„Es sind nicht immer die Lauten stark, nur weil sie lautstark sind. Es gibt so viele, denen das Leben ganz leise viel echter gelingt.“ (Konstantin Wecker)
Nicht viele Fußballer aus Rumänien können von sich behaupten, in ihrer Karriere sechsmal Landesmeister geworden zu sein. Und noch weniger aus den Reihen der Banater Schwaben. Nicht mal dem großen Josef Petschovszky gelang dies. Im Gegensatz zu Emmerich Vogl. Der Abwehrspieler gewann fünfmal in Folge den Meistertitel mit der legendären Mannschaft von Chinezul Temeswar und einmal mit Juventus Bukarest. Später wurde er Trainer – und stellte einen Rekord auf, der bis heute in Rumänien unerreicht geblieben ist: Er war der Erste, der sowohl als Fußballer als auch als Trainer mit der rumänischen Nationalmannschaft an Endturnieren um die Weltmeisterschaft teilgenommen hat. Viele Lorbeeren stapelten sich auf Vogls Haupt. Aber: Bis er sie alle sammeln konnte, war es ein langer und beschwerlicher Weg.
Er startete im Temeswarer Randviertel Mehala, wo Emmerich Vogl am 12. August 1905 geboren wurde. Zusammen mit vielen anderen Kindern jagte er den Fetzenbällen nach, aber nicht wie Petschovszky auf den Temeswarer Straßen. Er hatte es viel besser. Denn: In der Mehala gab’s mehr als genug Wiesen, wo sich die Knirpse austoben konnten – meist von morgens bis abends. Nicht selten gab’s deswegen Krach mit ihren Eltern. Beim Rasenspiel eignete sich der kleine Emmerich jene filigrane Technik und feine Taktik an, die ihn später auszeichnen sollten: tolles Ballgefühl, gute Kondition, sicheres Stellungsspiel. „Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden“, sagte US-Schauspieler Marlon Brando. So war es auch bei Emmerich Vogl.
Damals galt Chinezul als das A und O nicht nur im Temeswarer, sondern im ganzen rumänischen Fußball. Kein Wunder, dass die meisten ballverliebten Jungs von einem Wechsel zu diesem Verein träumten. Nicht alle schafften es. Aber: Dank seiner ausgezeichneten Qualitäten gelang Vogl 1922 als Sechzehnjähriger der Sprung ins Juniorenteam von Chinezul. Und der Feinschliff des Rohdiamanten begann. Er dauerte nicht allzu lange. Denn: Emmerich war entsprechend veranlagt, wissbegierig und lernte schnell. Der berühmte, aus Lugosch stammende rumänische Reporter Aristide Buhoiu schrieb über Vogl: „Wenn er sprach, wählte er die Worte sorgfältig aus, wog jeden Ausdruck ab und blieb immer höflich. Ganz anders war er als Spieler. Auf dem Platz verwandelte er sich in einen mythologischen Kämpfer mit Muskeln aus Stahl. Er schlug Pässe mit der Eleganz eines Ballett-Tänzers und einem Fuß aus Gold.“
Vogl war vielseitig einsetzbar – in Abwehr und Mittelfeld. Heute werden solche Spieler Allrounder genannt. Mit einer gewaltigen Sprungkraft ausgestattet, gewann er die meisten Kopfballduelle. Das kam nicht von ungefähr. Denn: Vogl hatte es als Leichtathlet bis zum rumänischen Landesmeister im Weitsprung gebracht.
Es sollte nicht sein einziger Titel bleiben, denn mit Chinezul Temeswar wurde er zwischen 1923 und 1927 fünfmal in Folge Rumänischer Meister. Damals standen viele Banater Schwaben in der Mannschaft wie Rudolf Wetzer, Michael Tänzer, Adalbert Steiner, Adalbert Rössler, Augustin Semler, Johann Tesler, Koloman Lotter, Rudolf Matek, Adalbert Ritter und Bruno Steiner. Chinezul hatte schon 1922 den Meistertitel geholt, doch damals spielte Vogl noch bei den Junioren.
Mit sechs Meisterschaften in Folge stellte Chinezul einen rumänischen Rekord auf. Ebenfalls sechs Titel holte auch UTA Arad, aber nicht nacheinander. Chinezul und UTA galten lange Zeit als erfolgreichste rumänische Fußballmannschaften aus der Provinz, ehe sie in der vergangenen Saison von CFR Klausenburg mit sieben Meisterschaften überflügelt wurden.
Übertroffen wurde Vogl bei Chinezul nur noch von seinem Kollegen Michael Tänzer. Der gebürtige Temeswarer gewann mit seinem Team sechsmal in Folge die rumänische Meisterschaft, ein Rekord, der bis heute Bestand hat.
Aber: Einmal geht jede Siegesserie zu Ende. Die von Chinezul riss 1928, als der von Finanzproblemen geplagte Verein gegen Şoimii Hermannstadt im Viertelfinale um die Meisterschaft mit 2:2 und 3:4 ausschied. Daran waren die Temeswarer selbst schuld. Denn: Siegessicher ließen sie die Reserve antreten, während die erste Elf ein Freundschaftsspiel gegen den Wiener Athletik Club bestritt. Das hatte Folgen für einige Spieler und den Trainer. Sie verließen den Verein. Vogl tat dies aber nicht im Groll: „Denn Chinezul war eine Schule, eine Familie“, pflegte er stets zu sagen. Doch statt zu der im gleichen Jahr gegründeten Ripensia Temeswar wechselte Csogli, so sein Spitzname, zu Juventus Bukarest. Dort setzte er seine Erfolgsserie fort und wurde in der Spielzeit 1929/30 erneut Meister. Es war sein sechster Titel. Chapeau!
Mit dem Schiff zur WM
Vogl war aber nicht nur in seinen Vereinen eine sichere Bank, sondern auch in der rumänischen Nationalmannschaft. Für diese debütierte er am 31. August 1924 in Prag bei der 1:4-Niederlage gegen die Tschechoslowakei. Zu den Höhepunkten seiner Nationalmannschaftskarriere gehörte die Teilnahme an der ersten Weltmeisterschaft 1930 in Uruguay. Doch fast wäre es gar nicht dazu gekommen. Denn: Direktor Brunelli von der Rumänisch-Italienischen Bank aus Bukarest, wo Vogl angestellt war, wollte ihm keinen unbezahlten Urlaub für die lange Reise gewähren. Erst als ein Schreiben mit dem königlichen Siegel eintraf, willigte er schließlich ein.
Königliches Siegel deshalb, weil das rumänische WM-Aufgebot vom Regentschaftsrat des damals achtjährigen Königs Michael I. nominiert wurde, der zusammen mit seinem Onkel Prinz Nikolaus die Regierungsgeschäfte anstelle des minderjährigen Herrschers führte. Vogl konnte mit den anderen 14 Fußballern die weite Reise antreten. Rumänien war übrigens das erste europäische Land, das sich für die erste WM meldete. Damals konnte man noch ohne Qualifikation teilnehmen.
Aber: Viele Mannschaften scheuten die 11000 Kilometer lange Anreise nach Uruguay. Mit dem Flugzeug war Südamerika damals noch nicht zu erreichen. Gut, dass der italienische Luxusdampfer „Monte Verde“ seetüchtig war. Die Rumänen fuhren auf harten Holzbänken mit dem Zug bis nach Genua und sparten sich dadurch das Geld für den Schlafwagen. Dafür kaufte sich jeder Spieler einen WM-Anzug. In Genua schifften sie am 19. Juni 1930 auf der „Monte Verde“ ein. Von den 15 Spielern an Bord hatten zwölf das Mittelmeer noch nicht gesehen. Zwei Tage später gingen die Franzosen in Villefranche-sur-Mer an Bord, weitere zwei Tage danach die Belgier in Barcelona. Jugoslawien reiste auf der „Florida“ an.
Über die Schifffahrt schrieben Volker Stahl und Folke Havekost in ihrem Buch „Fußballweltmeisterschaft 1930“: „Wer aufbrach, erlebte Luxus. Die Kicker waren auf der ‚Conte Verde‘ in Zwei-Personen-Kabinen der Ersten Klasse untergebracht. Für Fußballreisende war das 2400 Passagiere fassende Schiff mit großem Friseursalon und kleinem Turnsaal jedoch nicht gerade ideal. Leichtathletik, Gymnastik und Turnübungen waren die einzigen Möglichkeiten zum Training, das meistens auf die Zeit zwischen 6 und 8 Uhr beschränkt wurde, um die Mitreisenden nicht zu stören. So sprangen die Kicker im Morgengrauen Seil, übten Handstand und Bockspringen, spielten Curling, schwangen sich an den Ringen – oder ließen es auch bleiben, weil das Kartenspielen am Vorabend etwas länger gedauert hatte. An Zerstreuungen mangelte es nicht. Allabendlich fanden Tanz, Kino und Komödie statt, die Menükarte wurde als gesellschaftliches Ereignis in der Londoner ‚Times‘ abgedruckt. Man feierte die Feste, wie sie fielen, und war dabei nicht übertrieben wählerisch. ‚Am ersten Tag feierten wir die Abreise des Schiffes, am nächsten Tag die Fernsicht des afrikanischen Ufers, dann die Überquerung des Äquators‘, schilderte Belgiens Torwart Arnold Badjou die Stimmung an Bord. Zur Unterhaltung hatte die Reederei auch die beiden Opernsänger Fjodor Schaljapin und Marthe Nespoulos engagiert.“ Schaljapin war mit seinem Hund an Bord. Auf dem Schiff ging das Gerücht um, der Hund würde immer dann bellen, wenn der Große Meister eine Note falsch singt.
Als die „Monte Verde“ am 5. Juli 1930 im Hafen von Montevideo einlief, wurde sie mit Böllerschüssen und von Tausenden Menschen begeistert empfangen. „Für Vogl war die Reise fabelhaft“, schrieb der bekannte Sportjournalist Ioan Chirilă in seinem Buch „Tage und Nächte im Stadion“.
Am 14. Juli traf Rumänien im ersten Spiel auf Peru und siegte mit 3:1. Vogl trug die Kapitänsbinde und ging trotz der folgenden Niederlage in die Fußball-Weltgeschichte ein. Weil aus finanziellen Gründen die notwendige Sportausrüstung mangelhaft war, musste er mit zwei gleichen Schuhen spielen. Es ist nicht überliefert, ob es sich um zwei rechte oder zwei linke Fußballstiefel gehandelt hat.
Eine Woche später war die WM für Rumänien vorbei. Der spätere Weltmeister Uruguay siegte am 21. Juli mit 4:0 vor 100000 Zuschauern im Centenario-Stadion von Montevideo und Rumänien trat im August auf der „Duilio“ die Heimfahrt an. Hin- und Rückreise sowie der Aufenthalt in Südamerika, der auch noch ein Freundschaftsspiel bei Racing Club Buenos Aires nach der WM umfasste, dauerten insgesamt vier Monate.
Vier Jahre später nahm Vogl zum zweiten Mal mit Rumänien an der WM teil. In Italien war aber schon nach einem Spiel Endstation. Trotz 1:0-Führung setzte es am 27. Mai 1934 in Triest gegen die CSSR eine 1:2-Niederlage. Ironie der Geschichte: Vogls letztes Länderspiel fand gegen den gleichen Gegner statt wie sein erstes vor zehn Jahren. Insgesamt brachte er es auf 29 Partien, in denen er ein Tor schoss (beim 8:1-Sieg am 25. Mai 1930 in Bukarest gegen Griechenland) und zwanzigmal die Kapitänsbinde trug. Eine beachtliche Bilanz! In dieser Zeit gewann er mit der rumänischen Auswahl zweimal die Balkanmeisterschaft: die erste Auflage 1929 bis 1931 und 1933.
Bei Juventus Bukarest spielte Csogli noch bis 1940, als er im Alter von 35 Jahren die Fußballstiefel an den berühmten Nagel hängte.
Mit Fachwissen zum Erfolg
Vogl blieb dem Sport mit dem runden Leder weiter verbunden. Und wurde 1942 Trainer bei seinem früheren Verein Juventus. Er galt als seriöser und korrekter Typ, der sehr viel las, sich zahlreiche Notizen machte und akribisch vorbereitete. „Fang nie an aufzuhören, hör nie auf anzufangen“, wusste schon der römische Philosoph Cicero. Vogl eignete sich ein großes Fachwissen an und wurde zu einem wandelnden Fußball-Lexikon. Das alles zahlte sich aus. Denn: In der schwierigen Zeit während und nach dem Zweiten Weltkrieg war er gleich viermal rumänischer Nationaltrainer: zweimal zwischen 1942 und 1945, 1947/48 sowie 1950/51. Er entdeckte zahlreiche Fußballer für die Nationalmannschaft wie Cornel Dinu, einen der bekanntesten Spieler Rumäniens. Dinu erinnert sich: „Csogli-Bácsi hat mich bei Dinamo Bukarest sowie in der
Jugendauswahl beobachtet und dem Nationaltrainer empfohlen. Mein Debüt erfolgte in einem Freundschaftsspiel gegen Österreich.“ Die Partie am 1. Mai 1968 vor 32000 Zuschauern in Linz endete 1:1. Cornel Dinu brachte es in 13 Jahren auf 67 Länderspiele (drei Tore).
Dinu und Vogl sollten sich 1970 anlässlich der Weltmeisterschaft in Mexiko begegnen, an der Rumänien nach einer Abwesenheit von 32 Jahren wieder teilnahm. Vogl war von 1967 bis 1971 Berater des Nationaltrainers Angelo Niculescu. Nicht wenige behaupteten, dass vorwiegend er die Taktik der rumänischen Auswahl bestimmte. „Vogl war der Mann im Schatten. Er hat es geschafft sich durchzusetzen“, lobte Mircea Lucescu, damals wie Dinu im rumänischen WM-Aufgebot. Dabei war es gar nicht sicher, ob Vogl an der Endrunde in Mexiko teilnehmen konnte.
Er hatte gesundheitliche Probleme und es gab Bedenken, ob er den langen Flug überstehen würde. Deshalb wurde ein Experiment unternommen. Vor der WM machte die rumänische Nationalmannschaft eine Vorbereitungstournee durch Mittelamerika. Dabei wurde der gleichaltrige Sportjournalist Petru Gaţu, Vater von Handball-Weltmeister Cristian Gaţu, auf die Reise mitgenommen Er verkraftete die Strapazen so gut, dass Vogl zur WM nach Mexiko mitfliegen konnte. Dort schlug sich Rumänien wacker in der Löwengruppe von Guadalajara gegen den späteren Weltmeister Brasilien, Titelverteidiger England und die CSSR, verpasste aber den Sprung ins Viertelfinale.
Vor seiner Beratertätigkeit bei der Nationalmannschaft war Vogl von 1963 bis 1967 ebenfalls als Berater bei Rapid Bukarest tätig und trug 1967 maßgeblich zum ersten Meistertitel der Eisenbahnerelf bei. Vogl amtierte dank seiner herausragenden Fähigkeiten eine Zeit lang als Vorsitzender des Zentralen Trainerkollegiums beim Rumänischen Verband und bildete zahlreiche Fußball-Lehrer aus. Kein Wunder, dass er als Erster in Rumänien den Titel „Verdienter Fußball-Trainer“ verliehen bekam.
Vogl, der neben Deutsch, Ungarisch und Rumänisch sehr gut Englisch sprach, führte jahrelang ein Tagebuch über seine Erlebnisse als Trainer. Seine umfangreiche Tätigkeit raubte ihm viel Zeit. „Wir haben ihn nicht oft gesehen“, erinnerte sich seine Tochter Grete. Oft blieb Vogls Ehefrau Helene (geborene Szutkowski) mit den drei Kindern Grete, Emmerich und Erich allein. Auch von schweren Schicksalsschlägen wurden sie nicht verschont. Sohn Emmerich starb mit 15 Jahren. Grete und Erich wanderten später nach Deutschland aus.
Ihr berühmter Vater starb am 29. Oktober 1971 mit 66 Jahren in Bukarest. In neun Tagen sind es 50 Jahre, seit er für immer gegangen ist. Sein Grab befindet sich auf dem katholischen Friedhof Bellu in der Hauptstadt.
„Vogl war jemand, der stets mit Sachkenntnis sprach“, schrieb Chirilă. Sein Kollege vom Fachblatt „Sportul“ Mircea Tudoran, den ich ebenso wie Chirilă persönlich gut gekannt habe, meinte: „Er war blitzgescheit und mit einem profunden Fachwissen ausgestattet.“ Auch der langjährige „Sportul“-Redakteur und Buchautor Mircea Ionescu war voll des Lobes: „Ein Kavalier des Stadions, ein Vorbild an Seriosität und Fairplay.“
Auch ehemalige Mitstreiter würdigten Vogl. Sein Trainerkollege Coloman Braun-Bogdan sagte: „Ein außergewöhnlicher Mensch, der keinen Kompromiss zuließ.“ Das Schlusswort gebührt dem ehemaligen Nationaltrainer Angelo Niculescu: „Vogl war jemand mit einer ausgeprägten Berufskultur und einem vollkommenen Charakter.“
Ein wahrer Gentleman des Fußballs, der Bleibendes geleistet und hinterlassen hat. Der indische Pazifist Mahatma Gandhi pflegte zu sagen: „Reich wird man erst durch Dinge, die man nicht begehrt.“ Emmerich Vogls Reichtum waren Respekt, Wertschätzung, Ehre und Perfektion. Deshalb wird Csogli-Bácsi niemals in Vergessenheit geraten.
Kommen Sie gut durch die Zeit!