Am 10. Mai 2024 feierte der 1944 in Temeswar geborene Germanist, Publizist, Journalist, Literaturkritiker, Dichter und Herausgeber Eduard Schneider seinen 80. Geburtstag. Im Banat mit seinem vielsprachigen Kulturraum und einer reichen, vielfältigen Tradition, hat Eduard Schneider als hoch geschätzter Feuilleton-Chef ganz wesentlich mit dazu beigetragen, die literarische Moderne dort zu implantieren.
Eduard Schneider besuchte in seiner Heimatstadt die Lenauschule, studierte von 1962 bis 1967 an der Universität Temeswar Germanistik und Romanistik, interessierte sich schon als Student intensiv für Literatur, besonders für Lyrik. Dies spiegelte sich auch in seiner Diplomarbeit wieder, die sich mit dem literarischen Werk dreier rumäniendeutscher Dichter auseinandersetzt und unter dem Titel Der Ausdruck der Gedanken und Gefühle des sozialistischen Menschen in der Lyrik Oskar Pastiors. Christian Maurers und Astrid Connerths, deren schriftstellerische Beiträge analysiert und würdigt.
Nach einer kurzen Zwischenstation als Deutschlehrer in Semlak wechselte er 1969 in die Kulturredaktion der vom eigenwilligen Journalisten Nikolaus Berwanger geleiteten Temeswarer Neue Banater Zeitung (NBZ), wo er ab 1977 zum Leiter des Feuilletons aufrückte und bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1989 tätig war.
Förderer junger Schriftsteller
Als Literaturkritiker und Theaterchronist, als Literaturhistoriker sowie als Förderer junger Schriftsteller erwies sich Schneider als ein Glücksfall für die Banater deutsche Kultur, setzte er doch Maßstäbe durch seine vielseitigen, außergewöhnlichen Recherchen und Beiträge zur literarischen Geschichte, Entwicklung und öffentlichen Meinungsbildung.
Ein besonderes Augenmerk schenkte Schneider den sich mit literarischen Versuchen zu Wort meldenden Schülern und Studenten, denen er in Absprache mit Chefredakteur Berwanger großzügig auf den Kulturseiten der NBZ Platz zur Verfügung stellte, um deren Gedichte und Kurzprosa zu veröffentlichen, was den jungen Schriftstellern Auftrieb gab, ihr äußeres Umfeld und ihre eigene Gedankenwelt schreibendzu erkunden.
Diese Veröffentlichungen lösten unter den Jugendlichen einen wahren Schreibboom aus, eine Flut von Gedichten rauschte durch das Banat und die Blätter der NBZ. Es war Eduard Schneider, der sich um die Werke der jungen Banater Schüler und Studenten kümmerte und als Herausgeber die Anthologie Wortmeldungen zusammenstellte, die 1972 im Temeswarer Facla-Verlag erschienen ist und Texte von 22 Debütanten umfasst, darunter Gedichte von Michael Bleiziffer, Albert Bohn, Uwe Erwin Engelmann, Ilse Hehn, Johann Lippet, Herta Müller, Gerhard Ortinau, Johanna Rückert, Anton Sterbling, William Totok, Richard Wagner und Ernst Wichner. Die Büchse der Pandora war damit geöffnet.
„Dass unsere Respektlosigkeiten gedruckt wurden, ist einigen Leuten aus der Generation vor uns zu verdanken, die im offenen Rumänien der sechziger Jahre zu Posten in den Feuilletons und Literaturredaktionen gekommen waren“, erklärte Richard Wagner im Rückblick bei seiner versuchten Selbstdarstellung der Aktionsgruppe Banat, die sich aus dem Kern des Sammelbandes Wortmeldungen gebildet hat und zwischen 1972 und 1975 existierte. Sie wollten „eine zeitgemäße Literatur schreiben, die sich mit der deutschen Literatur messen konnte“. In diesem Ansinnen, sich aus der Umklammerung der Provinz zu befreien und das Zentrum zu beeindrucken, bezogen sich die Autoren der Aktionsgruppe Banat (AGB) bewusst und gezielt auf deutsche und österreichische Autoren als Vorbilder. Eduard Schneider war einer jener „Gehilfen“, die in den Feuilletons saßen und erkannten, dass hier eine Generation im literarischen Kommen ist, die man unbedingt fördern und deren Texte man veröffentlichen sollte. Es entstanden mehrere dieser Literatur gewidmete Sonderseiten der NBZ. Eduard Schneider förderte die jungen ambitionierten und selbstbewussten Autoren nicht nur als Verantwortlicher für den NBZ-Kulturboten, sondern nach der Auflösung der AGB ab 1977 in dem neu entstandenen Literaturkreis Adam Müller-Guttenbrunn (AMG), als dessen stellvertretender Vorsitzender und Sekretär er agierte. Schneider war neben Nikolaus Berwanger, dem Motor dieses Zusammenschlusses, einer der entscheidenden Katalysatoren, die in der neuen literarischen Organisationsform die älteren, in stalinistischen Schreibmustern und in Modellen des Sozialistischen Realismus verfangenen Autoren, darunter Franz Liebhard (alias Robert Reiter), Andreas A. Lillin, Hans Kehrer, Hans Mokka, Hans Bohn und Ludwig Schwarz, mit den „jungen Modernen“ zusammenführten.
�Zentrum des literarischen Geschehens
Im AMG wuchs damals zusammen, was zusammen nie so richtig passte, doch die Jungen mauserten sich schnell zur richtungsweisenden Kraft in dem neuen Gefüge. Es erschienen endlich auch die bestimmenden Bücher, unter anderem von Richard Wagner, Johann Lippet, Rolf Bossert, Gerhard Ortinau, William Totok, Werner Söllner, Balthasar Waitz, Horst Samson, Helmuth Frauendorfer und anderen. Eduard Schneider nutzte als Literaturkritiker seine Position im publizistischen Zentrum des literarischen Geschehens und rezensierte zahlreiche Neuerscheinungen (in der NBZ, der Neuen Literatur, Karpatenrundschau etc.), analysierte, lobte und kritisierte Buchveröffentlichungen, Theaterinszenierungen, zettelte damit Diskussionen unter den Autoren, sowie über die Autoren an. Es war vor allem die Lyrik, die jene Zeit im Banat literarisch prägte wie nie zuvor.
Und inmitten dieser Welle veröffentlichte Schneider 1982 im Facla Verlag Temeswar seinen ersten und einzigen, von der Temeswarer Künstlerin Paula Köttinger illustrierten Lyrikband mit 38 Gedichten: Dass am Abend der Himmel so rot war, darunter auf Seite 26 das melancholische, unter die Haut gehende Gedicht: UNSER HAUS / Die Windmühlen, / Don Quichotte, haben uns längst auf ihre Flügel / gehoben. / Ein Wind ist aufgekommen, / und sie drehen sich immer schneller, / die Flügel. // Der Mühlenstein knirscht. / Frag mich nicht, was gemahlen wird. // Die Fliehkraft ist unser Haus.
Im Jahr davor hatte Schneider aus dem Typoskript dieses Lyrikbandes im AMG-Kreis gelesen und wurde am 5. Juni 1982, am Ende der Saison 1980/81, von den 71 Mitgliedern des Literaturkreises und Stiftern der drei Preise mit dem Preis für Lyrik geehrt - für Prosa wurde Herta Müller ausgezeichnet, die spätere Nobelpreisträgerin für Literatur von 2009, und den Förderpreis erhielt die Lyrikerin und Studentin Brigitte Röhrich.
Im darauffolgenden Jahr brachte Eduard Schneider zusammen mit Nikolaus Berwanger und Horst Samson die Anthologie Pflastersteine heraus, das damals ganz wichtige, 270 Seiten starke Jahrbuch des Literaturkreises Adam Müller-Guttenbrunn mit den Kapiteln Lyrik, Prosa, Theater, Kinderverse sowie Kulturgeschichtliche und literaturkritische Aufsätze. Die Umschlaggestaltung hatte der Perjamoscher, heute in Pforzheim lebende Maler, Bildhauer und Grafiker Walter A. Kirchner übernommen. Das vom „Komitee für Kultur und Sozialistische Erziehung des Kreises Temesch“ in Auftrag gegebene Buch erregte noch vor dem Erscheinen die Gemüter der Zensur. Es war gedruckt, wurde aber nicht an die Autoren, Schulen, Bibliotheken und Buchhandlungen verteilt. Die Zensur hatte ein Veto eingelegt. Sie sah auf dem Umschlag und in etlichen Texten untergehendes Land, eine von Gitterstäben umgebene, am Horizont versinkende Sonne.
Erst nach Wochen des Verhandelns überbrachte Josef Tussinger, Funktionär beim Kulturkomitee, der NBZ-Redaktion die Nachricht, dass die Antholgie verteilt werden darf. Dieser literarische und genremäßig breit aufgefächerte Sammelband von 1982 ist nach dem 1979 von Anton Palfi herausgegebenen Jahrbuch im brennpunkt stehn die zweite, aber auch die letzte Buchveröffentlichung des AMG-Literaturkreises.
1982 war ohnehin ein aufregendes Jahr. Die Probleme rings um den AMG begannen sich massiv zu häufen. Die RKP-Propagandaabteilung versuchte 1984 schließlich, den Literaturkreis zu kapern, das Programm zu diktieren, was zu schweren Zerwürfnissen zwischen den Literaten und den Politikern führte. Berwanger kehrte im Sommer 1984 von einer Reise in die Bundesrepublik nicht mehr zurück, die interimistische Leitung des Literaturkreises beschloss auf Vorschlag von Samson im Oktober 1984 einstimmig die Auflösung des Kreises.
Auf Drängen des Propagandasekretärs musste der AMG-Kreis in der Folgezeit neu gegründet werden, mit dem zum Chefredakteur der NBZ aufgerückten Journalisten Erwin Lessl im Leitungsgremium. Lessl kehrte 1985 ebenfalls von einer Reise in den Westen nicht mehr nach Rumänien zurück. Die Leitung des Literaturkreises wurde dem NBZ-Feuilletonchef Eduard Schneider übertragen. Er leitete den Kreis von 1985 bis 1989, als er eine Dienstreise in die damalige DDR als Chance nutzte, um über Budapest in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen.
�Der „banatschwäbische Literaturpapst“
In München wurde Eduard Schneider, der „banatschwäbische Literaturpapst“, wie ihn Horst Samson in der Banater Post vom 20. Mai 2014 tituliert hatte, 1992 Projektmitarbeiter des Südostdeutschen Kulturwerks, das 2001 in Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas – IKGS umbenannt wurde, wo er unter der damaligen Leitung des IKGS-Direktors und siebenbürgischen Literaturhistorikers Stephan Sienerth als kundiger „Sachwalter des Banater Kulturerbes“ (so Luzian Geier) die Zeitschrift „Spiegelungen“ (vormals Südostdeutsche Vierteljahresblätter) zusammen mit dem Literaturkritiker Peter Motzan prägend mitgestaltete. Anlässlich des 70. Geburtstags Eduard Schneiders erinnerte Motzan an den „Glücksfall“ für das IKGS und würdigte Schneiders Leistungen als Kurator der erfolgreichen Nikolaus-Lenau-Ausstellung Ich bin ein unstäter Mensch auf Erden (1993), außerdem „als Editor von sorgfältig betreuten Anthologien, als Verlagslektor, als Koautor von literaturhistorischen Sammelbänden und als verantwort-licher Redakteur (von 2006 bis 2014) der Vierteljahreszeitschrift Spiegelungen“.
Hohes und zutreffendes Lob formulierte damals, ebenfalls in der Banater Post Nr. 10 vom 20. Mai 2014, auch der bedeutende Literaturkritiker und -historiker, Hochschulprofessor und Journalist sowie langjährige Leiter des Gerhart-Hauptmann-Hauses in Düsseldorf, Dr. Walter Engel: „Wer sich mit der banatdeutschen Kulturgeschichte und Literatur des 20. Jahrhunderts befasst, auch im weiteren Sinne mit der rumäniendeutschen Literatur, begegnet dem Namen Eduard Schneider auf Schritt und Tritt: als einem Kulturjournalisten ersten Ranges, einem umsichtigen und objektiven Literaturkritiker und kenntnisreichen Literaturhistoriker, als einem beharrlichen und selbstlosen Literaturvermittler. Kein zweiter deutscher Literat des Banats im letzten halben Jahrhundert hat mit solch gleichbleibender Konsequenz und konstanter Gediegenheit das aktuelle banatdeutsche Literaturgeschehen kritisch begleitet und damit gefördert, literaturgeschichtliche Quellen als Grundlage für weitere Forschungen erschlossen und auch wichtige Kapitel bzw. Autoren des banatdeutschen Literaturtradition selbst erforscht und in Studien zugänglich gemacht.“
Dieser treffsicheren Würdigung durch Walter Engel bleibt nicht viel hinzuzufügen. Konkret zu erwähnen sind allerdings unbedingt zwei von ihm bewältigte Mammutaufgaben von bleibendem Wert, und zwar Eduard Schneiders akribische, 605 Seiten umfassende Dokumentation: So setz ich das Wort - Die rumäniendeutsche Zeitschrift Banater Schrifttum / Neue Literatur (1949-1989) als Quelle der Literaturgeschichte. Eine bibliographische Darstellung, erschienen im IKGS-Verlag München 2019, und im gleichen Verlag, im Jahr 2003, die hervorragende, 479 Seiten umfassende Texte-Sammlung Literatur in der ,Temeswarer Zeitung‘ (1918 – 1949), in Buchform und mit einer Bibliographie der literarischen Beiträge auf CD-Rom.
Wie dieser Aufriss zu dem breitgefächerten Vermächtnis Eduard Schneiders anlässlich des 80. Geburtstages verdeutlicht, hat die Banater Literatur dem geschätzten Kritiker, Literaturvermittler, Schöngeist und Thomas-Mann-Liebhaber viel zu verdanken. Seine Artikel und Buchanalysen waren stets fundiert und kenntnisreich geschrieben, auch von einer tiefen humanistischen Perspektive geprägt, was dazu beitrug, das Bewusstsein für Literatur zu schärfen und den Lesern neue Denkanstöße zu geben. Als Publizist engagierte sich Schneider für die Verbreitung von Wissen und Ideen, die dazu beitrugen, das intellektuelle Leben in seiner Heimatregion und im binnendeutschen Sprachraum entschieden zu bereichern.
Lieber Edi, ich wünsche dir zu deinem Geburtstag nur das Beste, vor allem Gesundheit und viele schöne, sonnige Zeiten, aber auch Kraft und Energie, dich als Genießer, warum nicht auch weiterhin schreibend, um die Literatur zu kümmern. „Die Farben glühen innen“, schreibst du in deinem Gedicht „Innen“. Lass sie noch viele Jahre nach außen hin leuchten!