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Lindenfeld: verlassener Ort im Banat

Weidende Schafe in Lindenfeld Fotos: Solveig Meinhardt

Helmuth Kierer in seinem Buggy Foto: Gerlinde Kierer

Die katholische Kirche in Lindenfeld, instandgesetzt von Helmuth Kierer

Die einstige Schule ist nur noch eine Ruine.

Ein Besuch ist beschwerlich und faszinierend zugleich. „Arbeitest du wieder an der Kirche?“ Wenn Helmuth Kierer in Lindenfeld auftaucht, scheint das bei vielen der erste Gedanke zu sein. An diesem ruhigen, sonnigen Tag im Oktober 2019 spricht ihn ein rumänischer Hirte an. Er ist gerade mit seiner Schafherde im Semenic-Gebirge unterwegs. Wie alle anderen in der Umgebung weiß auch er: Ohne den „Deutschen“ gäbe es das Gotteshaus in Lindenfeld nicht mehr. Dass es jetzt äußerlich so gut in Schuss ist, ist Helmuth Kierers Verdienst. In jahrelanger Eigenarbeit setzte er es instand. Als gelernter Schlosser, Tischler und Installateur wusste er, was wie zu tun ist. Seine Helfer und das Baumaterial bezahlte er aus eigener Tasche. „Ich wollte nicht, dass es heißt: ‚Der nimmt Geld vom Staat und steckt es dann selber ein.‘“

Die Kirche ist das am besten erhaltene Gebäude in Lindenfeld. Alle anderen, ob Schule, ob Wohnhäuser, sind verfallen, sind Ruinen. Den Friedhof findet man nur, wenn man von Helmuth Kierer um Hecken und über Gestrüpp hingeführt wird. Die Gräber sind von Gras überwuchert, die meisten Kreuze umgefallen. Was darauf steht, ist so verwittert, dass man es nicht lesen kann. Eine Ausnahme bildet das Grab von Hilde Grenzner. Das Mädchen ist 1945 im Alter von nur zwei Jahren an einer Lungenentzündung gestorben, erzählt uns Helmuth Kierer.

Lindenfeld, das 1828 von Deutschen aus Böhmen gegründet wurde und das nie einen rumänischen
Namen hatte, ist seit 1998 ein verlassenes Dorf. Der Niedergang begann aber schon lange davor. Hatte das Dorf 1930 noch über 300 Einwohner, waren es 1977 nur noch knapp über 90. Der letzte Einwohner starb 1998 bei einem Verkehrsunfall in der nahe gelegenen Kreisstadt Karansebesch.

Die Russlanddeportation verschonte 1945 auch die Lindenfelder nicht. In der kommunistischen Zeit folgte die Ausreisewelle nach Deutschland. Die nicht ausreisen durften oder wollten, verließen Lindenfeld, weil die Anbindung an die Umgebung sehr schlecht war, sprich weil es keinen ausgebauten Verkehrsweg gab. Bis zum nächstgelegenen Dorf Buchin sind es sieben Kilometer. Von Buchin hat man nur drei Möglichkeiten, nach Lindenfeld zu gelangen: entweder zu Fuß oder mit einem Traktor oder eben mit Helmuth Kierers US-amerikanischem „Buggy“ der Marke „Polaris Ranger“. Das ist ein vierrädriges Kleinfahrzeug mit einem 50-PS-Benzinmotor, das zwei Personen Platz bietet. „Es gelangt selbst dorthin, wo man sonst nur auf allen Vieren hinkommt“, sagt Helmuth Kierer.

Ob zu Fuß oder per Traktor oder „Buggy“, auf den Weg sollte man sich nur machen, wenn es vorher nicht geregnet oder geschneit hat und wenn keine Eisglätte herrscht. Der Forstweg ist bestenfalls zwei, zweieinhalb Meter breit, voller Unebenheiten, Furchen und Schlaglöchern, um die man Slalom gehen beziehungsweise fahren muss. Wo Steine und Geröll liegen, ist er sehr rutschig. Von Buchin nach Lindenfeld geht es ständig bergauf. Lindenfeld liegt über 500 Meter höher als Buchin. Zu Fuß oder mit dem Traktor ist man drei Stunden unterwegs, mit dem „Buggy“ mindestens zwei Stunden. Gutes Wetter immer vorausgesetzt.

Als Wanderer sollte man einen Ortskundigen dabei haben, um sich nicht zu verlaufen. Ausgeschildert ist nichts. Auf unserem Weg nach Lindenfeld kommen wir an zwei großen, neuen Häusern vorbei. Errichtet wurden sie von Risikofreudigen, die darauf setzen, dass eines Tages doch noch eine befestigte Straße gebaut wird. Dann ließe sich das malerisch gelegene Bergdorf für den Tourismus nutzen.

Ob diese Straße wirklich kommt, dessen ist sich Helmuth Kierer nicht so sicher. Mit seinen fast 70 Jahren, die man ihm allerdings nicht ansieht, hat er sowohl in Deutschland als auch in Rumänien gelernt, nicht alles für bare Münze zu nehmen, was Politiker versprechen.

Helmuth Kierer und seine Frau Gerlinde stammen aus Lowrin. 1979 ist das Ehepaar nach Deutschland ausgewandert. In Schweinfurt fanden sie ein neues Zuhause. Sofort nach der rumänischen Revolution begannen sie, Hilfsgüter ins Banat zu bringen. Im Rucksack schleppte Helmuth einiges auch nach Lindenfeld zu dem damals letzten Einwohner Paul Schwirzenbeck. In Wolfsberg (rumänisch Gărâna) fanden die Kierers ein Haus, das ihnen so gut gefiel, dass sie es 1997 kauften. Im Frühjahr, im Sommer und im Herbst fahren sie jeweils für einige Wochen hin, die restliche Zeit sind sie in Schweinfurt. Bis ihr Haus in Wolfsberg so um- und ausgebaut und eingerichtet ist, wie sie es sich vorstellen, müssen sie noch viel Arbeit und Zeit hineinstecken. Doch das schreckt sie nicht. In die Wolfsberger Dorfgemeinschaft sind die Kierers so gut integriert, als hätten sie schon immer dazugehört. Als wir sie besuchen, ist Helmuth gerade damit beschäftigt, letzte Arbeiten für das Kirchweihfest zu erledigen. Mit dem Wolfsberger Fest gehen die Kirchweihfeste im Banater Bergland zu Ende. Aus der Instandhaltung der Kirche von Lindenfeld hat sich Helmuth zurückgezogen, nachdem der Bürgermeister von Buchin 2018 öffentlich verkündete, dass er das von nun an selbst tun wolle.

Der eine oder andere Deutsche, der wie die Kierers ein Ferienhaus in Wolfsberg oder einem anderen Banater Berglanddorf hat, hat Lindenfeld sicher schon besucht. So lange die Anbindung aber so ist wie jetzt, bleibt das ein Abenteuer, das zwar mit einer wundervollen Landschaft und bleibenden Erinnerungen belohnt wird, das man aber nur eingehen sollte, wenn man von einem Ortskundigen begleitet wird, zum Beispiel von Helmuth Kierer. Er kennt sich nicht nur bestens aus, sondern weiß auch so manche Geschichte oder Anekdote zu erzählen, die sonst nur die Einheimischen kennen.