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Der Freikauf – seit Jahrhunderten ein einträgliches Geschäft (1)

Ein Lothringer Gericht verurteilte im Jahr 1785 illegale Auswanderer. Mit der Drucklegung des Urteils sollte ein Exempel statuiert werden.

Beispiele vom Altertum bis zur Gegenwart - Den Begriff „Freikauf“ bringen die meisten Bundesbürger mit der DDR in Verbindung. Sie wissen: Bis 1989 kaufte die Bundesregierung politische Häftlinge aus DDR-Gefängnissen frei. Nach dem Umsturz von 1989 wurde der Begriff „Freikauf“ auch auf Rumänien übertragen. Allerdings bedeutet er hier etwas anderes, nämlich dass die Bundesregierung für jeden ausgereisten Rumäniendeutschen an die kommunistischen Machthaber in Bukarest einen Ablösebetrag bezahlen musste. Inwiefern lässt sich der „Freikauf DDR“ mit dem „Freikauf Rumänien“ vergleichen? Was war ähnlich? Wo gab es Unterschiede? Welches der beiden Länder war Vorreiter? Wer zog nach? Solche Fragen standen im Mittelpunkt eines Symposions, das am 8. September 2012 in Berlin stattfand. Organisiert wurde es von den Banater Schwaben in Zusammenarbeit mit den Siebenbürger Sachsen und der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Unter der Leitung des Historikers Dr. Helge Heidemeyer berichteten ein Rechtsanwalt und ein Journalist aus der früheren DDR sowie ein Buchautor und ein Journalist aus Rumänien über ihre Forschungsergebnisse, aber auch über ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit dem „Freikauf“. Zur Einführung hielt Ernst Meinhardt, Redakteur der Deutschen Welle, einen Vortrag, in dem deutlich wurde, dass der „Freikauf“ in der Neuzeit zwar aufs Engste mit der DDR und Rumänien verknüpft ist, dass er aber auch in vielen anderen Perioden unserer Geschichte unter verschiedensten Bezeichnungen praktiziert wurde, und dass er für die „Verkäufer“ immer ein einträgliches Geschäft war – zumindest vorübergehend. Im Folgenden dokumentiert die Banater Post diesen Vortrag.

Einleitung

Zwischen 1963 und 1989 hat die Bundesregierung erreicht, dass fast 34 000 politische Häftlinge aus DDR-Gefängnissen entlassen wurden und in die Bundesrepublik übersiedeln durften. Das SED-Regime erhielt als Preis für die Freilassungen Waren im Wert von über dreieinhalb Milliarden DM. Die Verhandlungen mit der DDR über die Freilassung der Häftlinge und die Bonner Zahlungen an Ost-Berlin liefern intern unter dem sperrigen Namen „Besondere Bemühungen der Bundesregierung im humanitären Bereich“. Besser bekannt wurden sie unter einem anderen Namen, der viel kürzer und treffender ist: Freikauf. Unter diesem Namen ist dieses Kapitel deutsch-deutscher Beziehungen in die Geschichte eingegangen. (1) Es ist ein dunkles Kapitel. Wer sich moralisch etwas vorzuwerfen hat, darüber sind wir uns – hoffe ich – einig. Schuld lädt nicht derjenige auf sich, der einem anderen Geld gibt, damit dieser unschuldig Inhaftierte freilässt; sondern Schuld lädt derjenige auf sich, der unschuldig Inhaftierte nur dann freilässt, wenn er dafür Geld bekommt. Wer waren die politischen Häftlinge in der DDR? Es waren Leute, die nicht damit einverstanden waren, dass die braune Nazi-Diktatur durch eine rote, stalinistische ersetzt wurde; es waren Leute, die das kommunistische Zwangssystem ablehnten; es waren Leute, die sich der Kollektivierung widersetzten; Leute, die Presse- und Meinungsfreiheit wollten; Leute, die mit der atheistischen Erziehung nicht einverstanden waren, die ihre Religion ausüben wollten, ohne dafür diskriminiert zu werden; es waren Leute, die „Feindsender“ wie den RIAS hörten; Leute, die versuchten, illegal in den Westen zu gelangen, weil sie auf legalem Weg keine Ausreisegenehmigung erhalten hätten. Schon dies ist eine Anmaßung: Menschen nicht gehen zu lassen, wohin sie wollen. Verwerflich beim Freikauf war also nicht, was die Bundesregierung tat, sondern wie sich die DDR verhielt.

Freikauf gab es zu fast allen Zeiten

Zu behaupten, der Freikauf wäre eine Erfindung der DDR gewesen, wäre falsch. Denn Freikauf gab es zu fast allen Zeiten. Er hatte unterschiedliche Namen – offizielle und inoffizielle. Unterschiedlichste Gruppen sind durch den Freikauf freigekommen. Für diejenigen, die kassierten, war der Freikauf immer ein einträgliches Geschäft. Aber: Moralisch gesehen waren die Kassierer immer im Unrecht. Und letztlich ist ihr Unrechtssystem auch immer untergegangen. Mal hat es längere Zeit bestanden, mal kürzere. Auf Dauer konnte sich keines halten.

Aus dem deutschen Südwesten nach Ungarn

Blicken wir zurück in die Geschichte und sehen wir uns einige Freikauf-Beispiele an. Das Jahr 2012 war für die Donauschwaben ein Jubiläumsjahr. Vor genau dreihundert Jahren wanderten die ersten Siedler aus dem deutschsprachigen Südwesten in das Sathmarer Gebiet aus, weil sie in ihrer schwäbischen, badischen oder Ulmer Heimat keine Zukunft mehr sahen. 1712 stiegen die ersten Familien in Ulm auf Schiffe. Mit den sogenannten Ulmer Schachteln fuhren sie die Donau hinunter nach Ungarn. Dort wollten sie sich eine neue Heimat aufbauen. Ihnen sollten bis Ende des 18. Jahrhunderts noch viele weitere Siedler hauptsächlich aus dem deutschsprachigen Südwesten folgen, die ins Banat gingen, in die Batschka, nach Syrmien und Slawonien und in die anderen donauschwäbischen Siedlungsgebiete. Gründe, weswegen sie ihre Heimat verließen, waren: Armut, Ausbeutung, Missernten, Kriege und weil ihnen Ungarn viele Vorteile bot, zum Beispiel Grund und Boden, Ackerland, Steuerfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, Freiheit von Leibeigenschaft. 

Weniger bekannt ist, dass die Auswanderungswilligen nicht einfach so, mir nichts dir nichts davonziehen durften. Ihre Grund- und Landesherren machten ihnen erhebliche Schwierigkeiten, wenn es darum ging, sie aus der Leibeigenschaft zu entlassen. Die Wegzugserlaubnis wollten sich die Herren vergüten lassen. Diese Vergütung nannten sie „Manumissionsgebühr“. Sie betrug fünf bis zehn Prozent des Vermögens der Auswanderungswilligen. Das war die Theorie. Praktisch konnte die Gebühr deutlich höher ausfallen, weil der Wert des Vermögens mitunter willkürlich festgelegt wurde. Wer unerlaubt auswanderte, dessen Vermögen wurde vom Landesherrn beschlagnahmt. Seine Erbansprüche verfielen. So konnte eine heimliche, also unerlaubte Auswanderung nur wagen, wer kein Vermögen besaß und auch keine Aussicht auf eine Erbschaft hatte. Wurde erst nachträglich um die Erlaubnis zur Auswanderung nachgesucht, so wurde die „Manumissionsgebühr“ verdoppelt. Wer seine Heimat verlassen hatte, konnte in der Regel nicht darauf hoffen, wieder zurückkehren zu dürfen. (2)

Ein Schauprozess in Lothringen

Im Frühjahr 1785 ist es im lothringischen Saargemünd (französisch: Sarreguemines) auf Anordnung des französischen Königs Ludwig XVI. zu einem aufsehenerregenden Prozess gekommen. In heutigem Deutsch würden wir „Schauprozess“ dazu sagen. Mit dem Prozess sollte ein Exempel statuiert werden: gegen die illegale Auswanderung nach Ungarn und gegen Werbung für die Auswanderung. Angeklagt waren fünf Lothringer, die alle illegal nach Ungarn ausgewandert waren. Sie waren nach Lothringen zurückgekommen, um familiäre Angelegenheiten zu regeln bzw. um Geld aus Erbschaften in Empfang zu nehmen. Während ihres Aufenthalts haben sie über die Vorzüge Ungarns gesprochen. Einige hatten auch Briefe mitgebracht, in denen die Auswanderer positiv über Ungarn schrieben. Diese Briefe haben sie den Empfängern übergeben und auch zugelassen, dass sie anderen vorgelesen wurden. Die fünf Angeklagten hießen: Johannes Bläss, Nicolas Schmitt, Hans Adami, Christoph Walter und Heinrich Rihl. Die Anklage lautete, sie hätten sich in einem fremden Land ohne Erlaubnis niedergelassen und Untertanen Seiner Majestät mit hinterhältigen Aktionen ebenfalls zur Auswanderung ermuntert.

Am 6. Mai 1785 hielt der Vertreter der Anklage seine Plädoyers. Seine Strafanträge waren der königlichen Weisung entsprechend drastisch: Gegen Bläss beantragte er lebenslange Galeerenhaft und die Konfiszierung des Besitzes zugunsten des Königs, gegen Rihl neun Jahre Galeerenhaft, gegen Schmitt zehn Jahre Gefängnis. Das Urteil, das das Gericht zu Saargemünd am 24. Mai 1785 verkündete, also knapp drei Wochen nach den Plädoyers, fiel sehr viel milder aus. Bläss wurde verurteilt zu „drei Stunden Pranger“ an einem Markttag auf dem Marktplatz von Saargemünd. Auf seiner Brust und auf dem Rücken musste er ein Schild tragen, auf dem in Deutsch und Französisch stand „Anstifter zur Auswanderung“. Diese Strafe wurde am 22. Juli 1785 vollzogen. Bläss’ Besitz wurde zugunsten des Königs eingezogen. Er wurde für 15 Jahre aus allen Ländern des Königs verbannt. Und er musste die Hälfte der Prozesskosten tragen. Rihls Besitz wurde beschlagnahmt. Er musste ein Viertel der Prozesskosten zahlen. Die lange Haft – die Männer saßen seit 1784 im Gefängnis – wurde ihm angerechnet. Vom Vorwurf, für die Auswanderung geworben zu haben, wurde er freigesprochen. Schmitt erhielt zwei Monate Gefängnis. Auch ihm wurde die lange Haft angerechnet. Er musste ein Viertel der Prozesskosten zahlen. Das Urteil endet mit folgenden Worten – wir zitieren es in der Originalsprache von damals: „Und solle dieß unser Urtheil in Französisch und Deutscher Sprache gedruckt / aller Orten wo es nothwendig seyn wird / hingeschickt werden / um offentlich nach dem Trommel-Schlag vorgelesen / und hernach angeschlagen zu werden: damit niemand sich der Unwissenheit halber / entschuldigen könnt.“ (3) Es stimmt, dass mit diesem und weiteren Urteilen Exempel statuiert werden sollten. Freilich änderte sich nichts an der anhaltenden Auswanderungswelle, weil sich durch Gerichtsurteile nicht die Gründe ändern, weswegen Menschen ihre Heimat verlassen wollen.

Manumission – ein Begriff aus der Zeit der Sklaverei 

Wir haben im Zusammenhang mit der Auswanderung der Vorfahren der Donauschwaben von der „Manumissionsgebühr“ gesprochen. Das Wort „Manumission“ ist ein sehr altes Wort. Es stammt aus der Zeit der Sklaverei. Im Lateinischen hat „manumissio“ die Bedeutung von „Freilassung eines Sklaven durch seinen Herrn“. Die „Manumission“ kannten schon die alten Römer. Wörtlich bedeutet Manumission „Loslassung aus der Hand“, von „manus = Hand, missio = Entlassung, Loslassen, Entsendung“. Hinter dem Begriff „manumissio“ steckt ein konkretes Bild. Auf dem Sklavenmarkt wurde, sobald sich Verkäufer und Käufer über den Preis eines Sklaven einig waren, der Handel besiegelt, indem der Händler den Preis entgegennahm und der Käufer den Sklaven durch Handauflegung auf seine Schulter als seinen neuen Besitz übernahm. Manumissio bedeutet, dass der Sklave in die persönliche Freiheit entlassen wird. (4) Diese Freiheit musste er sich aber dadurch erkaufen, dass er an seinen Herrn einen Ablösebetrag bezahlte. Für den Sklavenhalter hatte die Manumission einen angenehmen Nebeneffekt: Sklaven, die wussten, dass sie eine Chance hatten, freizukommen, waren fleißig und fügsam. In der Regel wurden sie erst dann freigelassen, wenn ihre Leistungsfähigkeit nachließ. Mit der „Manumissionsgebühr“, die sie an ihren Herrn zahlten, konnte sich der Herr einen neuen, leistungsfähigeren Sklaven kaufen. (5)

Auch nach Jüdischem Gesetz war es möglich, Sklaven freizulassen, wenn dafür ein Ablösebetrag bezahlt wurde. Nachlesen kann man das in der Bibel, genauer im Alten Testament, das für Christen und Juden gleichermaßen gilt. Im Buch Leviticus (3 Moses 25, 48–49) heißt es: Wenn dein Bruder so sehr verarmt, dass er sich einem anderen als Sklave verkauft, „so soll es für ihn eine Auslösung geben. Einer seiner Brüder möge ihn loskaufen! Auch sein Oheim oder seines Oheims Sohn oder sonst einer seiner nächsten Verwandten aus seiner Sippe möge ihn auslösen. Auch er selbst darf es tun, wenn er wieder Mittel dazu hat“. In den nächsten Versen (50–55) ist festgelegt, wie der Ablösebetrag zu berechnen ist. Ferner ist festgelegt: Ist ein Freikauf nicht möglich, soll der Sklave im Sabbatjahr zusammen mit seinen Kindern unentgeltlich freikommen. Sabbatjahre waren bei den Juden jedes siebte Jahr und jedes fünfzigste Jahr. Von der Freilassung von Sklaven ist im Alten Testament auch im Exodus und im Deuteronomium die Rede. Im Exodus (2 Moses 21, 2) heißt es: „Wenn du einen hebräischen Sklaven erwirbst, so soll er sechs Jahre Dienst leisten, im siebten aber soll er ohne Entschädigung in die Freiheit entlassen werden.“ Im Deuteronomium (5 Moses 15, 12–14) steht: „Verkauft sich dir ein Bruder, ein Hebräer oder eine Hebräerin, so soll er dir sechs Jahre lang als Sklave dienen, im siebten Jahr aber sollst du ihn freilassen aus deinem Dienst. Entlässt du ihn aus deinem Dienst, so schicke ihn nicht leer fort. Statte ihn gut aus mit Gaben aus deinem Kleinvieh, von deiner Tenne und deiner Kelter.“ (6) 

Anmerkungen

(1) Ludwig A. Rehlinger: Freikauf. Die Geschäfte der DDR mit politisch Verfolgten. Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein 1991, S. 247.

(2) Oskar Feldtänzer: Donauschwäbische Geschichte. Das Jahrhundert der Ansiedlung 1689–1805. München: Donauschwäbische Kulturstiftung 2006, S. 288 ff.

(3) Charles Hiegel: Répression de l’émigration lorraine en Hongrie au XVIIIème siècle dans les bailliages de Bitche et de Sarreguemines [Verfolgung der Auswanderung aus Lothringen nach Ungarn im 18. Jahrhundert in den Verwaltungsbezirken Bitsch und Saargemünd], in: Annuaire de la Société d’Histoire et d’Archéologie de la Lorraine, 1970, tome LXX, S. 141–153.

(4) Mitteilung von Dr. Baldur Gabriel, Oberstudienrat, Frankfurt am Main, E-Mail vom 13. August 2012.

(5) Wikipedia, eingesehen am 6. August 2012.

(6) Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Aschaffenburg: Pattloch 1977; Mitteilung von Pfarrer Mihai Caitar, katholischer Rumänenseelsorger, Münster (Westfalen), E-Mails vom 13. und 14. August 2012.