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Glaube und Brauchtum bei den Donauschwaben (Teil 4)

Stefan Jäger, Christkindlspiel (aquarellierte Studie). Quelle: https://jaeger.banater-archiv.de; WK 1289

4. Advent und Weihnacht

Zu Kathrein, am 25. November, fand der Kathreineball statt. Danach hieß es: Kathrein sperrt die Geigen ein, denn bis zu Neujahr gab es keine Musik und Unterhaltung mehr. Die ruhige und besinnliche Adventszeit begann mit der Gräberpflege für den Allerseelentag, an dem man seiner lieben Verstorbenen gedachte. Denn durch Weltkrieg und Verschleppung hatte jede Familie Tote zu beklagen, die oft ohne Gebet in einem Massengrab verscharrt worden sind. Diese Situation führte zur Aufstellung von Gedenksteinen für die anonym Beerdigten einer Ortsgemeinde, zur Errichtung eines Gedenkhofes mit einem von Partisanen verstümmelten Kreuz im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen, neuerdings zur Errichtung von Gedenktafeln für die Opfer beider Weltkriege und die Deportierten aus Rumänien und Ungarn. An den Stellen der Massengräber in Jugoslawien werden Gedenkkreuze errichtet.

4.1 Nikolaustag
Der 6. Dezember ist der Tag des heiligen Nikolaus. Er war Bischof von Myra in Kleinasien, nahm am Konzil von Nicäa teil und starb am 6. Dezember 345 oder 352. Wegen seiner Freigebigkeit wird er bis heute als Wundertäter und Helfer in der Not verehrt. Das Patronat wurde später von konfessionellen Schulen übernommen. Gewöhnlich wurde der heilige Nikolaus von einem Pelznickel oder Pelzbub, einem Pelzmärte (d. h. Pelzmartin) beziehungsweise von Knecht Ruprecht oder Krampus begleitet. Bei den christlichen Gestalten der Vorweihnachtszeit kommen immer wieder ihre dämonischen Vorgänger (zum Beispiel aus den römischen Saturnalien) zum Durchbruch und begleiten die Lichtgestalten. Der heilige Nikolaus wurde bekanntlich in Amerika zu Santa Claus an Christmas, also zu einem Weihnachtsmann.

Eine Diplomarbeit aus Darowa (Banat) schildert 1974 den Umzug des Nikolaus folgendermaßen: Nikelo (Nikolaus) wärd abghall am finfte Dezembe ouweds. An dem Ouwed richte sich alli Kinne for de Nikelo, weil de Nikelo bringt de bråve Kinne Nusse un Eppl, in anre Tutt (Tüte), de schlimme e Rut. De Nikelo hat e Bunda (Pelzmantel) um un e langi Kett. Uf em Kopp hat de Nikelo e Pelzkapp. Mit därre Kett klingelt er, kloppt an die Tihr un frout: „Sinn die Kinne bråv? Därf de Nikelo nin?“ Wann die Motte dann „jou!“ sååt, kummt de Nikelo ins Zimme. Dann frout er: „Kenne die Kinne ååch bede (beten)?“Dann tun die Kinne bede. Wann die Kinne gebet hann, misse se noch a Gedicht såån. Die wu des kenne, krien (kriegen) nou ihre Gschenk. De Schlimme wärd die Kett an de Fuß gemacht. Sie misse vespreche, bråv zu sinn odde krien se nix vun em Chrischtkind.

Am Klåsetag (5. Dezember) wurde in der Sathmarer Gegend ein überliefertes Brauchspiel mit mehreren Gestalten (die Weißen, der Schwarze, der Tod und der Strohsack = 'Erbsenbär') aufgeführt. 

Am Tag der heiligen Luzia, den 13. Dezember, backten die Frauen ein Luzabrot, ein Fladenbrot aus etwas Maismehl und Fett, und bauten ein Luzastühlchen, das heißt einen Schemel aus einem Brett und vier Füßen. Das Brot sollte einen das ganze künftige Jahr sättigen und das Stühlchen den Frauen die Monatsregel erleichtern, wenn sie den Fuß in ein Schemelloch steckten. Lucia von Syrakus (auf Sizilien) erlitt im Jahre 304 unter Diokletian den Märtyrertod, weil sie nicht heiraten und stattdessen ihre Mitgift an die Armen verteilen wollte. In Schweden ist sie ein weißgekleidetes, gabenbringendes Mädchen mit einem Lichterkranz auf dem Kopf. Sie erhielt aber auch Elemente einer heidnisch-mythischen Schicksalsfrau an der Jahreswende (wie die österreichischen Perchten).

Am Tag des Apostels Thomas, den 21. Dezember, wurde das Fleisch für Weihnachten besorgt. Man sollte möglichst mehrere Haustiere schlachten. Manche ungarische Nachbarn der Donauschwaben hoben ein Stück Tierhaut als Mittel gegen Keuchhusten für Mensch und Tier auf.

4.2 Weihnachtsbräuche

Das Weihnachtsfest als Erinnerung an die Geburt des Erlösers wurde im Laufe der Jahrhunderte zum volkstümlichsten Fest des Kirchenjahres. Doch da der genaue Tag der Geburt weder durch die Bibel noch durch die kirchliche Überlieferung genau bestimmt wird, schwankte der Termin. Seit dem 3. Jahrhundert wurden Geburt und Taufe Jesu zusammen am 6. Januar gefeiert, was in
 der orthodoxen Kirche bis heute so blieb.

Zur Bekämpfung des heidnischen Kultes des Sol Invictus, des 'unbesiegten Sonnengottes', und zugleich des orientalischen Kultes des Mithras verlegte die römische Kirche um die Mitte des 4. Jahrhunderts ihr Hauptfest vom 6. Januar, dem Tag der Taufe Jesu, auf den 25. Dezember. Durch diese Terminverschiebung auf den Tag der römischen Sonnwendfeier und den dies natalis des Mithras gingen römische Neujahrs- und Mittwinterbräuche ins christliche Weihnachtsfest über. 

Bei den Germanen kam es zugleich zu einer Auseinandersetzung mit dem Julfest, das ebenfalls in die Zeit um die Wintersonnenwende fiel. Also setzte man Christus als das Licht der Welt und den Sieger über die Nacht der Sünde und des Todes dem früheren Sonnengott, den Sonnwendfeuern und dem vorchristlichen Toten- und Fruchtbarkeitsfest der germanischen Wintersonnenwende entgegen. Die Bezeichnung mhd. ze den wîhen nahten 'zu den heiligen Nächten' tritt zuerst 1170 auf. Die Betonung der Nacht geht wohl auf die christliche Liturgie zurück, während sich der Plural wohl darauf bezieht, dass mehrere Tage gefeiert wurde. Mitteldeutsch gibt es bis heute die Bezeichnung Christtag.

Martin Luther verlegte die christliche Bescherung durch den heiligen Nikolaus und das Christkind auf Weihnachten, um die Bedeutung dieses Festes zu betonen. Das Aufstellen des Weihnachtsbaumes in seiner heutigen Form ist verhältnismäßig jung. Nach Richard Beitl (Wörterbuch der deutschen Volkskunde, 1974) wurde er erst im 19. Jahrhundert allgemein. Die erste Erwähnung stammt von 1605 aus dem Elsass: Auf Weihnachten richtet man Dannenbäum zu Straßburg in den Stuben auf, daran henket man Rosen aus vielfarbigem Papier geschnitten, Äpfel, Oblaten, Zischgold, Zucker usw. Man pflegte darum einen viereckent Rahmen zu machen... 

Die Anfänge des Weihnachtsbaumes gehören ursprünglich in den Vorstellungskreis der Zwölften, welche die Zeit von Weihnachten bis zum Dreikönigstag umfassen. Deshalb wird er noch heute am Heiligen Abend aufgestellt, überdauert das Neujahrsfest und wird erst am Dreikönigstag abgeräumt.

Die kulturgeschichtliche Bedeutung des Baumes wird aus dem Lebens-, Himmels- oder Weltenbaum und aus dem Wintergrün ersichtlich. Zu den hängenden Formen des Weihnachtsgrüns gehört der Adventskranz, der zuerst 1839 in Hamburg (als Holzreif mit 23 + vier dicken Kerzen) für Waisenkinder aufgehängt wurde. Die protestantische Sitte des Adventskranzes kam erst nach dem Ersten Weltkrieg nach Österreich und wurde in der katholischen Kirche aufgenommen. 

Der Weihnachtsbaum als Lichterbaum wird zuerst 1660 erwähnt. In dieser Form, mit Süßigkeiten und Obst, trat der Lichterbaum seinen Siegeszug über ganz Deutschland und danach über Europa und Amerika an. 

Aus Darowa (Banat) wurden die hier wiedergegebenen Weihnachtsbräuche übermittelt: Noh em Nikelo (Nikolaus) kumme ball die Weihnachte. An Heiliche Ouwed wärre die Christbeem gemach. Friehe wår de Bååm meischtns Kranewette (bair.-österr. 'Wacholder'). Dort wärre Salounzucke, Nusse, Eppl un Spritzkärze drangebunn. Unne de Bååm wärd's Spillsach geleet. An Mettenacht gehn die Leit in die Kärich. Devor fittert de Haushärr alles Viech (...). Am Weihnachtsmorjet finne die Kinne de Bååm, de Zucke un die Niss, die schmecke prima. Noh kummt ååch noch de Phat ode die Gout mit „Goudesach“ (Patengeschenke) (...)

Die Vorbereitung der Kirche auf hohe Feste wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten durch gemeinsame gottesdienstliche Nachtfeiern seit dem Mittelalter wurde später auf die Vortage der Feste verlegt, die bis heute Vigil genannt werden. 

Die Mitternachtsmesse ist ein feierliches Erlebnis, das noch durch das Turmblasen verstärkt wurde. Das weltbekannte, in 230 Sprachen gesungene Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ (Text Josef Mohr, Melodie Franz Xaver Gruber, 1818 in Oberndorf bei Salzburg uraufgeführt) wurde gewöhnlich als letztes angestimmt, oder auch das alte Volkslied: „Es ist ein Ros' entsprungen aus einer Wurzel zart“. In der Morgenmesse sang man weihnachtliche Hirtenlieder. 

Am zweiten Weihnachtstag, dem Stefanstag (26. Dezember), wurden Verwandte besucht und der Namenstag gefeiert. Am 27. Dezember weihte man den heilkräftigen Johanneswein in der Kirche.

4.3 Weihnachtsspiele

Während sich in Norddeutschland die Nikolausgestalt zum Weihnachtsmann entwickelte, wurde in vielen donauschwäbischen Ortschaften das gütige Christkind durch eine verkleidete Person verkörpert, die den Kindern Geschenke brachte und gegebenenfalls auch eine Rute zurückließ. Sein Begleiter, der Belzebock, blieb inzwischen unsichtbar in der Küche oder lärmte vor dem Fenster mit einer Kette. 

In allen deutschen Gebieten, aber auch in Ungarn, Italien und Südfrankreich ist neben dem Weihnachtsbaum die Darstellung der Geburt Christi in den Weihnachtskrippen anzutreffen. Die älteste urkundlich belegte Krippe ist die des heiligen Franziskus von Assisi aus dem Jahre 1223. Aus den Weihnachtsspielen und dem „Kindelwiegen“ entwickelten sich das Weihnachtssingen als Aufgabe der Chorknaben. Bei den Sathmarer Schwaben war sowohl das Singen des Christkindchenspiels als auch die szenische Darstellung des Bethlehem bekannt, wie es Stefan Koch beschreibt (Die Sathmarer Schwaben – Oberschwaben im Südosten, Laupheim 1984): Es war aus der oberschwäbischen Heimat mitgenommen worden.

Außer den Krippenspielen gab es die zahlreichen szenisch ausgebauten Christkindlspiele. Josef Lanz untersuchte ein Beispiel, das seit 1903 in Janisch/Mecsekjánosi (Schwäbische Türkei) aufgeführt wurde. Nach der Vertreibung wurde dieses Christkindlspiel in einem Flüchtlingslager bei Kufstein in Tirol und später in Hochdorf im Kreis Esslingen (Baden-Württemberg) aufgeführt. Es war im „unsichtbaren Gepäck“, als bleibende Erinnerungen, mitgenommen worden. Im heimatlichen Dorf Janisch wurde das Volksspiel nach 1945 ungarisch und seit 1956 wieder deutsch vorgetragen. (Josef Lanz: Ein Branauer Bethlehemspiel. Zur Geschichte der Weihnachtsspiele in der Schwäbischen Türkei, Stuttgart 1958)

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Im Anschluss zitiere ich aus meinem Wörterbuch der donauschwäbischen Lebensformen (Volkskunde) das Stichwort Weihnachten.

Weihnachten
Wortbelege: weihnachtn, nur Pl. [verbreitet]; weihnocht, nur Pl. [Kleinnahring]; weihnachtǝ [allgemein]
Wortbedeutung: Fest der Geburt Jesu, Christfest 
Etymologie: Weihnachten n. oder Pl. zu Weihnacht f. war ursprünglich Dativ Pl. ze den wðhen nachten 'an den heiligen Nächten'. Es steht zu dem unter weihen behandelten Adj. für 'heilig'. Die Betonung der Nacht geht wohl auf die christliche Liturgie zurück, der Pl. bezieht sich darauf, dass mehrere Tage gefeiert wurde. Ein Zusammenhang mit einem älteren germanischen Fest ist denkbar, aber nicht besonders wahrscheinlich. (Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache 1999) 
Das Fest der Geburt Christi wurde ursprünglich am 6. Januar gefeiert und erst im 4. Jahrhundert auf den 25. Dezember verlegt. Dadurch wirkte man dem römischen Kult des Sol Invictus, des unbesiegten Sonnengottes, entgegen und zugleich der vom Orient eindringenden Verehrung des Mithras, dessen Geburtstag gleichfalls am 25. Dezember begangen wurde. Damals wie später wurden hartnäckige heidnische Festgebräuche durch direkte Christianisierung besiegt. Schon damals sind infolgedessen heidnische Jahresanfangsbräuche auf das christliche Weihnachtsfest übergegangen. (Beitl, Wörterbuch der deutschen Volkskunde 1974)
Satzbelege: Zu Osten awwe (oder) zu Weihnochten hat der Phetter (Pate) on die Tet (Gode) die Letzelde dothie getroge. [Kleinnahring] Vor Weihnachte senn Nessnuul (Nussnudeln) gekocht won ode Grombinsoppe (Grundbirnensuppe) ohne Fett. [Lantschuk] Dann håm-mer de Großmudde die Weihnachtn åågwunschn. [Tschawal] De Tag vor Weihnachte, vor Oschtre, Pfingste und Allerheiliche, des ware Fastteg. [Glogowatz] An Barbara haw ich immer Frucht in e Schal mit Sand, un hab schun an der Weihnachte hochi Frucht ghat. [Marienfeld] Da is Weihnachtn un Osten, Peter-un-Paul is e Feiertag oder Anna. [Oberwischau] Noh isch zu Weihnachte, hann sie dene Gspiel ghet, 's Weihnachtsgspiel. [Scheindorf] 
Volkskunde: Neben antiken und frühchristlichen Spuren enthält das Weihnachtsfest auch viele Spuren einheimischen Brauches und Glaubens im Zusammenhang mit dem Jul, einem vorchristlichen Toten- und Fruchtbarkeitsfest und der germanischen Wintersonnwendfeier. Auf alte Überlieferungen gehen das Allerseelen- und Nikolausfest, die Raunächte (mit lärmenden Maskenumzügen) in den zwölf Nächten zwischen Weihnachten und Dreikönig (so lange bleibt auch der Christbaum geschmückt) und schließlich die Adventszeit zurück. 
Auch das Grundwort Nacht (vgl. dazu auch Christtag in Mitteldeutschland), das mit angelsächsisch modra niht 'der Mütter Nächte' (735 belegt) vergleichbar ist, lässt erkennen, dass ein vorchristlicher Festname in den christlichen Kalender übernommen wurde. Damals wie später wurden hartnäckige heidnische Festgebräuche durch unmittelbare Christianisierung besiegt. 
Die Reformation vernichtete mit manchen katholischen Bräuchen auch überlieferte, wenig kirchliche Aufzüge und Maskereien. Allerdings pflegte der Protestantismus das Weihnachtslied, half dem Weihnachtsbaum zum Sieg gegen die Krippe, führte den Adventskranz ein und verlegte die Bescherung vom Nikolaustag auf den Weihnachtsabend. 
In den süddeutschen und österreichischen Adventsspielen erscheint das Christkind – wie in vielen donauschwäbischen Ortschaften – als Mädchen oder junge Frau in weißem Gewand und mit einer Krone aus Goldpapier, beziehungsweise ist ein unsichtbarer Gabenbringer, während im Norden das Christkind oder der Christmann eine männliche Gestalt ist. (Beitl: Wörterbuch der deutschen Volkskunde 1974)
Wörterbuchverweise: ÖstWb 475: die Weihnachten Pl. 

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Silvester und der Jahreswechsel zählen zu den weltlichen Bräuchen, obwohl der Vorabend und der Jahresbeginn auch kirchlich gefeiert wurden, wobei die Kirchengemeinde Bilanz über den Jahresverlauf zog. Die Mitteilung über die Anzahl der verstorbenen Gemeindemitglieder wurde allerdings durch die Geburtenzahl und auch die  Anzahl der Eheschließungen verschönt. Kirchenaustritte waren im Banat früher offiziell noch nicht bekannt.