstellung zu pointiert, zu theatralisch wirken. Unter der Leitung von Prof. Richard Oschanitzky spürte man nichts von diesen Gefahren. Im Gegenteil: Er verdient unsere vollste Anerkennung, die Spannkraft des über eine Stunde dauernden Werkes gewahrt und die großen melodischen Bogen so ausgearbeitet zu haben, wie es eben in der Absicht des Komponisten lag. (…) Selbst Komponist, dessen Werke es verdienten, gerade hierzulande eine größere Beachtung und Verbreitung zu finden, ist Prof. Oschanitzkys künstlerisches Wirken eine unbedingte Bereicherung des gesamten Banater Musiklebens.“