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Neues Bauen in Temeswar

Dipl.-Ing. Architekt Michael Wolf (1901-2003) Foto: Walther Konschitzky

„Blicke ich heute auf diese Zeit der 30er und 40er Jahre zurück, so erinnere ich mich im Falle jedes einzelnen der von mir entworfenen Häuser an die Freude der Menschen bei der Übergabe der Bauten. Jedes Mal war es ein schöner Augenblick für die Auftraggeber wie auch für die, die das Haus gebaut haben. Aber ich frage mich: Wen interessiert das, wer will das noch wissen?“ Diese Sätze aus den Lebenserinnerungen des Architekten Michael Wolf (geboren 1901 in Billed, gestorben 2003 in Geretsried) werden in einem ihm gewidmeten Dokumentarkurzfilm zitiert. Der im Rahmen des Kulturprojekts „Tur de Arhitectură“ im vergangenen Jahr realisierte Film „Către Timișoara modernă. Stilul Wolf“ (Auf dem Weg zum modernen Temeswar. Der Wolf-Stil) ist ein Beleg dafür, dass sein Wirken, das in Temeswar in Vergessenheit geraten zu sein schien, wieder ins Blickfeld rückt.

Ziel des 2016 von der Temescher Filiale des Rumänischen Architektenordens gestarteten Projekts ist es, die Architektur der Stadt Temeswar der Öffentlichkeit bekannt zu machen, auf deren architektonisches Erbe hinzuweisen und es zu bewahren, die Beziehung zwischen der Geschichte der Stadt und ihrer urbanistischen Entwicklung herauszustellen. Zunächst wurden Architekturführungen durch die Stadt angeboten, die sich jedes Jahr über mehrere Monate erstreckten und auf verschiedenen thematischen Strecken durchgeführt wurden. Im Jahr 2019 wagte sich die Projektgruppe an zwei Dokumentarkurzfilme heran – neben dem über den Architekten Michael Wolf ein weiterer mit dem Titel „Timișoara anilor 1970-1980. Între cantitate și calitate“ (Das Temeswar der Jahre 1970-1980. Zwischen Quantität und Qualität), in dessen Mittelpunkt das Schaffen des Architekten Vasile Oprișan (Jahrgang 1940) steht. Die beiden Filme wurden Ende November in Temeswar vorgestellt und vor kurzem online zugänglich gemacht.

Der Michael Wolf gewidmete Film (Drehbuch: Architektin Sandra Andrei; Regie, Bild und Montage: Ovidiu Zimcea; Sprecher: Roxana Pătrulescu und Franz Kattesch; Länge: 15 Minuten) zeichnet den Lebensweg des Architekten nach und stellt die wichtigsten von ihm in Temeswar entworfenen Bauten vor: hochmoderne Villen und Wohnhäuser, die großzügig angelegte und modern ausgestattete Notre-Dame-Klosterschule in der Josefstadt, das deutsche Jugend- und Gesellenheim gegenüber der Piaristenkirche oder das Deutsche Kulturhaus, das infolge des Zusammenbruchs im August 1944 nicht beendet werden konnte. Michael Wolf sei einer der Architekten gewesen, die die bauliche Landschaft der Stadt in den 1930er und 1940er Jahren entscheidend geprägt und den Weg zu einem modernen Temeswar geebnet haben, so die Filmemacher. Seine Bauten seien integraler Bestandteil der Stadtidentität.

Die von Architekt Michael Wolf entworfenen und errichteten Bauten „belegen ein markantes Wirken in (...) einer Zeit neuer, zweckmäßiger Angebote für zeitgemäßes Wohnen in einer wohlhabenden Stadt. Seine Baukonzeption hat in erheblichem Maß dazu beigetragen, dass sich ein solches Selbstverständnis durchsetzen konnte“, schrieb Walther Konschitzky in seinem Nachruf „Chronist ‚seines‘ Jahrhunderts“ (Banater Post, 5. April 2003). Und an anderer Stelle heißt es: „Rund siebzig Wohnhäuser, die er in dieser Zeit entworfen und gebaut hat, sprechen von seiner künstlerischen und praxisorientierten Verwurzelung in der Zeit des Neuen Bauens nach dem Ersten Weltkrieg. Es entstanden funktionelle, lichtdurchflutete Häuser und Räume, die neue Formen von Wohn- und Lebensqualität anboten.“

Unterstützt wurde die Realisierung des Films unter anderen von der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Dr. Walther Konschitzky, Hans Rothgerber und dem Temeswarer Diözesanarchiv. Konschitzky hatte Ende der 1990er Jahre für den auszugsweisen Abdruck des von Architekt Michael Wolf verfassten Familien- und Zeitberichts in der „Banater Post“ gesorgt. Unter dem Titel „Unser Jahrhundert im Überblick“ sind die Auszüge in über zwei Dutzend Folgen 1998-2000 erschienen.

Aufgerufen werden kann der Film auf YouTube (www.youtube.com/watch?v=cwqCJMOKOYw) und Vimeo (vimeo.com/407542351).

           Walter Tonţa