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Buwe, was ham’mer heit? Vom Ursprung und Inhalt der Banater Kirchweih (2)

Mit Blumen, Bändern und Zweigen geschmückter Kirchweihhut aus Gochsheim

Kirchweih 2005 in Gochsheim nahe Schweinfurt: Beim Aufstellen des 30 Meter hohen, kronengeschmückten Kirchweihbaumes auf dem Festplatz. Fotos: Peter Krier

Zum unterfränkischen Kirchweihbrauchtum gehört auch der geschmückte Schafbock, um den herum die Planpaare tanzen.

Nach meinen Erkenntnissen ähnelt der Kern der Banater Kirchweih dem Brauchtum in Unterfranken, im Umkreis von Schweinfurt, am meisten. Hier bilden die ehemaligen freien Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld Hochburgen des Kirchweihfestes. Sennfeld war am Ende des Dreißigjährigen Krieges niedergebrannt und völlig zerstört; von den ehemals 600 Einwohnern lebten zum Kriegsende noch vier Dutzend. Als 1648 endlich die Friedensglocken läuteten, versammelten sich die Überlebenden vor der Ruine ihrer Kirche, berieten sich und beschlossen, ihre Kirm (Kirmes) trotz allen Elends zu feiern. Und so geschieht dies in ununterbrochener Tradition seit 364 Jahren. Nachgewiesen ist die Kirm schon im 15. Jahrhundert.

Unterfränkische Kirchweih in Gochsheim und Sennfeld

Wie im Banat gehen die Gerüchte und Mutmaßungen, wer wem den „Hut putzt“, schon im Frühjahr los. Zwei Wochen vor dem Fest, um den ersten Septembersonntag, bringt die Lokalzeitung die abgebildeten „Planpaare“, alles ledige Sennfelder, älter als 18 Jahre. Damit ist offiziell, wer mit wem gehen wird. Samstags beginnt das Fest mit dem Aufstellen des Kirchweihbaumes, einer 30 Meter hohen Fichte, die mit einem Pferdegespann, mit Musik und vielen Zuschauern zum Festplatz gefahren wird. Der kronengeschmückte Baum wird mit Muskelkraft, mittels Leitern, Hebescheren und Seilen hochgeschoben und gezogen. Zwischendurch gibt es immer wieder Trinkpausen, die Stimmung steigert sich, bis der Baum senkrecht steht. Dann bricht der Jubel aus und es wird getrunken. Gleichzeitig fahren die sogenannten Fichtenburschen und -mädchen – Jugendliche unter 18 Jahren – durchs Dorf und laden die Wirte und die Dorfobrigkeit zur Kirm ein. An den Häusern der Geladenen werden Fichtenbuschen befestigt, die Mädchen und Burschen werden bewirtet und die Musik spielt ein Ständchen.

Am Sonntagvormittag zieht der Kirchweihzug zur Kirche, wo ein feierliches Hochamt stattfindet. Die Planpaare tragen die alte Sennfelder Tracht: schwarze Schuhe, weiße Strümpfe, die Burschen altdeutsche Hosen, rote Westen und blaue Jacken. Auf dem Kopf tragen sie einen mit Blumen und Bändern geschmückten Dreispitz. Die Mädchen tragen dunkelfarbige Röcke, eine dunkle Seidenschürze, Leibchen, Schultertuch und eine schwarze, blumengeschmückte Haube mit Bändern. Im nur fünf Kilometer entfernten Gochsheim, wo die Kirm Kerm heißt, tragen die Mädchen lange, dirndlähnliche Seidenkleider, die Burschen haben einen Gehrock an und tragen einen mit Bändern geschmückten Zylinder.

Verlauf der Kirchweih in Unterfranken

Schon um 13 Uhr marschieren die Burschen wieder zum Plan, wo sie von kleinen Mädchen erwartet werden, mit denen sie tanzend die „Gänsedreckli aushätschen“, in Erinnerung an die Zeit, als der Festplatz noch nicht betoniert war und normalerweise den Gänsen gehörte. Anschließend werden die Kirchweihmädchen abgeholt und die Planpaare ziehen jauchzend zum Plan. Hier haben sich in der Zwischenzeit Hunderte Zuschauer versammelt, denn die in den großen Industriestädten lebenden Sennfelder, manche auch von Übersee, kommen zur Kirm nach Hause, dazu auch viele Gäste aus der Umgebung. Der Sprecher der Planpaare begrüßt nun die Ehrengäste, namentlich werden Bürgermeister, Pfarrer, Landrat und andere Persönlichkeiten begrüßt und mit einem Schluck geehrt. Wenn der Ruf erklingt: „Unser Bürgermester vivat, er lebe hoch!“, antworten die Burschen: „Hoch, hoch, hoch!“ und trinken den Begrüßten zu. Häufig ertönt der Ruf: „Uner Kirm“, mit der dreimaligen Antwort: „Sie lebe hoch!“ Dazu wird gejauchzt wie im Banat.

Im Nachbardorf Hambach ruft ein Planbursch: „Wam ghört die Kerwa?“ Worauf geantwortet wird: „Uner, uner, uner!“ Wenn es dann heißt: „War isst die Fisch?“, kommt die Antwort: „Mir“. Und auf die Frage: „War kriecht die Heringsschwänz?“ – „Die Dettelbrunner!“

Nach der Begrüßung und einer kurzen Ansprache eröffnen die Planpaare den Kirchweihtanz. Auf dem Plan werden nur Rundtänze, d. h. Volkstänze nach strenger Ordnung, getanzt. Die Runde beginnt mit einem Walzer, es folgt ein Rheinländer (zwei Schritte links, zwei rechts und zweimal drehen), danach ein Schottisch (polkaähnlich), je nach Stimmung kann noch ein Dreher (Schnellpolka) folgen. Während der Tanzpause gehen die Tanzpaare im Kreis herum; wenn die Musik anschlägt, bleiben sie stehen, warten vier Takte und beginnen alle auf einmal zu tanzen. Auf der Tanzfläche wird nicht rückwärts oder seitwärts getanzt, sondern nur gleichmäßig im großen Kreis vorwärts.

Wie im Banat, tanzt zuerst jeder Bursch mit seinem Mädchen, dann wechseln die Planpaare untereinander. Die Burschen laden danach ihre Mütter zum Tanz, bzw. die Mädchen werden von ihren Vätern zum Tanz aufgefordert, danach folgen die Geschwister und die Verwandtschaft. Die Gäste legen beim Tanz eine Münze in einen Teller. Das ganze überwacht der „Planhüpfer“ oder „Mundschenk“, der genau dieselbe Rolle hat, welche im Banat der „Kerweihnarr“ oder „Keiweihvatter“ ausübt. In Gochsheim hat der „Planhüpfer“, der wie im Banat eine weiße Schürze trägt, einen Schellenstock, mit dem er sich Gehör verschafft.

Am Abend verkleinert sich der Gästekreis etwas. Die Planpaare gehen zum Abendessen, wobei die Burschen eingeladen sind, wie bei Adam Müller-Guttenbrunns Susi und Adam Luckhaub, in „Meister Jakob und seine Kinder“. In der Zwischenzeit gehört die Tanzfläche den Alten. Nach einiger Zeit kommen sie wieder in lockerer Kleidung und feiern bis in den nächsten Tag hinein. Trotzdem geht es am Montag weiter.

Ausklang und Nachkirchweih

Am Vormittag werden den Planmädchen Ständchen gebracht und um 13 Uhr marschieren die Paare wieder auf. An diesem Tag tragen die Sennfelder Burschen Gehrock und Zylinder und die Mädchen festliche Kleider, die sie am Abend wieder gegen legere Kleidung tauschen. Auch montags wird bis spät in die Nacht auf dem Kirchweihplatz getanzt. Dienstags treffen sich die Sennfelder Klassen- und sonstige Kameradschaften in verschiedenen Wirtshäusern des Dorfes und feiern dort in kleineren Kreisen. Abends trifft man sich wieder am Plan. Und auch der Mittwoch ist Festtag, der Friedenstag. Die Sennfelder und Gochsheimer hänseln sich, wie die Jahrmarkter und Bentscheker; „Klosköpf“ und „Krauthätscher“ nannten sie sich. Natürlich gab es an der Kirchweih auch echte Streitigkeiten und manchmal auch Keilereien. Nun wurde damit endgültig Schluss gemacht. Die Sennfelder und Gochsheimer haben an ihrer Gemarkungsgrenze einen Friedensstein gesetzt und treffen sich dort am Kirchweihmittwoch zum friedlichen Umtrunk. Am Sonntag darauf findet wie im Banat die Nachkirchweih statt. Wieder wird auf dem Plan gefeiert und getanzt, die Planpaare tragen dazu erneut ihre Volkstracht. Erst um Mitternacht ist Schluss; die Kirm wird bis zum nächsten Jahr begraben.

Auch das Umfeld ist so wie im Banat; es gibt Ringelspiele, Schießbuden, Zuckerwatte und jede Menge zum Essen und Trinken. Typisch für die beiden Dörfer sind allerdings der wagenradgroße „Zwiebelploz“ in Gochsheim und der „Zwetschkenploz“ in Sennfeld. 

Wie im Falle des Dorfdialekts ist unser Kirchweihbrauchtum eine Mischung aus verschiedenen deutschen Regionen, der fränkische  Anteil scheint dabei zu überwiegen. Unser Kerweihbrauchtum hat alte deutsche Traditionen. Nicht nur weil es sich reimt, wird in den Kirchweihansprachen immer an die Ahnen erinnert, die den „Rosmarein vom Rhein“ mitbrachten; der Kirchweihstrauß ist pfälzisches Kulturgut.

Perspektiven der Banater Kirchweih

Schon vor Jahren stellte sich die berechtigte Frage, wie sich das wichtigste Banater Fest des Jahres, die Kerweih, nach der gänzlichen Aussiedlung weiterentwickeln wird. Inzwischen scheint eine Antwort darauf möglich zu werden.

1. Die zahlreich ausgetragenen Kirchweihfeiern in Deutschland sind wohl etwas anders geworden, als sie der älteren Generation aus dem Banat in Erinnerung geblieben sind, doch sie begleiten viele Treffen von Heimatortsgemeinschaften, um an die Heimattraditionen zu erinnern. Das Heimat- und Zusammengehörigkeitsgefühl rückt hier in den Vordergrund und schafft die Voraussetzungen zum gemeinsamen Feiern der überlieferten und auch erneuerten Bräuche. Ihre soziale Funktion schafft ihnen weitere Existenzberechtigung. Solange begeisterungsfähige Veranstalter die Jugend zum Mitmachen gewinnen, ist die Fortdauer der Banater Kirchweihfeier mit Trachtenpaaren und einigen Kirchweihsymbolen – wenn auch mit veränderter Funktion – gesichert.

2. Noch klingt in der Herbstzeit in einigen Banater Dörfern wie Pankota, Billed, Neuarad, Sanktanna, Hatzfeld oder Großsanktnikolaus der Ruf „Buwe was ham'mer heit“, obwohl in der Gruppe schon überwiegend rumänisch gesprochen wird. Die Kerweih lebt dort noch, sie ist heute eine Begegnung der Ausgesiedelten mit den Daheimgebliebenen und ihren früheren Nachbarn und Arbeitskollegen, eine Begegnung der Gegenwart mit den Erinnerungen. Es ist nur eine Projektion der abgeschlossenen Vergangenheit in die Gegenwart, die solange überleben wird, wie Erinnerungsträger sie bewahren und ihnen neues Leben verleihen. Danach wird das Fest in schriftlichen Aufzeichnungen, in Ton- und Bilddokumenten überleben. Tonträger mit einschlägiger Musik und Textbeschreibungen gibt es bereits viele.

3. Die Feier der Banater Kirchweih rückt heute vorrangig das Heimat- und Zusammengehörigkeitsgefühl in den Vordergrund. Das ist ihre Existenzberechtigung, solange ein Interesse der Banater Landsleute daran besteht. Und das ist anscheinend noch bei der Erlebnisgeneration und auch bei unserer Jugend der Fall. So wie die Ahnen das Fest einst aus dem Rheinland, Franken oder der Pfalz in das Banat brachten, haben Landsleute unser Kirchweihbrauchtum nach Deutschland, Amerika, Brasilien und sonstwo in die Welt mitgenommen. Der verstorbene Lehrer Hans Klein hat berichtet, dass in dem Städtchen Lefort, in North Carolina (USA), das von Banatern aus Josefsdorf gegründet wurde, seit 1893 pausenlos Kirchweih nach Banater Art gefeiert wird. Heute noch rufen dort junge Menschen, die der deutschen Sprache kaum mehr mächtig sind: „Buwe was ham'mer heit?“ – „Kerweih!“ Der Ruf wird noch solange erschallen, wie wir dieses schöne Fest erhalten wollen. Wir haben die Freiheit und die Möglichkeit dazu. Und unser überliefertes Brauchtum ist es wert, weiter erhalten und gepflegt zu werden.