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Auf den Spuren der Donauschwaben (Teil 2)

Die Festung Peterwardein (Petrovaradin) im serbischen Novi Sad ist eine der größten und besterhaltenen Festungen Europas.

Dreisprachiges Schild am Sitz des Nationalrats der deutschen Minderheit und des Deutschen Humanitären Vereins „St. Gerhard“ in Sombor

Ausgedehnte Weinflächen erstrecken sich auf dem hügeligen Gelände rund um die Stadt Werschetz. Fotos: Halrun Reinholz

Donauschwäbische Gebiete fielen nach dem Ersten Weltkrieg an das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (seit 1929 Königreich Jugoslawien): ein Teil des Banats, ein Großteil der Batschka und Syrmien. Die ehemals habsburgischen Gebiete heißen in Serbien „Wojwodina“. Dieser nördliche Teil des Landes mit der Hauptstadt Novi Sad (Neusatz), der ein Viertel der Fläche Serbiens einnimmt, war immer schon multiethnisch geprägt und gilt bis heute als „fortschrittlich“. Es ist zudem die friedlichste und sicherste Region Serbiens, dessen südlicher Teil bis heute von den Konflikten mit dem Kosovo geprägt ist. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte die Region Wojwodina etwa eine Million Einwohner, davon waren 400000 Deutsche. Subotica, unsere erste Station, hieß einmal Maria Theresiopel. Die überwiegend ungarische Bevölkerung nennt die Stadt Szabadka. Hier war früher ein bedeutendes Handelszentrum, prächtige Bauten im ungarischen Jugendstil wie das mächtige Rathaus oder die imposante Synagoge zeugen von der einstigen Pracht.

Die Spuren der Donauschwaben führten uns nach Sombor, wo sich der Deutsche humanitäre Verein St. Gerhard um den Erhalt der Identität der Donauschwaben kümmert. Im Vergleich zu Ungarn ist die Situation der Donauschwaben in den ehemals serbischen Gebieten katastrophal. Zunächst hatten sie zwar im jungen Königreich Jugoslawien den ungarischen Assimilationsdruck los, doch auch hier zeigte sich der Einfluss des Nationalsozialismus. Für die Partisanen im Zweiten Weltkrieg galten die Deutschen vor Ort als kollektiv schuldige Exponenten des Hitlerismus, die es auszurotten galt. Nirgends sonst wurde mit einer vergleichbaren Brutalität unter Missachtung der auch im Krieg geltenden Regeln der Menschlichkeit gegen die Minderheit vorgegangen. Bewohner ganzer Dörfer wurden vom Tito-Regime in Arbeitslager gebracht, die nicht Arbeitsfähigen – Alte und Kinder – in eigenen Lagern praktisch dem Verhungern preisgegeben. Zwei unserer Mitreisenden hatten diese Lager noch in ihrer Kindheit erlebt. Manchen war es gelungen, rechtzeitig aus der Region zu flüchten, andere wurden vertrieben oder in die Sowjetunion zur Reparationsarbeit deportiert.

Die Arbeit des 1999 gegründeten St. Gerhards-Vereins mit seinem rührigen Vorsitzenden Anton Beck kann also nicht mehr viel an Tradition bewahren, es geht fast nur noch um deren Dokumentation. Eine Ausstellung im Haus St. Gerhard zeigt Trachten oder Gebrauchsgegenstände, die noch auffindbar waren. Doch der Verein kümmert sich auch um sehr gegenwärtige Dinge: Brauchtumspflege, humanitäre Hilfe für Bedürftige, Jugendarbeit, aber auch Deutschunterricht ist ein Schwerpunkt im Haus. Im (noch) Nicht-EU-Land Serbien gelten Deutschkenntnisse als wichtiger Schlüssel für eine bessere (europäische) Zukunft, deshalb bringen die Sprachkurse junges Publikum ins Haus. Zukunftsmusik ist noch das multiethnische Kulturzentrum mit Museum im Jugendstil-Palais Grassalkovich, das davor jedoch saniert werden muss.

Durch das Stadtzentrum von Sombor führte uns Milan, ein pensionierter Historiker und Soziologe. Sein Lieblingsort ist der Sitzungssaal des Rathauses, der von einem monumentalen Gemälde der Schlacht bei Zenta des Malers Ferenc Eisenhut dominiert ist. Die Schlacht im Jahr 1697 endete mit einem fulminanten Sieg der kaiserlichen Truppen unter dem Prinzen Eugen von Savoyen gegen die Osmanen und führte in der Folge zum Frieden von Karlowitz.

Die Weiterfahrt brachte uns an den ehemals wichtigen Donauhafen Apatin, der die Stadt zum wichtigsten Handelszentrum der Region machte. Die Ulmer Schachteln legten hier an und spuckten die Auswanderer aus, die sich dann zu Fuß weiter verteilten – in die Batschka, die Baranya oder ins Banat. In der Apatiner Pfarrkirche Hl. Geist, ein ehemaliges Kloster, wo Pilger auf dem Chorbalkon einst auch übernachten konnten, wird die schwarze Muttergottes von Apatin verehrt. Sie soll von Donauschwaben im Auswanderergepäck mitgebracht worden sein und gilt als deren Schutzpatronin.

Boris ist einer der wenigen Abkömmlinge von Donauschwaben, die noch vor Ort sind. Er kommt aus
einer Schiffbauerfamilie und ist eigentlich Deutschlehrer. Seinen Lebensunterhalt verdient er als logistischer Begleiter von Donau-Passagierschiffen, doch sein Hobby ist die Bewahrung und Rettung des verbliebenen materiellen Kulturguts der Donauschwaben. Er zeigte uns die Kirche Herz Jesu, 1933 im neoromanischen Stil gebaut, aber unvollendet geblieben. Hier wirkte in den 1930er Jahren Pfarrer Adam Berenz, ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Kirche und Pfarrhaus entwickelten sich zu einem Zentrum des NS-Widerstands in der Region, bis der Pfarrer verhaftet und verbannt wurde.  Hier zeigt sich, dass bei weitem nicht alle Schwaben Kollaborateure der Nazis waren, doch die Partisanen machten bei ihrer grausamen Abrechnung keinen Unterschied und rotteten die deutsche Bevölkerung aus. Boris holt Skulpturen, Altarbilder oder andere Erinnerungsstücke aus den verlassenen Kirchen der Region und bringt sie in die Herz-Jesu-Kirche, die ein Museum werden soll. Auch Schriften, Zeitungen und Bücher hat er in seinem Fundus. Doch er ist ein Einzelkämpfer und hat kaum Zeit, die Dinge korrekt zu erfassen und unterzubringen.

Der Stopp an der Heuwiese bei Filipowa (Bački Gračac) sollte zum eindrucksvollsten Moment der Reise werden. Dort erinnert eine Gedenkstätte an den schwärzesten Tag dieser Gemeinde, den 25. November 1944, als die Partisanen an einem Sonntag ohne Vorwarnung alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren, inklusive Pfarrer, erschießen ließen. Die Namen der 212 Männer stehen auf dem Gedenkstein, den der Verein Filipowa in Österreich dort aufstellen ließ. Dessen Vorsitzender Franz Braunsteiner, der mit uns reiste, hat sich für die Errichtung der Gedenkstätte engagiert, sein Onkel war unter den Opfern. Zur Einweihung im Jahr 2011 war auch Bischof Robert Zollitsch gekommen, damals Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Er stammt selbst aus Filipowa und auf dem Gedenkstein steht der Name seines Bruders. Das Mahnmal steht symbolisch für die furchtbaren Erlebnisse, die die Donauschwaben im damaligen Jugoslawien erleiden mussten.

Novi Sad steht im Schatten der Burg Peterwardein, eine der schönsten Festungsanlagen Europas mit
einem unterirdischen Tunnelsystem über drei Etagen. Die imposante Burg dient als Symbol für die Überlegenheit des Abendlandes im Kampf gegen die Osmanen: 1716 besiegte Prinz Eugen in der Schlacht bei Peterwardein die Türken in einem Überraschungsangriff bei Schneesturm (im August!). Zum Dank stiftete er die Wallfahrtskirche Maria Schnee, denn die Mutter Gottes hatte ihn im Traum vor dem Schnee gewarnt. Von dem Hotel in der Burg konnten wir das großartige Panorama auf die Stadt und die Donau genießen. Novi Sad ist Ziel vieler Touristen, die oft mit den Fluss-Schiffen kommen. Unser Führer Goran zeigte uns das Schild der örtlichen Bibliothek mit Aufschriften in den fünf Amtssprachen serbisch, ungarisch, rumänisch, ruthenisch und slowakisch. Deutsch ist heute nicht mehr dabei, früher war Neusatz ein wichtiges Handels- und Gewerbezentrum (auch) der Donauschwaben. Im Jahr 2021 wird die Stadt zusammen mit Temeswar Europäische Kulturhauptstadt sein.

Durch den Naturpark „Fruška Gora“ („Frankenwald“) führte unser Weg zu zwei orthodoxen serbischen Klöstern, dazwischen überraschte uns Goran mit einem Picknick. Der „Caterer“ zauberte aus seinem Kleinwagen erstaunliche Mengen an vorzüglich schmeckenden Aufschnitt- und Käseplatten, dazu reife Wassermelonen.  Ein kurzer Stopp in Karlowitz (Sremski Karlovci) erinnerte daran, dass hier im Jahr 1699 nach dem Frieden von Karlowitz der erste „runde Tisch“ der Geschichte stattgefunden hatte. Zu diesem Zweck errichtete man ein rundes Gebäude mit vier Eingängen, damit jede beteiligte Partei ihren eigenen hatte. Der südliche Eingang wurde danach zugemauert, damit die Osmanen nie wieder kommen mögen. Karlowitz liegt auch in einer Weingegend, wie uns eine Weinprobe am Weingut Probus bewies.

Belgrad ist keine Stadt der Donauschwaben, trotzdem war sie Ziel unserer Reise, zumal der Stadtteil Semlin (Zemun) über lange Zeit Vorposten und Zollstation der Habsburger kurz vor der bis 1873 osmanisch besetzten Stadt war. In Semlin kann man von einem Turm die schöne Aussicht auf Belgrad genießen, doch auch die serbische Hauptstadt selbst hat einiges vom Flair einer südländischen Großstadt zu bieten. Die gigantische Burganlage Kalemegdan, heute Naherholungsgebiet mit wunderschönen Panoramen über die Donau, erinnert an die strategische Bedeutung der Stadt. Leider macht sich aber auch der neuzeitliche Größenwahn in der Stadt bemerkbar: Ein Filetstück an Grundstücken wurde von Spekulanten ohne Rücksicht auf die historische Umgebung bebaut und dominiert mit Hochhäusern am Donauufer.

Überdimensioniert ist auch die noch nicht fertig gebaute St.-Sava-Kathedrale, sie sprengt schon jetzt alle Maßstäbe des guten Geschmacks und transportiert inhaltlich die Botschaft von der allen überlegenen serbischen Heldennation. Nationalistische Tendenzen auch bei privaten Anlässen: Zu unserer Verwunderung sahen wir Hochzeitsgesellschaften mit serbischen Flaggen aufmarschieren. Im Tito-Mausoleum, Teil des Museums für jugoslawische Geschichte, verschlug es uns auch die Sprache: Zwar hat man den Oberpartisan nicht, wie Lenin, als Mumie aufgebahrt, aber die Ausstellung zeigt unkritisch bis bewundernd Fotos und Devotionalien zur Person Tito, Schattenseiten werden ausgeblendet. Petar, unser Stadtführer in Belgrad, war leider ziemlich wortkarg, sodass nur wenige Hintergrundinformationen zu uns drangen. Im privaten Gespräch mit seiner Frau, ebenfalls Historikerin, erfuhren wir, dass das Kapitel des Umgangs der Partisanen mit den Donauschwaben selbst in Fachkreisen nach wie vor weitgehend tabu ist. Dazu passte der Name des Traditionsrestaurants, in dem wir den Besuch in Belgrad abschlossen: „Zum Fragezeichen“.

Mit dem Überqueren der Theiß gelangten wir ins Banat, die dritte wichtige Region der Donauschwaben. In der Kleinstadt Werschetz (Vršac) lebten vor dem Krieg 15000 Deutsche. In der städtischen Bibliothek trafen wir Tamás an seinem Arbeitsplatz. Er führte uns in ein Hinterzimmer, wo die Geschichte des Ortes „atmet“: Stapelweise alte Bücher und lokale Zeitungen in deutscher Sprache stapeln sich da. Tamás ist halber Ungar, hatte aber auch einen schwäbischen Großvater, von dem er Deutsch gelernt hat. Er nennt es „tschogeldeutsch“ und meint damit den Dialekt – „Tschogeln“ sind die Krähen, die so aussehen wie die schwäbischen Männer in ihren schwarzen Alltagsröcken, wenn sie am Wirtshaustisch saßen. Tamás will die Schätze aus der Bibliothek fachmännisch konservieren und erfassen, doch das ist nicht seine eigentliche Aufgabe, darum geht es nur langsam voran.

Werschetz war früher eine wirtschaftlich blühende Stadt, Zentrum eines großen Weinanbaugebiets, wo auch viele Handelswege zusammenliefen und eine florierende Seidenraupenzucht betrieben wurde. Heute wird nur noch ein Zehntel der früheren Weinbaufläche genutzt. Vom früheren Glanz zeugt die neugotische katholische Kirche auf der „deutschen“ Seite mit einer Wegenstein-Orgel. Auf der „serbischen“ Seite steht die serbisch-orthodoxe Kirche mit Bischofspalais, das Stadtzentrum liegt dazwischen. Für die Banater Deutschen war Werschetz in der „ungarischen“ Zeit mit seiner deutschen Lehrerbildungsanstalt ein Bollwerk gegen die Magyarisierung. Heute gibt es keine Strukturen für Deutschunterricht, nicht einmal als Fremdsprache. Stefan Munjas, ein (fließend) „Deutsch sprechender Serbe“, hat einen „Verein für österreichisch-deutsch-serbische Zusammenarbeit“ gegründet und erhofft sich dadurch Impulse für den Ort. Ein Denkmal soll demnächst an die 2000 Werschetzer erinnern, die nach 1945 deportiert worden sind. Nicht nur Deutsche, auch die Ungarn im Ort galten den Partisanen als Kollaborateure. Werschetz wird von einem Hügel überragt, der mit einer Kapelle und einer Antenne bestückt und daher weithin sichtbar ist. Einer unserer Mitreisenden kannte den Hügel gut: Als er vor rund 40 Jahren über die grüne Grenze aus Rumänien flüchtete, war dieser Hügel sein
Orientierungspunkt.

Weißkirchen (Bela Crkva) ist unsere letzte Station in Serbien. In dem kürzlich erschienenen Roman „Elli“ von Helmut Erwert wird eine Garnisonsstadt an der Militärgrenze beschrieben, eher handwerklich als bäuerlich geprägt. Ein bekannter Weinort, der in der Zwischenkriegszeit ein vielfältiges kulturelles und gesellschaftliches Leben hatte. Durch die stationierten Soldaten und Offiziere war es eine Stadt mit Eleganz und Schick, mit Casinos und Tanzcafés. Das heutige Bela Crkva wirkt dagegen verschlafen und ländlich. Edith, die letzte im Ort verbliebene Donauschwäbin, empfing uns äußerst freundlich in der Kirche. Wie zum Beweis zeigte sie uns ihren Stammbaum und spielte dann auf einer Tischorgel, der zwei Tasten halb fehlten, bekannte Kirchenlieder. Es gibt kein Geld für Reparatur, sagte sie, und die große Orgel der Kirche sei längst nicht mehr spielbar. Danach aßen wir gemeinsam im Dorfwirtshaus und Edith bedauerte, dass wir nicht länger bleiben können, die Gegend sei so schön mit sieben
Badeseen und der Nera. Doch unser Weg führte uns weiter nach Rumänien.