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Wo der Schmetterling Babrjon heißt - Triebswetter wird 250

Gedenktafel, die auf Initiative der HOG am 28. August in Triebswetter enthüllt wurde. Ihren endgültigen Platz an der Fassade der katholischen Kirche in Triebswetter wird sie nach Abschluss der Sanierung des Gotteshauses erhalten. Foto: HOG Triebswetter

Festvortrag beim 26. Triebswetterer Treffen am 25. Juni 2022 in Rastatt-Rauental

Mit Triebswetter bin ich zweifach verbunden. Zum einen biografisch, so dass ich Triebswetter aus eigener Erfahrung kenne, also als „halber“ Triebswetterer gelten kann. Zum anderen bin ich ein ganzer Historiker, dem Migrationen in der Neuzeit und Zeitgeschichte zum Lebensthema geworden sind. Daher kenne ich Triebswetter auch aus einer anderen, wissenschaftlichen Perspektive. Sie liegt meinem Vortrag zugrunde, zu dem der 250. Geburtstag von Triebswetter den Anlass bildet. Meine Ausführungen verstehe ich als Geburtstagswunsch an eine – lassen Sie mich das schon jetzt vorwegnehmen – besondere Gemeinde. Lange Geburtstagswünsche sind dem Jubilar immer willkommen. Sie schüren aber manchmal auch die Ungeduld der anderen Gratulanten. Und sie können, wer kennt das nicht, auch langweilen. Ich werde mich daher kurzfassen, also versuchen, das Besondere an Triebswetter und den Triebswetterern auf den Punkt zu bringen.

Triebswetter oder: Eine Banater Gemeinde wie alle anderen?

Triebswetter zählt zu den über 100 Gemeinden des Banats mit deutschsprachiger Bevölkerung. Viele davon gehen auf die habsburgischen Ansiedlungen vorwiegend im 18. Jahrhundert zurück. Sie verwandelten das Banat in eine Kornkammer der Habsburgermonarchie. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 waren die Banater Schwaben der Magyarisierungspolitik Budapests ausgesetzt. Als die K. und K.-Monarchie als Ergebnis des Ersten Weltkriegs unterging, fanden sich die meisten Banater Schwaben als Bürger des neu entstandenen Großrumäniens wieder. Dessen Geschichte teilten sie als Minderheit fortan – im Zweiten Weltkrieg, als vom nationalsozialistischen Deutschland instrumentalisierte Gruppe; als Wehrmachts- und SS-Angehörige; als Deportierte in der Sowjetunion; als Rechtlose, Enteignete, in den Bărăgan Verschleppte im kommunistischen Rumänien; als Flüchtlinge, Aussiedler und Spätaussiedler, die nach und nach Rumänien verließen, bis sich 1989 die Schleuse  zur Ausreise in die Bundesrepublik für die letzten öffnete, so dass heute nur noch wenige Banater Schwaben in Rumänien leben; als fremde Deutsche in Deutschland, die nach und nach ihren Platz in der Bundesrepublik fanden.

Aber, wird mancher insgeheim einwenden, diese Geschichte teilen Triebswetter und seine Bewohner doch mit allen anderen Orten des Banats. Dem ist nicht zu widersprechen. Im Gegenteil, die Bewohner aller Gemeinden des Banats weisen im Großen und Ganzen die gleiche Geschichte auf, die ich in Stichworten genannt habe. Und dennoch unterscheidet die Triebswetterer, die den Ort zu dem gemacht haben, was er war und ist, von den Bewohnern anderer Dörfer und Kleinstädte. Triebswetter ist, daran lässt ein Vergleich mit den anderen Orten des Banats keine Zweifel, eine bemerkenswerte Gemeinde.

Lediglich vier der herausstechenden Merkmale, die Triebswetter einzigartig machen, greife ich in meinem Geburtstagswunsch heraus. Ich werde in chronologischer Reihenfolge darauf eingehen, und zwar unter den Stichworten Ortsgründung, Eigenbewusstsein, Gedächtnis und Zugehörigkeit.

Ansiedlung oder: Wie Triebswetter seinen Anfang nahm

Als Teil eines Landguts (Prädium) wird Nagyősz bereits in Urkunden des Mittelalters mehrfach erwähnt. Triebswetter als Ort ist dagegen das Ergebnis neuzeitlicher Migrationen. Die Rückeroberung Ungarns durch die Habsburger schuf die Voraussetzungen für die neuzeitliche Kolonisation in Südosteuropa vorwiegend im 18. Jahrhundert. Der Wiener Hof und die privaten Grundherren verfolgten dabei das Ziel, das erworbene Land strategisch und wirtschaftlich zu festigen und damit ihre Einkünfte zu mehren. Eine gezielte Migrationspolitik mit weitreichenden Vergünstigungen entfaltete die erhoffte Sogwirkung auf viele Siedler. Hunderttausende folgten den öffentlichen Aufrufen und den Werbern in allen Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, nicht zuletzt angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage in den Herkunftsgebieten. Im Zuge dieses Kolonisationsprozesses ist auch Triebswetter 1772, in spät-theresianischer Zeit im kaiserlichen Banat buchstäblich auf der grünen Wiese entstanden, zur gleichen Zeit wie Gottlob und Kleinkomlosch.

Dank des zeitgenössischen Berichts von Johann Edler von Hildebrand (1709-1773), dem damaligen Leiter der Temeswarer Impopulationsabteilung, liegt eine genaue Beschreibung der Ortsgründung vor. Nach der Festlegung der Gemarkungsgrenzen und den erforderlichen vorbereitenden Arbeiten sei man, so der Bericht, im Frühjahr 1772 im Stande gewesen, „zwey Dörfer nemlich Gottlob und Triebswetter jedes zu 200 Familien nebeneinander […] und noch ein Dorf namens Ostern ebenfalls vor 200 Familien […] in ziemlich geraden und ordentlichen Figuren“ anzulegen. In Triebswetter wurden Brunnen gegraben, „200 Colonisten Häuser völlig aufgestampft, davon 185 aufgeschlagen, und 115 gedeckt, 1 Pfarr und 1 Wirtshauß gestampft, aufgeschlagen und gedeckt, und 1 Kirch und ein Schulhaus gleichermaßen unter der Stampfarbeit und 1 doppelte Roßmühle hergestellt.“ Damit nahm Triebswetter seinen Anfang.

Das Dorf hat zwar eine gemeinsame Gründungsgeschichte mit Gottlob und Kleinkomlosch. Doch mit seinen Bewohnern der ersten Stunde ist eine erste Besonderheit des Dorfes verbunden. Ihre Auswanderung führte sie erstens nicht direkt ins neue Dorf, sondern sie verbrachten zunächst einige Zeit in Nachbarorten, weil die Vorbereitungen am Ort eine Ansiedlung noch nicht erlaubten. Und zweitens weist die Herkunft der ersten Ansiedler ein besonderes Merkmal auf: Weit über 60 Prozent stammten aus Lothringen und dem Elsaß. Eine Studie von 1879 kommt sogar zum Schluss, dass 192 der 200 in Triebswetter angesiedelten Familien von dort stammten, also Franzosen waren. Damit wurde der Grundstein für die Einzigartigkeit Triebswetters gelegt. 

Eigenbewusstsein oder: Triebswetterer als Vorreiter Banater Interessen

Die buchstäblich aus allen Herren Länder zusammengewürfelten Siedler im Banat entwickelten zunächst lokale Gruppenzugehörigkeiten. Diese übersprangen erst Mitte des 19. Jahrhunderts die Dorfgrenzen. In einem mehrere Generationen umfassenden, von Schwierigkeiten und Rückschlägen begleiteten Eingliederungsprozess entwickelten die Siedler neben den ortsbezogenen, bäuerlich geprägten Gemeinschaften nach und nach auch Ansätze für ein Gruppenbewusstsein. Ein Indiz dafür ist der Begriff „Schwaben“. Als pars pro toto setzte er sich für die Neusiedler und deren Nachkommen durch, auch wenn schwäbische Auswanderer keineswegs die Mehrheit der Ansiedler gebildet hatten, wie die Herkunft der Ansiedler in Triebswetter erkennen lässt.

An der Herausbildung einer schwäbischen Gruppenzugehörigkeit hatten Personen einen besonderen Anteil, deren Biografie mit Triebswetter verbunden ist. Das lassen zwei Dokumente erkennen – eines von 1849 und ein zweites von 1919.
Auf den 2. Oktober 1849 ist die sogenannte „Schwabenpetition“ datiert. Verfasser war neben Josef Novak, dem Pfarrer von Bogarosch, und dem Grundbesitzer Karl von Arizi auch Alexander Bonnaz. Alexander Bonnaz (1812-1889), in Frankreich geboren, war zwischen 1840 und 1850 Pfarrer in Triebswetter, später dann ab 1868 Bischof der Csanáder Diözese mit Sitz in Temeswar. Die „Schwabenpetition“ war an seine Majestät, den Kaiser von Österreich gerichtet. Darin bitten Geschworene und Richter aus 13 Banater Gemeinden, nicht nur den anderen Nationalitäten, sondern auch den Nachkommen der Ansiedler das Recht auf Selbstverwaltung als Gruppe unter der Führung eines Grafen zu gewähren – „Gerichtspflege und öffentliche Verwaltung in deutscher Sprache und nach deutscher Sitte behandelt, gepflogen und geleitet werde.“ Zwar wurde dem Anliegen in Wien nicht entsprochen, doch mit der Petition meldeten sich die zu Schwaben gewordenen Siedler hörbar als Gruppe zu Wort, auch die Triebswetterer.

Auf den 19. August 1919 ist ein Memorandum datiert, das eine Delegation der Banater Schwaben an den Präsidenten der Friedenskonferenz in Paris richtete, mit der der Erste Weltkrieg beendet wurde. In dem Dokument wird mit vielen Argumenten dafür plädiert, das historische Banat als Ganzes vollständig an Rumänien anzugliedern. Einer der Verfasser des Memorandums und Leiter der banatschwäbischen Delegation in Paris war der Rechtsanwalt Stefan Frecot (1887-1971). Seine Vorfahren stammten aus dem lothringischen Château-Salins und gehörten 1772 zu den ersten Einwohnern von Triebswetter. Über die Wirkung des Memorandums auf die Grenzziehung gehen die Meinungen der Historiker auseinander. Fest steht, dass mit den von den siegreichen Entente-Mächten festgelegten Grenzen zwar nicht das gesamte, aber der größte Teil des Banats an das neu entstandene Großrumänien fiel. Die Folge: Die Geschichte der Banater Schwaben blieb bis in die Gegenwart mit der wechselvollen Geschichte Rumäniens verbunden. Triebswetter wurde zu Tomnatic.

Gedächtnis oder: eine Chronik ohne gleichen

Wie keine andere Ortschaft des Banats verfügt Triebswetter über einen außergewöhnlichen Schatz – das sogenannte Treffil-Buch. Es handelt sich um Aufzeichnungen des 1858 geborenen Peter Treffil, die er bis zu seinem Tod 1934 fortführte. Sein Vater stammte aus Nákófalva bei Hatzfeld, seine Mutter aus Bruckenau. Ihr Großvater kam, wie sollte es in Triebswetter auch anders sein, aus Lothringen. Peter war das zweite von insgesamt sechs Geschwistern. Er erlernte das Schmiedehandwerk. Sein Können kann man noch heute in Triebswetter bestaunen – an den vielen Grabeinfassungen und dem schmiedeeisernen Friedhofstor. Er war mit Magdalena Gröszer verheiratet, mit der er drei Kinder hatte, von denen alle in jungem Alter verstarben.

Was er in seinen 76 Jahren erlebte und was er von Triebswetter und seinen Bewohnern erfuhr und in Erfahrung bringen konnte, alles hielt er nach einer eigenen Systematik fest. Für jede Hausnummer fertigte er ein Kästchen an. Darin legte er nach und nach Zettel ab, auf denen er vermerkte, wer in dem Haus wohnte, wann es gebaut wurde und welches die Vorfahren und Nachfahren der Bewohner zu seiner Zeit waren. Doch die Aufzeichnungen gehen weit über genealogische Informationen hinaus. Nur Stichworte können hier genannt werden. Es werden alle wichtigen Ereignisse zwischen 1777 und 1932 festgehalten, ob hoher Besuch im Ort, wie der des rumänischen Königs Carol II.; Missernten, Unwetter und Überschwemmungen, bei denen sich das Maroschwasser bis Triebswetter erstreckte; erhöhte Sterblichkeitsraten, wie die 1873 verzeichneten 180 Choleratoten; der Flugversuch des Maurers Johannes Wolf mit einem selbst gebauten Flugschiff 1864; die Auswanderung von Triebswetterer Familien 1865 nach Rumelien im heutigen Bulgarien oder später in großer Zahl in die USA; die Einführung des Wochenmarktes im Ort am 14. Oktober 1885 oder die Eröffnung des Postamtes 1869. Ebenso wenig fehlen Angaben zur Gründung des Dorfes, zum Beginn des Kirchenneubaus 1845, zum Eisenbahnanschluss Triebswetters 1895, zur Bevölkerungszahl, die 1900 auf 3760 angewachsen war, sowie der 1929 von Elisabeth Schreiber eingerichteten Wohltätigkeitsstiftung für arme, obdachlose und alte Menschen usw. Und die Aufzeichnungen enthalten Schilderungen zu den groß angelegten 100- und 150-Jahrfeiern der Gründung Triebswetters 1871 und 1922. Hinzu kommen einmalige Charakterisierungen der Bewohner von Peter Treffil, die sich nicht auf ihren Spitznamen beschränken.

Diese Aufzeichnungen ohne gleichen sind zwar 1999 herausgegeben worden. Es sollte aber alles getan werden, damit die Originale einem öffentlichen Archiv anvertraut werden. Nur so besteht die Gewähr, dass dieser kaum zu überschätzende Schatz nicht verloren geht.

Zugehörigkeit oder: Französischer Nationalfeiertag in Triebswetter

Der 14. Juli ist der französische Nationalfeiertag. Er erinnert an den an diesem Tag 1789 erfolgten Sturm auf die Bastille, dem damaligen Pariser Gefängnis, der die Französische Revolution einleitete. Der Tag wurde und wird in Frankreich groß gefeiert. Aber nicht nur dort. Am 14. Juli 1947 wurde der französische Nationalfeiertag auch in Triebswetter begangen. Weshalb nur hier und in keiner anderen Ortschaft des Banats?

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gründeten 48 Schwaben, die sich als Nachkommen der französischen Ansiedler im Banat bezeichneten, am 30. Juni 1945 in Temeswar einen Verein. Das Ziel des am 28. Juli beziehungsweise 4. August offiziell anerkannten Vereins war es unter anderem, die französische Kultur zu verbreiten und die französischen Traditionen der Nachkommen der früheren französischen Ansiedler zu fördern, also letztendlich die Anerkennung als französische Minderheit in Rumänien. Davon versprach man sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Mitglieder vor drohender Zwangsarbeit und Enteignung zu schützen sowie die Entlassung der in die Sowjetunion Deportierten. Vorsitzender des Vereins war der bereits erwähnte Anwalt Stefan Frecot, der jetzt als Étienne Frecôt unterschrieb. Dem Verein, allen voran Stefan Frecot, gelang es, durch seine Aktivitäten die Aufmerksamkeit der französischen Behörden in Temeswar, Bukarest und in Paris zu wecken. Eine Anerkennung als französische Minderheit erreichte der Verein zwar nicht. Aber am 20. Oktober wurde in Triebswetter ein Kindergarten und eine Grundschule mit französischer Unterrichtssprache eröffnet. Lehrkräfte waren Schwestern/Oblatinnen der katholischen Ordensgemeinschaft der Assumtionisten. 1865 gegründet, setzte er sich für die Verbreitung des katholischen Glaubens und des Französischen in den Ländern Ostmitteleuropas ein. Am 14. Juli 1947 feierten Vertreter der französischen und rumänischen Politik und Verwaltung mit den Triebswetterern den französischen Nationalfeiertag.

Die Machtergreifung der Kommunisten in Rumänien leitete das Ende des Vereins der Nachkommen der französischen Ansiedler ein. Am 30. Juli 1948 verordnete die neue rumänische Regierung die Schließung aller ausländischen Schulen. Damit wurden auch der französische Kindergarten und die französische Schule in Triebswetter geschlossen. Die französische Prägung des Ortes, die Triebswetter seit seinen Anfängen eigen ist, ging damit aber nicht verloren.

Fazit oder: Sind die Triebswetterer Franzosen?

Der von 1863 bis zu einem Tod 1881 in Triebswetter wirkende Pfarrer Karl Böhm hat eine Beschreibung des Ortes verfasst. Sie trägt den Titel „Die französische Kolonie Trübswetter“ und enthält zugespitzte Einschätzungen zu den Bewohnern des Ortes. Er berichtet unter anderem einerseits vom Niedergang des Patois, des im Ort gesprochenen französischen Dialektes. Andererseits meint er: „Wehe dem, der die Triebswetterer Schwaben nennt, – gar bald wird ihm erwidert: ‚Wir sind keine Schwaben, wir sind Franzosen!‘“

Die französischen Besonderheiten der Gemeinde und seiner Bewohner, von denen ich lediglich vier hervorgehoben habe, entfalteten ihre Wirkung bis in die jüngste Vergangenheit, auch in der Sprache. Es gibt noch Triebswetterer, die Gedichte in Französisch vortragen können. Und blickt man auf den Triebswetterer Dialekt, so finden sich viele französische Begriffe.

Triebswetter ist und bleibt zweifellos etwas Besonderes – der Ort eben, wo der Schmetterling Babrjon heißt, mit oder ohne deutscher Bevölkerung, auch an seinem 250. Geburtstag.