Im Museum des Banater Montangebiets in Reschitza herrschte am 24. Januar, kurz vor der Mittagszeit, großes Gedränge. Dutzende Menschen standen im Eingangsbereich und warteten auf die Eröffnung der beiden Ausstellungen, die Teil des vielfältigen Veranstaltungsprogramms zum Gedenken an die Russlanddeportation der Rumäniendeutschen vor 75 Jahren waren. Unterdessen schauten sich die Anwesenden die ausgestellten Plakate und Fotografien an. Am Eingang links, in dem Bereich, wo das Haus des Deutschen Ostens München die Ausstellung „Mitgenommen – Heimat in Dingen“ vorstellte, wurden die Gesichter plötzlich ernst. Bei dieser Ausstellung geht es um Flucht, Vertreibung und Deportation – traurige Realitäten für die deutsche Bevölkerung aus den Ländern Ost- und Südosteuropas nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele der Besucher kannten Geschichten von Flucht und Deportation aus ihren eigenen Familien, andere zählten zu den wenigen Glücklichen, deren Vorfahren davor verschont geblieben waren und die lediglich von Bekannten oder Freunden davon erfahren hatten.
Ausstellungen und Buchpräsentationen
„Die Besucher können die Geschichte der Vertreibung von 1945 aus mehreren Perspektiven erleben. Zum einen ist es die Perspektive der Historiker, die in den einführenden Texten der Ausstellung festgehalten ist. Zum anderen ist es die Perspektive der Betroffenen. Diese Geschichte können sie anhand der mündlichen Berichte und der Gegenstände, die in dieser Ausstellung präsentiert sind, erfahren“, erklärte Lilia Antipow, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Haus des Deutschen Ostens. Die Wanderausstellung wurde 2015 realisiert und wurde seitdem an vielen Orten gezeigt.
Einige Schritte weiter, wo die Fotografien des Luxemburger Marc Schroeder an den Wänden hingen, weilten die Blicke der Betrachter etwas länger auf den Exponaten. Zu sehen waren Porträts von Überlebenden der Russlanddeportation. „ORDER 7161 – Zeitzeugenporträts einer Deportation“ betitelt sich die Fotoausstellung, die Marc Schroeder dem Reschitzaer Publikum vorstellte. Besonders wichtig war es dem Fotografen, dass sich auch das rumänischsprachige Publikum seine Ausstellung ansieht und das Thema der Russlandverschleppung vertieft. Dies war einer der Gründe, weshalb zwischen den Fotografien auch ergänzende Texte auf Rumänisch, mit persönlichen Geschichten, die Marc Schroeder gesammelt hatte, hingen. „Eine Herausforderung für mich als Fotograf war, das Vertrauen der Leute zu gewinnen, damit sie sich so fühlten, als sei ich fast nicht da“, erzählte Schroeder, der erstmals 2010 nach Rumänien kam. Ungefähr 40 Seniorinnen und Senioren bekam er schließlich vor seine Kamera – die Porträts einiger von ihnen und mehrere dazugehörige Geschichten sind zurzeit im Museum des Banater Montangebiets zu sehen.
Dass in Reschitza eine solch großangelegte und vielfältige Veranstaltungsreihe zum Gedenken an den 75. Jahrestag der Russlandverschleppung zustande kommen konnte, dafür sorgte der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen (DFBB) Erwin Josef Ţigla, der sich seit Jahren darum kümmert, dass dieses Thema nicht in Vergessenheit gerät. In diesem Jahr gab es Filmvorführungen, Ausstellungseröffnungen, Buchvorstellungen und ökumenische Gottesdienste, um an eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Rumäniendeutschen zu erinnern und das breite Publikum darüber zu informieren. Ungefähr 70000 Deutsche wurden 1945 als Kriegswiedergutmachung in die damalige Sowjetunion verschleppt – davon kehrten 20 Prozent nicht wieder heim. Heute leben nur noch ungefähr 180 ehemalige Russlandverschleppte in Rumänien, berichtete Erwin Josef Ţigla. Bei der Ausstellungseröffnung sprach der Forumsvorsitzende über seinen persönlichen Bezug zur Russlanddeportation – auch sein Großvater war fünf Jahre lang im Ural deportiert gewesen. Er präsentierte auch mehrere Zeugnisse aus der Zeit der Deportation: einen Bilderrahmen aus dem Ural, ein im Arbeitslager von den Deportierten benutztes Dominospiel und einige Briefe, die die Deportierten über das Rote Kreuz nach Hause geschickt hatten.
Viele Jugendliche – Schülerinnen und Schüler aus Reschitza – durften sich im Rahmen der Gedenkwoche mehrere Dokumentarfilme in der Regie von Cristian Amza anschauen, um sich mit dem Thema der Russlandverschleppung vertraut zu machen. Ein Thema, das in der heutigen Gesellschaft, mit Ausnahme der deutschen Gemeinschaft, kaum Beachtung findet, wie Ministerialrat Ilie Schipor bei der Vorstellung seines Buchs „Deportarea în fosta URSS a etnicilor germani din România. Argumente arhivistice ruse“ (Die Deportation deutscher Volkszugehöriger aus Rumänien in die ehemalige UdSSR. Argumente aus russischen Archiven) unterstrich, das 2019 im Honterus-Verlag erschienen ist.
Zu der Gedenkveranstaltung im Museum des Banater Montangebiets hatten sich nicht nur Berglanddeutsche, sondern auch Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen, Sathmarer Schwaben, Bukowiner Deutsche eingefunden. Schließlich ist die Russlandverschleppung ein Thema, das die Deutschen aus Rumänien gleichermaßen betroffen hat. Die Ehrenvorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten Elke Sabiel, die Unterstaatssekretärin im Departement für interethnische Beziehungen Christiane Cosmatu, der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Dr. Bernd Fabritius, der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) Dr. Paul-Jürgen Porr, der DFDR-Geschäftsführer Benjamin Józsa, der Abgeordnete der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament Ovidiu Ganţ sowie die Vorsitzenden mehrerer Ortsforen aus ganz Rumänien waren nach Reschitza gekommen, um der Gedenkfeier beizuwohnen. Ein besonderer Gast war die ehemalige Russlanddeportierte Elfriede Helene Polluch aus Suceava, die eigens mit dem Zug angereist war. Marc Schroeder hatte sie im Jahr 2013 fotografiert. Erwin Josef Ţigla überreichte ihr sowie Elfriede Chwoika und Helmut Weinschrott, die beide während der Deportation in der ehemaligen Sowjetunion zur Welt kamen, eine Gedenkmedaille.
Anschließend wurden im Veranstaltungsraum des Museums mehrere Bücher vorgestellt. Der Sammelband „Un veac frământat. Germanii din România după 1918“ (Ein bewegtes Jahrhundert. Die Deutschen in Rumänien nach 1918), herausgegeben von dem Historiker Ottmar Traşcă und dem Soziologen Remus Gabriel Anghel aus Klausenburg, wurde von letzterem vorgestellt. Die Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung Beatrice Ungar sprach über den Roman von Mariana Gorczyca, 2019 in deutscher Fassung im Polirom-Verlag Jassy mit dem Titel „Diesseits und jenseits des Tunnels. 1945“ erschienen. Dafür dokumentierte sich die aus Brăila stammende und in Schäßburg lebende Autorin bei Bekannten aus Siebenbürgen, die nach Russland verschleppt worden waren. Entstanden ist ein Briefroman in rumänischer Sprache, den Beatrice Ungar in Rekordzeit ins Deutsche übersetzte. Ebenfalls einen Rekord stellte auch das Buch des Militärhistorikers Ilie Schipor auf, der in Moskauer Archiven auf wertvolle Dokumente mit Bezug auf die Russlanddeportation der Rumäniendeutschen gestoßen ist: Sein Buch sei in nur zwei Monaten geschrieben und gedruckt worden, informierte Verlagsleiter Benjamin Józsa. Schipor betonte, dass in den Archiven in Russland noch reichlich Informationsmaterial vorliege, welches nur darauf warte, von Forschern entdeckt und untersucht zu werden. Vorgestellt wurden darüber hinaus der Russlanddeportation gewidmete Veröffentlichungen des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen und des Kultur- und Erwachsenenbildungsvereins „Deutsche Vortragsreihe Reschitza“.
Gedenksitzung des Forums der Deutschen in Rumänien
Am Nachmittag verlagerte sich das Geschehen ins deutsche „Alexander Tietz“-Zentrum, wo der Vorstand des DFDR zu einer Gedenksitzung zusammentrat. Bernard Gaida, Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten in der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten, stellte die Verschleppung der Rumäniendeutschen in einen größeren Kontext und betonte, dass der Januar für die Deutschen in Mittel- und Osteuropa der Monat schmerzlicher Erinnerungen sei und auch in anderen Ländern der Vertreibung und Verschleppung gedacht werde.
Der Aussiedlerbeauftragte Bernd Fabritius sprach von der „Sklaverei auf Zeit“, der auch sein eigener Großvater zum Opfer gefallen war. „Die Russlandverschleppung der Rumäniendeutschen war der tragischste Bruch in der kollektiven Biografie der Deutschen in Rumänien. Mein Großvater hat die Verschleppung überlebt, er kam Ende 1949 zurück. Meine Eltern, seine Kinder, haben ihn kaum erkannt, er war auf 48 Kilo abgemagert, eigentlich fast verhungert. Das, was er erlebt hat, hat unsere Familie auch nachher nachhaltig geprägt. Mein Großvater gehört zu den Verschleppten, die über die Deportation erzählen konnten. Und das, was er uns erzählt hat, das verschafft mir auch heute noch Gänsehaut“, sagte Fabritius.
Der DFDR-Abgeordnete Ovidiu Ganţ berichtete von den Bestrebungen des Deutschen Forums zur Unterstützung der verschleppten Rumäniendeutschen. In den 1990er Jahren habe das Forum durchsetzen können, dass auch die Russlandverschleppten zu den politischen Häftlingen gezählt werden und somit vom rumänischen Staat eine monatliche Zuwendung erhalten. Seit letztem Jahr bekommen die ehemaligen Russlanddeportierten – auch dank der Bestrebungen des DFDR-Politikers – eine auf 700 Lei erhöhte monatliche Entschädigung pro Deportationsjahr.
„Gemeinsames Trauern und gemeinsames Feiern fördern das, was uns verbindet“, sagte Reinhart Guib, evangelischer Bischof A.B. in Rumänien, bei der Gedenksitzung des Deutschen Forums in Reschitza, der „ökumenischen Hauptstadt Rumäniens“, wie er die Stadt an der Bersau bezeichnete.
An die Gedenksitzung schlossen sich zwei aufschlussreiche Vorträge an: Ministerialrat Dr. Ilie Schipor hielt einen Vortrag in rumänischer Sprache zum Thema „Die Deportation der Rumäniendeutschen anhand von Dokumenten aus sowjetischen/russischen Archiven“, während Prof. Dr. Rudolf Gräf, Prorektor der Babeş-Bolyai-Universität Klausenburg in deutscher Sprache über die Russlanddeportation im europäischen Kontext referierte.
Ökumenischer Wortgottesdienst
Den Höhepunkt der Gedenkveranstaltung bildete am Samstag, dem 25. Januar, der ökumenische Wortgottesdienst in der „Maria Schnee“-Kirche zu Reschitza, den der römisch-katholische Bischof von Temeswar Josef Csaba Pál und der Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien Reinhart Guib gemeinsam zelebrierten. In seiner packenden Ansprache im Abschluss an den Gottesdienst erläuterte der Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten Ignaz Bernhard Fischer, wie es zu dieser Katastrophe für die Deutschen in Rumänien kommen konnte: Zwei „unreife Lehrjungen“ – damit waren der Faschismus und der Kommunismus gemeint – hätten „die Schrauben der christlichen Werte an der Völkermaschine zunächst gelockert und danach ersetzt. Die Liebe durch Hass, die Freiheit durch Gewalt.“ Damit konnten sie den Zweiten Weltkrieg entfesseln und Millionen Menschen ins Verderben stürzen.
Zum Schluss fand an dem Denkmal der Russlanddeportierten im Cărăşana-Park eine ökumenische Andacht mit anschließender Kranzniederlegung statt, die von den „Banater Musikanten“ aus Temeswar musikalisch begleitet wurde.