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Zwei legendäre Stimmen und das Wunder von Bern. Zimmermanns 55. Todestag, Szepesis 100. Geburtstag (Teil 2)

Moderator Dr. Emil-Dorin Scheffel (rechts) mit Studiogast Helmut Heimann beim Freien Radio für Stuttgart Foto: privat

Am 11. Dezember 1966 war der beliebte Reporter Herbert Zimmermann mit seiner Lebensgefährtin zu einem Interviewtermin mit DFB-Präsident Hermann Gösmann nach Osnabrück unterwegs. Obwohl gutes Wetter herrschte und die Strecke kerzengerade war, kam sein Mercedes 220 SC von der Fahrbahn ab. Die beiden Insassen wurden so schwer verletzt, dass sie einige Tage später starben. Am vergangenen 16. Dezember waren es 55 Jahre, seit Herbert Zimmermann im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf verstorben  ist. Sein Grab befindet sich in Witterschlick in der Gemeinde Alfter bei Bonn. Er wurde nur 49 Jahre alt.

Szepesi war weiterhin tätig, unter anderem für drei Jahre als Außenreporter des ungarischen Rundfunks in Bonn. Zwischen 1979 und 1986 leitete er den Ungarischen Fußballverband (MLSZ). Zwölf Jahre lang gehörte er dem Exekutivkomitee der FIFA an. Zwischen 1948 und 2012 berichtete er von 18 Olympischen Spielen und 15 Fußball-Weltmeisterschaften. Was für eine Karriere! Die aber auch dunkle Flecken hatte. 2006 enthüllte der aus Ungarn stammende österreichische Publizist Paul Lendvai, dass der stramme Kommunist Szepesi 1950 vom ungarischen Staatssicherheitsdienst als Agent angeworben wurde und unter dem Decknamen „Galambos“ auch zahlreiche Sportler bespitzelt hat. Szepesi äußerte sich nie zu den Vorwürfen. Er starb am 25. Juli 2018 im Alter von 96 Jahren in Budapest und ist im Farkasréti-Friedhof beerdigt. Szepesi wurde fast doppelt so alt wie sein Kollege Zimmermann.

Bürste als Mikrofon

Sportkommentatoren hatten es mir schon als Kind angetan, aber nicht Zimmermann und Szepesi. Weil das vor meiner Zeit war. Zuhause in Großjetscha verfolgte ich Ende der 70er und in den 80er Jahren begeistert die Übertragungen der Fußball-Bundesliga im deutschen Rundfunk. Vor allem die Sendung „Heute im Stadion“ des Bayerischen Rundfunks mit der markanten Stimme von Moderator Fritz Hausmann, in der Bundesligaspiele mit bayerischem Bezug unter anderem von Reporter Oskar Klose übertragen wurden. Aber ganz besonders die WDR-Sendung „Sport und Musik“ mit dem legendären Moderator Kurt Brumme und seiner sonoren Stimme. Die Sendung wurde mit der berühmten Bundesligakonferenz beendet – erfunden 1952 – von wem wohl? – natürlich von Herbert Zimmermann. Den BR hörte ich auf Mittelwelle, die Konferenzschaltung wegen des besseren Empfanges bei der „Deutschen Welle“ auf Kurzwelle. Ich erinnere mich sehr gerne an jene Zeiten, als ich im Sommer daheim im Hof saß und während der Übertragungen mitfieberte, zunächst auf einem Radiorekorder der japanischen Marke Achiko und später von Grundig, den mir meine Mutter 1979 von einem Deutschlandbesuch mitgebracht hatte.

Das geschah so sehr, bis ich, angesteckt von ihrer Leidenschaft, es den Reportern nachmachen wollte. Mit einer Bürste als Mikrofon in der Hand übte ich vor dem Spiegel die Übertragung imaginärer Fußballspiele zwischen berühmten deutschen Mannschaften und kommentierte lautstark ihre Spielzüge sowie Tore. Bald reifte in mir dann der Entschluss, Sportkommentator zu werden. Daraus wurde aber nichts, weil es in Rumänien keinen deutschsprachigen Radiosender gab, der Bundesligaspiele übertragen hat. So orientierte ich mich um und wurde trotzdem Sportjournalist, allerdings kein sprechender, sondern ein schreibender. Es gibt nicht viele Menschen, die so wie ich von sich behaupten können, ihr Hobby zum Beruf und ihren Beruf zum Hobby gemacht zu haben. Ein besonderes Privileg!

Bewachter Radiosender

Meiner Radioleidenschaft frönte und fröne ich nach wie vor. Zunächst in der deutschsprachigen Sendung von Radio Temeswar, die nach einer von den Kommunisten verordneten fünfjährigen Zwangspause am 22. Dezember 1989 wiederbelebt wurde. Deren Leiter Waldemar Kühn war während der Sendepause wie auch die anderen Radioleute mein Kollege bei der NBZ und kehrte später zum Rundfunk zurück. Waldi überzeugte mich, montags die Sportrubrik bei Radio Temeswar zu gestalten. Gott hab’ ihn selig!

Ich erinnere mich noch gut an mein Rundfunkdebüt vor 32 Jahren. Es war ein sonniger Wintertag und das Temeswarer Sendegebäude in jenen turbulenten Umsturzzeiten streng von der Armee bewacht. Hinein durfte man nur mit einem Sonderausweis. Meinen besitze ich immer noch. Darauf steht der damalige Sendername „RTV Timișoara Liberă“. Ich kam ohne jegliche Erfahrung ins Studio. Waldi warf mich ins kalte Wasser. Er stülpte mir einfach den Kopfhörer über, stellte ein Mikrofon vor mich hin, drückte auf einen Knopf – und los ging’s mit dem Sprechen. Jedes Seufzen, Räuspern, Hüsteln war während der Live-Sendung zu hören. Das Herz schlug mir bis zum Hals und der Puls raste. Langsam gewöhnte ich mich an die Moderation und machte die Rubrik ein halbes Jahr lang bis zu unserer Ausreise. Meine Eltern haben einige Sendungen auf Kassette aufgezeichnet. Ab und zu höre ich sie mir noch an.

Jetzt bin ich öfter beim „Freien Radio für Stuttgart“ (FRS) Studiogast von Moderator Dr. Emil-Dorin Scheffel in den zweiwöchentlichen Sendungen „Zigzag de România“ und „Rumänisches Mosaik“, wo wir über Gott und die Welt reden. Das FRS ist ein nichtkommerzielles Rundfunkprogramm, das seit dem 28. September 1996 ausgestrahlt wird und auch im Internet-Livestream (www.freies-radio.de) in 14 Sprachen, einschließlich Deutsch, zu hören ist.

Bestimmt werden wir auch über meine Anfänge bei Radio Temeswar und Herbert Zimmermanns berühmten Endspielkommentar plaudern. Er war Gänsehaut pur! Der berühmte Regisseur Rainer Werner Fassbinder legte Zimmermanns Übertragung in der Schlussszene im Spielfilm „Die Ehe der Maria Braun“ (1979) auf die Tonspur. Schriftsteller Friedrich Christian Delius veröffentlichte 2004 die Erzählung „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ über die Endspielreportage Zimmermanns, und die Popgruppe OKAY! landete in den 80er Jahren einen Hit mit den Jubelrufen des berühmten deutschen Radioreporters. 

Unsterblicher Torschrei

Herbert Zimmermann sollte Ansporn für die heutigen Sportkommentatoren sein, die bis auf die leider nicht mehr aktiven Werner Hansch und Gerd Rubenbauer emotionslos, unterkühlt, freudlos, ohne Enthusiasmus, distanziert kommentieren und sich vor lauter politischer Korrektheit scheuen, wie Zimmermann die Worte „wir“ und „unsere Mannschaft“ in den Mund zu nehmen. Wenn sie mal laut werden, hört sich das eher nach Gebrüll und Gekreische als nach einem emotionalen Schrei an. Zimmermann würde sich im Grabe umdrehen. Sein vierfacher Torschrei wird heutzutage in vielen Stadien immer noch nach einem Treffer der Heimmannschaft abgespielt. Und der Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS), dem ich seit 30 Jahren angehöre, vergibt ab 1985 den Herbert-Zimmermann-Preis für die besten Sportbeiträge im deutschen Rundfunk. Die Sieger in den zwei Kategorien (Livereportage, Kommentar) erhalten je 1250 Euro Preisgeld.

Unvergessen ist auch György Szepesi. „Er verkörperte den Stil der Sportberichterstattung, bei der sich der Reporter begeistert und intensiv in das Spiel hineinversetzt“, schrieb der Ungarische Fußballverband in seinem Nachruf.

47 Jahre nach dem berühmten WM-Finale wurde das altehrwürdige Wankdorfstadion in Bern abgerissen. Das war 2001. Vier Jahre später entstand an gleicher Stelle ein neues Stadion, das seit dem 1. Juli 2020 wieder Wankdorf heißt. Geblieben ist über all die Zeit das „Wunder von Bern“. Dieser Ausdruck wird nie verschwinden. Weil er im Gegensatz zum „Wembley-Tor“ oder der „Hand Gottes“ ein Ereignis beschreibt, das weit über die Grenzen des Sports hinausreicht. „Wir sind wieder wer. Das war so sicherlich das Gefühl von Millionen Menschen“, sagte Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl. Deshalb ist dieses Spiel nie aus. Zu seiner Unsterblichkeit haben die Vollblutreporter Herbert Zimmermann und György Szepesi beigetragen. Für sie wie für uns gilt der Spruch von George Sand: „Enttäuschungen töten nicht, und Hoffnungen lassen leben.“

Kommen Sie gut durch die Zeit!