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Der Tod hat viele Gesichter: Banater Schicksale aus drei Jahrhunderten (Teil 13)

Grabstein des 1853 verstorbenen Jacob Galgon (44) im aufgelassenen Teil des Lieblinger Friedhofs Foto: Helmut Ritter, 1996

Grabstein des 1853 verstorbenen Jacob Galgon (44) im aufgelassenen Teil des Lieblinger Friedhofs Foto: Helmut Ritter, 1996

Vom Zahn der Zeit gezeichnetes Grab der Familie Klimowitsch auf dem Gottesacker in Großscham Foto: Helmut Ritter, 1996

Mit Teil 13 beenden wir die Artikelserie mit einigen weiteren Fallbeispielen und Schlussgedanken, davor jedoch zwei Richtigstellungen: 

1. Teil 3 – Mord und Totschlag: Anton Thier aus Lenauheim ist nicht 1947, sondern bereits 1945 Opfer eines Raubmordes geworden.

2. Teil 6 – Ertrunken in des Flusses Wellen: Heinz Hoffmann (1944-1965), ein Opfer der Temesch, stammte nicht aus Rekasch, sondern aus Neupetsch.

Es ist heute oft schwierig oder sogar unmöglich, die Komplexität der Geschehnisse von früher zu erfassen und ihren Wahrheitsgehalt herauszufinden, denn Akten sind manchmal fehlerhaft und ungenau und auch in den Sterbematrikeln werden die Todesursachen oft falsch angegeben. Von der Richtigkeit mündlicher Überlieferungen und subjektiver Erinnerungen kann nicht immer ausgegangen werden.

Beispiel aus der Ansiedlungszeit 

Im „Heimatbuch der deutschen Gemeinde Orczydorf im Banat“ (1983) wird über einen Prozess gegen den Monosturer Rentmeister berichtet: „Schon früh zeigt sich eine gewisse Unzufriedenheit der neuangekommenen Kolonisten im Monosturer Rentamtsbezirk mit ihrem Rentmeister Friedrich Edler von Eckhardt (1736 Siebenbürgen – 20. 04. 1819 Temeschwar). Als der Orczydorfer Bürgermeister Michael Menges 1785 im Rentamt vorsprach und behauptete, dass man die Kolonisten alle betrüge und er mit seinen Beschimpfungen der Beamten nicht aufhörte, ließ ihn der Rentmeister mit zehn (nach Angaben von Menges mit 15) Stockstreichen bestrafen“.

Es wurde eine Untersuchung der Geschehnisse eingeleitet. „Im Verlauf der Untersuchungen (…) führte Michael Menges wieder die erhaltenen 15 Stockstreiche an und erwähnte auch noch einen Vorfall mit einem gewissen Johann Lehmann aus Blumenthal. Der Rentmeister hatte diesen (…) dreimal so auf den Kopf geschlagen, daß er zusammenbrach und am fünften Tag danach starb“ (S. 72). Laut Zeugenaussagen ist Johann Lehmann jedoch erst etliche Wochen später an Dysenterie gestorben. Welches ist nun die Wahrheit? Ist Johann Lehmann an den Folgen der Kopfhiebe oder an Dysenterie gestorben? Wie es wirklich war, lässt sich heute nicht mehr feststellen.

Manchmal waren es banale beziehungsweise stupide Vorkommnisse, die zum Tode führten. So musste der Bauer Peter Janko aus Heufeld sein Leben wegen ein paar Gänsen lassen! Er wurde am 4. September 1904 von Räubern, die es auf sein Federvieh abgesehen hatten, angeschossen. Es fielen neun Schüsse, drei davon trafen ihn. Dr. Diel und Dr. Vadasz untersuchten Janko am 9. September und versorgten die Wunden. Am 13. September starb er nach dem Erhalt der Sterbesakramente in Anwesenheit von Pfarrer Anton Solinger, Seelsorger in Heufeld von 1899 bis 1921. (Heimatbuch der Heidegemeinden Heufeld-Mastort-Ruskodorf, 1987, S. 347-348)

Im Heimathaus der Banater Schwaben in Würzburg befindet sich ein lebensgroßes Gemälde des Johann Schneider, das von der Familie dem Museum überlassen wurde. Das Gemälde hat vermutlich Franz Ferch als Auftragsarbeit erstellt. Auf der Rückseite steht zu lesen: „Johann Schneider, geboren in Bogarosch, 21 Jahre alt, tötlich verunglückt am 1. Februar 1927, gemalt am 15. September 1927“. Nach Auskunft einer Gewährsperson aus Bogarosch war Johann Schneider an diesem Tag in Arad bei der „Assentierung“. Auf dem Heimweg wurde der Pferdewagen auf einem Bahnübergang in der Nähe von Lovrin vom Zug erfasst.

Banater Kriegsopfer 

Wir haben im zweiten Teil unserer Dokumentation über die vielen Kriegstoten und das in zahllose Familien gebrachte Leid während der beiden Weltkriege berichtet. Robert Schiff, dessen älterer Bruder Niki im Zweiten Weltkrieg an der Westfront gefallen ist, schreibt in seinem Buch „Feldpost. Chronik eines ungebauten Hauses“ (1994, S. 130) über seine Mutter: „Auch die täglich in der Zeitung erscheinenden Traueranzeigen liest sie mit viel Anteilnahme und weint jedesmal, wenn wieder ein Bekannter dabei ist. Und regt sich immer wieder furchtbar auf: So a Blödsinn, ‚In stolzer Trauer‘! Wie soll jemand stolz sein, wenn sei` Kind erschossen oder gar in Stücke gerissen wird?“

An dieser Stelle sei auch an den sinnlosen Tod der Banater Schüler vor fast 77 Jahren im oberpfälzischen Cham erinnert. Der 24-jährige Junglehrer Ludwig Schwan ist am 1. Oktober 1944 mit einer Karlsdorfer Schulklasse nach Westen aufgebrochen, um die Kinder vor der herannahenden Roten Armee in Sicherheit zu bringen. In Cham angekommen, wollten sie im Bahnhof die Nacht verbringen, wo sie durch die Royal Air Force bombardiert wurden. Lehrer Schwan und sieben Buben starben, weitere fünf wurden verletzt. Dies geschah am 18. April 1945, 21 Tage vor Kriegsende! (Peter Krier in der „Banater Post“ vom 20. März 2000)

Volksaufstand 1989 in Temeswar

Unter den Opfern des Volksaufstands im Dezember 1989 in Temeswar waren auch Banater Deutsche. In seinem auf der Kulturtagung 2019 in Sindelfingen gehaltenen Vortrag „Erinnerungen und Spuren. 30 Jahre nach dem Volksaufstand in Temeswar“ betont Luzian Geier, dass die Liste der Banater Opfer, die aus der deutschen Gemeinschaft stammten beziehungsweise aus Mischehen, etwa ein Dutzend Personen umfasst. Und Geier nennt auch einige Namen, wie zum Beispiel Alexander Norbert Pongracz aus Lugosch, der als Soldat in Reschitza am Weihnachtstag in seiner Einheit erschossen wurde, dann Peter Ebner (erschossen am 25. Dezember auf der Oituz-Straße), Edith Irene Reiter (erschossen am 19. Dezember in der Josefstadt auf dem Heimweg von der Arbeit), Rudolf Hermann Sporer, Peter Wittmann und Otto Nikolaus Zornek, alle erschossen am 17. Dezember 1989 in Temeswar.

Friedhöfe – Orte der Erinnerung

Auf dem katholischen Friedhof der Deutschgemeinde von Großsanktnikolaus befindet sich die Grabstätte der Familie Röhrich. Sohn Reinhold Röhrich (1963-1983) war als Soldat auf Kurzurlaub zu Hause. Er ist mit seiner Freundin nach Perjamosch an die Marosch baden gefahren und ist dort ertrunken. Das Unglück des Sohnes hat die Eltern aus der Bahn geworfen. Der Vater Peter verstarb 2009, die Mutter Katharina lebt heute noch im Heidestädtchen. Eine Ausreise nach Deutschland kommt für sie nicht in Frage. Sie hat am Familiengrab eine Bank aufgestellt, um dort oft zu verweilen und nahe bei ihrem bereits in so jungen Jahren verstobenen geliebten Sohn zu sein. Auf dem Grabstein steht zu lesen: „Im Leben geliebt/ Im Tode unvergeßlich“. 

In den letzten Jahrzehnten sind viele Grabsteine auf den Banater Friedhöfen (vor allem in den Städten) verschwunden. Im September 1984 stand auf dem Friedhof von Busiasch noch ein alter Grabstein mit folgender Inschrift: „Hier schlummert der gute Gatte und Vater Georg Ross, k.k. Lederfabrikant. Er leitete das Publicum in guten durch sein Amt als Grundrichter, half Armen Witwen und Waisen in bedrängter Lage: starb am 2. Juni 1849 samt seinen Kinder Aloisia und Solka während der feindlichen Belagerung Temeswars“.

In seinem Mundartroman „Kaule-Baschtl“ schreibt Ludwig Schwarz, dass Baschtl „gere uf die Friedhef geht“, weil dort Ruhe ist und man dort ungestört „sei Gedanke hat ziehe kenne losse un studiere un sich allerderhand vorstelle, was mol war, was un wies hat kenne geween sin un was hiner eem Name un zwei Johrzahle alles stecke kann. Un wieviel Schicksal uner zwei Schritt lang un een Schritt braat Platz hat!“

Für Leena Ruuskanen sind „Gräber Wege in die Vergangenheit. (…) Mit den Namen, die wir auf den Grabsteinen lesen, steigen in uns Bilder aus der Erinnerung auf, aus denen Vergangenheit lebendig wird“. (Der Heidelberger Bergfriedhof, 1992)

Wir erinnern uns an liebe Menschen, die durch Krankheit, Unfälle oder andere Schicksalsschläge plötzlich aus unserer Mitte gerissen wurden. Sie alle leben in uns weiter, denn „Nur was der Mensch im Herzen trägt, / Was ihm gehört allein, / nur das wird nie ins Grab gelegt, / Nur das ist ewig sein“, so der Hatzfelder Heimatdichter Peter Jung in seinem Gedicht „Das Ewige“.

Aber auch Friedhöfe „sterben“ und Grabsteine verwittern. In dem Gedicht „Das Elterngrab“ schreibt Stefan Heinz-Kehrer: „Zerborsten / ist die Platte aus Beton/ über Eurem Grab! / Vom Frost zerfressen, / vom Wasser durchlöchert / liegt sie schräg in der Senkung“. Und in einem Trauerlied, das bei Beerdigungen im Banat gesungen wurde, heißt es: „Nur kurze Zeit wird man noch sagen / in diesem Grab ruht der und der, / dann wird das Kreuz, der Stein zerfallen / und dann denkt unserer niemand mehr“.

Auf dem Großschamer Friedhof befand sich 1996 noch die bereits stark verwitterte Grabstätte der Familie Klimowitsch. „Hier waltet ewiger Friede“, so die Inschrift. An die dort Ruhenden und an deren Schicksal – Sohn Mathias (gest. in den 1920er Jahren) und Mutter Margaretha (gest. 1943) haben sich das Leben genommen – denkt heute kaum noch jemand. Auch der Grabstein des 1853 im Alter von 44 Jahren verstorbenen Jacob Galgon steht einsam und unbeachtet – so, als würde er der Zeit trotzen wollen –, inmitten von Feldkulturen im bereits aufgelassenen Teil des Lieblinger Friedhofs.

Die Inschrift auf dem Grabstein des Johann Meisner (1867-1902) auf dem Friedhof in Gier endet mit den Worten: „Ach, getreue Freunde mein / Gedenkt wenn ich nicht werde sein / Verlaßt mein Grabeshügel nicht / Betet! Und gehet vorüber nicht“. Heute, 120 Jahre nach seinem Tod, ist Johann Meisner längst vergessen und niemand betet mehr am bereits aufgelassenen Grab. Tempo passato – vergangen, vorbei!

Wir möchten in unserer Dokumentation auch an alle fern der Banater Heimat durch Unfälle und andere tragische Schicksalsschläge gewaltsam aus dem Leben gerissenen Landsleute erinnern und ihrer gedenken. Uns ergeht es aber ähnlich wie dem Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti (1905 Russe – 1994 Zürich), der seine frühe Kindheit in der bulgarischen Stadt Rustschuk verbrachte. In seinem Buch „Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend“ schreibt der Schriftsteller: „Es wird mir schwerlich gelingen, von der Farbigkeit dieser frühen Jahre in Rustschuk, von seinen Passionen und Schrecken eine Vorstellung zu geben. Alles, was ich später erlebt habe, war in Rustschuk schon einmal geschehen“.

Auch wir erinnern uns immer dann, wenn etwas im Hier und Heute passiert, dass das so oder so ähnlich schon mal im Banat geschehen ist. Wie schreibt doch Nikolaus Lenau: „Ja, die Heimat! Das sind Eindrücke, die sich nie verwischen“. Was Heimat war, bleibt uns als geistiges Besitztum erhalten.

Unsere Artikelserie hatte nie den Anspruch, einen umfassenden Beitrag zur Geschichte der Todesursachen oder zur Kriminalstatistik unserer Heimat zu leisten. Bei der jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Banat, mit seiner und unserer Kulturgeschichte, beeindruckten uns die „Schicksale“ und „Gesichter des Todes“ immer wieder. Was hier als lapidare Aufzählung von Tatsachen erscheint, bedeutet für die Betroffenen das jähe Lebensende, für die Angehörigen ein Weiterleben mit den Folgen des Geschehenen. 

Wir haben uns in diesen Beiträgen bewusst auch nicht mit der philosophischen Kategorie „Schicksal“ oder mit dem Sprachbild „Gesichter des Todes“ auseinandergesetzt. Dies erschien uns in dieser Kurzfassung nicht der passende Ort. Wir zeigen kaleidoskopartig Geschehnisse auf und regen hoffentlich die Leserinnen und Leser an, sich mit der eigenen Heimatgeschichte zu befassen und für die Nachfahren zu dokumentieren.

Möge uns, trotz mancher Schicksalsschläge und zugefügtem Leid – die Banater Heimat war nicht immer nur Idylle –, der Lebensmut und die Lebensfreude nicht verlorengehen. Wie lautet doch die Lebensweisheit, die auf den Wandschützern in fast jedem unserer Häuser im Banat zu finden war: „Hoffnung sei dein Wanderstab / Von der Wiege bis zum Grab“.