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Treffen der Forscherelite im Vatikan

Während der feierlichen Audienz überreichte Papst Franziskus Stefan Hell die Insignien der Mitgliedschaft in der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Einsender des Fotos: Stefan Hell sen.

Banater Stefan Hell bei der Plenartagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften

Die Mitgliederliste der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften liest sich wie ein Who is who der Forscherelite. Im Jahr 2019 wurde auch dem aus Sanktanna stammenden Physiker und Nobelpreisträger Stefan Hell, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg, die Ehre zuteil, von Papst Franziskus als Mitglied dieses hochangesehenen Gremiums berufen zu werden. 

Nachdem Stefan Hell sich und seine wissenschaftliche Arbeit im Oktober 2020 im Rahmen der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften – die aus Pandemiegründen in virtueller Form stattfand – vorgestellt hatte, reiste er nun zum ersten Mal persönlich in den Vatikan in Begleitung seiner Frau, seiner vier Kinder und seines Vaters. Anlass war die Plenartagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, die vom 8. bis 10. September in der Casina di Pio IV, dem in den Vatikanischen Gärten befindlichen Sitz der Akademie, abgehalten wurde. 

Die diesjährige Tagung beschäftigte sich mit dem Thema „Grundlagenforschung für menschliche Entwicklung, Frieden und planetare Gesundheit“. (Der Begriff „planetare Gesundheit“ – im Englischen „Planetary Health“ – beschreibt den Gesundheitszustand der menschlichen Zivilisation und der sie umgebenden Umwelt, von der sie abhängt.) Ziel dabei war es, die treibenden Kräfte und Möglichkeiten der Grundlagenforschung im Hinblick auf menschliche Entwicklung, Frieden und planetare Gesundheit auszumachen und herauszustellen. Unter Zugrundelegung neuer und sich abzeichnender Durchbrüche in den Wissenschaften eruierten die Mitglieder der Akademie, welchen Beitrag die Grundlagenforschung in den Bereichen Astronomie, Physik und Biophysik, Mathematik und Künstliche Intelligenz, Chemie und Biochemie, Bio- und medizinische Wissenschaften sowie Atmosphären- und Klimawissenschaften leisten kann, um die Bedrohungen und Probleme für die Menschen, den Frieden und unseren Planeten zu verringern. 

Zu den Vortragenden gehörte auch Prof. Dr. Stefan Hell. In seinem Kurzreferat „Auflösung auf molekularer Skala in der Fluoreszenzmikroskopie“ stellte der Physiker die von ihm und seinem Team entwickelte, MINSTED genannte neue Lichtmikroskopie-Methode vor, die es erlaubt, fluoreszenzmarkierte Details mit molekularer Schärfe zu trennen. Mit MINSTED knüpft Hell an seinen gut 20 Jahre zurückliegenden Durchbruch mit der STED-Mikroskopie an und schöpft das volle Potenzial dieser Technik aus. Damals war es ihm gelungen, die Beugungsgrenze des Lichts in der Fluoreszenz-Lichtmikroskopie zu durchbrechen, was bis dahin als unmöglich galt. Das STED-Prinzip kam einer Revolution in der Lichtmikroskopie gleich. Dafür erhielt Hell 2014 den Nobelpreis für Chemie. Die STED-Mikroskopie erreichte ursprünglich eine Trennschärfe von bis zu 20 bis 30 Nanometern (Millionstel Millimeter) und war damit etwa zehn Mal schärfer als die bis dahin verfügbaren Lichtmikroskope. 2016 konnten Hell und seine Mitarbeiter die Auflösung noch einmal um das Zehnfache steigern und mit der MINFLUX-Methode erstmals eine Trennschärfe von wenigen Nanometern erreichen. Dies machte Mikroskopie auf molekularer Skala möglich. Es ist zu erwarten, dass MINSTED und MINFLUX grundlegende Verfahren werden, die in den Lebenswissenschaften vielfach Anwendung finden“, so Hell.

Am 10. September empfing Papst Franziskus die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften zu einer Audienz im Klementinensaal des Apostolischen Palastes. Dabei wurden die neuen Mitglieder dem Heiligen Vater vorgestellt, der ihnen die Insignien der Mitgliedschaft überreichte. In seiner Ansprache bezog der Papst zur aktuellen Lage Stellung. Die Geschichte zeige mittlerweile Anzeichen einer Regression. „Nicht nur, dass anachronistische Konflikte intensiver werden – es tauchen auch wieder Nationalismen auf, die in sich verschlossen und aggressiv nach außen sind, und neue Kriege um Vorherrschaft, die Zivilisten, alte, junge und kranke Menschen in Mitleidenschaft ziehen und ein Bild der Zerstörung schaffen.“ Er sei sehr besorgt über diese Entwicklung und darüber, dass die „Risiken für die Menschen und für den Planeten insgesamt“ immer weiter anstiegen, so der Papst. 

Franziskus lobte die Stellungnahmen der Päpstlichen Akademie in den vergangenen Jahren, beispielsweise zur Covid-Pandemie, zur Ernährungskrise, der Verschmutzung der Meere oder zu Fragen der Organspende und des Organhandels. Es sei notwendig, „das gesamte auf Wissenschaft und Erfahrung basierende Wissen zu mobilisieren, um Elend, Armut und neue Sklaverei zu überwinden und Kriege zu vermeiden“, betonte das Kirchenoberhaupt. Dabei sei es wichtig, dass die Wissenschaftler interdisziplinär arbeiteten. Wenn Astronomie, Physik, Mathematik, Biochemie, Klimawissenschaft und Philosophie zusammen betrachtet würden, könnten sie noch mehr zur menschlichen Entwicklung, Frieden und Gesundheit auf dem Planeten beitragen. Er ermutigte die Anwesenden, sich stets für „Wahrheit, Freiheit, Dialog, Gerechtigkeit und Frieden“ stark zu machen. 

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Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften gilt als eine der renommiertesten und ältesten wissenschaftlichen Akademien der Welt. Die 1936 von Papst Pius XI. unter dem Namen „Pontificia Academia Scientiarum“ wieder ins Leben gerufene Akademie ist die Nachfolgerin älterer päpstlicher Gelehrtenakademien, deren erste bereits im Jahr 1603 gegründet wurde. Ihr Ziel ist es, den Fortschritt der Naturwissenschaften und die Lösung wichtiger wissenschaftlich-technischer Probleme, die für die Entwicklung der Menschheit von grundlegender Bedeutung sind, zu fördern. 

Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften arbeitet unabhängig, fächerübergreifend und international. Ihr gehören zurzeit 83 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Weltrang an, davon 26 Nobelpreisträger). Herkunft oder religiöses Bekenntnis spielen keine Rolle. Die neuen Mitglieder werden von allen Akademiemitgliedern gewählt und vom Papst auf Lebenszeit ernannt. Amtierender Präsident ist der deutsche Agrarökonom Joachim von Braun.