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Einige mit Dachschaden, andere mit Fuchs im Stadion - Wenig Infrastruktur, viel in Fraktur im rumänischen Sport

„Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber soviel weiß ich sehr wohl, es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“
Georg Christoph Lichtenberg

Gut, dass ich saß, als ich die Schlagzeilen in den rumänischen Medien las. Sonst wäre ich umgefallen. „Ion Țiriac kündigt das Ende des rumänischen Tennis in 30 Jahren an“, stand dort in breiten Lettern. Nanu, kann sowas möglich sein? Das Aus der weltberühmten rumänischen Tennisschule, die mit Ilie Năstase und Simona Halep zwei Weltranglisten-Erste hervorgebracht hat? Năstase war die erste Nummer 1 der Sportgeschichte, Halep ist rumänische Nationalheldin. Die aktuelle Nr. 2 der Welt holte bis zum Redaktionsschluss zwei Grand-Slam-Titel (Roland Garros, Wimbledon), strich 36 Millionen Dollar Preisgelder ein. Und das alles soll bald Geschichte sein? „Solange du mit einer Sportart lebst, die ein Budget von 0,00 hat, sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels“, meint Țiriac.

Ist er nicht mehr Präsident des Rumänischen Tennis-Verbandes? Oder nagt der Mann mit dem Mordsschnauzer am Hungertuch? Besitzt er keine Wohnungen mehr in New York, Paris, Monte Carlo, London? Keine Autohäuser, Banken, Immobilienfirmen? Keine 120 Millionen Euro teuren drei Flieger und einen Hubschrauber, mit eigenem Terminal, deren monatliche Wartung 100000 Euro kostet? Stehen in seiner Garage nicht mehr Hunderte Oldtimer, darunter die von Elton John und Evita Perón? Klaro, das alles besitzt er nach wie vor.

Allein am deutschen Idol Boris Becker verdiente sich Țiriac als Entdecker und Manager dumm und dämlich. Er strich 10 Prozent von Beckers Preisgeldern und 30 Prozent seiner Werbeeinnahmen ein. Mit einem Vermögen von 1,3 Milliarden Euro ist Ion Țiriac reichster Mensch Rumäniens. Auf den 81jährigen Exzentriker trifft der Spruch von Peter Falk zu. Der auch im kommunistischen Rumänien als Kommissar Columbo beliebte US-Schauspieler mit dem Glasauge sagte: „Geld allein macht nicht unglücklich.“

Als Verbandspräsident gehört es zu Țiriacs Aufgaben, Sponsorengelder zu verschaffen. Darin soll er Weltmeister sein. Falls er es trotzdem nicht schafft, könnte er doch ein paar seiner Oldtimer verkaufen – und den Erlös ins rumänische Tennis investieren. Es bleiben ihm immer noch genug alte und neue Autos. Schließlich hat er dem Tennissport sooooo viel zu verdanken.

Aber was macht Țiriac? Jammern! Das ist Volkssport in Rumänien. Stattdessen sollten die Jammerer das tun, was ihnen der Physiker Albert Einstein riet: „Es gibt viele Wege zum Glück. Einer davon ist aufhören zu jammern.“

Fans finanzieren Dinamo

Doch nicht nur im Tennis fehlt das Geld. Der 18malige rumänische Fußballmeister Dinamo Bukarest ist nur deshalb nicht pleite, weil 12000 Fans im vergangenen Jahr umgerechnet 800000 Euro gesammelt haben, um Spieler und Mitarbeiter zu bezahlen. In Deutschland spenden die Leute für notleidende Menschen, in Rumänien für arme Erstligafußballer! Jedem das Seine...

Bei Dinamo mussten Trainingseinheiten ausfallen, weil der Arzt wegen Nichtbezahlung fehlte. Für Weihnachten liehen sich Spieler Geld von Eltern und Freunden, um Geschenke zu kaufen. Oh, du traurige... Meister CFR Klausenburg konnte seinen Fußballern monatelang keinen Lohn zahlen. Bei Astra Giurgiu hatten die Spieler kein Benzingeld, um zum Training zu fahren.

Wenn Sie meinen, das seien Aprilscherze, dann irren Sie sich. Denn: Erstens ist noch nicht April und zweitens gehören Witze auf die Mundartseite. Schade, dass es die „Pollerpeitsch“ nicht mehr gibt. Aber es ist noch nicht genug der Possen. Sie werden schon noch lesen...

Dabei sah früher vieles viel besser aus. Wie 1981, als Rumänien im Davis Cup, der Tennis-Weltmeisterschaft für Männermannschaften, gleich zweimal in einem Jahr in Temeswar antrat: gegen Brasilien sowie Argentinien mit Weltklassespieler Guillermo Vilas und 1983 gegen Chile. 1988 traf Rumänien im Davis Cup ebenfalls in Temeswar auf Portugal. Die Spiele wurden vor 1500 Zuschauern auf den Ascheplätzen der Electrica-Anlage an der Bega ausgetragen, die zu den schönsten Freizeiteinrichtungen in Temeswar gehörte. Dafür wurden 18 Tonnen rote Asche aus Târgoviște gebracht. Ich berichtete als Sportredakteur darüber für die „Neue Banater Zeitung“ und interviewte im Vorfeld die rumänische Nummer 1 Florin Segărceanu. Die Wahrscheinlichkeit, jetzt Davis-Cup-Spiele in Temeswar auszutragen, ist in etwa so groß, als wenn die Poli-Fußballer die Champions League gewinnen würden. Also gleich null!

Willkommen in Absurdistan

Wo die Finanzen knapp sind, fehlt's an einer modernen Infrastruktur. Statt Infrastruktur ist in Rumänien vieles in Fraktur – also im Bruch! Deshalb der Rat an die knauserigen Geldgeber: Befolgt den Spruch des Industriellen, Erfinders und Ingenieurs Robert Bosch, der da lautet: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen“. Das wurde in Temeswar komplett verspielt. Dort ist das ehemals schönste und zweitgrößte rumänische Fußballstadion dem Verfall preisgegeben. Wegen Einsturzgefahr mussten weite Teile der 1960 gebauten früheren 1. Mai-Arena gesperrt werden. Manchmal wird im Stadion noch gekickt. Dort hat sich ein Fuchs eingenistet. Bei Spielen läuft er über den Rasen – und hoch bis zur Pressetribüne. Die heruntergekommene Arena wäre geeigneter, um „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ zu spielen...

Ebenfalls marode ist die 53 Jahre alte ehemalige Temeswarer Olympiahalle. Der Putz bröckelt trotz zweier Renovierungen in den letzten neun Jahren ab, die Farbe ist verblasst. Und obwohl seit sechs Jahren die Brandschutzgenehmigung fehlt, finden in der Halle Spiele im Handball, Basketball, Hallenfußball und Konzerte statt. Vor zwei Jahren schauten wir uns darin eine Show mit Ștefan Bănică jr. an. Sein Konzert war top, die Halle ein Flop. Während sich in Deutschland der Bau des Berliner Großflughafens u.a. wegen Brandschutzproblemen jahrelang verzögerte und der Stuttgarter Fernsehturm drei Jahre gesperrt blieb, ist Brandschutz in Rumänien ein Fremdwort. Wen kümmert's schon?

Wenn jetzt jemand jubilieren sollte: „Aber die Arader haben doch ein neues Stadion gebaut“, dann möchte ich ihn warnen: An der Marosch ist nicht alles Gold, was glänzt. Um das alte UTA-Stadion zu errichten, brauchte man mit Schubkarren, Spaten und Spachtel sechs Jahre. Genauso lange wurde an der neuen Arena gewerkelt – allerdings mit modernstem Baugerät. UTA-Gründer Baron Franz von Neumann ließ vor 75 Jahren den Rasen aus England einfliegen. Er war der beste in ganz Rumänien. Anders der jetzige. Kaum waren sieben Spiele ausgetragen, glich er einem Rübenacker. Um ihn zu schonen, trainiert UTA woanders auf Kunstrasen! Als vor der Stadioneinweihung eine Putzkolonne mit Wassereimern und Lappen die Tribünenplätze säuberte, drang die schmutzige Brühe durch die Mauern bis in die Umkleidekabinen, in die es auch regelmäßig regnet. Fast hätten die Spieler um die Wette schwimmen können. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen...

Aber: Es gibt auch Positives aus Arad zu vermelden - trotz der Coronapandemie! Damit meine ich nicht etwa positive Tests. Nein, nein. Sondern, dass wegen Corona keine Zuschauer ins Stadion durften. Ein Trostpflaster für die UTA-Anhänger. Weil es ohne Pandemie genauso schlimm für sie gekommen wäre. Denn: Keine Stadionabnahme, keine Zuschauer auf den Rängen! Die Abnahme durch die Behörden erfolgte... vier (!) Monate nach der Einweihung. UTA spielte deshalb mit Sondergenehmigung. Das heißt: Ohne Corona wären in anderen Stadien Zuschauer erlaubt gewesen, in Arad jedoch nicht. Willkommen in Absurdistan!

Albträume statt Träume

Kein Wunder, dass mancher einen Dachschaden bekommt. Wie die vor zehn Jahren in Bukarest eingeweihte 250 Millionen Euro teure National-arena. Kaum hat's ein paar Flöckchen geschneit, wurde sie für zwei Wochen gesperrt. Weil das 20 Millionen Euro teure Stadiondach einzustürzen drohte. Es musste für 275000 Euro repariert werden. Ramponiert ist auch der Rasen. In zehn Jahren wurde er bereits zehnmal ausgetauscht. Alle Jahre wieder... Es scheint, als wären die Schildbürger am Werk gewesen. Und in dieser Arena spielt Rumänien am 28. März in der WM-Quali gegen Deutschland, sollen bei der Fußball-EM vier Endrundenspiele stattfinden. Na dann, gutes Gelingen...

Das benötigen auch die rumänischen Sportler für die im Sommer geplante Olympiade in Tokio. Als Ziel hat der neue Sportminister sechs bis sieben Medaillen ausgegeben. Zum Vergleich: 1976 bei Olympia in Montreal belegte Rumänien in der Nationenwertung den 9. Platz mit 27 Medaillen! Vierzig Jahre später in Rio 2016 musste Rumänien mit der Lupe im Medaillenspiegel gesucht werden – Rang 47 mit vier Medaillchen. Jetzt sollen es zwei mehr werden. Immerhin...

Die Triumphe von Kunstturnerin Nadia Comăneci (fünfmal Olympiagold), des Kanuten Ivan Patzaichin (viermal Gold bei Olympia und 22-mal bei Weltmeisterschaften), die vier Weltmeistertitel der rumänischen Handballer oder Steauas Gewinn des Fußball-Europapokals der Landesmeister – davon kann in Rumänien nur noch geträumt werden. Nach Simona Halep kommt lange nichts – und dann Albträume...

Fällt Ihnen bei der Erfolgsaufzählung etwas auf? Die größten Triumphe in der rumänischen Sportgeschichte wurden unter den Kommunisten erzielt. Weil diese die Überlegenheit ihres Systems vorwiegend durch sportliche Erfolge demonstrieren wollten. Und deshalb sehr viel in den Sport investierten.

Falls mich jetzt jemand verdächtigen sollte, ein Verherrlicher des Kommunismus zu sein – weit gefehlt! Von den vier Temeswarer Lokalzeitungen in vier Sprachen („NBZ“, „Drapelul Roşu“, „Szabad Szó“, „Naša Reč“), die alle im selben Gebäude erschienen sind, war ich jahrelang als einziger Redakteur kein Parteimitglied. Worauf ich bis heute stolz bin! Wenn die anderen Parteisitzung hatten, bin ich durch Temeswar flaniert, habe einen Langosch gegessen oder einen Kaffee in der Bastei getrunken. Carpe diem! Und: Ich musste im Gegensatz zu vielen anderen Redakteuren nicht die Journalismusabteilung an der Parteiakademie „Ştefan Gheorghiu“ in Bukarest absolvieren. Ein Segen!

Doch zurück zum fehlenden Geld und der brüchigen Infrastruktur. Oft fehlt noch etwas Wichtiges: die richtige Einstellung! Unlängst pfiff der Schiedsrichter ein Fußballspiel in der ersten rumänischen Liga früher ab – weil ihm zu kalt war. Vor 21 Jahren saß ich für BILD dick eingemummt bei minus 13 Grad auf der Pressetribüne des Dortmunder Westfalenstadions beim Bundesligaspiel Borussia – Ulm. Ich konnte so gut wie keine Notizen machen, weil die Finger steif vor Kälte waren. Bestimmt fror auch der Schiri. Doch hätte er deshalb das Spiel früher beendet, wäre es der Abpfiff für seine Karriere gewesen.

In Rumänien ticken die Uhren anders. Nicht die USA scheinen das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu sein...

Kommen Sie gut durch die Zeit!