Es war am 15. Januar 1945, am Abend um 8 Uhr, als ich mich schlafen legen wollte. In dem Moment, als ich die Lampe ausblasen wollte, ertönte vor meinem Fenster ein „Hallo“, auf welches ich schon seit zwei Wochen gefaßt war.
Am 14. Januar war ich in Ferdinand und habe den H. H. Pfarrer, meinen guten Laurentius Ujvári gebeten, er möge im Falle meiner Verschleppung für meine Pfarrei Sorge tragen. Er war der Meinung, ich könnte die Sache mit dem Bezirkswachtmeister „geldlich“ ordnen. Ich habe den Versuch nicht gemacht.
Von der Verschleppung hat man ja schon viel gesprochen. Man sah Züge durch die Städte fahren, beladen mit Volksdeutschen aus Jugoslawien. Man hat allgemein davon gesprochen, daß auch wir verschleppt werden. Ich persönlich habe nicht viel auf das Gerede gegeben, bis ich mich nicht durch Zufall (den es eigentlich nicht gibt, denn alles ist Vorsehung Gottes) von der Begründung dieses Geredes fest überzeugen konnte. Und dies geschah so:
Am 4. Januar, am Abend zirka 8 Uhr, ruft man mich zum Telefon, und zwar in die Kanzlei des Forstamtes. Dort angekommen, teilt man mir mit, daß die Primărie [das Bürgermeisteramt] mich zu sprechen wünscht. Ich rufe die Primărie an. Es meldet sich Frau Socaci und sagt: Es ist nicht mehr nötig, sie wollten nur meine Daten. Zuhause im Pfarrhaus angekommen, habe ich über die ganze Sache nachgedacht. Wieso brauchen sie meine Daten? Und wenn schon, so sind diese doch dort vorhanden! Kurz entschlossen ging ich zur Primărie. Beim Öffnen der Tür höre ich eben, wie der Notar Peter Belba am Telefon sagt: Nicolae Schwarz, născut (geboren)... Ich habe mich im Vorzimmer aufgehalten und dort Umschau gehalten. Fand eine Liste in der Hand der Frau So-caci und fing an, sie zu studieren, da kam der Notar vom Telefon und sagte: „Es ist nicht erlaubt.“ Habe auf einen günstigen Augenblick gewartet, um mit dem Notar unter vier Augen zu sprechen. Als sich dieser Augenblick ergeben hat, fragte ich ihn: „Sage mir nur offen, soll ich mich wiederum (war vom 18. September 1944 in Lugosch interniert) fertigmachen?“ „Ja“, sagte er, „du kannst dich bereit halten.“ Ich habe noch in derselben Nacht meinen Koffer und Rucksack gepackt, um jeden Augenblick abmarschieren zu können.
Am 5. und 6. Januar waren die Häuserweihen. Bei dieser Gelegenheit habe ich alle meine Gläubigen auf das, was kommen wird, vorbereitet. Viele waren, die es geglaubt haben und nach meinem Vorbild auch gepackt haben, andere ließen sich Zeit. Die Zeit verging. Nach acht Tagen haben auch einige von denen, die schon gepackt hatten, wieder ausgepackt. Da kam plötzlich für ganz Banat und Siebenbürgen der 15. Januar 1945.
Ich ging nach dem „Hallo“ schon im Schlafhemd zum Fenster. Ich wollte, wie gesagt, schon schlafen gehen. Ich sagte der Mutter, die zur Frau Martini ging: „Heute bin ich für niemanden Zuhause, ich will mich ausschlafen, wer weiß, was morgen kommt!“ Ich kam nämlich von Ferdinand und wußte schon alles. Vor dem Fenster stand ein Gendarm mit dem Gewehr. Ich fragte nach seinem Begehren. Er sagte: „Mögen Sie die Güte haben und zur Wachstube kommen?“ Ich fragte: „Soll ich auch meinen Koffer mitnehmen?“ „Nein“, sagte er, „Sie sollen bloß ein Protokoll unterschreiben.“ Ich habe mich doch wärmer gekleidet, kennend die Griffe unserer Brüder, und ging zur Wachstube. Ich fand in der Kanzlei den Wachtmeister mit dem Richter Stefan lura. Sie fragten umständlich nach der Nationalität einiger meiner Gläubigen. Ich gab ihnen zu wissen, daß dies ja aus den Matrikelbüchern ersichtlich ist, von wo sie eingewandert sind, und wenn es von so großer Wichtigkeit ist, so kann ich die Matrikelbücher zur Wachstube bringen. Da gab mir der Wachtmeister zu wissen, daß ich die Wachstube nicht mehr verlassen darf. Ich war gefangen, und zwar das zweite Mal.
Die Zahl der Gefangenen stieg von Stunde zu Stunde. Man hat alle Volksdeutschen, Mädchen von 18 Jahren bis 30 (das heißt auch Frauen), Jungen und Männer von 17 bis 45 Jahren geholt (ich war damals im 45. Lebensjahr) und zusammengetrieben. In der Früh sind auch die von Ruskitza angekommen. Da die meisten mit verschiedenen Kniffen eingebracht wurden, waren sie ohne Verpflegung. Wir mußten umständlich die Angehörigen verständigen, damit wir zu Verpflegung kamen. Meine Mutter, die ich beim Verlassen der Pfarrei nicht verständigt hatte, mußte auch in der Nacht mir den Koffer und Rucksack bringen, das heißt bringen lassen. Wir haben uns noch in derselben Nacht von unseren Angehörigen verabschiedet. Einige für immer. Das Verbrecherische unserer Vorsteher (Wachtmeister, Notar, Richter) lag darin, daß sie sagten: „Ihr müßt für acht oder zehn Tage nach Lugosch, versorgt euch nur für acht bis zehn Tage.“ So kam es dann, daß einige nur wie auf einen Ausflug kamen. Im Banat hat man, wie wir es später gehört haben, durch Trommelschlag bekanntgegeben, daß sie nach Rußland müssen, und daß sie sich Verköstigung bis 200 kg mitnehmen können.
Am 16. Januar in der Früh um 9 Uhr hat man uns gegen Voislova geführt. Man wollte uns zu Fuß bis Ferdinand bringen. Unterwegs sind aber Wagen aus Voislova aufgegriffen worden und die mußten uns bis Ferdinand fahren. Das einfache Volk, ich meine nicht die Volksdeutschen, stand auf der Straße und weinte. Ja, man hätte ihnen auch sagen können: „Nicht über uns, über euch selbst müßt ihr weinen.“ Die Stimmung war ja bei uns nicht schlecht, es ging sogar lustig zu. In Ferdinand haben uns die Russen übernommen. Mit russischen Wachposten mußten uns dann dieselben Wagen bis nach Karansebesch fahren. Unterwegs wollte ich noch mein Brevier verrichten, was ich bis dann nie unterlassen hatte, es hat aber geschneit, so daß ich es schließen mußte und dachte nicht daran, daß es zwei Jahre dauern wird, bis ich es wieder öffnen werde. In Karansebesch ist unser Zug dem griechisch-orthodoxen Bischof begegnet. Er kannte mich und schüttelte nur traurig den Kopf. Wir wurden dann in ein Lager gesperrt. Zum Stehen war noch Platz, aber niederlassen konnte man sich nicht mehr. Beim Eintritt in das Lager hat man uns schon das Messer und das Wertvollere abgenommen. In diesem Lager waren alle Volksdeutschen aus der ganzen Umgebung. Es hieß, hier wird eine Kommission sein. Mit dieser Lüge hat der Russe begonnen. Wir wußten damals noch immer nicht, was eigentlich mit uns sein soll. Nach 48 Stunden hat man uns in russischen Lastwagen nach Lugosch gebracht. Hier wurden wir einwaggoniert. Nachdem wir hinter Gitter waren, ist es uns klar geworden, was mit uns ist. Der Russe sagte aber, es wird eine Kommission in Jassy sein. In Lugosch haben wir uns durch gute Freunde mit allem Möglichen versehen für die Reise.
Von Lugosch ging es dann über Ilia usw. bis Jassy. Die Fahrt geschah meistens in der Nacht. Am Tag sind wir auf offener Strecke gestanden, auch in Rußland. In Jassy standen wir drei Tage. Nichts ist geschehen. Doch man hat uns umwaggoniert. Bis Jassywaren wir 30 Personen in einem Waggon. In Jassy sind wir in russische Waggons gekommen, und zwar ineinen Waggon 90 Personen. Anfangs waren wir nur Ruskitzaer mit Rußbergern, nachher waren wir mitdenen von Ferdinand zusammen. Ich bin noch in Jassy krank geworden und war sechs Tage hindurch leidend. Mit demselben Transport sind noch gekommen: H.H. Luffi Alfred, Pfarrer in Bulci, die Kaplane Heinrich Geza und Deschu Fidelius aus Karansebesch (später Großsanktnikolaus).
Nach Jassy war uns das Gebiet unbekannt. Wir wurden dann und wann verpflegt. Wir bekamen russisches Brot und geräuchertes Ziegenfleisch, keines von beiden konnten wir damals noch genießen. Wir hatten ja noch Essen von Zuhause mit. Eines ist uns gleich aufgefallen: Der Zug stand an einem größeren Orte und so mancher von uns hatte etwas Verdorbenes und warf es durch eine gewisse Öffnung des Waggons, und siehe, es kamen die Russen und haben es genommen und auch gegessen. Im russischen Paradies hat man also gehungert.
Am 7. Februar 1945 sind wir endlich in Tschejstjakowo, 80 km von Stalino, auswaggoniert worden. Während der Reise bis dahin war die Stimmung gut. Es wurde gesungen, Spaß gemacht, gelacht und geraten, wo wir landen werden. An Wasser fehlte es öfters, da der Russe launisch ist und nur dann Wasser gab, wenn er gut gelaunt war. Die Toten, die wir hatten, wurden an Ort und Stelle begraben. In Tschejstjakowo, in der Capitala, wurden wir alle – der ganze Transport – in ein Theater gesteckt. Es waren einige tausend beisammen. Von der Bühne bis zur Galerie war Mensch an Mensch gesessen und gestanden. Man konnte sich kaum bewegen und doch war der Verkehr groß. Das Theater war natürlich durch Bombardierung stark hergenommen, so daß es an einem Platz zu warm war, am anderen Platz war es zum Erfrieren. Wir hatten unsere Bagage an einem Platz niedergelegt und fingen auch an, uns zu bewegen. Auf einmal hatte ich eine schlimme Ahnung, ging, um nach unseren Sachen zu schauen, mein Koffer war weg. Eine große Überraschung, derer ich später noch öfters teilhaftig wurde. Es blieb nur noch der Rucksack mit Wäsche. In der Nacht gingen einzelne Gruppen, nach Belieben gebildet, 400 bis 500 Mann, zur Entlausung, denn wir hatten sie schon unterwegs bekommen, und wurden dann weiter geführt.
Wir waren eine kleinere Gesellschaft, die zusammenhielt. Unter diesen war auch Sima Johann aus Ruskitza, der ein wenig russisch gesprochen hat, da er im Osten gekämpft hat. Damals ein wenig, weil beim Geldeinwechseln unterwegs hab ich auf sein Anraten 50 Rubel gekauft. In der Früh ging ich auf den Markt, wir durften uns frei bewegen, dort fand ich einen alten Russen und der sagte mir, soweit wir uns verständigen konnten: „Hitler nix gut – Stalin rot, auch nix gut.“ Das ist die Stimmung Rußlands, davon konnte ich mich x-mal überzeugen.
Zurückgekehrt vom Markt, sagte ich zu Sima: „Jetzt warte ich nicht mehr.“ Als die nächste Gruppe sich gebildet hatte, gingen wir dann auch. Mit uns waren aus Rußberg: Schwerin Heinrich, Faber Nelli aus Ruskitza, Spanghel Robert und seine Schwester Helen, verehelichte Schier, Schwarz Lizi, geb. Schwerin. Die Brüder Groß und die Gattin des Jüngeren, geb. Kutscherah, Ladislau R. usw., viele aus Ferdinand, aus Bakowa, aus Darowa und Sachsen aus Siebenbürgen. Wir waren so ca. 500. Es hieß zur Entlausung. Wir gingen und gingen... Ich war froh, daß ich nur meinen Rucksack hatte. Da ich aber sah, daß die Frauen ihre Sachen nicht mehr tragen konnten, wollte ich helfen, dadurch hatte ich mich so angestrengt, daß ich später lange Zeit auf einem Fuße steif war. Es war ein Weg, der hat sich in das Unend-liche gezogen. Endlich sind wir doch angelangt an unserem Ziel. Unterwegs war aber noch eine frische Aufteilung. Es hieß nämlich: Eheleute hierher – Verheiratete separat und Ledige separat. Unsere Frauen und Mädchen bekamen Angst. Was mit ihnen geschehen wird? Was wird mit ihnen? Kurz entschlossen hat sich alles gepaart. Mädchen haben den Namen der anwesenden Männer angenommen. Die Angst war grundlos, denn die Frauen und Mädchen wurden nach meinem Wissen nie belästigt. Es bestand zum Beispiel eine große Strafe für jene Russen, welche ein Verhältnis mit einer Fremden hatten, das weiß ich von Russinnen, so nehme ich an, daß auch der Russe in seiner Heimat wahrscheinlich aus politischen Gründen die Frauen nicht belästigen durfte. Übrigens: In Rußland waren nur Frauen zuhause.
Im Lager Nr. 27 angelangt, gingen die Frauen zur Entlausung. Nachher eine Gruppe der Männer. Zur Schilderung der Verhältnisse will ich bemerken, daß im Bad Frauen angestellt waren und Männer doch ganz nackt baden, so daß einer der Arbeiter sagte: „Na, was ist mit dieser Russin, wie lange soll ich noch warten mit dem Auskleiden? Oder will die gar nicht hinaus gehen?“ Sie ging auch nicht. Es war spät in der Nacht, als wir in das Lager kamen. Die zweite Gruppe der Männer mußte im Bad, in der Kälte, übernachten. Viele sind sterbenskrank geworden. Unter denen war auch Schmidt Franz aus Ruskitza, er hatte Lungenentzündung bekommen und starb bald darauf. Er war der erste Tote in Tschejstjakowo. Im Lager fanden wir schon „Interniert-Mobilisierte“, denn so nannte man uns. Es waren Ungarn aus Siebenbürgen, das heißt aus dem von Ungarn besetzten Gebiet. Ungarn mit deutschen Namen, magyarisierte Schwaben, Sathmar-Schwaben.
Wir wurden am 9. Februar zur Arbeit eingeteilt. Ich wurde Kohlenverlader, eine der schwersten Arbeiten. Wir waren noch alle bei Kräften und so ging die Arbeit gut. Nur ich mit meinem von der Anstrengung steifen Fuß konnte nicht viel schaffen, besser gesagt, nicht so wie die Russen es verlangt haben. Ich wurde dann nach 14 Tagen durch die Güte des russischen „natschalnik“ (Arbeitsaufseher) von dieser Arbeit „ausgeschlossen“. Ich bekam meine Einteilung zur „Gärtnerei“. Wir hatten im Winter begonnen, Mistbeete zu machen. Die Erde mußte aufgestockt werden. Eine mühsame und schwere Arbeit. Die Kälte war groß. Wir mußten mit dem Wagen alles beibringen. Wir waren die Pferde. Unterwegs auf der Landstraße sind viele Hände, Füße, Ohren, Nasen und Münder erfroren. Später wurde ich dann zu den Pferden eingeteilt. Wir bekamen nämlich zwei, die waren aber so matt, daß sie beim Ackern zusammenbrachen.
Mitte April kam eines Tages die Schier, geborene Spanghel Helene (sie hatte bis zur Zeit der Internierung bei mir gedient), und sagte, daß sie mit ihrem Bruder Spanghel Robert durchgehen wird und ich soll ihr mitteilen, ob ich mich ihnen anschließe. Ich gab am Nachmittag die Zusage. Der Plan wurde aber wegen der Unschlüssigkeit Roberts nicht durchgeführt. Da der Plan einmal gefaßt war, drang ich darauf. Es wurde der 1. Mai festgelegt. Am 1. Mai hieß es: In aller nächster Zeit wird etwas geschehen, warten wir ab. Über die Lage in der Außenwelt waren wir ganz unorientiert. Wir hatten zwar ein Radio, das heißt einen Lautsprecher in unserem Zimmer, der sprach aber immer nur „Rotote“ und „Robote“. Vom 8. auf den 9. Mai in der Nacht haben wir dann die traurige Nachricht vernommen, daß wir geschlagen sind. Wir saßen da, mit Tränen in den Augen und konnten es nicht verstehen, wie das eigentlich kam. Das war in der Nacht. In der Früh war Appell. Einer von der NKWD (russische Geheimpolizei) hat uns die „freudige“ Nachricht mitgeteilt, daß nun die Faschisten geschlagen sind und die Welt von ihrer Herrschaft befreit ist. Die Befreier sind die Russen. Einige, ganz wenige, haben applaudiert. Wir dachten, daß die Befreiung eine jahrelange Knechtschaft sein wird. Eine Knechtschaft, wie sie vielleicht nicht einmal in der Zeit der Pharaonen war.
Die Arbeit ging weiter. Es hieß, wir müssen gutmachen, was die anderen vernichtet haben. Im Lager waren die Männer und Frauen separiert und standen unter russischem Kommando. Von unserer Seite war auch ein Kommandant und diese waren meistens die gefährlichsten. Für eine Schüssel Suppe hätte er auch seinen Bruder verkauft. Bei uns war Otto Müller aus Ferdinand. Ein grüner, unüberlegter, rabiater und gefährlicher Junge. Seine Taten sind festgelegt in den Herzen aller, die dort waren. Die Kost war zum Verhungern. Grüne Tomaten und Gurken wurden in Wasser aufgekocht und gedickt. Und dies mußte dann noch gut bezahlt werden. Serviert haben wir nichts. Wir mußten also alles, was wir hatten, verkaufen, um leben zu können. Die Aussichten waren schlecht, will nicht sagen zum Verzweifeln.
Mitte Mai starb Faber Celli. Bei ihrem Begräbnis im Lager Nr. 21 waren außer mir als Verwandter Spanghel Robert und Helen dabei. Auf dem Wege nach dem Lager Nr. 27 sagte ich, daß ich mich nun entschlossen habe zu gehen, wenn sie jetzt wollen, so müssen wir handeln. Ich sagte, daß wir abwarten sollen, bis ein großer Regen kommt, denn nach meiner Ansicht ist es am besten durchzugehen bei großem Regen oder Kälte. Zu solcher Zeit zieht sich jeder Posten zurück und schaut selbst dann nicht, wenn er etwas sieht. Es kam nun wie gewünscht am 20. Mai 1945 zu Pfingstsonntagvormittag ein großer Regen, Robert war vis-à-vis vom Lager als Arbeitsleiter, er konnte frei aus- und eingehen. Helen, die in der Grube gearbeitet hat, hatte frei und sollte unter dem Vorwand „die Wäsche waschen“ den Posten passieren. Ich war damals Kutscher, für mich war es am schwierigsten, den Posten zu passieren. Wir haben uns kurz besprochen, wo wir uns außerhalb des Lagers treffen werden. Gründliche Vorbereitung geschah ja schon Tage hindurch. Ich ging als erster zum Posten. „Wohin?“ Ich sagte: „In die Stadt um Benzin.“ Der Posten: „In diesem Regen fahrt ihr in die Stadt?“ Ich: „Was kann ich dagegen tun?“ Der Posten: „Paschli.“ Ich war also außerhalb des Drahtes, ging in den Stall, um zu sehen, wie es der Helen gelingt, und sah, wie auch die Helen mit der „Wäsche“ den Posten passiert. Ich habe dann die Richtung eingeschlagen, wo wir uns treffen sollten, begegnete aber unserem Ingenieur und so mußte ich, um ihn zu täuschen, zum Lager zurück, ich ging längs des Lagers. In dem großen Regen hat mich niemand beachtet.
Wir trafen uns, Helen und ich, und warteten auf den Robert. Es regnete stark und Robert kam nicht. Die Helen wurde ungeduldig und wollte nicht mehr warten. Vergebens sagte ich, wir können doch ohne Robert nirgends hin, denn er weiß, wohin wir zu gehen haben. Er hat nämlich den Ostfeldzug mitgemacht, hat etwas russisch gesprochen und die Gegend gekannt. Sie ging und ich, um sie nicht allein zu lassen, ging mit ihr. Ich habe die ganze Gegend gut gekannt, nur ein Tal war mir unbekannt und eben in dieses Tal nahmen wir unseren Weg. Indem wir immer nach rückwärts schauten nach dem Robert, sahen wir die Tafel vor uns nicht, die uns das Verbot andeutete. Wir waren schon im verbotenen Gebiet. Auf einmal wurden wir auf Hundegebell aufmerksam und da fielen schon Schüsse. Wir wollten zurück, aber es war schon zu spät. Wir waren auf einem Gebiet, wo Sprengstoff gehütet wurde. Da geschossen wurde, mußten wir stehenbleiben und uns ergeben. Wir waren gefangen. Wir wurden verhört und nachher zur Polizei gebracht. Interessant ist, daß auch ein alter Posten da war, der, als er uns sah, sagte: „Ihr müßt zwei Jahre hier bleiben.“ Er hat uns bedauert und hatte Mitgefühl. Ich glaube, es war ein trauriges Bild, uns zu sehen. Der Führer sagte: Der Begleitmann hat den Befehl, uns zu erschießen, wenn wir einen Schritt rechts oder links treten und nicht vorwärts gehen. Der Begleitmann war jung und sehr gutmütig.
Die Polizei hat uns überhaupt nicht angenommen. Ich glaube, sie schickten uns zur Militärbehörde, weil wir dorthin geführt wurden. Das Militärkommando hat uns auch sehr mild behandelt, durch Mißverständnis dachten sie, wir wären Vater und Tochter, und ich ließ sie in der Meinung. Umständlich hat uns derselbe Begleitmann noch am selben Tage aus der Capitala, wohin wir geführt wurden, in unser Lager zurückgebracht.