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Mein Jugendtraum war, „Pharre uf dr Heed“ zu werden

50. Priesterjubiläum von Altbischof Martin Roos - Turbulenzen bestimmten sein Leben von Kindheit an, und sein Priesterleben sollte nicht anders sein – denn vieles kam anders als gedacht. Martin Roos kam 1942 in Knees auf der Banater Heide zur Welt, begann in Karlsburg/Alba Iulia sein Theologiestudium und konnte es, nach einigen Monaten Studienaufenthalt in Kanada, im Jahr 1969 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Königstein im Taunus abschließen, wo zwischen 1949 und 1978 Priesterkandidaten studierten, die es durch Krieg und Vertreibung aus ihrer Heimat in den Westen verschlagen hatte. Am 3. Juli 1971 wurde er durch Bischof Carl-Joseph Leiprecht für die Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Priester geweiht. Somit feiert Martin Roos in wenigen Wochen sein goldenes Priesterjubiläum. Dazwischen liegen Pastoralarbeit in Deutschland und Rumänien, Arbeit für das Institut für Donauschwäbische Kirchen- und Kulturgeschichte in Stuttgart und im Südostdeutschen Priesterwerk St. Gerhard (einer Gründung des Prälaten und Domherrn Josef Nischbach), die Neuorganisation der römisch-katholischen Diözese Temeswar, die Weihe zum Bischof (am 24. Juni 1999 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Bischof des 1930 gegründeten Bistum Temeswar; die Weihe fand am 28. August 1999 statt), aber auch grundlegende Forschung und umfangreiche Buchveröffentlichungen zur Geschichte der alten Diözese Tschanad, aus der das Bistum Temeswar hervorging. Die Theologische Fakultät Fulda verlieh Roos wegen seiner Verdienste um die Kirchengeschichte des Banats wie auch um den Studien- und Bildungsaustausch zwischen den Diözesen Temeswar und Fulda die Ehrendoktorwürde. Papst Franziskus nahm am 16. Mai 2018 seinen altersbedingten Rücktritt an. Sein Leben in der Rückblende betrachtet Martin Roos im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Astrid Weisz.

Exzellenz, 50 Jahre Priesterdasein – wie fühlt sich sowas an?

Im Allgemeinen erfüllt einen Dankbarkeit, dass man diesen Dienst durch die Zeit hindurch versehen durfte und dass es gut ausgegangen ist. Ich habe mir bisher keine Rechenschaft darüber abgelegt. Im Übrigen wird das Gericht durch Gott sagen, was das Ganze wert war.

Sie sind ein Kind der Banater Heide. Wie war Ihre Kindheit?

Turbulent. Ich bin ein Kind des Krieges. Da war vieles unvorhergesehen, es gab viele Überraschungen. Manches war weniger schön: Als ich geboren wurde, war der Vater im Krieg. Den habe ich erst mit 19 Jahren in Kanada kennengelernt. Die Mutter war verschleppt nach Russland. Die habe ich ebenfalls erst mit sieben Jahren kennengelernt. Ich hatte gute Großeltern, die für mich gesorgt haben und denen ich sehr verbunden bin. Ich habe mit der Zeit gelernt, dass die Dinge kommen und gehen. Ich bin ein lebhaftes Kind gewesen, war auch manchmal schlimm, wie es Kinder einfach sind. Aber im großen Ganzen bin ich dankbar, dass ich einen ziemlich ruhigen Charakter habe, der sich nicht so leicht aus der Fassung bringen lässt. 

Wie haben Sie Ihren schulischen Werdegang erlebt?

Da waren zunächst die sieben Jahre der Grundschule, die zu Hause waren, in einer Kindheit in Geborgenheit. Dann musste man von Zuhause weg, wenn man etwas lernen wollte. Doch der Abschied ist für mich leicht gewesen. Ich kam nach Alba Iulia/Karlsburg in die Mittelschule, Kantorenschule genannt, und habe dann auch dort in Karlsburg das Theologiestudium begonnen. Es folgte aber eine neue Turbulenz, die nach vorne gezeigt hat: Im Februar 1962 sind wir, meine Mutter und ich, nach Kanada ausgereist.

Aber bestimmt ist ja schon viel früher, beziehungsweise bevor sie nach Alba Iulia gegangen sind, der Entschluss gefallen, Priester zu werden. Wann haben Sie die Berufung zum Priester gespürt?

Das weiß ich nicht mehr. Man könnte sagen, dass es mir in die Wiege gelegt worden sei. Ich bin da hineingewachsen, ohne große Reflexionen. Alles, was mit der Kirche, mit Glauben, mit Gott zu tun hatte, hat mir Freude gemacht. Und daher war ich auch darauf aus, das Ziel möglichst gut zu erreichen.

Welche Vorbilder haben Ihre Jugend und Kindheit geprägt?

Ich habe nicht bewusst Vorbilder erlebt. Aber natürlich waren da die Priester: Einmal der Pfarrer im Ort und dann, als man ins Studium kam, waren da die Professoren, der Spiritual, die einen geprägt haben. Aber das war mehr oder weniger selbstverständlich. Im Theologiestudium war es für mich vor allem der Spiritual Joseph Barton, der aus der Tschechei stammte und mir in Deutschland begegnet ist, der einen immer wieder ermuntert hat, auf den auch die Professoren mit großer Achtung geschaut haben, der viel Geduld mit einem hatte und der mich sehr geprägt hat. In Deutschland begegnete mir dann Prälat Josef Nischbach, der mich sehr gefördert und mich untergebracht hat, mir damit auch Wege gezeigt hat. Da waren die Priester aus dem Banat, die damals in Deutschland lebten, denen ich sehr verbunden war und die für mich tatsächlich eine große Hilfe waren. Denn nach Kanada bin ich ziemlich schwer gegangen. Ich war hier im Banat schon verwurzelt, auch im Klerus der Diözese. Und diese Verbundenheit prägte mich das ganze Leben.

Sind Sie deshalb gleich 1990 wieder zurückgekommen?

Es waren mehrere Gründe. Der erste war sicherlich subjektiv, und das war das Heimweh. Mein Jugendtraum war immer „Pharre uf dr Heed“, also Pfarrer auf der Banater Heide, zu werden. Und nach den Veränderungen an Weihnachten 1989 war für mich klar, dass ich zurückgehe. Noch als Student bin ich mit dem Pfarrer aus Großsanktnikolaus mit dem Fahrrad über die Heed und wir haben alle Pfarrhäuser dort unsicher gemacht. Meine Vorfahren kommen fast alle aus der Heed. 
Ich bin der Einzige, der nach 1990 zurückgekommen und geblieben ist. Anfang der 90er Jahre hat Bischof Sebastian den ausgereisten katholischen Priestern nur eine amtliche Entlassung gegeben, wenn sie für paar Monate zurückgekommen sind. Da waren einige zurückgekommen, aber sind dann schnell wieder zurück, denn es war doch eine sehr große Umstellung.

Sie sind ein halbes Leben schon Priester in Deutschland gewesen, bevor Sie die Banater Heimat wieder hatte. Wie war dieser Abschnitt Ihres Lebens?

Ich habe viel gelernt in der Pfarrei in Stimpfach in Württemberg. Ich habe gute Mitarbeiter gehabt, die vorausgegangen sind. In der Seelsorge und auch in der praktischen Arbeit, dass man Kirchen renoviert und Orgeln baut und Glocken besorgt, habe ich da gelernt. Und das hat bis heute liebe Erinnerungen in mir erhalten.

Welche Freuden hat Ihnen das Priesterleben bereitet?

Das Priesterleben überhaupt, denn ich war gerne Pfarrer, bin gerne Priester geworden. Ich habe es auch nie bereut. Das geistliche Leben war immer eine große Freude für mich: Dass man sich geistig auseinandersetzt, dass man liest, meditiert, überlegt und, nach dem Worte des heiligen Augustinus „Serva ordinem et ordo servabit te“, also: „Halte du die Ordnung und die Ordnung hält dich“. Das ist so eine Maxime, die 
einem durch das Leben hilft und dabei einen auch unterstützt.

Wissen Sie noch, wie Ihr Primizspruch lautete?

Das war ein Zitat aus dem ersten Johannesbrief: „Was wir gesehen haben mit unseren eigenen Augen, was wir mit unseren Händen betastet haben vom Wort des Lebens, das verkünden wir euch“. Das war immer das, was mich begleitet und fasziniert hat, oder, wie der Spiritual es immer sagte: „Contemplata aliis tradere“, das, was ich meditiert habe und mit meinem Leben decke, anderen zu verkünden. Und das ist eine große Sache.

Wie ist Ihnen die Primiz in Erinnerung geblieben?

Es war eine Primiz in Bayern, mit vielen Fahnen und vielen Menschen, eine Messe im Freien unter einem Dach und die Menschen um den Altar herum. Es war ein großes Fest für die Gemeinde. Für unsereinen war das natürlich eine große Freude und Dankbarkeit, dass so viele teilgenommen haben und mich am Anfang meines priesterlichen Weges mit ihrem Gebet begleitet haben. Des-wegen hatte ich auch auf die Primiz-Bildchen schreiben lassen: „Es bittet um ihr Gebet“. Diese Andenken sind dann an alle verteilt worden und man hofft, dass einige auch tatsächlich beten werden. Ich glaube schon, dass viel gebetet wurde, denn ohne Gebet kann ein priesterliches Leben nicht gelingen.

Was fanden Sie 1990 hier im Banat vor, als Sie in Ihre Heimat zurückkehrten?

Die Banater Priester in Deutschland hatten mir zwei Dinge auf den Weg gegeben: Maria Radna zur Basilica Minor erheben zu lassen und dieses Haus hier (das bischöfliche Ordinariat) wieder bewohnbar zu machen, von wo aus die Verwaltung der Diözese geschehen kann, unter geordneten Verhältnissen. Mit guten Mitarbeitern und Unterstützung auch von Deutschland her sind diese Dinge ziemlich gut über die Bühne gegangen. Maria Radna wurde 1992 zur Basilica Minor erhoben und dieses Haus konnte 1995 wieder bezogen werden, nachdem wir es eingerichtet hatten, damit es seinem Zweck entsprach. Als Priester habe ich zunächst Vertretungen gemacht, später waren es dann immer mehr administrative Aufgaben im Ordinariat. Es ging dabei besonders um die Restitutionen der verschiedenen Immobilien. Und da gab es dann wirklich viel Arbeit, um die entsprechenden Dokumente zu besorgen beziehungsweise herauszusuchen, die notwendig waren, um unser Eigentum zu dokumentieren.

Und wie war es für Sie, Bischof zu sein? 

Administrativ war ich da weniger gefordert als bis dahin. Der Bischof darf herumfahren und visitieren, und das war mir in den ersten acht Jahren ein großes Anliegen. Ich war viel unterwegs und konnte wochenlang mit den betreffenden Pfarrern zusammenleben, sie und ihre Pfarrei, ihre Arbeit, ihre Freuden und Sorgen kennenlernen. Das war eine große und positive Erfahrung für mich. Es war mir auch wichtig, dass man die Wallfahrt nach Maria Radna lebendig macht und lebendiger gestaltet. Und auch die Kirche selber und das Kloster wurden ja kurz vor meiner Emeritierung noch durch das europäische Projekt restauriert. Maria Radna war mir auch in der Zeit, als ich in Deutschland lebte, sehr wichtig und ich ging jedes Mal hin, wenn ich hier auf Besuch war.

Welche Sorgen hatte ein Bischof Anfang des 21. Jahrhunderts hier in Temeswar?

Hier im Banat war ja der große Exodus, vor allem unserer deutschen Gläubigen. Und da sind Pfarrhäuser, Kirchen, Friedhöfe zurückgelassen worden, die immer eine große Frage aufwarfen: Wie soll das weitergehen? Wie soll das erhalten werden? Wie soll das überhaupt noch mit neuem Leben gefüllt werden? Es war, ist und bleibt eine große Sorge, auch für den Nachfolger noch, den ich in dieser Hinsicht nicht beneide.

Sie haben in der zweiten Hälfte ihres bischöflichen Wirkens auch viel Zeit damit zugebracht, zu forschen und über die Kirchengeschichte des Banats zu schreiben. Wie und wann kam diese Begeisterung dafür auf? 

Das war auch ein Erbstück aus der frühen Kindheit. In Knees war ein alter, guter Lehrer, der sich viel mit lokaler Geschichte befasst hat und mir viel erzählt hat. Er konnte gut erzählen. Da entstand bereits eine gewisse Neigung. Im Studium sollte ich eine Buchbesprechung über den Prälaten Nischbach schreiben, das Buch war 1970 erschienen. Mein Kirchengeschichtsprofessor hat mir das Buch zur Besprechung anvertraut und als ich ihm diese vorlegte, meinte er: „vivant sequentes“, also „es leben die folgenden“. Das heißt also weitermachen. In Deutschland durfte ich dann 1977 eine Arbeit über die Geschichte der Diözese zwischen 1867 und 1918 schreiben, die sehr positiv beurteilt wurde, und später, 1983, eine kurze Zusammenfassung über Maria Radna. Das waren sozusagen die ersten Schritte. Hier in Temeswar gab es die Aufgabe zu bewältigen, dass wir die Dokumente über die verschiedenen Immobilien zwecks Restitution aus dem Archiv heraussuchen mussten. Und da hat der damalige Generalvikar gemeint, Bischof László von Großwardein heute, man sollte das auch niederschreiben, damit das nicht wieder im Archiv verschwindet. So habe ich angefangen zu schreiben, zu forschen, manches näher zu klären. Und manches ist noch in Arbeit: Die Geschichte des Domes, da bin ich jetzt am dritten Band dran. Der Dom wird ja zurzeit renoviert. Das hat mich auf den Gedanken gebracht, die entsprechenden Rechnungen, die Akten und Dokumente, die da im Archiv aufbewahrt werden, mal durchzuschauen und alles in Buchform zu dokumentieren. Es werden nun drei Bände, der erste ist bereits erschienen. Der zweite ist auch schon mehr oder weniger fertig. Für den dritten will ich die Beendigung der Renovierung abwarten und ihn mit den neuesten Bildern und Daten füllen. Und dann gibt es noch die Geschichte der Diözese, die auch noch fertig gestellt werden sollte, so Gott mir Gesundheit und Tage schenkt. Ich versuche die Zeit, die mir noch bleibt, sinnvoll zu nützen, denn physisch kann ich nicht mehr viel. Aber schreiben kann ich.

Wie wichtig ist die Mehrsprachigkeit für einen Priester im Banat?

Im Banat ist das fast eine Notwendigkeit, denn die drei Sprachen, die sind doch ziemlich verbreitet. Und wenn man die Leute verstehen will und mit ihnen sprechen will, dann muss man auch die Sprache beherrschen, in meinem Fall Rumänisch, Deutsch und Ungarisch. Ich hatte keine Gelegenheit, Serbisch zu lernen, obwohl mir das auch Spaß gemacht hätte.

Bei einer täglichen Messe feiert man in 50 Jahren Priesterdasein über 16000 Gottesdienste, oder?

Manche Priester führten ein genaues Buch über die Messen, die sie in ihrem Leben gefeiert haben. Ich habe keine solche Statistik, denn jede Messe ist schon ein Wert an sich. Und manche sagten, wenn sie eine Messe feiern dürfen, dann hat ihr Leben einen Sinn gehabt. Meine Mitbrüder hier im Haus und ich feiern die Eucharistiefeier täglich und hoffen, dass daraus Segen entsteht und Segen herabgefleht wird auf die Menschen, die uns anvertraut sind, und die Menschen, die hier mit uns zusammen leben. Beten ist eine gute und eine ständige Aufgabe. Deswegen ist auch das tägliche Gebet genauso wie die tägliche Messe für uns eine Selbstverständlichkeit.

Wie wollen Sie Ihr goldenes Priesterjubiläum feiern?

Ich habe die Bischöfe der drei Diözesen für den Tag meiner Weihe, am 3. Juli, eingeladen. Da feiern wir in der Kapelle eine Messe miteinander. Wegen der Umstände wird es nicht so ein großes Fest wie in Radna zum 25. Jubiläum.

Was zählt am Ende von 50 Jahren priesterlichen Wirkens?

Das beurteilt der liebe Gott. Ich wage da kein Urteil zu fällen beziehungsweise mir eines zu erlauben. Das möge er gut oder weniger gut finden. Im Übrigen liegt alles in seiner Hand.