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„Für Europa den Friedensnobelpreis verdient“

Corona-konforme Begrüßung: BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius und Ministerpräsident Dr. Markus Söder beim Tag der Heimat. Quelle: BdV/bildkraftwerk

Ministerpräsident Dr. Markus Söder MdL spricht beim Tag der Heimat 2021 Foto: BdV/bildkraftwerk

Banater Schwaben bei der Kranzniederlegung an der „Ewigen Flamme“ in Berlin (von rechts): Dr. Maria Werthan, BdV-Präsidiumsmitglied, Harald Schlapansky, stellvertretender Bundesvorsitzender und Landesvorsitzender Bayern der Landsmannschaft der Banater Schwaben, mit Lebensgefährtin Petra Kratzer, Bernhard Fackelmann, Mitglied des BdV-Landesvorstands Bayern, Barbara Hehn, Vorsitzende des Kreisverbandes Erlangen, mit Gatten Werner. Foto: Bernhard Fackelmann

„Vertreibungen und Deportation ächten – Völkerverständigung fördern“ lautet das Leitwort des Tages der Heimat des Bundes der Vertriebenen im Jahr 2021. Diesem Gedanken verpflichtet, kamen unter Einhaltung sämtlicher Corona-Regeln erneut zahlreiche deutsche Heimatvertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler und Spätaussiedler – Vertreter der Erlebensgeneration und ihre Nachkommen – sowie Partner aus dem Bereich der deutschen Minderheiten, aus Politik, Diplomatie, Kultur und Gesellschaft am 28. August 2021 in der Urania Berlin zusammen. 

Dr. Bernd Fabritius MdB – tags zuvor zum vierten Mal von den Delegierten der Mitgliedsverbände mit hervorragender Mehrheit zum BdV-Präsidenten gewählt – freute sich, als Festredner den Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Dr. Markus Söder MdL, begrüßen zu dürfen. Dieser sei „nicht nur ein gern gesehener Gast“, sondern er stehe auch zu den Vertriebenen und sei „durch Bekenntnis einer von uns“. 

Zunächst aber sprach der BdV-Präsident selbst – und hielt, so Markus Söder später, eine „sensationelle politische Regierungserklärung“, aus der deutlich wurde, dass Fabritius „mit Leidenschaft, mit Liebe, mit Zukunftsfähigkeit, mit ganz großem Engagement bei der Sache ist“.  

„Schutzmauern der Menschlichkeit sichern“

Deutlich wies der BdV-Präsident zu Beginn seiner Rede darauf hin, dass Flucht und Vertreibung, Deportation, Zwangsarbeit und ethnische Säuberungen gegen Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg, dem rund 15 Millionen Deutsche zum Opfer fielen, „niemals ihren Unrechtscharakter verlieren“ würden.

Diese Benennung des Unrechts bedeute keine Relativierung der „entmenschlichten und entmenschlichenden Kriegs- und Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten mit ihren kaum vorstellbaren Menschheitsverbrechen“ und verschmelze im Engagement des BdV mit der ausgestreckten Versöhnungshand, wie dies bereits die Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 zeige. Wahrhafte Erinnerung und Verständigung seien vielmehr geeignet, den Frieden in Europa zu erhalten und die „Schutzmauern der Menschlichkeit“ zu sichern, auf dass die Vergangenheit sich nicht wiederhole. 

„Verständigungspolitik, von der großen politischen Bühne bis hinein ins familiäre Private, ist unverzichtbare Voraussetzung für andauernden Frieden“, so Fabritius wörtlich. Dabei seien die Heimatvertriebenen und die Heimatverbliebenen – also die deutschen Minderheiten in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa sowie in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion – „zwei Seiten ein- und derselben Medaille“. 

Einen Schwerpunkt der Rede des BdV-Präsidenten bildete das Gedenken an das Schicksal der Russlanddeutschen. Auf den Tag genau vor 80 Jahren, am 28. August 1941, hatte Stalin den „unseligen Erlass“ verabschieden lassen, aufgrund dessen Hunderttausende deutschstämmige Bürger der Sowjetunion aus ihrer Heimat im Westen des Landes vertrieben und zur Zwangsarbeit in die Verbannung, zumeist nach Sibirien und Kasachstan, deportiert wurden. Zahllose fanden dabei den Tod.
Infolge des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion, aber auch in Kontinuität mit der kommunistischen Minderheitenpolitik war den Russlanddeutschen ganz pauschal Kollaboration vorgeworfen worden. Erst 1964 seien sie teilrehabilitiert worden. Dennoch blieben sie entwurzelt und Unterdrückte des Sowjetregimes. „Die Deportation“, so der BdV-Präsident, „markiert einen tiefen und bis in die Gegenwart nachwirkenden Einschnitt in der russlanddeutschen Geschichte. Es ist daher nur folgerichtig, dass Deutschland bis heute ihr Kriegsfolgenschicksal anerkennt und garantiert, dass sie als Deutsche nach Deutschland kommen können“.

Konsequent müssten daher auch die Anliegen der Aussiedler und Spätaussiedler verfolgt werden, unter denen die Beseitigung rentenrechtlicher Benachteiligungen eines der wichtigsten sei. Hier habe mit der Einführung der Grundrente und der Einbeziehung der Fremdrentenzeiten in die Berechnungen ein wichtiger Zwischenerfolg erzielt werden können. 

Ein weiterer wesentlicher Schritt sei der Beschluss eines Härtefallfonds in Höhe von einer Milliarde Euro auch für Spätaussiedler, der als „ein Meilenstein der Aussiedlerpolitik dieser Wahlperiode und ein immenser Gestaltungsauftrag an die nächste Bundesregierung“ sowie an die Länder verstanden werden müsse. Eine „strukturellen Beseitigung der Rentenungerechtigkeit“ sei jedoch „leider noch weit entfernt“, weshalb dieses Thema auf der Tagesordnung bleibe, „bis es zu aller Zufriedenheit erledigt ist“, so Fabritius. 

Mit einem Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen stellte er die Frage, wie es in einer Zeit ausgeprägter Minderheiten-, Identitäts- und Meinungspolitik sein könne, dass die Vertriebenen und Spätaussiedler in der Wahlprogrammatik der meisten im Bundestag vertretenen Parteien „keine Rolle spielen“. Dabei müsse „das Bekenntnis zur deutschen Geschichte in all ihren Facetten (…) parteienübergreifend auch diejenigen ansprechen, die ein besonders schweres Kriegsfolgeschicksal“ zu erleiden hatten.

Nur CDU und CSU würden feststellen, dass „Vertriebene und ihre Nachkommen, Aussiedler und Spätaussiedler mit ihrem Können, ihrem Fleiß und ihrer kulturellen Tradition ein Gewinn für unser Land“ seien und wollten dementsprechend „den verständigungs- und erinnerungspolitischen Einsatz der Vertriebenen- und Aussiedlerverbände, den Kulturerhalt und die Kulturarbeit durch eine zukunftssichere Förderung stärken“. Obwohl dies „richtig und gut“ sei, wolle der BdV als überparteilicher Verband solche Formulierungen jedoch auch in anderen Wahlprogrammen lesen. 

„Vertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler und Spätaussiedler sind ein Teil des Querschnitts der Gesamtbevölkerung und haben den Anspruch, entsprechend wahrgenommen zu werden“, betonte der BdV-Präsident abschließend.

Erinnerung und Zukunft in Einklang bringen

„Es ist mir eine Ehre und Freude, keine Pflicht (…), heute bei Ihnen sein zu können“, startete der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder in seine mit zahlreichen persönlichen Erlebnissen und Anekdoten gespickte und den Anliegen wie dem Personenkreis der Vertriebenen und Aussiedler sehr zugewandte Festrede.

Die Geschichte Deutschlands, so Söder, sei mit den „schlimmen Gräueltaten der Nationalsozialisten“ nicht zu Ende. Die Verantwortung für ein „Nie wieder!“ wiege schwer, und eine Abgrenzung nach Rechtsaußen sei daher „Kernbestandteil und Staatsräson unserer Gesellschaft“. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass die Millionen deutschen Heimatvertriebenen ebenso Opfer dieser Politik geworden seien – und deshalb „im Bewusstsein unseres Landes in gleicher Weise verankert“ werden müssten. Hier sei auch die Bildungspolitik und insbesondere der Geschichtsunterricht in der Pflicht.

Für die Vertriebenen und Spätaussiedler ergebe sich eine besondere Verantwortung Deutschlands allein schon aus der Tatsache, dass sie „Landsleute“ seien, betonte der Ministerpräsident. Heimatverlust und Ankunft – der Aufbau einer neuen Heimat, in der man zunächst vehemente Ablehnung erfuhr – sei ein „in zweifacher Weise schlimmes Schicksal“ gewesen. Umso größer müsse das Verdienst der Vertriebenen bewertet werden, in dieser Situation Vergebung und nicht Rache zum Leitgedanken zu erheben, wie dies mit der Charta der deutschen Heimatvertriebenen geschehen sei.

Damit und mit dem deutlichen Bekenntnis zu einem freien, geeinten und friedlichen Europa hätten die Vertriebenen „Europa geschützt“. In Anbetracht ihrer damaligen Lage, der einsetzenden Spaltung Europas in Ost und West sei dies „eine unglaubliche Leistung, und ich ärgere mich jeden Tag, dass bei jeder Friedensnobelpreisverleihung keiner bislang an die deutschen Heimatvertriebenen gedacht hat. Sie hätten für Europa diesen Preis verdient“, stellte Ministerpräsident Söder unter dem Applaus der Anwesenden heraus. 

Neben der Aufbauleistung, der sich die Vertriebenen mit großem Einsatz gestellt und sich dafür Respekt erworben hätten, sei das mitgebrachte Brauchtum eine Bereicherung für die Aufnahmegesellschaft gewesen. Dieser kulturelle Schatz sei daher einerseits „die Kraftquelle, Neues zu beginnen“. Andererseits komme ihm eine wesentliche Funktion in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Mittel- und Osteuropa zu, da hierdurch klar werde, dass die Heimatgebiete ein gemeinsamer Kulturraum gewesen sind. „Lassen Sie uns daran arbeiten und dabei den Bund der Vertriebenen als eigentliche Botschafter dafür mit nutzen“, so Söder.

Die Vertriebenen hätten den Boden bereitet für viele diplomatische Erfolge der heutigen Zeit. So sei der intensive Kontakt zwischen der tschechischen Regierung und der bayerischen Landesregierung, der sich gerade während der Corona-Zeit erneut bewährt habe, maßgeblich durch den jahrzehntelangen Einsatz der Sudetendeutschen Landsmannschaft ermöglicht worden. 

All dies geschehe „durch unendliche ehrenamtliche Arbeit. Und drum muss es unsere Aufgabe sein – und zwar gesamtpolitisch (…), und dafür stehe ich ein –, dass wir das auf Dauer auch unterstützen. Und dazu gehört eine aktive und bessere finanzielle Ausstattung für Euern Verband, aber auch für die gesamte Vertriebenenarbeit“, würdigte der Bayerische Ministerpräsident das Engagement im Vertriebenenbereich und sicherte Rückhalt auch in finanziellen Fragen zu.

Ebenso müsse es Ziel einer Regierung unter CDU/CSU-Führung sein, dass das wichtige Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten erhalten und „deutlich aufgewertet wird“. Dieses Amt sei überdies mit Bernd Fabritius „bestens und exzellent besetzt“.

In einem sehr persönlichen Schlusswort zeigte sich Markus Söder nochmals beeindruckt davon, wie so unterschiedliche und gleichermaßen spannende Landsmannschaften und Menschen im BdV den Konsens suchen – und finden und wie es immer wieder gelinge, auf Veranstaltungen wie dem Tag der Heimat Erinnerung und Zukunft in Einklang zu bringen. 

„Ich sage Ihnen meine persönliche, aber auch die politische Verbindung eng zu“, betonte er ein weiteres Mal und mahnte: „Sie werden wirklich gebraucht. Und in einem sich verändernden Europa, in einer aggressiveren Welt, glaube ich, sind Sie wichtiger denn je.“

Geistliches Wort und Gedenken

Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge, Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, erinnerte in seinem geistlichen Wort daran, dass Vertreibung – aus dem Paradies – schon zu Beginn des Alten Testaments eine große Rolle spiele. Exegetisch betrachtet, sei dieser Text eine „Ursachenforschung“. „Die Menschen wollten ja gerne wissen, warum es nicht das Paradies auf Erden gibt und wir Menschen auch mit viel Mühe nur unser Leben in dieser Welt in Frieden und Gerechtigkeit gestalten können.“ 

Dieses Paradies erreichen zu wollen, habe jedoch meist mit der Hybris geendet, „sein zu wollen wie Gott und selbst bestimmen zu wollen, was gut und was böse ist“. Hierfür seien die Diktaturen des 20. Jahrhunderts ein gutes Beispiel. Nationalsozialistische und sozialistische Ideen hätten Bürgerinnen und Bürger dazu verführt, „Vertreibungen und Deportationen zuzustimmen, oder sie sogar selbst zu veranlassen“.

Das Leben und Wirken Jesu mahne jedoch, dass „ein gewaltfreier Umgang in Wort und Tat“ vom Menschen mit seinen Mitmenschen erwartet werde. Wem dies auch in finstersten Zeiten gelungen sei und wer für diese Ideale dazu noch gelitten habe, dem setze die Kirche in Selig- und Heiligsprechungen ein besonderes Denkmal, so Weihbischof Hauke. In diesem Zusammenhang erinnerte er unter anderem an den österreichischen Priester Otto Neururer, an den letzten deutschen Bischof von Danzig, Carl Maria Splett, die Heilige Edith Stein oder den Franziskanerpater Maximilian Kolbe. Im traditionellen Totengedenken des BdV zum Tag der Heimat sprach der Weihbischof den Anwesenden Trost zu.

Kranzniederlegung und Totengedenken

Im Anschluss an den Festakt in der Urania ließen die höchsten Staatsämter, die Bundesländer, einige Bundesparteien, die Landsmannschaften und BdV-Landesverbände, der Bund der Vertriebenen, die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ sowie viele weitere gesellschaftliche Gruppen zu Ehren der Toten Kränze am Mahnmal der deutschen Heimatvertriebenen, der „Ewigen Flamme“ auf dem Berliner Theodor-Heuss-Platz, niederlegen.

Worte des Gedenkens sprachen erneut der Berliner Innensenator Andreas Geisel MdA, der Berliner Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Staatssekretär a.D. Rüdiger Jakesch, sowie BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius. 
Innensenator Geisel erklärte, die Vertriebenen hätten die Folgen einer verbrecherischen Politik getragen, die von Nazideutschland ausgegangen war. Dennoch hätten auch die 15 Millionen Opfer von Vertreibungen und rund zwei Millionen Tote „großes Leid und Unrecht erfahren“. Dies dürfe nicht beschönigt oder vergessen werden. Der Fleiß und die Aufbauleistung der in der neuen Heimat Angekommenen habe maßgeblich dazu beigetragen, „dass Deutschland zu einer Erfolgsgeschichte wurde“. Es gelte, aus der Geschichte die richtigen Lehren zu ziehen und nicht wegzuschauen, „wenn sich vor unserer Haustür humanitäre Tragödien abspielen“. Vielmehr müsse man „sich weltweit für Menschenrechte und Verständigung einsetzen“.

Der BdV-Landesvorsitzende Jakesch, gerade erst von einer Begegnungsfahrt nach Schlesien zurück, betonte, dass auch der Berliner Landesverband enge grenzüberschreitende Kontakte in die verschiedenen Heimatregionen pflege. Den damit verbundenen Erfahrungsschatz könne die Politik viel stärker nutzen. Die Kranzniederlegung finde jährlich statt, „nicht um anzuklagen oder um gegenseitige Schuld aufzurechnen. Das Streben nach Wahrheit gehört zur eigenen geschichtlichen Standortbestimmung. Sich des Vergangenen zu erinnern, erfordert von jedem von uns die Bereitschaft, aus der eigenen Geschichte zu lernen und die eigene Zukunft zu gestalten. Die Erinnerung nicht zu verdrängen, sondern sie ernst zu nehmen – dies erst schafft den Grundstock für Versöhnung“.

BdV-Präsident Fabritius erinnerte am 80. Jahrestag des sogenannten Stalin-Erlasses ein weiteres Mal an das besonders schlimme Schicksal der Russlanddeutschen. Das Opfergedenken aufnehmend, beklagte er ein vielfach unbekanntes Kapitel der Verbannung – die zum Teil mehr als zehn Jahre währende „unmenschliche Zwangsarbeit in der Trudarmee“. Die Toten dieser Arbeitskolonnen seien nie gezählt worden. Vertreibungen und Deportation seien stets menschenrechtswidrige Verbrechen und mahnen gleichzeitig, „Wege zur Verständigung zwischen den Völkern“ offenzuhalten.