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Temeswar steckt in der Sackgasse mit Johnny Weissmüller

Die ehemalige und zukünftige Olympiastadt Paris ehrte den Helden von 1924 Johnny Weissmüller. Foto: Helmut Heimann

Das falsche Geburtshaus des Tarzan-Darstellers in Freidorf, Petőfi-Sándor-Platz 6, heute ohne Gedenktafel. Quelle: www.opiniatimisoarei.ro

Schon die Bibel wusste: „Ein Prophet gilt nichts im eigenen Land.“ Der Spruch trifft auf unseren Landsmann Johnny Weissmüller zu, einen der besten Schwimmer und berühmtester Tarzan-Darsteller aller Zeiten. Sein Geburtsort Freidorf ist 1950 von Temeswar eingemeindet und Weissmüller zum Sohn der Begastadt geworden. Aber selbst mit der Lupe gibt՚s dort keine Spur von ihm zu entdecken. Er wurde vom berühmtesten zum vergessenen Sohn.

Sein Geburtshaus in Freidorf ist 2011 abgerissen worden. Als Weissmüllers Sohn Johnny anlässlich des 100. Geburtstages seines Vaters 2004 Temeswar besuchte, stand es noch. Doch die nicht asphaltierte Straße davor war den Stadtoberen nach dem vielen Regen zu lehmig. Kurzerhand suchten sie ein ähnliches Gebäude, brachten eine Gedenktafel an – und gaukelten dem Sohn etwas vor. Eine Posse, reif für eine Glosse. Im gleichen Jahr wurde der ehemalige Weltklasseschwimmer zum Temeswarer Ehrenbürger ernannt. Aber der erboste Eigentümer entfernte die Gedenkplatte am falschen Geburtshaus: „Ich war das Anlügen der Touristen satt.“

Was heute an den legendären Weissmüller erinnert, ist eine nach ihm benannte 250 Meter lange Straße in Freidorf, die abrupt an einer Eisenbahnlinie endet. „In der Sackgasse leben, heißt vom Durchgangsverkehr verschont bleiben“, meinte Schriftsteller Botho Strauß. Für Johnny Weissmüller scheint es daraus keinen Ausweg zu geben. Als 2009 insgesamt 54 Kandidaten für eine Allee der Temeswarer Persönlichkeiten nominiert wurden, schaffte er nicht mal den Sprung in den erweiterten Kreis, obwohl er weltweit bekannter ist als alle zusammen. Im Zentralpark wurden die Büsten von 24 Personen aufgestellt. Eine von Weissmüller fehlt im gesamten Stadtgebiet.

Andere Ortschaften wissen mit Pfunden von Prominenten zu wuchern. Bud Spencer, Schwimmer und Schauspieler wie Weissmüller, nahm vor 72 Jahren für Italien an einem Länderkampf gegen Deutschland in Schwäbisch Gmünd teil. Was die Stauferstadt 2011 veranlasste, das Werbepotential des Hau-Drauf-Komödianten zu nutzen und das lokale Schwimmbad im Beisein von Bud Spencer nach ihm umzubenennen. Die entsprechende Gemeinderatssitzung wurde von fünfzig Journalisten und Kamerateams vor allem aus Italien und den USA verfolgt. 

In Temeswar ein Freibad nach dem fünffachen Schwimmolympiasieger Johnny Weissmüller zu benennen – auf diese Idee ist niemand gekommen. Ebenso wenig wie ein Kino, obwohl seine zwölf Tarzan-Spielfilme zu den bekanntesten der Reihe gehören. Möglich wäre beides für՚n Appl und ՚n Ei. „Wer einen Fehler macht und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten“, so der chinesische Philosoph Konfuzius. Temeswar hat in Sachen Johnny Weissmüller einen Fehler nach dem anderen begangen.

Andere Ortschaften brüsteten sich mit dem Schwimmer und Schauspieler, obwohl sie nichts mit ihm zu tun hatten. Vor Jahren wollte Pardan im serbischen Banat seine Statue aufstellen. Die Nachricht schaffte es bis in die „New York Times“. Zum Glück ist nichts daraus geworden, denn Pardan hat mit Weissmüller so wenig zu tun wie die deutsche Fußballnationalmannschaft mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft. Und auch die ehemalige Kulturhauptstadt Rijeka schmückte sich mit fremden Federn. Die Organisatoren erzählten deutschen Journalisten während einer Pressereise, Weissmüller sei aus der kroatischen Hafenstadt in die Neue Welt ausgewandert. Ein Bluff, den die Reporter ungeprüft veröffentlicht haben. Denn der kleine Johnny war mit seinen Eltern in Rotterdam an Bord gegangen.

In den USA legte er eine fantastische Karriere hin, die bis heute unvergessen ist. Davon konnten wir uns während eines Zehntagetrips durch Paris im vergangenen August überzeugen. Wir sahen sein Foto jeden Tag. Auf den Gittern des berühmten Glockenturms Saint-Jaques im Herzen von Paris ehrte die französische Hauptstadt in einer Fotogalerie die Olympiahelden der letzten hundert Jahre. Für die Sommerspiele 1924 in Paris war es Weissmüller, der drei Goldmedaillen in Weltrekordzeit gewann. Dass Paris sich ausgerechnet für ihn entschied, ist umso bemerkenswerter, weil die französische Metropole nächstes Jahr wieder Sommerspiele ausrichten wird.

Paris weiß, wie man mit Weissmüller umgeht, Temeswar nicht. Dabei wäre er der beste Werbeträger für das in gut einem Monat beginnende Kulturhauptstadtjahr. Weltweit bekannter als er ist kein Temeswarer. Sein Name würde ausländische Touristen anlocken. Meine Presseanfrage nach seiner Einbindung bei Temeswar 2023 ließ das zuständige Kuratorenteam bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet. Temeswar steckt in der Sackgasse mit Johnny Weissmüller. „In seiner Heimatstadt schert sich niemand um sein Andenken“, kritisierte „Opinia Timișoarei“. Und Cătălin Oprișan, einer der renommiertesten rumänischen Sportjournalisten, schrieb: „Tarzan wurde in Temeswar geboren. Wir haben ihn umgebracht.“ Gut, dass Johnny Weissmüller das nicht mitbekommt. Sonst würde er im Grabe rotieren.