Seit 2015 wird jährlich am 20. Juni an die Opfer von Flucht und Vertreibung weltweit sowie insbesondere an die deutschen Vertriebenen erinnert. Die Bundesregierung knüpft mit diesem Datum an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen an und erweitert das Flüchtlingsgedenken um das Schicksal der Vertriebenen. In diesem Jahr wurde nun schon zum 10. Mal mit einer Gedenkstunde im Konzerthaus Berlin der Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht. Nach einer Begrüßung durch die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus, MdB, folgen eine Ansprache der Stellvertretenden Generaldirektorin a. i. der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Irena Vojáčková-Sollorano und nach einer Filmvorführung von Zeitzeugen-Interviews ein Podiumsgespräch mit Betroffenen von Flucht und Vertreibung. Die musikalische Gestaltung übernehmen Stipendiatinnen und Stipendiaten der Stiftung Kurt-Sanderling-Akademie des Konzerthausorchesters Berlin.
Das Schlusswort hielt der Präsident des Bundes der Vertriebenen Dr. Bernd Fabritius. Er erinnerte daran, dass es vor genau 80 Jahren zu den ersten Fluchtbewegungen im Donauraum kam, dass existenzielle Angst die Menschen dazu bewogen hat, ihre Heimat aufzugeben. Nur kurze Zeit später kam es durch die Rote Armee zu brutalen und rücksichtslosen Massakern gegen die Zivilbevölkerung in Ostpreußen. Zwei Millionen Menschen starben bei oder nach der Flucht oder der gezielten Vertreibung aus dem Osten. Leider sei Destruktion, Manipulation und Propaganda trotz der Erfahrungen aus der Geschichte auch wieder ein Geschehen der Gegenwart. Die deutschen Heimatvertriebenen hätten schon früh in ihrer Charta auf Rache und Vergeltung verzichtet, erst danach wurde mit der Genfer Flüchtlingskonvention ein Zeichen gegen Vertreibungen und zum Schutz von Flüchtlingen gesetzt. Er würdigte die staatliche und gesellschaftliche Empathie, die zur Anerkennung dieser Schicksale des eigenen Volkes in einem Gedenktag geführt hat. Auf diese Weise wird würdig an die mehr als 15 Millionen Opfer von Flucht und Vertreibung erinnert. Im Gedenken an diese Menschen und als ihre Nachkommen wissen wir, dass jeder Krieg, jede Vertreibung, jede ethnische Säuberung immer Verbrechen sind.
Gedenken in der Staatskanzlei
Auch im Münchner Prinz-Carl-Palais der Bayerischen Staatskanzlei fand auf Einladung von Sozialministerin Ulrike Scharf ein festlicher Gedenkakt für die Opfer von Flucht und Vertreibung statt. Geladen waren Vhochrangige Gäste aus der Politik, Diplomatenkreisen, der Geistlichkeit und der Landsmannschaften.
Sozialministerin Ulrike Scharf appellierte in ihrer Ansprache: „Gewalt, Flucht und Vertreibung waren und sind Verbrechen. Das ist die Lehre unserer Geschichte und die Botschaft der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler.“ Sie erinnerte daran, dass die deutschen Heimatvertriebenen von Anfang an die Spirale von Krieg, Gewalt und Leid beenden wollten und sich mit der Charta der deutschen Heimatvertriebenen schon früh zu einem geeinten Europa bekannt hatten. „Diese Friedensbotschaft ist heute aktueller denn je“, sagte Scharf. Und erklärte weiter: „Wir sehen es als unsere grundlegende moralische und gesellschaftliche Verpflichtung an, das Schicksal und die Leistungen der deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler im Bewusstsein lebendig zu halten. Die historische Saat Europas für Frieden und Freiheit muss aufgehen!“
Diesen Gedanken griff auch Christian Knauer, der Vorsitzende des Landesverbands Bayern des Bundes der Vertriebenen (BdV) auf: „Das, was inzwischen entstand – das gemeinsame Haus Europa, in dem wir seit fast 80 Jahren friedlich zusammenleben durften – sollten wir uns von niemanden, auch nicht von einem nicht mehr berechenbaren Führer im Kreml, zerstören lassen.“ Er erinnerte an die schmerzhaften Erfahrungen unserer Familien nach dem 2. Weltkrieg und daran, wozu Nationalismus und Totalitarismus in letzter Konsequenz führen kann. Deshalb sein eindringlicher Appell: „Zu einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat gibt es keine Alternative! Daher gilt es, ihn entschlossen zu verteidigen.“ Knauer ging auch auf die schreienden Ungerechtigkeiten im Fremdrentengesetz ein, die bisher nicht abgeschafft wurden, und stufte die Härtefallregelung, wie sie in den letzten Monaten vom Bund praktiziert wurde, als eine Verhöhnung der Menschen ein, die ihr Leben lang fleißig und rechtschaffen gearbeitet hätten. Es sei zu befürchten, dass sich die bereits bestehende Altersarmut bei den Betroffenen ausweiten werde.
Dr. Petra Loibl, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, unterstrich in beeindruckenden Worten die Leistungen der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Bayern und sicherte die volle Unterstützung des Freistaats Bayern zu. Sie bedauerte, dass im Geschichtsunterricht in Schulen die Geschichte der Deutschen aus dem Osten Europas fehle, und betonte, dass diese Lücke geschlossen werden müsse. Dieses Anliegen verfolgen unsere Landsmannschaften seit Jahrzehnten.
Kranzniederlegung in Stuttgart
Auf Einladung von Thomas Strobl, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Landesbeauftragten für Vertriebene und Spätaussiedler in Baden-Württemberg, fand die alljährliche Gedenkfeier zum Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung am Mahnmal für die Charta der deutschen Heimatvertriebenen in Stuttgart-Bad Cannstatt statt.
Unter der Leitung von Evangelia Hüfner, leitende Ministerialrätin im Innenministerium, wurden die Anwesenden durch eine Reihe von eindringlichen Ansprachen geführt. Ministerialdirektor Reiner Moser vom Innenministerium, der stellvertretende BdV-Landesvorsitzende Raimund Haser MdL und Kirchenrätin Arngard Aura Engelmann, Beauftragte der Evangelischen Kirche in Baden-Württemberg bei Landtag und Landesregierung, erinnerten in ihren Reden an das Leid und die Herausforderungen, die Millionen von Menschen durch Flucht und Vertreibung erfahren mussten.
Unter den Zuhörern befanden sich auch prominente Gäste sowie Vertreter des BdV-Landesverbandes, der Landsmannschaften und der Kreisverbände. Diese breite Unterstützung unterstreicht die Bedeutung des Gedenkens und der Solidarität mit den Vertriebenen und Spätaussiedlern.
Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen aus dem Jahr 1950 steht im Mittelpunkt dieser jährlichen Gedenkfeier. Sie zeigt den Willen zur Integration der Vertriebenen in die deutsche Gesellschaft, lehnt Rache und Vergeltung ab und setzt stattdessen auf Verständigung und ein geeintes und friedliches Europa. In ihren Ansprachen hoben die Redner deren bleibende Relevanz hervor. Sie erinnerten daran, dass die Werte der Charta, wie die Förderung des Friedens und die Ablehnung von Gewalt, auch heute noch eine zentrale Rolle spielen. Der Gedenktag ist daher nicht nur eine Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch ein Aufruf zur aktiven Gestaltung einer friedlichen und gerechten Zukunft.
Die Kranzniederlegung am Mahnmal für die Opfer von Flucht und Vertreibung bildete den emotionalen Höhepunkt der Veranstaltung. Sie symbolisierte das gemeinsame Gedenken an die Opfer und das Bekenntnis zu den humanitären Werten, die die Charta verkörpert. Musikalisch wurde die Gedenkfeier vom Landespolizeiorchester eindrucksvoll untermalt.