zur Druckansicht

Deutsche Soldatenfriedhöfe im Baltikum (Teil 2)

Auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Beberbeki bein Riga ruhen mehr als 10 000 Kriegstote.

Der Sammelfriedhof von Saldus (Lettland), der größte dieser Art in den baltischen Ländern, wurde im September 1999 eingeweiht. Auf der über sechs Hektar großen Anlage wurden bislang über 22 900 Kriegstote, vor allem Gefallene in den Kurland-Schlachten, bestattet. Fotos: Walter Schneider

Alfred Ivanov hat in diesem Buch ca. 750 in Estland und Lettland während des Zweiten Weltkriegs Gefallene und Vermisste aus dem Banat erfasst.

Der deutsche Soldatenfriedhof in Narva ist ein Sammelfriedhof. Zum einen wurden hier 1943-1944 mehr als 4000 Kriegstote bestattet. Da dieses Gebiet unter heftigem Artilleriebeschuss stand, konnte die genaue Grablege dieser Toten nicht mehr ermittelt werden. Ihre Namen stehen auf den Stelen, die entlang des befestigten Weges zum Gedenkplatz aufgestellt wurden. Zum anderen wurden hier durch den Umbettungsdienst des Volksbundes mehr als 10700 Tote beigesetzt, deren Namen auf Grabkreuzen oder Inschriftentafeln genannt werden. Insgesamt ruhen hier etwa 15000 gefallene deutsche Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Bei der Friedhofsbetreuung kann man auch die Namensliste aller hier Bestatteten einsehen. Der Gedenkplatz mit dem zentralen Symbol, einem viereinhalb Meter hohen Natursteinkreuz, bietet dem Besucher einen Blick auf die Landschaft jenseits des Narva-Flusses nach Russland.

Der Verlockung, wenn auch nur für einige Minuten, aus der EU „auszutreten“ und mich jenseits der estnischen Grenzsteine ins Niemandsland an das Narva-Ufer zu begeben, konnte ich nicht widerstehen. 

Da wir seit fast 30 Stunden auf Achse waren, übermannte uns nun die Müdigkeit. Wir begaben uns entlang des Finnischen Meerbusens auf den Weg nach Toila in das Vier-Sterne-Spa-Hotel. Es waren an diesem Tag die letzten 50 Kilometer durch eine unberührte Landschaft mit herrlichem Ausblick auf die Ostsee.

Auch in dem Dorf Toila gibt es seit 1944 einen für die Gefallenen der Narva-Front angelegten Friedhof, in dem ca. 2000 deutsche und estnische Soldaten ruhen. Am 10. August 2002 wurde der Friedhof feierlich eingeweiht.

Mit den zwar schlichten, aber sauberen Zimmern mit Dusche, TV, Kühlschrank und Balkon zur Ostsee waren wir mehr als zufrieden. Wir wollten nur eine Nacht so richtig ausschlafen. Dank der schweren Übergardinen gelang es uns auch, denn Mitte Juli, in den „weißen Nächten“ der Sommersonnenwende, wird es auch hier wie in Skandinavien nicht richtig dunkel.

Ab Toila waren wir bereits auf dem Rückweg. Etwa 2500 Kilometer lagen noch einmal vor uns. Kaum losgefahren, hielten wir am Ehrenfriedhof in der nahe gelegenen Kleinstadt Jöhvi. Hier ruhen etwa 3000 Soldaten, die während der Kämpfe an der Narva-Front im Sommer 1944 gefallen sind. In den 1970-er Jahren wurde ein Teil des Geländes mit Wohnblocks bebaut. Doch dank der unermüdlichen Arbeit des Volksbundes konnte auch dieser Friedhof wieder hergerichtet und am 4. August 2001 feierlich eingeweiht werden. Die Namen der Gefallenen stehen in alphabetischer Reihenfolge auf Namensstelen.

Die Dichte der Soldatenfriedhöfe in dieser Gegend mit den vielen tausenden von Toten und Vermissten lässt erahnen, wie erbittert und verlustvoll die Schlacht um Narva geführt wurde. Ein sinnloses Sterben! 

Zutiefst ergriffen und schweigsam, aber auch immer wieder beeindruckt vom Reiz dieser besonderen Landschaft, fuhren wir entlang des westlichen Ufers des riesigen Peipussees Richtung Lettland.

Bis zur Gedenkstätte Beberbeki in der Nähe der lettischen Hauptstadt Riga lagen noch fast 400 Kilometer vor uns. Über Tartu und Elva gelangten wir bei Valga (Valka) nach Lettland. Ab hier ging es auf der E264 wieder Richtung Ostsee und Riga. 
Der Friedhof Beberbeki war nicht so einfach zu finden. Er liegt versteckt, mitten im Wald. Die Mahnung des Friedensnobelpreisträgers Albert Schweizer „Die Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens“, die unheimliche, friedliche Ruhe und die tausenden stummen Zeugen des großen Sterbens stimmten uns auch hier sehr nachdenklich. 

Ehrfurchtsvoll standen wir betend vor dem großen Gedenkkreuz. Dank des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge ruhen auch hier in würdigem Rahmen mehr als 10000 deutsche Kriegstote.

So langsam stellten sich Müdigkeit und Hunger ein. Auf dem Weg zu unserem Hotel in Riga durchquerten wir eine über 800000 Einwohner zählende, pulsierende Metropole. Wir staunten dabei über das moderne Stadtbild. Mit dem Taxi ging es gleich wieder zurück in die historisch beladene, wunderschöne Altstadt, der man stellenweise doch ihr Alter ansieht. Dank der „weißen Nächte“ wurde es auch hier erst spät dunkel, sodass uns genug Zeit blieb, die Altstadt zu besichtigen. Vom modernen Riga hatten wir durch unsere Fahrt tagsüber und die Taxifahrt bereits einiges gesehen. Die einst stolze Hansestadt versprüht ein ganz besonderes Flair.

Spät am Abend, nach dem Genuss eines nach Orangen duftenden Bieres und einer zu großen Pizza, waren wir wieder im Hotel und fieberten bereits dem nächsten Tag und unserer Heimreise entgegen, die uns zuvor noch nach Saldus (Frauenburg), dem größten Sammelfriedhof in den baltischen Ländern, führen sollte.

Im Oktober 1944 hatte die Rote Armee bei Memel (Klaipeda) die Ostsee erreicht. Dadurch war der Rückzug der deutschen Truppen abgeschnitten. Im Kurland blieben 32 deutsche Divisionen und die 19. lettische Division eingeschlossen. In sechs Großangriffen versuchte die Rote Armee den Kurlandkessel aufzulösen. Die Kämpfe, mit einem Schwerpunkt südlich von Saldus, brachten für beide Seiten hohe Verluste.

Der Sammelfriedhof von Saldus wurde im September 1999 eingeweiht. Auf der über sechs Hektar großen Anlage wurden bislang über 22900 Kriegstote, vor allem Gefallene in den Kurland-Schlachten, bestattet. 

Nachdem Alfred in Saldus seine letzten Fotos im Kasten hatte, gaben wir im Navi die Heimadresse ein. Es errechnete 1869 Kilometer, die ab hier noch vor uns lagen.

Über Litauen kamen wir gegen Mittag wieder in Polen an. Durch das südliche Masuren, einem Teil des früheren Ostpreußen, näherten wir uns Warschau. Auch diese Gegend besticht durch Ordnung und Sauberkeit, viele Neubauten, gepflegte Friedhöfe und bestellte Felder. Durch abwechselndes Fahren kamen wir nach insgesamt 96 Stunden müde und wohlbehalten zuhause an. 

Ohne den unermüdlichen Einsatz des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge, auch „Volksbund“ genannt, wäre unsere Spurensuche erfolglos geblieben. Der Volksbund wurde nach dem Ersten Weltkrieg 1919 gegründet. Er betreut und unterhält über 2,7 Millionen Kriegsgräber beider Weltkriege auf 832 Soldatenfriedhöfen in 46 Ländern. So verwandelt der Volksbund die Kriegsgräberstätten zu mahnenden Lern-orten der Geschichte.

Es gibt unzählige Gräber in Russland, Estland, Lettland, Polen, auf dem Balkan. Überall dort sind Schwabensöhne gefallen. Auch diese Gräber, viele immer noch namenlos, gehören zum Banat, ebenso die Klagen der trauernden Witwen, der nagende Kummer und der Gram der Eltern oder die heißen Tränen und Gebete der Kriegswaisen.

Als Ergebnis dieser Dokumentationsreise und seiner Recherchen konnte Alfred Ivanov sein Buch „Endstation Narwa. Banater Gefallene und Vermisste in Estland und Lettland während des Zweiten Weltkriegs“ fertigstellen und in Druck geben. Durch die Erfassung von ca. 750 Kriegsgefallenen aus über 140 Banater Orten konnte er so manches bisher im Dunkeln gebliebene Soldatenschicksal klären und den Hinterbliebenen nach Jahrzehnten eine endgültige Gewissheit über die letzte Ruhestätte ihrer Angehörigen geben.

Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben Peter-Dietmar Leber dankte Alfred Ivanov für die Zusendung seines Buches „Endstation Narwa“ und schrieb: „Damit haben Sie ein für unsere Gemeinschaft wichtiges Werk vorgelegt und gleichzeitig einen Ehrendienst für die Gefallenen unserer Gemeinschaft geleistet. Sie haben diese Gefallenen damit wieder in unsere Mitte geholt.“

Abschließen möchte ich mit dem Gedicht „Das Soldatengrab“ des Grabatzer Heimatforschers und Dichters Jakob Dietrich (1924-2012), der selbst an der Ostfront im Kriegseinsatz war. Die beiden ersten Strophen lauten: „Ich kam vorbei an dem Soldatengrab / beim Rückmarsch in den weiten Russenlanden; / und ehrfurchtsvoll nahm ich die Mütze ab, / gedachte leiderfüllt des Unbekannten. // Kein Blümlein spross, ein rissig Erdhauf nur, / das Kreuz..., es lag zerbrochen schon daneben; / so tilgt die Zeit die allerletzte Spur / von einem einstmals hoffnungsvollen Leben.“