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Carpatia – Essen als Brücke und Verbindung zur Kindheit

Braucht die Welt ein rumänisches Kochbuch? Vor gar nicht allzulanger Zeit hätte Irina Georgescu, die seit 14 Jahren in Großbritannien lebt, diesen Gedanken weit von sich gewiesen. Der schlechte Ruf, den gewisse Rumänen in der britischen Öffentlichkeit genossen, veranlasste sie eher, ihre rumänische Herkunft nicht an die große Glocke zu hängen, um nicht in denselben Topf geworfen zu werden. Das Schicksal verschlug sie in den Marketingbereich, wo es um eine Zeit auch um Kochkurse ging. Dabei stellte sie bei den kulinarisch bewanderten Verbrauchern ein großes Interesse an diversen europäischen „Nischenküchen“ fest. Polnische, ukrainische, orientalische Kochbücher schossen in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden. Das brachte sie dazu, auch auf die vertraute rumänische Küche einen Blick „von außen“ zu werfen. In ihrer Heimatstadt Bukarest war sie durch ihre kochfreudige Mutter mit Gerichten aus allen rumänischen Regionen in Berührung gekommen, zudem stammt ihre Familie mütterlicherseits aus Alba Iulia (Karlsburg) in Siebenbürgen. Das kulinarische Potenzial erschien es ihr wert, den „Schmelztiegel“ der rumänischen Küche zeitgemäß in einem ansprechenden Kochbuch zu präsentieren, das seit gut einem Jahr unter dem Namen „Carpathia: Food from the Heart of Romania“ im gesamten englischsprachigen Raum Abnehmer findet. Nun liegt der Band auch in deutscher Fassung vor.

Ansprechend sind zunächst schon die opulenten Bilder, nicht nur der Gerichte, sondern auch von Städten und Landschaften. „Gibt es eine bessere Methode zum Kennenlernen von Menschen, als sich mit ihrer Küche vertraut zu machen?“, fragt die Autorin in ihrem Vorwort. Nicht nur Familienrezepte hat sie deshalb aufgenommen, sondern verschiedene Spezialitäten, die ihr in den einzelnen rumänischen Regionen begegnet sind und sie daran erinnern – Fischsuppe aus dem Donaudelta, Eintopf mit gefüllten Zucchini aus Oltenien, „Tocana“ und Strudel aus Siebenbürgen, „Piperchi“ aus der Dobrudscha und die slawisch angehauchten Speisen aus der Moldau. Bei den Desserts trifft, wie sie selbst schreibt, „das alte Byzanz auf die süße Küche Österreichs und Frankreichs“: Dobosch und Kremschnitt (in den Varianten, die es bis nach Bukarest geschafft haben), neben Baklava, Kataifi und „dulceaţă“. Dass der „Kurtos kalacs“ seine diakritischen Zeichen verloren hat, tut seinem Geschmack keinen Abbruch.  

Zwar sind die Gerichte für die Autorin mit Sehnsucht und Kindheitserinnerungen verbunden, doch sie hat immer ihre Zielgruppe im Blick: Menschen mit einem breiten kulinarischen Horizont, die Vertrautes und Besonderes zugleich suchen. Die meisten Rezepte haben deshalb einen europäisch-vertraut übersetzten Untertitel – „Makrelen-Bouillabaisse“ für „Saramura de pește“, „Donuts“ für die frittierten „papanași“, „Dip aus Herbstgemüse“ für Zacusca, „Zunge mit Olivensalsa“, „Auberginenkaviar“, „Röstpaprika mit Knoblauchvinaigrette“ usw. Auch wird fast jedes Rezept einführend in einen saisonalen oder regionalen Zusammenhang gebracht, sodass sich schon beim Lesen nicht nur ein kulinarischer, sondern auch ein kulturhistorischer Genuss einstellt. Traditionelles wie „Sarmale“ und „Mici“ sind selbstverständlich ebenso vorhanden, wie „Cozonac“ und „Plăcinte“, und doch hat man immer den Eindruck, da und dort eine Änderung zum vertrauten Rezept zu finden, einen kreativen Kick, der neugierig macht. Fast alle Gerichte sind zeitgemäß angepasst – Oliven und Olivenöl gehörten nicht wirklich zur rumänischen Hausmannskost, bieten sich aber gerade bei den balkanisch-türkischen Speisen durchaus an. 

Das einzige Rezept, das explizit dem Banat zugewiesen wird (gemeint ist natürlich die rumänische Küche des Banats), ist ein durchaus interessant anmutendes Hähnchengericht mit Quitten, das man so wohl in keinem Banater Kochbuch finden würde. Doch genau das macht die Intention und auch den Reiz des Buches aus. Die zeitgemäße Form ist verlockend, zeigt die Vielfalt einer Küche, die Irina Georgescu kurz und knackig als „fleischig, rauchig, würzig, scharf“ umschreibt und lädt zum Probieren ein. Das Buch schließt mit einigen Grundrezepten (mamaliga, mujdei …) und mit (allerdings eher kurz gehaltenen) Erläuterungen zu Traditionen, Jahreszeiten, Regionen und dem kulinarischen Erbe von den Kelten bis zu den Kommunisten (!). Letztere freilich im Sinne von Traditionszerstörern durch Entzug der erforderlichen Zutaten. 

Für Banater Schwaben, die mit vielen Gerichten aus der rumänischen Küche vertraut sind, öffnet sich mit diesem Kochbuch ein weites und zum eigenen Erstaunen oft kaum bekanntes kulinarisches Panorama. Zwar lassen die vereinfachten Rezeptvarianten von Dobosch und Kremschnitt jede Banater Schwäbin nur müde lächeln, doch Geschmackskombinationen wie in Essig eingelegtes Obst oder Marmelade von grünen Tomaten klingen genauso spannend wie „Drob de miel“, „Pastrama“ oder „Alivenci“. Dass der Schnaps bei dieser üppigen Geschmacksvielfalt reichlich fließt, wissen wir auch, die Warnung der Autorin trifft ins Schwarze. „Essen bedeutet für mich und für viele andere Menschen, die wie ich fern ihrer Heimat leben, sich an die eigenen Wurzeln zu erinnern. Essen kann tröstlich sein und uns ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln.“ Diesem Fazit von Irina Georgescu kann man auch zustimmen, wenn man im Vertrauten Neues findet. Dann erst recht. 

Die Beschäftigung mit den regionalen Küchen Rumäniens hat Irina Georgescu nun auf ein weiteres Buchprojekt gebracht, wo die Backtraditionen der verschiedenen ethnischen Gruppen im Vordergrund stehen sollen. Hier werden die Banater Schwaben mit Sicherheit einen würdigen Platz einnehmen.  

Irina Georgescu: Carpatia. Eine kulinarische Reise durch Rumänien. Cadolzburg: ars vivendi Verlag, 2020. 224 Seiten. ISBN 978-3-7472-0207-4. Preis: 26 Euro