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Das ausgefallene Weihnachtsfest

Die Heilige Familie − Anbetung des Jesuskindes durch die Hirten, Tuschzeichnung von Georg B. Tribus Quelle: Archiv BP

Anfang November brachten die Medien eine Sondermeldung aus dem Vatikan. Papst Benedikt XVI., so hieß es, habe in einer Enzyklika, betitelt „Nativitas Domini“ (Die Geburt des Herrn), verfügt, dass bis auf weiteres das Weihnachtsfest ausfallen und aus dem liturgischen Kalender gestrichen werden solle. Das Fest, so könne man in dem päpstlichen Rundschreiben lesen, sei völlig entartet, der Inhalt verloren gegangen. Es sei deshalb besser, fürs Erste darauf zu verzichten, um so nach einer gewissen Zeit (die päpstliche Enzyklika sprach von mindestens zehn Jahren) einen neuen Zugang zu dem Fest zu gewinnen. Anstelle der ausfallenden Adventssonntage sollten einfach die grünen Sonntage weitergeführt werden. Mit Rücksicht auf die orthodoxen Christen, die dem Papst besonders am Herzen lägen, dürfte einzig das Fest der Heiligen Drei Könige weiter gefeiert werden, aber nur als einfacher Gedenktag. Der Gottesdienstbesuch werde den Gläubigen an diesem Tag empfohlen, er sei aber nicht verpflichtend.

Die Nachricht aus dem Vatikan hatte, wie nicht anders zu erwarten, unterschiedlichste, bisweilen heftigste Reaktionen zur Folge. Als Erstes meldete sich der Einzelhändlerverband zu Wort. Mit Entsetzen habe man die Nachricht zur Kenntnis genommen. Man könne sich mit der vorgesehenen Regelung in keiner Weise anfreunden. Das Weihnachtsgeschäft sei ein wichtiger Teil des Jahresumsatzes, auf das nicht verzichtet werden könne. „Der Verband empfiehlt seinen Mitgliedern daher“, so wörtlich, „sich nicht von dem päpstlichen Schreiben beirren zu lassen und Weihnachten wie bisher zu feiern, sprich alle Marketing-Strategien wie geplant durchzuführen.“

Aus der Ökumene kamen verhaltene Stimmen. Die evangelische Kirche teile das Anliegen des Papstes, hieß es. Allerdings seien autoritär getroffene Entscheidungen bei ihr unüblich. Die Kirche empfehle deshalb ihren Mitgliedern, mit Rücksicht auf die Katholiken das Fest nur privat zu feiern und stiller als sonst. Die orthodoxe Kirche erklärte, da sie ohnehin Weihnachten am 6. Januar feiere, fühle sie sich vom Erlass des Papstes nicht betroffen.

Zustimmende Erklärungen kamen aus der Politik. Die Bundeskanzlerin habe es immer schon unnötig gefunden, so der Regierungssprecher, dass am Jahresende, zu Weihnachten und zu Neujahr, je eine Ansprache gehalten wurde, eine von der Kanzlerin, die andere vom Bundespräsidenten. In Zukunft werde man nur eine Ansprache halten zu Neujahr und sich dann eben jährlich abwechseln.

Wenig erfreut zeigten sich die Gewerkschaften. Im Sinne der Arbeiternehmerschaft sei es bedauerlich, dass zwei Feiertage wegfallen würden. Mit Nachdruck forderten die Gewerkschaften deshalb dafür Ersatz, nach Möglichkeit in der wärmeren Jahreszeit.

Ähnlich wie der Einzelhändlerverband reagierte auch das Gaststättengewerbe ungehalten. Das Geschäft mit den Weihnachtsfeiern wolle man sich nicht entgehen lassen. Notfalls würde man die Säle und Veranstaltungsräume für Jahresendfeiern zur Verfügung stellen.

Besonders interessant waren die Reaktionen der Medienvertreter. Die privaten Fernsehanstalten ließen durchblicken, dass sie diese päpstliche Entscheidung nicht berühre. Ihr Programm habe sowieso mit Weihnachten nichts mehr zu tun. Anders die öffentlich-rechtlichen Anstalten. Zwar war ihr Programm in vielem schon den privaten Sendern angepasst, aber sie hatten ja immerhin noch besondere Gottesdienstübertragungen, Adventssingen, eine stimmungsvolle Sendung am Heiligen Abend, dazu den päpstlichen Segen „urbi et orbi“ am ersten Feiertag.

Schnell war für die Sendung am Heiligen Abend Ersatz gefunden in Form einer Wiederholung einer Aufzeichnung des Musikantenstadels, die bei den Zuschauern sehr beliebt war. Und anstelle des päpstlichen Segens am ersten Feiertag wollten einige Programmdirektoren beim Dalai Lama anfragen. Trotzdem aber waren noch nicht alle Lücken gefüllt. Das bereitete den Verantwortlichen erst einmal Kopfzerbrechen.

Während die Erzieherinnen in den städtischen Kindergärten keine Beeinträchtigung ihrer Arbeit sahen, da sie ohnehin keine religiösen Inhalte vermitteln durften und deshalb weiterhin vom Weihnachtsmann und der Schneekönigin reden konnten, forderten die Erzieherinnen kirchlicher Einrichtungen ein neues, dem Sankt-Martins-Fest verwandtes Fest einzuführen, für das man dann den nun überflüssigen Adventskranz benutzen könnte. Diesem innovativen Vorstoß schloss sich aus naheliegenden Gründen die Gärtnerinnung an.

Ungeteilte Zustimmung fand der päpstliche Beschluss bei den Aufsichtsbeamten in den Gefängnissen und bei Ärzten und Pflegern in Krankenhäusern und Sanatorien. Der Heilige Abend provoziere bei Haftgefangenen jedes Jahr große emotionale Ausbrüche, bei Kranken sogar Herzinfarkte. Deshalb sei es nur zu begrüßen, wenn er ausfiele.

Die Leiter von Kinder- und vornehmlich Männerchören sahen das zwar anders, hatten aber genug Notenmaterial, um ihr Repertoire anderweitig zu gestalten.

Kaum zu erwarten war die Reaktion der christlichen Buchverlage. Sie zeigten sich geradezu erfreut. Wenn nun neue grüne Sonntage eingeführt würden, so der Tenor ihrer Verlautbarungen, dann brauche man auch neue Messbücher, Lektionare, Fürbittvorschläge, Bibelkommentare und Predigtanregungen für die Pfarrer. Das Geschäft sei also weiterhin gesichert. Außerdem gelte der Satz: Roma locuta, causa finita. Rom hat gesprochen, die Diskussion ist beendet.

Während die Feuerwehrleute froh waren, dass sie nun nicht mehr Zimmerbrände aufgrund trockener Tannenbäume zu löschen hatten, zeigten sich die Briefmarkensammler enttäuscht wegen der nicht mehr erscheinenden Weihnachtsmarken.

Kurz vor dem 24. Dezember kam dann eine neue Nachricht aus dem Vatikan. Das Vatikanische Fernsehen, erst unlängst mit einem mobilen Übertragungswagen ausgestattet, erbot sich, den Sendeanstalten weltweit am Heiligen Abend – der Name wurde vorläufig mangels eines anderen beibehalten – anstelle des ausfallenden Nachtgottesdienstes eine kurze Sondersendung zur Ausstrahlung anzubieten. Begierig griffen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu, zumal – wie man sich erinnert – noch nicht alle Lücken im Programm geschlossen waren. So konnten also die Fernsehzuschauer am Heiligen Abend, der nun keiner mehr war, zunächst einen Blick in den leeren Petersdom werfen. Wo sonst um diese Zeit Lichterglanz, Orgelspiel, Weihrauchwolken Bild und Ton prägten, war nun gähnende Leere, Dunkelheit, Stille – eben nichts. Dann aber schwenkte die Kamera um. Ins Bild kam die päpstliche Privatkapelle. Die Fernsehzuschauer konnten den Papst sehen: Der Papst kniete und betete – vor dem Kind in der Krippe.

Liebe Schwestern und Brüder, welche Emotionen kommen bei Ihnen hoch, wenn es nun so wäre, wie in diesen „fake news“ geschildert? Welche Erinnerungen werden wach, wenn Sie an die Weihnachtfeste in der alten Heimat denken? Was ist nur aus dem schönen, sinnlichen Weihnachtsfest geworden, das uns allen das schönste und wichtigste Fest des Kirchenjahres war?

Das Gottesbild und die Aufgaben der Religionen sind diffus geworden. Gott soll/darf in Brauchtum, Gebeten, Riten weiterleben, in den Niederungen des Alltags geht man aber auf Distanz zu ihm. Weihnachten verweist heutzutage sehr stark auf den Gott der Einkaufstempel und der Kassenbücher als Bibel.

Das göttliche Kind, der menschgewordene Jesus aber will Schuld vergeben und in Zuwendung und Neubeginn führen, Angst, Unsicherheit und Zweifel in Vertrauen, Dunkelheit und Ungewissheit in Licht und Klarheit und Entfremdung in Heimat verwandeln.

Manches an diesem Fest ist widersprüchlich, weil viele mit dem Inhalt nichts mehr anzufangen wissen, was jüngste Umfragen wieder bestätigen. Es gibt Zeiten, die leuchten, die sagen etwas aus, dazu gehört doch auch Weihnachten und nicht nur persönliche Lebenswenden oder Familienfeste.

Der Mensch von heute – sehr oft auch der wohlhabende – ist heimatlos, einsam geworden durch unsichere Arbeitsplätze, kurzlebige Beziehungen, durch Vertreibung aus politischen und/oder klimatischen Gründen, durch oftmaligen Berufs- und Wohnungswechsel. Es gibt viele Herbergssuchende. Irgendwie sind wir es alle. Wir klopfen oft an, doch niemand öffnet für ein Gespräch, für geduldiges Zuhören. Wir finden uns aber auch oft in der Situation des harten Herbergsvaters, der die Tür nicht nur verschließt, sondern sogar zuknallt.

Auch wenn Christi Geburt der (indirekte) Auslöser für Rekordumsätze in Handel und Tourismusbranche ist, vermittelt Jesus doch eine andere Sicht des Menschseins, die jedem königliche Würde, Freiheit, Partnerschaftlichkeit, Erlösung verspricht und zusichert.

Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren / und nicht in dir: Du bliebest doch in alle Ewigkeit verloren. (Angelus Silesius)

Übrigens: Um Null Cent können Sie mit Christus in alle Leitungen telefonieren, ohne Handy, ohne monatliche Grundgebühr und sonstigem Tarifdschungel. Vielleicht finden Sie irgendwann in der Advents- und Weihnachtszeit Gelegenheit zu einem Gespräch, auch für Stille, um Ruhe in einer beschleunigten Zeit zu finden.

Ihnen allen ein gesegnetes und friedvolles Weihnachtsfest, ganz erfüllt von der Freude über die Geburt unseres Erlösers.