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Die Ackerbauschule von Großsanktnikolaus

Das Hauptgebäude der Königlich-ungarischen Ackerbauschule in Großsanktnikolaus am Ende der Szegediner Gasse (Aufnahme um 1900). Darin waren Klassenzimmer, eine Kanzlei und die Dienstwohnung des Schulleiters untergebracht.

Edelmann Christoph Nako, Begründer der Ackerbauschule in Großsanktnikolaus.

Nach 1945 bezog die Ackerbauschule das sehr gefällige und großräumige Gebäude der ursprünglich Königlich-ungarischen staatlichen »Berta«-Knabenschule, welches nach 1920 die neue Bürgerschule beherbergte. Ansichtskarten aus der Sammlung Peter-Dietmar Leber

Seit Menschengedenken war die Ackerkrume unseres Erdballs der Garant menschlicher und tierischer Existenz. Durch angeborenen Fleiß, Beständigkeit und fachliches Können sowie unerschrockenen Pioniergeist ist es den Neusiedlern des Banats gelungen, aus einem ehemals versumpften Landstrich ein „blühend Eden“ (so Adam Müller-Guttenbrunn) zu schaffen. Die Grundlage dazu war letztlich die fruchtbare Ackerkrume dieses Landstrichs und die – für die damalige Zeit – dort praktizierte moderne „Agrikultur“. Die Ackerbauschule von Großsanktnikolaus hatte dabei eine überzeugende und für das Gebiet eine ackerbaulich prägende Vorreiterrolle übernommen.

Die Gründungszeit

Vom griechisch-mazedonischen Edelmann Christoph Nako, dessen korrekter und ursprünglich griechischer Name eigentlich Nakos lautete, wurde die Schule am 24. September 1799 durch seine Stiftungsunterschrift gegründet. Als Vorbild dazu diente die erste Ackerbauschule Ungarns im Puszta-Städtchen Szarvas. Die agrarische Bildungsstätte von Großsanktnikolaus war also – entgegen der bisherigen Annahme, die erste einschlägige Schule gewesen zu sein – bereits die zweite ihrer Art im damaligen Ungarland. Die Idee dieser Schuleinrichtung stützte sich auf das pädagogisch-didaktische Konzept des evangelischen Pastors böhmischer Abstammung Sámuel Tessedik aus Szarvas. Ihm diente die bereits durch Graf György Fesztetics in Keszthely am 1. Juli 1797 gegründete Höhere Ackerbauschule „Georgikon“ als wegweisend (in der Schulbezeichnung ist der Gründername verewigt). Daraus hat sich bis heute eine Agraruniversität mit sieben Einzelfakultäten entwickelt. Dazu gehört auch ein sehenswertes landwirtschaftliches Museum, dessen Besichtigung mich sehr beeindruckt hat.

Die Ackerbauschule von Großsanktnikolaus – als untere agrarische Bildungsstufe – nahm den Unterricht im Jahre 1801 mit fünf deutschen, vier serbischen und drei walachischen Schülern in ihrem Stammhaus an der Szegediner Landstraße auf. Diese ethnische Struktur beweist, dass es damals fast keine Ungarn südlich der Marosch und östlich der Theiß gab. Diese sickerten etwas später als Siedler durch die Nákós und andere Grundherrschaften in das Torontaler Gebiet ein. Aus leibeigenen Bauernfamilien entstammten zehn dieser ersten Schüler; einer kam aus einer Landarbeiterfamilie (Tagelöhner) und einer war der Sohn eines Müllers. Erster Leiter dieser landwirtschaftlichen Bildungsanstalt war János Intze (1775–1844). Sein Geburtsort ist unbekannt, er war aber bis zu seinem Lebensende in dieser Funktion an der Schule tätig.

Dem Bericht des damaligen Schulinspektors (Schulrat) Jakob Werner vom 24. Oktober 1801 ist zu entnehmen, dass Pastor Sámuel Tessedik in Begleitung seines Schülers János Intze den künftigen Schulort Großsanktnikolaus besuchte. Dabei soll er diesen dem Organisations- und Gründungskomitee der neuen Schuleinrichtung vorgestellt und ihn als Schulleiter empfohlen haben. Sein Vorschlag fiel auf fruchtbaren Boden. János Intze hatte die Höhere Ackerbauschule „Georgikon“ in Keszthely absolviert und sich anschließend in Wien weitergebildet, wo er sich mit einem neu entwickelten Gerät zur Hanfverarbeitung vertraut machte. Es scheint hier erwähnenswert, dass die Nákós auf ihren Domänen neue, technisch verwertbare Kulturarten (Tabak, Hanf, Baumwolle, Heilkräuter usw.) eingeführt und zu deren Kultivierung ungarische Siedler von jenseits der Marosch und Theiß in eigens dafür neu gegründeten Ortschaften (Porgány und Keresztúr) sowie in Altbeba angesiedelt haben. So kamen immer mehr Ungarn in diese Ecke der Puszta.

János Intze heiratete am 10. Januar 1808 Rozália Rácz aus Großsanktnikolaus. Dieser Ehe entsprangen die Kinder Amália Terézia (14. Oktober 1808, Todesdatum unbekannt), Johanna (2. März 1810 bis 7. Dezember 1811), Franciska (26. September 1811 bis 10. November 1812), Franciska (Juli 1813 bis 6. April 1814), Sándor (20. April 1817 bis 23. März 1887), György (2. März 1819 bis 5. Oktober 1889), Stephanus (8. Dezember 1821, Todesdatum unbekannt). Man beachte die hohe Kindersterblichkeit in jener Zeit. Aus einem weiteren Schulbericht geht hervor, dass János Intze als Schulleiter den Erwartungen voll entsprach. Er starb als erster Schulleiter dieser agrarischen Lehranstalt im Jahre 1844 und wurde in Großsanktnikolaus beerdigt. Aus den von Prof. Margaret Velcsov freundlicherweise zur Verfügung gestellten Informationen aus ungarischen Archiven geht nicht hervor, auf welchem Friedhof János Intze beerdigt wurde.

Die Schule unter den Bartóks

Geboren in Großkikinda am 24. November 1816, studierte János Bartók nach seiner Gymnasialausbildung in Szegedin an der Agraruniversität Hohenheim bei Stuttgart und anschließend in Berlin. Danach begab er sich auf eine Studienreise ins Ausland. Seine anschließende Feststellung lautete: „Es ist herrlich, fremde Länder zu sehen, wobei du als erstes aber die Verpflichtung hast, dein eigenes Land zu kennen. Es nicht zu kennen, ist eine Schande, gar eine Sünde.“ Seine Reise war von dem großen Interesse getragen, die Landwirtschaft im Banat kennenzulernen. Dabei fiel ihm auf, dass die Felder der leibeigenen Bauern mit Feldgehölzen (Hecken) begrenzt und die die dörferverbindenden Landstraßen mit Maulbeerbäumen bepflanzt waren. Das alles sollte zu einem günstigen Kleinklima in der Steppenlandschaft der Puszta beitragen und die Regenhäufigkeit steigern. Diese Baumart, die Maulbeere, war in jener Zeit wegen der vielerorts als bäuerliches Zusatzeinkommen praktizierten Seidenraupenzucht eine geschützte Art unter den sonstigen bekannten Banater Baumarten. Auch stellte János Bartók auf seiner Reise durch das Banater Bergland fest, dass die Armut der walachischen Bauern jener Gegenden durch die niedrigen Ernteerträge bedingt war, die auf die dort herrschenden Wetterkapriolen zurückzuführen waren, beispielsweise der trocken-heiße „Koschawa“-Wind aus den Dinarischen Alpen.

Seine Tätigkeit als Landwirt begann János Bartók in Großkomlosch, vermutlich auf der Grundherrschaft des griechisch-mazedonischen Edelmanns Cyrill Nako, Bruder des Christoph Nako von Großsanktnikolaus. Sie führte ihn dann über neue Aufgaben nach Uj-Pécs (Neupetsch), wonach er durch Graf Kálmán Nákó an die nach den Wirren der Revolutionsjahre 1848/1849 wieder eröffnete Ackerbauschule von Großsanktnikolaus als „Dirigent docens“ (hier „vortragender, unterrichtender Leiter“) berufen wurde. Die Schule war anfangs mit 13 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche aus dem gräflichen Nákó-Besitz und zweckmäßigen landwirtschaftlichen Gebäuden und Gerätschaften ausgestattet worden (siehe dazu auch „Heimatbuch Großsanktnikolaus“, Seite 167). Obwohl der „Dirigent docens“ János Bartók ein Ungar war, sprach er neben Ungarisch auch gut Deutsch und zufriedenstellend Rumänisch und Serbisch, was ihn in die Lage versetzte, seine multiethnischen Schüler in deren jeweiligen Muttersprache zu unterrichten.

Verheiratet war János Bartók mit Matilda Ronkovics aus Großkomlosch, der Tochter einer Intellektuellenfamilie, die einige Rechtsanwälte und Notare hervorbrachte. Zur Aussteuer der Braut gehörte auch ein Klavier. Es war das erste Klavier im Leben des Enkelsohns der beiden – Béla Bartók jun., dem späteren Musiker und Komponisten –, auf welchem dieser seine ersten musikalischen Gehversuche unternehmen sollte. Schulleiter János Bartók verstarb im Jahre 1877, wonach sein Sohn, Béla Bartók sen. (1855–1888), der Vater des Komponisten, im Alter von 22 Jahren die Leitung der Ackerbauschule übernahm.

Die schulische Laufbahn des Béla Bartók sen. (1855–1888) aus der zweiten Generation der Bartóks verlief über das Piaristengymnasium in Pest, gefolgt von der Wirtschaftsakademie in Klausenburg und einem anschließenden Stipendium an der Landwirtschaftlichen Hochschule von Magyaróvár. In den zehn Jahren seiner agrarpädagogischen Tätigkeit als Schulleiter in Großsanktnikolaus hat er als Fachmann diese Schule mit großem Engagement geführt und inhaltlich geprägt. Im Jahre 1887 wechselte die Ackerbauschule Großsanktnikolaus aus dem bis dato Nákóschen Besitz in ungarischen Staatsbesitz über. Der Lehrplan für die damals bereits fünfzig bis sechzig Schüler war auf drei Ausbildungsjahre ausgerichtet. Im Sommer des Jahres 1884 organisierte Béla Bartók sen. einen Schülerausflug mit der neuen technischen Verkehrseinrichtung – der Eisenbahn – in die Banater Berge, bis SteierdorfAnina. Dadurch sollte den Schülern die Bedeutung des Bergbaus für die Banater Hüttenwerke in Reschitza nähergebracht werden.

Unter der Federführung von Béla Bartók sen. erschienen verschiedene Fachartikel in der von Rechtsanwalt Viktor Schreyer herausgegebenen Zeitung „Nagyszentmiklósi Közlöny“ („Großsanktnikolauser Mitteilungen“) in Großsanktnikolaus und Großkikinda. Er gehörte auch zur Gruppe jener Fachleute, die am 25. November 1883 an der Bewertung des ersten mechanischen Getreidedruschs mit der neu entwickelten Dreschmaschine auf dem Landgut des Gutsbesitzers Ernö Rónay bei Kiszombor teilnahmen. Die Veranstaltung wurde vom Vertreter der englischen Firma „Marshall Landmaschinen“ in der ungarischen Puszta organisiert. Das positive Ergebnis dieser Maschinenvorführung wurde am 11. Mai 1884 in den „Szegedi Napló“ („Szegediner Tagesnachrichten“) veröffentlicht.

Béla Bartók sen. war stets bemüht, die Lage der geschundenen Bauern zu verbessern, die den ehemals versumpften Banater Ackerboden bewirtschafteten. Er war davon überzeugt, dass ohne eine Förderung des Fachwissens und einer Hebung des kulturellen Niveaus der Bauern die Landbevölkerung sich aus der allgemeinen Misere nicht selbst befreien kann. Ebenfalls im Jahre 1884 brachte Béla Bartók sen. die Zeitschrift „Gazdasági Tanügy“ („Betriebswirtschaftslehre“) heraus, eine damals einzigartige Fachpublikation, für deren Redaktion er auch persönlich zeichnete. Doch sein sich permanent verschlechternder Gesundheitszustand erlaubte leider nur vier Ausgaben dieser Zeitschrift. Im Jahre 1887 war er Gründungsmitglied der Großsanktnikolauser Musikvereinigung. Er selbst lernte Klavier und Violoncello und gründete ein Orchester mit lokalen Amateurmusikern.

Die Schaffensfreude und -kraft dieses hervorragenden Pädagogen und Publizisten nahm am 4. August 1888 ein viel zu frühes Ende. Béla Bartók sen. war gerade mal 32 Jahre alt. Er hinterließ neben seinen beiden Kindern Béla (7 Jahre) und Elisabeth (5 Jahre) auch seine junge Frau Paula (geb. Voith). Seine Familie musste die Schulleiterwohnung in der Ackerbauschule räumen und bestritt fortan ihren Lebensunterhalt durch Paulas privaten Klavierunterricht. Dieser Umstand kann wohl als Sternstunde des kleinen Béla Bartók jun. bezeichnet werden, denn er nahm bei seiner musikalischen Mutter den ersten Klavierunterricht – die Grundlage für seine spätere Weltkarriere. Béla Bartók sen. und seine Gattin Paula sind beide auf dem römisch-katholischen Friedhof im ehemaligen Deutsch-Sanktnikolaus bestattet (neben der Friedhofskapelle).

Sic transit gloria mundi

Die Folgen des Ersten Weltkriegs, die unter anderem zur Auflösung der Donaumonarchie führten, besiegelten nicht nur die Tradition und den fachlich anerkannten Ruf der Ackerbauschule auf dem Heideboden von Großsanktnikolaus, sondern auch deren weiteres Schicksal. In den Wirren der strukturell sozialistischen Umgestaltung der einst blühenden Banater Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg büßte die Lehranstalt ihren einst hohen Stellenwert und guten Ruf schrittweise ein – ein Faktum, das sich heute noch fortsetzt. Alle Bemühungen wie auch der engagierte Einsatz der sicher gut ausgebildeten Lehrer und sonstigen Fachkräfte konnten die weitere Entwicklung der Schule nicht aufhalten, die sich nicht nur durch strukturelle, sondern insbesondere auch durch bauliche Zerfallserscheinungen bemerkbar machte. Und dennoch hat die „als zweite Ackerbauschule des ehemaligen Ungarnreichs“ und „als erste Ackerbauschule auf heutigem rumänischem Boden“ – wie dies die heutigen Lokalchroniken immer wieder unterstreichen – nicht aufgehört zu bestehen. In Anerkennung und Würdigung der Verdienste ihres Gründers wird das Schulgebäude in der heutigen Straße 16 Decembrie 1989 (ehemalige Kirchgasse) seit dem 1. September 2012 als „Liceul Tehnologic Cristofor Nako“ geführt. Es ist sicher auch ein Ausdruck eines neuen Geschichtsbewusstseins, das in Großsanktnikolaus erfreulicherweise Einzug gehalten hat.

 

Anmerkung: Dem aufmerksamen Leser dürfte es nicht entgangen sein, dass der Name Nako mal mit dem im Ungarischen als Lautfärbung verwendeten Akzent, mal ohne diesen Akzent geschrieben ist. Dieser Unterschied ist dadurch begründet, dass die erste Nako-Generation, also die Brüder Christoph und Cyrill, noch als griechische Edelleute geführt wurden. Erst die zweite NákóGeneration, ab Sándor I. Nákó (1785–1848), wurde von Kaiser Joseph II. und Kaiser Franz I. in den ungarischen Adels- und Grafenstand erhoben und seither nicht mehr als Nako, sondern nach der ungarischen Form als Nákó geführt.