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Zwei Jahre hinter Stacheldraht und zwei Fluchtversuche (Teil 2)

Pfarrer Nikolaus Schwarz war von 1933 bis 1975 − mit einer der Russlanddeportation geschuldeten Unterbrechung − Seelsorger in Rußberg. Die in den Jahren 1857-1863 erbaute Kirche ist dem heiligen Bernhard von Clairvaux geweiht. Foto: Erwin Josef Ţigla

Pfarrer Nikolaus Schwarz anlässlich seines Goldenen Priesterjubiläums zusammen mit seinen beiden Schwestern, die ihm den Haushalt führten, und weiteren Angehörigen.

Grabstätte von Ehrendechant Nikolaus Schwarz und seiner Mutter Margareta in Rußberg Foto: Archiv der HOG Kreuzstätten

Es dürfte um die Mittagszeit gewesen sein. Als wir ankamen, war ein großes Hallo. Niemand wußte noch von unserem Verschwinden. Zum Glück war der russische Lagerkommandant nicht anwesend. Müller, der deutsche Kommandant, machte sich sofort auf die Suche nach dem Span-ghel Robert. Hat auch nach ihm geschossen, aber der Robert war fort. Er ist, wie ich dann hier zuhause erfahren habe, später in Stalino gefangen worden, weil er auf einem Lastzug war. Er wurde eingesperrt und gefragt, was er auf dem Lastzug gesucht hat. Durch Amnestie wurde er dann später frei und kam schon im Herbst 1945 nach Hause. Er war der erste.

Müller kam dann, nachdem er Robert nicht gefunden hatte, und wollte uns ins Kreuzverhör nehmen. Wir gaben nämlich an, daß wir in das Lager 17 wollten, um den Kroken Ernest zu besuchen. Er stellte aber so dumm die Fragen, daß er selber einsah, es ist nichts zu machen.

Nachmittags kam der russische Lagerkommandant mit dem Major aus dem Lager 25 und das war unser Glück. Unser russischer Lagerkommandant war ein einäugiger Unterleutnant (früher in Zivil Schuhmacher), er hatte einen Haß auf mich, aber er mußte sich fügen, da der Major anwesend war.

Es folgte ein Appell. Aussuchung der Kleider, die besorgte der Posten, aber der Unterleutnant war nicht zufrieden, und so begann er nochmals und fand bei mir das Geld mit einem Carnet in den Hosen eingenäht; ich sah bei ihm in dem einen Auge so viel Haß, den ich sonst nirgendwo fand, aber er konnte mich nicht schlagen, denn der Major war hier. Bei der Helen fand er auf der Brust das Geld, in der Wut zerriß er ihr Hemd. Wir wurden zuerst zu fünf Tagen Arrest verurteilt. Nachdem aber mein Carnet vorgefunden wurde, auf zehn Tage. Es war nämlich Vorschrift, daß man die Papiere abgeben muß. Es wurde nun öffentlich verkündet: Der nächste Fluchtversuch wird mit Erschießen bestraft.

Wir wurden am Nachmittag nach Lager 25 begleitet und dort eingesperrt. Am 20. und 21. Mai hat es stark geregnet und dann waren wir die ganze Zeit drinnen. Das Gefängnis war ein Zimmer, 2,5 Meter lang und 2 Meter breit, und da waren manchmal fünf bis sechs Personen. Voller Läuse und einmal täglich eine Schüssel Essen für alle gab es. Es waren zwei lange Tage. Aber am 22. hat es nicht mehr geregnet und da hat man uns zur Arbeit genommen. Wir mußten schwer arbeiten, aber Gott sei Dank, wir waren draußen und wurden nur am Abend wiederum eingesperrt. Nach zehn langen Tagen kam der 31. Mai. Wir wurden nach meiner „Intervenierung“ „frei“ gelassen. Helen wurde in die Capitala und ich zurück ins Lager Nr. 27 geführt. Im Lager hat man mich mit schiefen Blicken angeschaut. Besonders meine Arbeitskommandantin hat mich wegen dem Fluchtversuch gehaßt. Ich habe durch Manövrierung mein Arbeitsfeld zur „tschorna raboti“ verlegt.

Mitte Juli ging ein Transport weg von uns. Es hieß nach Hause, aber nach 2-3 Tagen kamen sie zurück. Es waren nur Schwächlinge. Man hat die Gruppe vergrößert und sie wiederum am 20. Juli weggeschickt. Unter denen war auch ich. Wir wußten anfangs noch nicht, wo es hingeht. Wir waren alle schwach und krank. Am 20. Juli am Nachmittag waren wir im 25. Lager bei der Kommandantur. Hier sagte ein Oberst: Es soll sich niemand getrauen, sich krank zu melden! Am Abend wurden wir schon mit Lastautos nach Stalino gebracht. Hier wurden wir im Lager untergebracht, wo wir Schwarzmeer-Deutsche, Volksdeutsche aus allen Gegenden, auch Reichsdeutsche, vorfanden.Das Lager war in einem sehr schlechten Zustand. Die Leute starben hungers. Elend über Elend.

Am 21. gingen wir in die Grube. Wir, die Schwachen und Kranken, wurden also zur Grubenarbeit gebracht. Was wir dort unten in der Grube erlebt haben, das ist nicht zu beschreiben. Schläge waren etwas Selbstverständliches. Schon nach der ersten Nacht sind einige davongegangen. Ein Junge, der die Flucht „angeblich“ versucht hat, wurde vor unseren Augen bei einem Appell zur Abschreckung der anderen erschossen.

Anfang September bekam ich Ausschläge und wurde dann vorübergehend zur Arbeit oben eingeteilt. Ich war bei der Kreissäge. Da ich aber täglich zum Verbinden gehen mußte und die Säge vis-à-vis vom Lager war, mußte ich aufpassen, damit ich den Krankenzug nicht verpasse. In einem Augenblick, da ich nach dem Lager spähte, riß mir die Säge die drei Fingerspitzen bis zur Wurzel der Nägel herunter. Jetzt konnte ich zum Arzt gehen. Das war am 13. September 1945.

Ich war eineinhalb Monate arbeitsunfähig. Der Kommandant, ein Unterleutnant, hat mir einigemal Erlaubnis gegeben, in der nahegelegenen Gemeinde Lajeri den Gottesdienst zu besuchen. Die Umstände haben mich zum Bettler gemacht. Ich war ein Bettler. Habe vieles erlebt. Meine Ausgänge habe ich auch genützt, um Umschau zu halten.

Nachdem meine Finger einigermaßen geheilt waren, wurde ich in die Tischlerei eingeteilt. Hier habe ich Nägel fabriziert. Eines Tages kam ein Ungar zu mir und sagte: „Hier ist ein ungarischer Kriegsgefangener, der blieb vom vorigen Weltkrieg hier und ist verheiratet. Mit diesem könnte man sich in Verbindung setzen, um einen Plan zu machen für das Durchgehen.“

Ich habe dann später wirklich Bekanntschaft mit ihm schließen können. Er hat mir eine Landkarte gegeben und alles erklärt, wie und wo ich gehen soll...

Jetzt begann ich zu organisieren. Der Ungar, der mir den Plan gegeben hat, hat abgesagt. Es war ihm zu kalt. Es war Dezember. Ein junger Ungar namens Vigh hat zugesagt. Fand aber sonst niemanden. Vigh drängte: „Gehen wir allein!“ Ich aber war dagegen, da keiner von uns beiden russisch gesprochen hat. Endlich, nach vielem Überreden, hat ein Deutsch-Pole, Petznick, zugesagt, ihm hat sich dann noch Wagner Peter, ein Sachse aus Mediasch, angeschlossen. Wir wollten am 31. Dezember abhauen. An diesem Tage, am größten Feiertage der Russen, sind die Posten nicht so wachsam. Es kam aber anders.

Am 25. zu Weihnachten ist Flecktyphus ausgebrochen, und unser Lager wurde abgesperrt. Die Krankheit hat sich rasch verbreitet, da wir ja voller Läuse waren. Da hieß es, rasch handeln. Am 27. in der Nacht um elf Uhr sind wir vier über den Draht. Die Wache hatte sich in das warme Zimmer zurückgezogen und war ihrer Sache wegen der Sperre und Kälte sicher.

Wir sind über Lajeri nach Sinowato gegangen. Hier hat es sich herausgestellt, daß wir mit Petznick nicht viel gewonnen haben, da er sich nicht getraute, mit den Russen zu reden. Wir wußten nicht, daß wir in Sinowato sind. Gingen dann aufs Geratewohl der Bahnlinie nach die ganze Nacht, den darauffolgenden Tag und Nacht. Petznick hielt nicht mehr aus und ist ausgefallen. Er ging in einen Wartesaal und wir sind bei derselben Station auf einen Güterzug aufgestiegen. Wir, ich und Vigh, waren auf einen offenen Kohlenwagen aufgestiegen, Wagner nebenan auf einen hohen Kohlenwagen. Es war Nacht. Kaum sind wir einige Stationen gefahren, da fühlten wir, daß jemand nach uns wirft. Neugierig, was geschehen war, hoben wir den Kopf und es wird schon an uns die Frage gestellt: „Was macht ihr hier?“ Es war der Posten. Kaum hatten wir gesprochen, so erkannte er sofort, daß wir keine Russen sind. Runter, rief er. Mein Kamerad, der Vigh, war viel beweglicher, da er ja bedeutend jünger war, sprang herab und begann mit dem Posten zu verhandeln. Bis wir herunterkamen, hat er uns schon von dem Posten „abgekauft“ und zwar für 100 Rubel pro Person, so daß er, der Posten, uns versteckte, als plötzlich eine Inspektion auftauchte. Bei dieser Inspektion ist Vigh verschwunden und ich sprang auf den hohen Wagen nebenan, in der Meinung, den Wagner noch dort zu finden; er war aber nicht mehr dort, denn er ist verschwunden, als er sah, was mit uns geschah. Jetzt war ich allein in diesem Versteck, das ganze Gepäck war bei mir. Ich hatte mich gut plaziert, in der Meinung, die anderen werden schon beikommen, bis der Zug abfährt. Es vergeht eine Stunde oder zwei und der Zug steht noch immer. Da machte ich einen Blick nach vom und sah zu meinem Schrecken, daß wir keine Lokomotive hatten. Ich machte mich nun mit meinem ganzen Zeug herunter und war entschlossen, so allein durch Rußland zu wandern. Bevor ich aber wegging, wollte ich doch sehen, in welcher Station der Zug steht, ging der Station entgegen, da kam aber ein Eisenbahner und ich machte kehrt. Als der Eisenbahner vorbei war, ging ich nochmals zur Station, beladen mit dem ganzen Gepäck und ganz müde, da klopfte mir jemand von hinten auf die Achseln, mein erster Gedanke war: gefangen! Aber wie groß war meine Freude, als ich meine zwei Kameraden vor mir sah. Sie suchten mich schon die ganze Zeit hindurch. Wir gingen noch diese Nacht bis zur nächsten Station. Dort warteten wir, bis ein Personenzug kam, und so sprangen wir das erstemal auf einen Personenzug auf. Wir fuhren auf den Treppen des Zuges. Bei einer Station sprangen wir ab. Ein jeder auf einen anderen Waggon. Ein jeder auf eigenes Risiko. Vigh war auf einmal verloren. Entweder hat man ihn geschnappt oder er ist zurückgefahren, denn der eine Teil des Zuges ist von einer Station wieder zurück nach Sinowato gefahren. Jetzt waren wir nur noch zu zweit, Wagner und ich. Die Reise ging so weiter. Bei jeder Station mußte ich mein ganzes Gepäck zurücklassen, um uns zu retten. Somit war ich jetzt ohne Gepäck und es war eigentlich viel besser. Auf einmal sah ich während der Fahrt meinen Kamerad in den Waggon verschwinden.

Na, dachte ich mir, der ist auch erledigt, aber nach einigen Minuten steckte er den Kopf heraus und gab mir ein Zeichen, daß ich auch hinüber kommen soll. Ich war der Meinung, er hat auch mich angegeben. Die Sachlage war aber die: Der Schaffner hatte eine Fahrkarte von ihm verlangt, als er ihn draußen sah, besser gesagt, er rief ihn herein, da sagte Wagner zu dem Schaffner, er habe keine Fahrkarte, darauf der Schaffner: Macht nichts, ich geb’ dir eine. So löste Wagner gleich zwei Fahrkarten und wir fuhren im warmen Zug bis Dnjepropetrowsk.

Wir sind in der Früh in Dnjepropetrowsk angekommen. Da wir aber nicht achtgegeben hatten, wußten wir nicht, sind wir im Osten oder Westen vom Dnjepr. Wir dachten, daß wir noch im Osten sind, waren aber schon im Westen. Wir gingen den ganzen Tag durch die Stadt, sind zweimal über den eingefrorenen Dnjepr gegangen, konnten kaum der Razzia ausweichen und blieben am Abend im Osten. Hier sind wir, weil wir unorientiert waren, zurückmarschiert zur nächsten Station. Unterwegs wurden wir von einem betrunkenen Offizier angehalten, er ließ uns aber, auf die Bitte seines Freundes hin, laufen. An der nächsten Station angekommen, stiegen wir auf einen Lastzug. Ein Eisenbahner, der uns bemerkte, fragte uns: Wo wollt ihr hin? Nach Znamiko, sagten wir. Da müßt ihr auf den anderen Zug steigen, denn dieser fährt nach Sinowato (also dorthin, von wo wir gekommen sind). Nicht wahr, ihr wollt zur Mama, fragte er noch. Ja, sagten wir, und sind dann in denselben Zug eingestiegen, mit welchem wir 25 Stunden vorher in Dnjepropetrowsk eingefahren sind. Beim Aussteigen gingen wir diesmal nicht in die Stadt, sondern sind aufs Geratewohl auf einen bereitstellenden Zug hingegangen und eingestiegen. Beim Nachfragen hat sich herausgestellt, daß wir Glück hatten, denn dieser Zug fuhr in Richtung Petichaja-Znamiko. Um die Mittagsstunde waren wir in Petichaja; es war am 31. Dezember 1945. Da kein Personenzug vorhanden war, wollten wir wiederum mit einem Güterzug weiterfahren. Wir haben uns einigen Russen angeschlossen und wurden von den Posten immer aus den Zügen getrieben. Da wollten wir zwei uns selbständig machen und das war unser Verhängnis. Der Posten kam und verlangte unsere Papiere. Es half kein Bitten und Flehen, wir waren gefangen. Vis-à-vis der Bahnstation war die Polizei, wir wurden verhört und nachher hinausgeschickt. Auf dem Korridor warfen wir uns, so müde wie wir waren, auf den Boden und schliefen ein. Es war schon dunkel, als wir geweckt wurden. Neues Verhör. Endlich sagte der Offizier – er war allein – wißt ihr den Weg zurück? Zuerst wollten wir nicht begreifen, was er gesagt hat, aber auf seine wiederholte Frage, ob wir den Weg zurück kennen, sagten wir „ja“. Na also, jetzt geht ihr schön zurück ins Lager und verlangt Papiere und dann kommt ihr wieder. Paschli! Wir hatten vergessen zu grüßen vor lauter Überraschung. Als wir zur Station kamen, war gerade ein Zug im Rollen. Wir sprangen auf, hatten aber gehört, daß dieser Zug in andere Richtung fährt. Wir sind bei der ersten Station abgestiegen und zu Fuß zurück in die Nacht nach Petichaja. Als wir das Doppelgleis fanden, gingen wir dann gegen Westen. Zur Zeit, da zu Hause überall Danksagung war, war ich im Arrest und um Mitternacht wiederum auf dem Weg in die Freiheit. Mein Kamerad war schon sehr müde. Er ging vor mir schlafend, und so ist es dann gekommen, daß er vor mir von einer vier Meter hohen Brücke fiel. Er ist vor mir einfach verschwunden. Als ich dann hinunter kam zu ihm, da stöhnte er. Sein Glück war, daß die Brücke einen Vorsprung hatte und er auf Schnee gefallen ist. Nach einiger Zeit konnte er sich doch weiterschleppen bis zur ersten Station. Dort haben wir uns in einen zerbrochenen Waggon versteckt und gewartet. Endlich kam, so ungefähr um neun Uhr, eine einsame Lokomotive angefahren. Wir fragten den Lokomotivführer, ob er nach Znamiko fährt. Er hat uns angeschaut, aber nichts gesagt. Als die Lokomotive losfuhr, sprangen wir auf die zwei Puffer – einer rechts, der andere links – und sind über hundert Kilometer gefahren. Gegen Abend waren wir in Znamiko.

Von Znamiko fuhren wir am Abend mit dem Personenzug weiter. Wagner war aber sehr müde und wollte nicht mehr auf den Treppen mitmachen. Er hat sich entschlossen, in den Waggon hineinzugehen. Da in einem Waggon ein betrunkener Unteroffizier war, gingen wir nebenan. Kaum waren wir aber da, kam ein Schaffner, fragte nach unseren Namen und wies uns einen Platz zu. Es war, was wir nicht wußten, ein Waggon, in dem alle Schmuggler gesammelt wurden. In der Früh zwischen sechs und sieben Uhr kamen wir mit ungefähr vierzig Schmugglern in Nikolajew an.

In Nikolajew begann die Verhandlung. Wir waren die letzten dran. Es war schon gegen Abend. Man fragte uns, womit wir gehandelt haben. Da erst stellte sich heraus, zum größten Staunen und unter Heiterkeit der Behörde, daß wir Flüchtlinge sind. Sie staunten über unser Wagnis und hatten dann gütig zwei Fahrkarten ausgestellt für unsere Heimreise. Der Posten führte uns zur Polizei, um sie zu unterschreiben, und verlor die Fahrkarten unterwegs. Bei der Polizei hat man dann nicht viel Geschichten gemacht, man schickte uns einfach in das Lager der Kriegsgefangenen. So wurden wir dann vom 2. Januar 1946 an als Kriegsgefangene behandelt. Wir hatten bis 28. Januar in der Strafbrigade gearbeitet, also 26 Tage, waren mit anderen Worten eingesperrt. Nachher wurden wir „frei“. Frei hinter dem Draht. Die Verköstigung war besser, aber die Bewachung war sehr scharf. Ich hatte während der acht Monate in Nikolajew meistens bei Bauarbeiten mitgemacht, hatte in deutschen, ungarischen und rumänischen Brigaden gearbeitet. In Nikolajew waren damals vier Kriegsgefangenenlager, darunter auch Marinelager, in diesem war ich aber nicht.

Im Militärlager habe ich außer Not auch sehr viel Schönes erlebt. Die schönsten Erinnerungen habe ich von hier mitgenommen. Ich fand wirklich kameradschaftliche Gesinnung unter den deutschen Soldaten. Ich fand hier katholische Priester. Der 2. Februar 1946 bleibt für mich ein ewiges Andenken. An diesem Tage sollte ich durch die Güte meiner priesterlichen Kameraden am Abend, nach langer Zeit, wiederum die heilige Messe zelebrieren. Ich wollte vorher beichten. Habe in den Abendstunden im Dunkel der Nacht – da Kurzschluß entstanden ist – eine Generalbeichte abgelegt bei Pater Fuegentin alias mein guter Freund Maisburger Willi, ein Dominikaner aus Bayreuth. Wegen Kurzschluß blieb die heilige Messe weg. Habe bei anderen Gelegenheiten zwei, dreimal zelebriert. Die Seele des Lagers war Düsnig Alois, ein junger Priester, 26-27 Jahre alt. Ein Heiliger im Militärlager. Willi war 3-4 Jahre älter. Heinrich Zerfass, 25-26 Jahre alt, ging als erster in die Heimat zurück. Der Jüngste war Hermann Hoch. Außer ihnen war noch ein aktiver Militärgeistlicher, Regimentspastor aus Pécs (Fünfkirchen). War mit ihm sehr gut befreundet. Dann ein evangelischer Pastor, sein Name ist mir entfallen. Die Priester leben hier so, wie sie eigentlich leben sollten; sie waren Brüder in Christo. Wenn ich nicht in diesem Lager gewesen wäre, hätte ich vielleicht einen Ekel vor den Menschen bekommen. Seiten und Bücher könnte man schreiben über all das, was hier in Lumpen und Elend Schönes war. Deutsches echtes christliches Leben habe ich hier gesehen. Unsere Leute stechen von diesem stark ab.

Ende August 1946 wurden alle Zivilisten mit anderen „Verbrechern“ (Durchgänger usw.) gesammelt, um sie nach Osten zu schicken. Unter denen war auch ich. Im Lager Nr. 1, wo wir in der Nacht wie Verbrecher unter stärkster Bewachung hingeführt wurden, waren wir noch vierzehn Tage; nach vierzehn Tagen ging der Transport weg. Wohin, wußten wir nicht. Am 12. September ging der zweite Transport, darunter war auch ich. Bevor wir weggingen, wurde ich krank. Ich fühlte meine Nieren stark (zu Hause war ich nierenleidend). Dies war das erste Mal, seit ich in Rußland war. Behandelt hat mich Dr. Cipler, ein Arzt aus der Gegend Klausenburgs. Ich mußte trotz meiner Schmerzen und Verbot des Arztes mit. Ich litt unterwegs sehr viel. Der Weg führte nach Osten. Wir dachten, nach Stalino. Unterwegs ist einer von uns geflüchtet.

Wir landeten am 14. September 1946 in Dnjepropetrowsk. Dort angekommen, wurde ich krank registriert, zur Arbeit mußte ich aber gehen. In Dnjepropetrowsk war ich im Lager Nr. 315/10 B. Dies war ein Straflager. Nur Durchgänger und andere Sträflinge waren hier – im Vergleich zu den anderen Lagern nicht schlecht. Man sagte, vorher war es sogar gut. Die Leitung hatten Juden in der Hand. Kann aber von ihnen nichts Schlechtes sagen; im Gegenteil, ihr Benehmen war menschlich. Am 6. Oktober ging ich freiwillig hinaus zu einem Kolchos. In der Zeit, wo ich im Kolchos war, kam eine Kommission, um die Kranken nach Hause zu befördern. Ich war als Kranker angegeben, war aber inzwischen gesund geworden. Wir wurden vom Kolchos hereingerufen zur Visite, aber die Kommission war fort. Der Arzt Dr. Klein und eine Ärztin haben mich als krank registriert und so kam ich auf die Liste der Heimkehrer. Dies war Ende Oktober.

Am 2. November 1946 sind wir endlich nachmittags um halb vier Uhr zur Station marschiert. Am anderen Tag in der Früh ist der Zug in Bewegung gekommen. Es ging nach Hause. Wie traurig war diese Fahrt! Als wir nach Rußland hineingefahren sind, da waren wir trotz der schweren Lage alle voller Hoffnung, und man könnte sagen, sogar fröhlich. Die Heimfahrt war wie ein Leichenzug. Dazu kamen noch das Benehmen der Heimkehrer selbst. Der es nicht mitgemacht hat, versteht es doch nicht.

Am 17. November waren wir in Frankfurt an der Oder. Dort sind wir von den Russen entlassen worden und kamen in das Lager Neuwiesen bei Hoyerswerda. Hier waren wir drei Wochen im Quarantänelager. Am 10. Dezember 1946 ging ich dann mit Erlaubnis des Kommandanten den H. H. Pfarrer in Hoyerswerda besuchen, um nie wiederzukehren. Dort erwartete mich schon ein Kamerad: Drotlef Andreas, ein Sachse aus Siebenbürgen, der an diesem Tage zur Arbeit gehen sollte. Von dort ging es am Abend nach Dresden. Wir hatten dann die Richtung gewechselt und gingen nicht nach Hof, wie wir ursprünglich wollten, sondern nach Halle. Aus der russischen in die englische Zone. Aus der englischen in die amerikanische Zone. Fulda, Augsburg, Salzburg war unsere Fahrt. In Salzburg waren wir zwei Tage. Von dort ging es nach Graz. Von Graz nach St. Gotthard. Da wir aber zurücktransportiert wurden, wiederum nach Österreich, so sind wir bei Rábafüzes nach Ungarn. Unvergeßlich bleibt uns die Gastfreundschaft des H. H. Pfarrers in Fekreny, sowie auch des Geistlichen Rat Alois Moser in Unterlam. In Rábafüzes hat uns der H. H. Pfarrer Weber Anton bewirtet. Dort war eine Mission und einer der Missionäre war vorher auch in russischer Gefangenschaft. Er hielt uns zwei Tage dort.

Von Rábafüzes ging es nach Szombathely. Außerordentlich lieb hat mich der Bischof in Szombathely empfangen, Dr. Sándor Kovács, sowie der Rektor Dr. Géfin Gyula und der Vizerektor Dr. Harangozó Ferenc und sämtliche Professoren und Ideologen. Ich bekam priesterliche Kleider. Bis hierher kam ich in russischen Kleidern; war Gast des Seminars zu Weihnachten.

Nach der Mette ging ich nach Budapest. Hier hatten wir im Benediktinerkloster übernachtet und fuhren dann in der Früh nach Lökösháza. In der Nacht wußten wir nicht, wohin. Da gingen wir zum Direktorlehrer. Er empfing uns lieb und gab uns Quartier und am anderen Abend hat uns dann ein Eisenbahner den Weg gezeigt, der nach der Grenze führt.

In der Früh weckten wir den H. H. Erzdechant Hodács aus dem Schlaf. Er hat uns lieb empfangen und bewirtet. Wir waren auf rumänischem Boden, wir waren daheim. Noch am selben Tag ging es nach Arad. Hier trennten wir uns. Ich ging allein, müde nach Neuarad. Es ist Abend geworden und ich konnte die acht Kilometer bis zu meinem Geburtsort (Kreuzstätten), wo die Schwester wohnte, nicht mehr machen. Lieb hat mich mein Freund Dr. Kienitz Geza empfangen. Er hat sofort nach Temeswar telefoniert, daß ich angekommen bin.

Am anderen Tag, da es Sonntag war, hielt ich ein Hochamt und fuhr mit einem Wagen nach Kreuzstätten in meine Heimat. Es war Punkt zwölf Uhr, als wir ankamen. Groß war ihre Überraschung, noch größer aber meine. Es war aus Rußberg Istvanek L. dort, um meine Schwester zu meiner schwerkranken Mutter zu rufen. Nach zweistündigem Aufenthalt – es war ein Zusammenlauf der Gemeinde – fuhren wir zur Station. Am Abend waren wir in Temeswar. Empfang beim Bischof, Rektor des Seminars und in der Früh fuhren wir über Reschitz nach Karansebesch. Hier wurde ich von meinem Freund Dr. Schütz Blasius, Erzdechant, und in der Familie Dr. Liebmann sehr herzlich empfangen. Viel Liebe wurde mir hier entgegengebracht. Da es Abend war, ging ich zum Telefon und fragte nach dem Befinden meiner lieben Mutter. Als sie hörte, daß wir in Karansebesch sind (meine zwei Schwestern und ich), ließ sie uns sagen, wir sollen nicht zu Fuß kommen, sondern den Zug abwarten. So kamen wir zu Fuß erst am anderen Tag an, da kein Zug war bis Zavoi und dort hat mein Freund Pataky Andreas den Streckenmotor gegeben. Der Motor kam am 31. Dezember nachmittags um drei Uhr angefahren. Für vier Uhr war die Danksagung angesagt. Ich kam in die Kirche, ging ins Pfarrhaus und begrüßte meine liebe Mutter, die inzwischen wohler geworden ist. Zur Danksagung stieg ich auf die Kanzel und sprach punkt zwei Jahre nach meiner letzten Predigt wiederum zu ihnen.

Das ist ganz kurz gefaßt die Geschichte der zwei Jahre.