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Glaube und Brauchtum bei den Donauschwaben (Teil 1)

Neujahrssingen in Guttenbrunn, Aquarell von Stefan Jäger Quelle: https://jaeger.banater-archiv.de; WK 541

Ein heißes Eisen: Worum es hier geht

Auf jeden Fall geht es hier um ein ganz heißes Eisen, denn zu einer Zeit, da weder Vaterland und Volkstracht noch Blasmusik erwünscht sind (vielmehr wird ein undefinierter globalisierter Einheitsbrei angestrebt), nehmen sich Begriffe wie Brauchtum oder gar Glaube recht fremdartig aus. Allerdings werden die ausgesiedelten Donauschwaben bezeugen, dass ihnen die Erinnerung an ihre Jugend, mit einem spezifischen Brauchtum und dem überlieferten Glauben ihrer Vorfahren, unentbehrlich ist. Und auch neuere Zuwanderer aus aller Welt werden auf ihrem Recht bestehen, Elemente ihres altüberlieferten Brauchtums zu bewahren und weiter zu pflegen. Rein ideologisches Strohfeuer ist demnach sinnlos.

Ich wurde 1986 deutscher Staatsbürger. Meinen ersten Vortrag in Deutschland hielt ich auf der Jahrestagung des Sankt-Gerhards-Werks in Stuttgart am 31. Oktober 1987. Es ging damals um „Religiöses Brauchtum bei den Donauschwaben“. Zu meinen ersten umfangreichen Publikationen zählt die Studie „Die Kirchweih bei den Donauschwaben“ (erschienen im „Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde“, Bd. 32/1989, S. 1-79), und über „Glaube und Brauchtum bei den Donauschwaben“ sprach ich am 7. Juli 2006 in Altötting auf dem Begegnungswochenende junger Katholiken aus Rumänien, Ungarn, der Wojwodina und aus Deutschland. Ähnliche Vorträge folgten bei Treffen Banater Landsleute.

In Ermangelung anderer Banater Volkskundler musste ich neben meinen vier Wörterbuchbänden auch einen Band über donauschwäbische Volkskunde – die ja auch das Banat erfasst – bearbeiten und 2003 in Marburg als „Donauschwäbische Lebensformen an der mittleren Donau“ als Band 85 in der Schriftenreihe der Kommission für deutsche und osteuropäische Volkskunde herausbringen. Ich habe diesen Band – neben den vier Wörterbuchbänden – den interessierten Lesern in zahlreichen Bibliotheken in Europa und auch in Entre Rios (Brasilien) zur Verfügung gestellt, und das Echo war durchaus positiv. Also hat sich die investierte Arbeit gelohnt. Jetzt möchte ich das Thema – abschließend – noch einmal für die Leser der „Banater Post“ aufgreifen.

In Rumänien war so etwas vor 1989 nicht möglich. Religiöses Brauchtum war damals absolut tabu. Beim Temeswarer Facla-Verlag gab es die strenge Vorgabe: keine „mystischen“, das heißt kirchlichen Elemente beschreiben! Die Jugend, Schüler und Studenten, sollten gewaltsam atheistisch erzogen werden – was aber nicht gelungen ist. Den studentischen Hilfskräften in Deutschland erscheinen solche Lebenserfahrungen als „antikommunistische Propaganda“, aber dennoch bleiben sie Teil unserer Biografie und können nicht verdrängt und vergessen werden.

Bräuche: vom Arbeits- und Kirchenjahr bestimmt

Volkskunde handelt von den Lebensformen eines Volkes, von seinen Sitten und Bräuchen, von seiner Arbeit und seinen Festen, seinem Glauben und Aberglauben. Nach Paul Kaufmann („Brauchtum in Österreich. Feste, Sitten, Glaube“, Wien/ Hamburg 1982) ist das Brauchtum eines Volkes das Spiegelbild seiner Seele, aber auch seiner religiösen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Umwelt. Der Brauch verlangt, dass man auf Grund der Überlieferung etwas ganz Bestimmtes tun oder sich auf eine ganz bestimmte Weise verhalten muss. Die meisten Bräuche sind bäuerlicher Herkunft, denn durch tausend Jahre war die Kultur des Volkes von der Tradition des Landlebens bestimmt; die Industrie bestimmt erst seit 300 Jahren das Stadtleben. Eine Mechanisierung der Landwirtschaft erfuhren wir im Banat erst in den letzten 50 Jahren.

Sitten und Bräuche umfassen sowohl die Überlieferung, den Glauben und die Verhaltensweisen als auch das Leben durchs Jahr, mit viel Arbeit und seltenen Festen. Bauern und Handwerker bekamen nichts geschenkt und mussten für ihre Familie das tägliche Brot durch ihrer Hände Arbeit erwirtschaften. Handwerker- und Frauenforschung (= Genderstudium) allein greift nicht in einer bäuerlichen Gesellschaft; deshalb betrachten wir alle Gesellschaftsgruppen durch das bäuerliche Arbeitsjahr. Dieses beginnt mit der Aufnahme der Feldarbeiten nach der Winterpause. Das parallel dazu verlaufende Kirchenjahr beginnt jedoch bereits mit der Adventszeit. 

Beide Schwerpunkte widerspiegeln sich in der Lebens- und Vorstellungswelt der donauschwäbischen (und mithin der Banater) Bevölkerung. Doch der prägende Einfluss der landwirtschaftlichen Tätigkeiten und der mit dem Kirchenjahr verbundenen Bräuche verlor an Geltung bei der städtischen Bevölkerung und bei der Landbevölkerung durch die Enteignung des gesamten landwirtschaftlichen Besitzes 1945, und zudem für die gesamte Bevölkerung mit dem zunehmenden Einfluss der Medien. 

Dennoch waren die überlieferten Traditionen im Brauchtum des Jahresablaufs immer noch gut zu erkennen und sollen hier synthetisch dargestellt werden. Die ausführliche Beschreibung aller Bräuche und Überlieferungen im Jahreslauf und im Lebenskreislauf würde zu weit führen und kann in meinem Volkskundeband nachgelesen werden.

Wortartikel: christlich, Christkind, Kirche

Im Fernsehen ist es Mode geworden, die Christianisierung der Franken, Wikinger oder Slawen bildlich darzustellen. Beginnen wir auch mit dem Stichwort christlich aus meinem Wörterbuchband „Donauschwäbische Lebensformen“ (Stuttgart 2005), von wo auch die folgenden Wortartikel stammen.

christlich – Adjektiv
Wortbelege: kristlich [allgemein verbreitet]
Wortbedeutung: den Normen des Christentums entsprechend; fromm, ehrlich, ordentlich 
Satzbeleg: Es wär christlich un scheen, wenn die Schwoweleit zu Allerheiliche in ihre aldi Heimat kumme täte. (Bogarosch) 
Redewendung: zu christlicher Zeit nach Hause gehen (den Vorschriften entsprechend, nicht zu spät) 
Wörterbuchverweise: PfälzWb IV 618: 1. 'christlich fromm', 2.a. 'ehrlich', b. 'sauber, ordentlich', c. scherzhaft für 'Dampfnudeln mit Kruste'; SüdHessWb III 1849; RheinWb V 1533 f.

Christkind – Substantiv, Neutrum
Wortbelege: kristkhint, nur Sg. [Oberwischau]; kristkhindl, Pl. dasselbe [Ofner Bergland, Stadtsprachen]; kristkhintl, -ə; krischtkhint [selten]; krischtkhindl, -ə [Batschka, Banat]; krischtkhindle, -khindlə [Galscha, Sanktanna, Sathmar]; krischtkhindli [Hodad, Hamroth]; krischkhintche, -r [Banat]
Wortbedeutung: 1. von Dorfkindern in den Häusern aufgeführtes Krippenspiel; 2. sichtbare oder unsichtbare einzelne Weihnachtsgestalt, die den Kindern Gaben bringt
Satzbelege zu 1: Zu Weihnachte ware die Christkindle, des ware mährere Gruppe vor em Kriech. Un des war so feierlich, wann's Christkindl in der Mettenacht vorm Altar gstann hat. [Marienfeld] Es Chrischtkindli ischt rumgloffe, wie mir da seiget, un d'Kinde, die singet. [Hamroth] D'Hirte send aa gange und send beim Chrischtkindle gsei, ja. [Petrifeld]  
Satzbelege zu 2: Un die Menscher, die wos Christkindje woan, die hunn no es Mariatischje getroge un do woar e Mariastatue druf. [Kleinnahring] Bei Kinner, die im Jahr net brav ware, hat es Chrischtkindl a Rut do gelosst. [Gaidobra] Wann's Chrischtkindl rum war un jeder sei Gschenker ghat hat, is mer in die Mette gang. [Bogarosch] Es Spillsach hat uns Kinner es Chrischtkindche oder de Nikolo gebrung. [Großsanktnikolaus] Dös Christkindl hat uns Schlittschuh bringen missn. [Reschitza] Aff der Nacht hamt mir einpackt feini Bacherei als Geschenk vun Christkind. [Oberwischau] 
Redewendung: Schaut aus wie e ratzisches Chrischtkindche (ist wie eine Schlampe, wohl zu auffällig, bunt gekleidet) [Großsanktnikolaus] 
Volkskunde: In den Bethlehemspielen trägt Maria das Christkind in eine Krippe. Sie wird von weiß gekleideten Engeln mit Kronen aus Goldpapier begleitet, die zum Vorbild für das Gaben bringende weib-liche Christkind werden. Die Hirten stammen aus der Weihnachtserzählung, während die dämonischen Begleitgestalten aus Fruchtbarkeitskulten und Erntebräuchen in die Weihnachtsbräuche gewandert sind.
Wörterbuchverweise: PfälzWb IV 615-617: 1. 'Jesuskind', 2. 'Gestalt aus dem Weihnachtsbrauchtum, die die Festgaben bringt', 3. 'Weihnachtsgeschenk' (für Kinder meist Zuckerwerk und Spielsachen, für Erwachsene Kleidungsstücke), 4. 'kleine, zimperliche Person', meist von Frauen und Mädchen; auch: 'eine auffallend, nach neuester Mode gekleidete Person' und 'Person mit verschrobenen Ansichten'; SüdHessWb II 1846; RheinWb IV 1532 f.; Krischtkindl: Gerescher 1999, 98: 'Christkind, Jesus in der Krippe'; Chrischkind: Blickling 2002 38; Christkindl: ÖstWb 176: (ugs.) 'Weihnachtsgeschenk' (auch im Banat anzutreffen)

Kirche – Substantiv, feminin
Wortbelege: khirche, khirchn [Ofner Bergland, Stadtsprachen]; khiə-che, khiəchn [Ofner Bergland]; khirchn, Pl. dass. [Batartsch, Oberwischau]; khiəchn, Pl. dass. [Werschetz]; khirich, -ə [Banat]; khärich [Schwäbische Türkei, Banat]; khärch [Batschka, Banat]; khiəchə, khirchn [Wetschesch]; chirchə [Saderlach]
Wortbedeutungen: 1. Gotteshaus einer christlichen Religionsgemeinschaft; 1.a. in der Kirche veranstalteter Gottesdienst
Satzbelege zu 1: Dann sann's alli in die Kiëche gangen. Die Kranzl-maal, de sinn min Breidigam gange. [Wetschesch] De Gschwoeni hamm a Frucht obgschnien un bringen's fe die Fruchtweih in Kiëche. [Wudersch] Noch is Kind in die Kirich getauft woan wann Mess woa. [Kleinnahring] Un in de Kirich is dä Kranz eigsegnet woan. [Sanktiwan] An Fronleichnam ware die Kapelle um die Kärch rum ufgstellt. [Albrechtsflor] Es Kerweihhochamt war feierlich, so viel Leit ware schun lang nimmähr in de Kärch. [Bogarosch] Unse Kirich is am dritte November ingeweiht wor. [Orzydorf] Uf Silveste oweds is me in die Kärich gange. [Sanktanna] Zu Advent brauch mer gehn in die Kirchn, mähr betn un fastn. [Oberwischau] Am 26. Juli is de Mutteranna-Tag. Mutteranna is Schutzpatronin fir unsre Kirche. [Scheindorf] 
Satzbelege zu 1.a.: Die Freindschoftn kumme aff Besuch. Mit dene gengens in die Kiëche, hin uff den Umgang. [Wetschesch] Manchmol is die Mess ungarisch un deitsch, oder manchmol när ungarisch. Also is wenich los mit der Kirich. [Marienfeld] Noch de Kärich is Blosmusich drauß gstanne un hat allne des Neijohr aagwunsche. [Sanktanna] Also bei uns waa die Kiëchn sähe wichtig, dass me in die Kiëchn gange is, jedn Sonndag. [Werschetz]
Anmerkung: Die Varianten Kirich und Kärich weisen den Sprossvokal -i- auf. In Kärch, Kärich tritt die Vokalsenkung i>e(ä) auf. In den Varianten Kirchn und Kiëchn tritt das bair. n-Morphem im Sg. f. auf.
Volkskunde: Bestehen in einer Gemeinde mehrere Kirchen für die gleiche Konfession, so werden sie durch Attribute wie große oder kleine, alte oder neue Kirche gekennzeichnet. In Glogowatz heißt die Nebenkirche nach dem Patronat Dreifaltigkeitskirche, und am Dreifaltigkeitssonntag, dem ersten Sonntag nach Pfingsten, findet hier eine heilige Messe statt.

1. Neujahr und Vorfrühling
1.1. Neujahrstag

Der abendländische Neujahrstag wurde erst 1691 von Papst Innozenz XII. auf den 1. Januar festgesetzt; vordem galten Weihnachten, Dreikönig und Mariä Verkündigung als Jahresanfänge. Im frühmittelalterlichen Deutschland hatte auch Ostern als Jahresanfang gegolten. Der Neujahrstag ist kein kirchlicher Feiertag, wird aber von den Christen als Fest der Namensgebung Jesu begangen. Der Tag zuvor (das heißt der Silvesterabend) ist nach dem 335 verstorbenen Papst Sylvester I. benannt. In allen Kulturen wird der Neubeginn als bedeutungsvoll empfunden und gibt Anlass zur Besinnung und zum Feiern; er schafft besondere Vorstellungen und Brauchhandlungen. Es folgt eine Darstellung von 1974 aus der Banater Gemeinde Sackelhausen, die von der Silvesterfeier, vom Wünschengehen und dem Essen am Neujahrstag berichtet.

An Silvester ouweds gehn die Leit en Sacklas en die Danksågung. De Pharre halt e Ånred iwers vergangne Jouhr. Är verlest die Ånzåhl der Geburte, Trauunge oun Stärwefelle. An dem Ouwed, wann die Kärich aus es, spille die Musikante a Marsch. Es geft Abschitt vom alte Jouhr gholl, a annre Marsch soll es neie Jouhr begrieße. Die Jugend geht ens Wertshaus tanze, dort bleibt se bis morjets. Manche Buwe gehn zu de Mejd (Mädchen) nachts um zwelf Uhr wensche oun senge. 
An Neijohr morjets geht numml
(nochmal) alles en die Kärich. Wann mer oufm Wech met ääm zammkoummt, ruft mer sich zu: „Viel Gleck em neije Jouhr!“ Die Hausfraue hann an Neijouhr ihre bsoundre Speisezeddl. An dem Tåch därf kä (kein) Hingel (Huhn) gschlacht genn, weil die Hingle schärre zreckzus (nach hinten) oun die Schwein wuhle vour. Geback geft Lezelt oun feine Backerei. 
An Neijouhr geht Groß oun Klään zu de Freind wensche: Mer wensche eich vill Gleck em neie Jouhr. Lang lewe, gleckselich stärwe, Friede oun Einichkeit, noh em Tod es Himmlreich beziehungsweise: oun åå gude Gsoundheit.

Aus Tewel (Schwäbische Türkei) ist dieser Neujahrswunsch zur Gänze hochdeutsch überliefert:

Ich bin heute Nacht vom Schlaf erwacht,
ein Engel hat mir die Botschaft gebracht,
ich dachte hin, ich dachte her,
ich weiß nicht, was das für eine Botschaft wär,
doch endlich fällt՚s mir ein,
das heute Neujahr soll sein.
Drum wünsch ich Euch viel Glück und Segen
und ein langes Leben.

Eine Besonderheit stellt des „Nachtwächters Neujahrslied“ aus Kirwa/Máriahalom (Ofner Bergland) dar, das uns 1992 von Johanna Haidler eingesandt wurde:

Wohl auf, wohl auf, im Namen Herr Jesu Christ,
Weil das Jahre zwanzig (1920) vorhanden ist.
Jetzt fang ich an mit Gottes Gnad
und wünsch dem Herr und Frau ein segenreiches Jahr.
Ich wünsche ihnen ins Haus hinein
das neugeborene Jesulein.
Und wie es war zu aller Zeit,
so bleibe es bis in Ewigkeit.
Ich wünsche den Verstorbenen die ewige Ruh
und das unauslöschliche Licht dazu.

Der Ursprung unserer Neujahrsumzüge und Wünsche liegt in uralten Fruchtbarkeits- und Vegetationsriten. Da im Volksglauben auf der Schwelle zum Neuen gefährliche Dämonen Gewalt haben, müssen sie mit Lärm, List und kräftigen Sprüchen (Abwehrzauber, als Gegenstück zum Fruchtbarkeitszauber) vertrieben werden. In Nimmersch/ Himesháza (Schwäbische Türkei) tritt als besonderes Brauchelement der „Neujahrsmann“ mit einer drohenden Kette auf. Die Kinder wissen, dass sie der „Neujahrsmann“ mitnimmt, wenn sie nicht brav sind. Der lärmende Umzug geht sicher auf ältere magische Vorstellungen zurück, wobei in diesem Fall der kettenrasselnde Knecht Ruprecht, der schwarze Begleiter des heiligen Nikolaus, in die Jahreswende übernommen zu sein scheint. Allerdings ist auch an eine mögliche Personifizierung des Festes zu denken.