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Temeswarer Stadtgeschichte griffbereit

Das Publikum folgte der Präsentation von Josef Wolf aufmerksam und interessiert. Foto: Walter Tonţa

Hedwig Weber und Dr. Isolde Weber (von links) berichteten über die Entstehungsgeschichte des Buches. Foto: Hans Rothgerber

Der Historiker Josef Wolf stellte die „Temeswarer Chronik“ von Richard Weber vor. Foto: Walter Tonţa

Gunter Czisch, Oberbürgermeister der Patenstadt Ulm, freute sich, an diesem „Familientreffen der Banater Schwaben“, wie er es ausdrückte, teilzunehmen und richtete ein Grußwort an die Besucher der Buchpräsentation. Foto: Walter Tonţa

Die Vorstellung der von unserer Landsmannschaft Ende 2019 herausgegebenen „Temeswarer Chronik“ von Richard Weber war längst überfällig. Nachdem die ursprünglich für den Herbst 2020 im Kultur- und Dokumentationszentrum (KDZ) der Landsmannschaft in Ulm geplante Buchpräsentation pandemiebedingt verschoben werden musste, wurde sie am 11. September dieses Jahres nachgeholt. Es war die erste vom Bundesverband organisierte Präsenzveranstaltung nach eineinhalb Jahren. Umso größer war die Freude der Veranstalter, rund 30 von nah und fern angereiste Gäste zur Buchvorstellung im Ulmer KDZ willkommen heißen zu können. 

Bundesvorsitzender Peter-Dietmar Leber begrüßte im Namen des Bundesvorstandes, seines anwesenden Vorstandskollegen Werner Gilde und der Betreuerin des KDZ Halrun Reinholz den Oberbürgermeister unserer Patenstadt Ulm Gunter Czisch, Hedwig Weber und Dr. Isolde Weber, die Witwe und Tochter des Buchautors, den Historiker Josef Wolf, dem die anschließende Präsentation des Bandes oblag, Hans Rothgerber, der für die grafische und technische Umsetzung des Buchprojekts zuständig war, sowie die Referentin für den Donauraum am Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm Dr. Swantje Volkmann.

Der Bundesvorsitzende bedauerte, dass der Heimattag der Banater Schwaben in Ulm, verbunden mit der 70-Jahr-Feier der Landsmannschaft im vergangenen Jahr abgesagt werden musste, betonte aber gleichzeitig, dass die Landsmannschaft während der Corona-Zeit nicht untätig gewesen sein. Als Beispiele führte er die Digitalisierung der Filme aus dem Bestand des KDZ sowie die Herausgabe eines Bandes mit Erzählberichten von Kindern ehemaliger Russlanddeportierter an. Leber dankte der Kulturreferentin für den Donauraum für die Förderung der beiden Projekte.

„Temeswar ist eigentlich für die Deutschen im Banat die Stadt mit Leuchtturmcharakter gewesen und ist es bis heute geblieben“, unterstrich Leber. Die Stadt habe eine lange, dichte Geschichte, die in Richard Webers Chronik konzentriert und anschaulich dargestellt werde. Dies habe die Landsmannschaft – auch im Hinblick darauf, dass Temeswar 2023 Europäische Kulturhauptstadt sein wird – bewogen, das Typoskript aus dem Nachlass von Richard Weber als Buch herauszubringen. Leber dankte seiner Witwe und Tochter, dass sie das Typoskript der Landsmannschaft zwecks Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben.

„Wir sind ja mittlerweile wie eine Familie“, sagte der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch zur Begrüßung der Teilnehmer und jeder im Saal spürte, dass er sich dieser Familie zugehörig fühlt. „Wir schätzen die Patenschaft über die Landsmannschaft der Banater Schwaben noch mehr, weil wir in den eineinhalb Jahren der Pandemie gemerkt haben, was uns wirklich fehlt: die persönlichen Kontakte, die Begegnung, der direkte Austausch“, so Czisch. Deshalb freue er sich, endlich an einer „warmen“ Veranstaltung teilnehmen und nicht nur über den kalten Bildschirm kommunizieren zu können. Ebenso freue er sich auf kommende Veranstaltungen: das Internationale Donaufest und der Heimattag der Banazer Schwaben im Jahr 2022.

In einer Welt voller Gegensätze, die immer komplexer wird, sei es wichtig, sich der Wurzeln und Werte zu besinnen und das Gemeinsame zu suchen, betonte der Oberbürgermeister. Die „Temeswarer Chronik“ leiste dazu einen wichtigen Beitrag. Denn um Zukunft zu gestalten, müsse man die Geschichte kennen und verstehen.

Für seine Buchpräsentation hatte Josef Wolf den trefflichen Titel „Stadtgeschichte griffbereit – Richard Webers Temeswarer Chronologie“ gewählt. Der vorzustellende Band repräsentiere, „was sich als Lebenssumme aus der Beschäftigung Webers mit der Geschichte seiner Heimatstadt Temeswar ergeben hat“. Neben Aufsätzen zu Einzelproblemen habe er auch die Entwicklung der Stadt in einem chronologischen Überblick zusammengefasst, unterstrich Josef Wolf eingangs. Zu den Zielen des Bandes zitierte er aus dem Vorwort des Verfassers: „Die Temeswarer Chronik soll einen Überblick über die gesamte Stadtgeschichte (…) geben. […] Sie ist ein Nachschlagewerk für all jene, die etwas über diese Stadt erfahren wollen.“

Wolf skizzierte zunächst die Biografie des 1930 in Temeswar geborenen Heimat- und Lokalforschers, der von der Mehrsprachigkeit seiner Heimatstadt geprägt wurde, um dann auf die thematischen Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit einzugehen: neuzeitliche Eck- und Wendepunkte der Stadtgeschichte, urbanistische Entwicklung Temeswars, städtische Topographie anhand der Straßennamen, Flussgeschichte (Verlauf der Bega), Entwicklung des Stadtwappens, Temeswarer Sportgeschichte usw. In diesem Zusammenhang erwähnte Wolf auch den regen Austausch Richard Webers mit seinem älteren Bruder Wilhelm, der sich ebenfalls intensiv mit Geschichtsforschung befasst hat. 

Webers Nachlass, der nach seinem Tod im Jahr 2016 von der Familie dem Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskinde in Tübingen übergeben wurde, gebe Auskunft nicht nur über die Forschungsschwerpunkte, sondern erlaube auch einen Einblick in die Arbeitsweise des Stadthistorikers, betonte Josef Wolf, der die thematisch geordnete Sammlung kurz vorstellte.

Wolf widmete sich sodann der Präsentation des Bandes, dessen durchgehendes Strukturprinzip die Chronologie sei. Richard Weber beschreibe den chronologischen Zeitlauf seiner Stadt von der ersten urkundlichen Erwähnung bis zur Gegenwart. Dabei handle es sich um ein lineares oder chronologisches Erzählen, das Vor- und Nachteile aufweise. Der Autor habe der Chronologie eine zeitliche Struktur verliehen und die Daten nach Epochen der Regionalgeschichte gegliedert. „In der Periodisierung lehnte er sich an das überlieferte politikgeschichtliche Wissen an“, stellte der Referent fest, der auch weitere Merkmale des Bandes hervorhob: Um Wende- und Höhepunkte der historischen Entwicklung herauszuarbeiten und in der Wahrnehmung zu verstärken, habe der Autor – auch in dem Wissen, dass die Reduktion historischer Abläufe auf Ereignisse und Fakten oft auf Vereinfachungen hinauslaufe – Exkurse („analytische Erläuterungen“ nach Weber) in die Chronik einfließen lassen. Das zum einen. Zum anderen sei es Weber wichtig gewesen, den Band reichhaltig zu bebildern. So sei ein üppig illustriertes Buch entstanden, eine Zusammenschau von Text und Abbildungen, wobei die Bildseiten dem Textteil vorangestellt sind. Und zum dritten hob Wolf den wertvollen Anhang der Chronik hervor, der Verzeichnisse der Bürgermeister der Stadt, der kirchlichen Würdenträger, der Theaterdirektoren, der deutschen Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken, der deutschen Rechtsanwälte, der deutschen Bankhäuser, Industrie-, Gewerbe- und Handelsunternehmen usw. enthält.

Josef Wolfs Fazit: Richard Weber habe uns mit seiner „Temeswarer Chronik“ ein Handbuch geschenkt, das Daten und Fakten zur Stadtgeschichte griffbereit hält. „Er setzt nichts als bekannt voraus und versucht alles zu erklären, sieht aber auch, dass sich nicht alles in einer Chronologie erklären lässt.“ Weber habe einen „Kärrnerdienst an der Elementarisierung von Regional- und Stadtgeschichte“ geleistet. „Es gibt keine bessere Chronologie der Stadt Temeswar wie diese, und es wird auf absehbare Zeit auch keine bessere geben“, so Wolf.

Nach der Buchpräsentation gewährten Hedwig und Isolde Weber persönliche Einblicke in die Arbeit des passionierten Stadthistorikers und in die Entstehungsgeschichte des Bandes. „Mein Mann war Temeswarer durch und durch“, sagte Hedwig Weber. Die Liebe zu seiner Heimatstadt, gepaart mit einer großen Leidenschaft für deren Geschichte, habe ihn bewogen, sich nach Erscheinen des Temeswarer Heimatbuchs im Jahr 1994, für dessen Gesamtredaktion er zusammen mit Stefan Heinz verantwortlich zeichnete, der Realisierung der Temeswarer Chronik zu widmen. Ihr Mann habe alles Erreichbare zur Temeswarer Stadtgeschichte gesammelt, gründlich recherchiert (er verbrachte tagelang in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe), das Zusammengetragene gesichtet und geordnet und 2002 begonnen, die Chronik an seinem PC zu erarbeiten, berichtete Hedwig Weber. Drei Jahre später habe die erste Fassung vorgelegen, die Endfassung sei 2009 fertiggestellt worden. Zur Veröffentlichung der Chronik sei es aus verschiedenen Gründen nicht mehr gekommen. 

„Ich habe die Arbeit meines Vaters sehr zu würdigen gelernt, als mir die Chronik in die Hände gefallen ist“, ergänzte Dr. Isolde Weber. Dies habe sie veranlasst, das Typoskript auf Empfehlung von Josef Wolf, der es gesichtet hatte, der Landsmannschaft zur Veröffentlichung anzubieten. Dafür, dass das 600-seitige Buch 2019, drei Jahre nach dem Tod ihres Vaters, erscheinen konnte, sei sie der Landsmannschaft wie auch Hans Rothgerber unendlich dankbar, betonte sie.

Zum Schluss beantworteten Josef Wolf und die Angehörigen des Autors Fragen aus dem Publikum, das die Ausführungen interessiert verfolgt hatte. Halrun Reinholz, der die Moderation der Veranstaltung oblag, wies noch auf zwei Neuerscheinungen mit Bezug zu Temeswar hin: Fred Zawadzkis Geschichten-Buch „Im Schatten des Doms“ und Sigrid Katharina Eismanns autobiografisch gefärbten Roman „Das Paprikaraumschiff“.